No to FGM & IGM: Menschenrechte für Intersexuelle.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begeht am 6. Februar den „International Day of Zero Tolerance to Female Genital Mutilation“. Unter weibliche Genitalbeschneidung (FGM) werden dabei alle Prozeduren gefasst, durch die aus nicht-medizinischen Gründen die äußeren weiblichen Genitalien teilweise oder vollständig entfernt bzw. andere Genitalor gane verletzt werden.
Doch Null Toleranz sollte es auch gegenüber einer anderen gängigen Praxis geben: „Wir protestieren gegen Genital verstümmelungen in anderen Kulturen, aber tolerieren sie zuhause“, wie die Biologin Anne Fausto-Sterling sagt. Sie spricht damit chirurgische Eingriffe an, die sich in vielen Punkten von FGM nicht unterscheiden: Babys/Kleinkinder, deren kör perliches Geschlecht sich „atypisch“ entwickelt hat, werden oft an ihren Ge schlechtsorganen operiert – ohne ihre Einwilligung und meist ohne gesundheitliche Notwendigkeit. Intersex-Vereinigungen sprechen bei Operationen an den Genitalien auch von „IGM“ (Intersex Genital Mutila tion) und kritisieren, dass Politiker_innen und Menschenrechtsvereinigungen zwar für ein Verbot von FGM eintreten, Menschenrechtsverletzungen an Intersexuellen aber nicht thematisieren. IGM soll dabei keinesfalls gegen FGM aufgerechnet oder beides gleich gesetzt werden, doch muss die Kritik Intersexueller ernst genommen werden. Denn Operationen an Intersexuellen sind nach wie vor oft Standard: Eine deutsche Intersex-Studie mit 439 Studienteilnehmer_innen kam zu dem Ergebnis, dass fast 81 Prozent der Befragten mindestens ein Mal an ihren Geschlechtsorganen operiert wurden, in der Hälfte dieser Fälle blieb es nicht bei nur einer OP. Bei solchen Eingriffen wird je nach Diagnose und Geschlechtszuweisung bspw. eine als zu groß erachtete Klitoris verkleinert, die Harnröhre von der Vagina getrennt oder die Mündung der Harnröhre auf die Spitze des Penis verlagert, oder es werden die Keimdrüsen (Hoden, Eierstöcke) entfernt.
Die Begründungen sind unterschiedlich: Genitalien sollen nach medizinischer Logik nicht „uneindeutig“ aussehen, außerdem sollen sie zum heterosexuellen (!) Geschlechtsver kehr genutzt werden können. Und scheint die Aussage, durch die Entfernung von Keimdrüsen entgehe man dem Risiko eines bösartigen Tumors, auf den ersten Blick zunächst noch nachvollziehbar, so zeigen sich bei genauerer Analyse der medizinischen Literatur abweichende Einschätzungen zum Krebsrisiko. Schockierend ist auch ein Vergleich aktueller medizinischer Intersex-Leitlinien: Spricht sich das 2006 in Chicago veröffentlichte, internationale Intersex-Konsensus-Statement zwar nicht gegen geschlechtszuweisende Operatio nen aus, führt aber wenigstens damit einhergehende mögliche Risiken an (bspw. Narbenbildung, verminderte sexuelle Empfindsamkeit), werden in einer anderen Leitlinie aktuelle medizinische Erkenntnisse grob missachtet: 2010 in Deutsch land zum Adrenogenitalen Syndrom – der häufigsten Intersex-Diagnose, die u.a. mit einer „vergrößerten“ Klitoris einhergeht – publi ziert, ist hier unkommentiert zu lesen, dass in Deutschland „in der Regel“ eine Operati on, die eine Klitorisreduktion sowie den Scheidenaufbau (inklusive Schamlippen und „Vaginalerweiterung“) umfasst, „im ersten Lebens jahr durchgeführt“ wird. Die massiven physischen und psychischen Belastungen, denen sich viele Intersexuel le nach solchen OPs stellen müssen, werden in dieser Leitlinie an keiner Stelle erwähnt.
Der Widerstand Intersexueller, ihrer Eltern und auch einiger Mediziner_innen gegen solche medizinische Praktiken wächst – und hat sich doch bis heute noch nicht in einem gesetz lichen Verbot dieser OPs niedergeschlagen. Dabei werden fundamentale Menschenrechte wie das Recht auf Selbstbe stimmung, körperliche Unversehrtheit und Würde verletzt. Die Beachtung dieser Rechte – dies würde auch das Verbot von nicht lebens- oder gesundheitsnotwendigen Eingriffen (medizinische, psychologische oder medikamentöse) ohne informierte Einwilligung der betroffenen Menschen umfas sen – ist eine wesentliche Forderung vieler Intersexueller, die Schaffung verbindlicher „Standards of Care“ unter Einbezug der betroffenen Menschen und ihrer Organisationen eine weitere. Gerade dann, wenn wir zu Null Toleranz für FGM aufrufen, sollten wir auch vor unserer eigenen Haustüre keh ren. Null Toleranz mit Mediziner_innen, die sich selbst nicht informieren und nur ungenügend aufklären! Null Toleranz mit politischen Parteien, die Intersex nicht auf ihrer Agenda haben! Solidarität mit Intersexuellen!