Gewerkschaften, Politik und Märkte schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Euro-Krise zu
Mittlerweile neigt sich das dritte Jahr der Euro-Krise dem Ende zu. Und die Hälfte der 17 Euro-Staaten steckt in einer Rezession. Wie real das Gespenst einer neuen Wirtschaftskrise hierzulande ist, lässt sich derzeit schwer einschätzen. Im ersten Halbjahr sanken die Investitionen, und bei einigen Industriekonzernen wie Bosch und Thyssen-Krupp wird angeblich über Kurzarbeit verhandelt. Nach leichtem Wachstum im zweiten Quartal steht jedoch fest, dass frühestens Ende 2012 von einer Rezession die Rede sein kann.
In der Europäischen Union war nach einer schwarzen Null im ersten Quartal nun ein leichtes Schrumpfen von 0,2% zu verzeichnen. Dies sind allerdings nur statistische Mittelwerte. In Griechenland etwa liegt der Wirtschaftseinbruch aktuell zwischen 5 und 10% pro Quartal: Die Schuldenquote steigt somit trotz Sparmaßnahmen. Seit Anfang 2010 sind die Reallöhne, Zeitungsberichten zufolge, um mehr als 30% eingebrochen und der Lebensmittelkonsum ging um ein Drittel zurück. Es fällt schwer, sich die Folgen auszumalen, wenn zu dieser „inneren“ noch die äußere Abwertung einer neuen Drachme hinzukommt. Die verpuffte Verbilligung des britischen Pfund belegt indes, dass es sich dabei keineswegs um ein präzises wirtschaftspolitisches Instrument handelt.
Währenddessen sind im spanischen Staatshaushalt für 2013 satte 30% allein für den Schuldendienst reserviert. Auf der iberischen Halbinsel demonstrieren und streiken nicht mehr nur die Bergleute: Behelmten Polizisten stehen nun auch gut ausgerüstete Feuerwehrleute gegenüber. Nach der Sommerpause dürfte der September europaweit wieder einmal spannend werden: Die EU-geführte Troika entscheidet über die Auszahlung der nächsten Tranche an Griechenland. Spanien muss neue Staatsanleihen auflegen, anarchosyndikalistische und Basisgewerkschaften bereiten einen weiteren Generalstreik vor. Auch hierzulande sind im September Proteste geplant, etwa vom Bündnis „umFAIRteilen“, das auch von DGB-Gewerkschaften und Oppositionsparteien unterstützt wird.
Glaubt man dem „4-Punkte-Programm für einen Kurswechsel in Europa“, das der DGB bereits im Dezember 2011 vorlegte, bestehen auf gewerkschaftlichem Terrain keinerlei Handlungsmöglichkeiten. Vielmehr solle der Rettungsfonds EFSF als „Käufer letzter Instanz“ Staatsanleihen finanzieren. Haushaltskonsolidierung müsse auch durch Mehreinnahmen betrieben werden, die wiederum auch einem „europäischem Zukunftsprogramm“ zufließen sollen. Schließlich stünde eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte an, um mittelfristig die Maxime der Einheit von Risiko und Haftung umzusetzen und den „Verlustsozialismus“ (Sigmar Gabriel) beenden zu können. Der Ball liegt demnach bei der Politik. Dabei haben große Einzelgewerkschaften im Frühjahr im Öffentlichen Dienst und in der Metallindustrie eine grandiose Chance verpasst, die Kaufkraft wichtiger Teile der Klasse – und damit, aus wirtschaftspolitischer Perspektive, die Binnennachfrage – zu stärken. Damit hätte der deutsche Außenhandelsüberschuss, der eine wesentliche realwirtschaftliche Krisenursache darstellt, verringert werden können.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkte Aktion 213 – September/Oktober 2012