Hariri-Klage jetzt öffentlich

in (20.10.2011)

Seit Mitte August kann jeder sie einsehen, die Anklage des UN-Sondertribunals zum Libanon (STL). Die bloße Drohung mit ihr hatte das Land in eine Krise gestürzt und im Januar zum Fall der Regierung des "14. März" geführt. Ihr Inhalt war seit langem bekannt: Eine Analyse von Telefonverbindungen, aus der sich ergeben soll, dass Hizbullah es war, die den früheren Premierminister Hariri ermordete. Überraschend war allerdings, dass die Einwände mittlerweile auch im Tribunal selbst Gehör finden. So sieht sich Untersuchungsrichter Fransen in seiner Stellungnahme außerstande, die Glaubwürdigkeit des von Chefankläger Bellemare im Januar eingereichten und dann mehrfach überarbeiteten Indizienbeweises zu überprüfen. Die Entscheidung über seine Zulässigkeit wird auf die Verhandlung vertagt, die aller Voraussicht nach in Abwesenheit der Angeklagten stattfinden wird.

 

Zahlenrätsel oder pure Unlogik?

Stellen Sie sich vor, Sie erfahren aus den Nachrichten, dass Sie als Tatverdächtiger in einem Mordfall gesucht werden. Sie hatten nie etwas mit dem Opfer zu tun, und nie wären Sie darauf gekommen, dass man Sie jemals einer solchen Tat bezichtigen könnte. Wie kann das sein, fragen Sie, es muss sich wohl um eine Verwechslung handeln? Schwindelnd lesen Sie die Begründung: Es geht um zehntausende Seiten mit Ausdrucken von Telefonverbindungen, keine Inhalte von Gesprächen, einfach nur Listen, wann welches Gerät von wo Anrufe und Nachrichten empfing und wohin es sendete, und es geht um Ihr Handy, das in den Monaten vor der Tat "auffällig häufig" über den gleichen Sendemast mit dem Mobilfunknetz verbunden gewesen sei wie die Telefone der Mörder.

Darüber seien die Ermittler auf Ihre Spur gelangt. Zwar hätten Sie niemals von Ihrem Handy aus mit ganz gleich welchem Telefon der Mörder telefoniert. Aber gerade weil Sie das nicht haben und sich dennoch an bestimmten Tagen im gleichen Sendebereich befanden wie einer der Mörder, könne man schließen, dass Sie mit diesem identisch sind: Sie hatten alle betreffenden Telefone bei sich. Sie werden fragen: Mehrere Handys, die gleichzeitig eingeschaltet sind, ohne jemals miteinander zu telefonieren, sollen einer Person gehören? Auf wie viele in Ihrer Umgebung trifft das gleiche zu? Auch wenn Sie über ein Arsenal von Handys verfügten, die alle gleichzeitig mit dem anderen eingeschaltet waren, mehr Beweise gibt es nicht? Wo ist hier die Logik? Keine Zeugenaussage, keine Spur am Tatort? Das soll mehr als Zufall sein? Das sei doch höchstens ein Hinweis, dass Sie sich in der Nähe aufhielten. Zwar erfahren Sie noch, dass Sie in der Vergangenheit Sympathie bekundet hätten mit einer bestimmten Partei, oder sie seien gar mit einem der Drahtzieher verschwägert. Aber da haben Sie schon einen Verdacht: Könnte es sein, dass jemand Ihnen einen Streich spielen wollte, und man hat gezielt nach Ihrem Handy gesucht und dann die entsprechenden Indizien gefunden oder konstruiert?

Immer wieder Fälschungen...

Unschuldig angeklagt mit Hilfe eines Beweises, der der Logik nicht standhält: Nicht anders könnte es den vier angeblichen Mitgliedern von Hizbullah ergangen sein, die das Libanon-Tribunal in Den Haag Ende Juni zur Fahndung ausschrieb, weil sie an der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri am 14.2.2005 beteiligt gewesen sein sollen. So sah es jedenfalls "Time". Kaum hatte Richter Fransen Mitte August überraschend den entsprechenden Anklagetext veröffentlicht, druckte die Zeitschrift unter Berufung auf den Beiruter Korrespondenten Nicholas Blanford ein Interview mit einem der Beschuldigten. Darin heißt es schlicht, dass er nachweislich nicht am Tatort gewesen sei. Dennoch werde er dem Gericht fern bleiben, da es sich um einen Scheinprozess handele, der nur dazu diene, Hizbullah zu schaden. Das Gespräch erwies sich jedoch als Fälschung. Immerhin beweist es, wie gering der Respekt ist, den auch "Time" dem Tribunal noch schuldet. Angesichts der bloßen Ankündigung der Anklage, deren Inhalt seit langem bekannt schien, war das Tribunal zuletzt so gründlich widerlegt, ja förmlich von der Presse zerrissen worden, dass es den Anschein hatte, dass es sich niemals mehr davon erholen würde. Kaum jemand schien ihm noch Glaubwürdigkeit zuzumessen und von seinen Enthüllungen etwas zu erwarten.

Die Theorie, man könne Hizbullah mit Hilfe von Telefonanalysen des Hariri-Mordes überführen, wurde nicht zuletzt dadurch unglaubhaft, dass es der libanesischen Polizei gelungen war, israelische Agenten festzunehmen, die in den Telefongesellschaften bis in die Führungsetagen vorgerückt waren. Das libanesische Telefonnetz war nicht nur jederzeit vom Ausland abzuhören, sondern auch zu beeinflussen. Die UN selbst gaben Unterlagen an Israel weiter, ja verschifften sogar Computer mitsamt der darauf gespeicherten kompletten Telefonverbindungen im Libanon seit 2002 über das Nachbarland nach Den Haag, wie Hizbullah unter Vorlage der Frachtabrechnungen bewies. In ihren Berichten halten die UN-Ermittler zudem fest, dass der Handymast im Bereich des Tatorts in den Stunden vor dem Attentat gestört war. Misstrauen ist daher angesagt, wenn ein Indizienbeweis ausschließlich auf Protokollen der Telefongesellschaften fußen soll. Schon einmal hatten auch führende Vertreter des "14. März" die Ermittlungen in die Irre geführt, um ihre Gegner auszuschalten. Im Januar wurde ihr Anführer Saad al-Hariri deswegen als Ministerpräsident zum Rücktritt gezwungen, während Walid Jumblat, der sich nicht wenig an dem Schwindel um falsche Zeugenaussagen beteiligt hatte, an die Seite Hizbullahs und Aouns flüchtete, die darauf die Regierung übernahmen, nicht zuletzt um die Finanzierung des Hariri-Tribunals zu beenden. "Es agiert wie eine Abteilung des UN-Sicherheitsrats, also soll dieser es auch finanzieren," erklärte dazu der Führer der "Freien Patriotischen Front" erst im Oktober.

Dass die Kritik auch am Tribunal selbst nicht spurlos vorüber gegangen ist, dafür spricht vor allem die 50-seitige Stellungnahme des Untersuchungsrichters Fransen zur selbst nur 42 Seiten umfassenden Anklage. In der allgemeinen Neugier auf die Beweisführung, dann im Rätselraten um die Herkunft des "Time"-Interviews wurde sein Kommentar fast überlesen: Unter anderem hält er fest, dass ein Büromitarbeiter Bellemares die Telefonanalye angefertigt haben soll, von dem aber fraglich sei, ob er dazu die fachlichen Voraussetzungen aufweise. Fransen gab auch der Eingabe General as-Sayids statt, der Einsicht in die Unterlagen forderte, die zu seiner Verhaftung führten. Ist seine Stellungnahme ein Entgegenkommen, der Schulterschluss eines Aufrechten?

Ein Triumvirat im Hintergrund

Die heiße Spur, auf die die UN-Ermittler hereingefallen waren, als sie noch nach Beweisen suchten gegen Syrien, hatten unter anderem Saad al-Hariri und sein Sicherheitsberater Wissam Hassan mit Mitteln der Bestechung und Erpressung gelegt. As-Sayid war nicht der einzige, der deswegen mehrere Jahre unschuldig im Gefängnis verbrachte. Der Vorwurf gegen Hizbullah entstammt aber der gleichen Quelle wie damals die Anklage gegen Syrien, die stillschweigend fallengelassen wurde.

Zum ersten Mal berichtete Georges Malbrunot im August 2006 im "Figaro" davon, dass eine Spezialeinheit der libanesischen Polizei mittels Telefonanalysen herausgefunden habe, dass Hizbullah es war, die Hariri mit Hilfe einer mehrere Tonnen schweren Autobombe ermordete. Malbrunot hatte die Geschichte nicht selbst recherchiert. Ein Mitarbeiter Saad Hariris hatte sie ihm gewissermaßen in einem Umschlag zugesteckt. In einem "Wikileak" aus dem Jahr 2008 weist Jumblat US-Botschafterin Sison auf die Telefonanalysen hin, die von Polizeimajor Wissam Eid unter der Leitung von Wissam Hassan durchgeführt worden seien. Auch deutet Jumblat an, Imad Moughniyeh könne in das Attentat an Hariri verstrickt gewesen sein. Bellemare hebt in seiner Anklageschrift hervor, dass die beiden Hauptverdächtigen mit dem 2007 ermordeten Hizbullah-Militärchef verwandt sind, dem mitunter alle möglichen Verbrechen zur Last gelegt werden, bis hin zur Organisation der Anschläge des "11. September". Das ist ein untrügliches Zeichen, dass die Beweisführung seines Anklagetexts nicht allein in seinem Büro erdacht wurde.

Als 2009 das Tribunal in Den Haag als Nachfolger der Untersuchungskommission eröffnet wurde, war es an Erich Follath, die von Malbrunot vorskizzierte Geschichte weiter auszumalen. Follath, Malbrunot, Blanford - das sind Journalisten, über die immer wieder in den letzten Jahren "Geheiminformationen" aus dem Inneren des Tribunals nach außen drangen. Zuletzt berichtete im November 2010 die kanadische CBC von Major Wissam Eid, der in einsamer Arbeit auf die Lösung im Mordfall Hariri gekommen sein soll. Schon früh habe er unter allen Mobiltelefonen in der Nähe des Tatorts diejenigen herausgefunden, die den Tätern gehörten. Das auch ganz handfest durch Suchen in den Resten, Befragungen und genaue Überprüfung jeder einzelnen zum Zeitpunkt der Explosion angemeldeten Nummer. Allerdings sei lange unklar geblieben, wer die Täter waren. Dann sei Eid in Stapeln von Excel-Tabellen, die er nach Auffälligkeiten durchsah, aus Zufall auf einen Verbindungsnachweis gestoßen, nach dem nach dem Attentat doch noch von einem der sogenannten "roten" Telefon der Täter ins Festnetz telefoniert worden war. Abdelmajid Ghamlush habe als Anrufer identifiziert werden können, ein Mitarbeiter von Hizbullah, dafür zuständig, die Mobiltelefone der Miliz zu warten, und von ihm ausgehend habe die Verschwörung um Hariri bis in die Führung von Hizbullah verfolgt werden können. Das Tribunal jedoch habe seine Untersuchungen nicht zur Kenntnis nehmen wollen, und schließlich sei er ermordet worden, nachdem Hizbullah ihn noch gewarnt habe, keinesfalls in seinen Ermittlungen fortzufahren.

Anklage "light"

Doch von all dem ist in der jetzt vorliegenden Anklage keine Rede mehr. Es gibt in ihr keinen Major Wissam Eid und keinen Abdelmajid Ghamloush. Chefankläger Bellemare will Glauben machen, dass er das Datenmaterial nochmals durchgegangen sei und eine eigene Lösung präsentiere, auch wenn der Beschuldigte nach wie vor Hizbullah heißt. Seine Beweisführung kommt vordergründig so einfach wie möglich einher. Sie stützt sich auf die Annahme, dass zumindest zwei der Attentäter nicht nur ein, sondern mehrere Handys mit sich führten, bis zu acht an der Zahl, die durch "Kolokationen" einander "zuzuordnen" seien. Ghamloushs Fehler, in einem unbedachten Moment von einem der "roten Telefone" seine Freundin angerufen zu haben, begegnet also in der Unvorsichtigkeit der Terroristen wieder, eine ganze Reihe verschiedener Telefone mit sich geführt zu haben. Dies ist umso erstaunlicher, als sie Bellemare zufolge mit den "roten Telefonen" falsche Spuren legen wollten, sich also bewusst waren, dass die Verbindungsdaten überprüft würden. Das sei der Grund, warum die "roten" Telefone allesamt Mitte Januar 2005 in Tripoli zum ersten Mal anonym angemeldet worden seien - im ersten Bericht der UN-Kommission hatte es noch geheißen: am 4.1. - und warum auch der Mitsubishi-Pickup, der mit der Bombe präpariert gewesen sei, in dieser Stadt im Norden des Landes gekauft worden sei, in der nur eine kleine schiitische Minderheit lebt. Als Besitzer eines Handys habe Bellemare einen gewissen "Sami Issa" identifizieren können, ein Pseudonym für Mustafa Amine Badreddin, den Bellemare einen "Organisator" des Verbrechens nennt. Ebenfalls identifizierbar sei Salim Jamil Ayyash, Anführer des Überwachungs- und Exekutionskommandos. Auch hätten Hussein Hassan Oneissi und Assad Hassan Sabra den vermeintlichen Attentäter Abu Adass entführt, um mit der Anfertigung und Übergabe des Bekennervideos die Schuld auf "Al Qaida" zu lenken.

Zwar behauptet Bellemare, dass sein Indizienbeweis verlässlicher sei als jede Anklage, die auf Hinweisen wie Zeugenaussagen beruhe. Aber wer sagt, dass die Analyse diesmal richtig ist? Warum sollte sie zuverlässiger sein als die Analysen, die schon vorgestellt wurden? Als es noch gegen Syrien ging, wollten die UN mit Hilfe von Telefonanalysen die fundamentalistische "Al Ahbash" anklagen. Brammertz hatte Hizbullah keine Verbindung zu den Telefonen der Mörder nachweisen können. Wie kommt es, dass mitunter die gleichen Telefonnummern mal der einen, mal der anderen Person zugeordnet werden können? Offensichtlich hängt dies nicht allein von den Analysen der Verbindungsdaten ab, sondern auch davon, wie man sie interpretieren will. So ist auch kaum anzunehmen, dass Bellemare tatsächlich eine neue Analyse durchführte. Wahrscheinlicher ist, dass er gezielt nach einzelnen Namen suchte. Dafür gibt es auch ein Indiz, und zwar die Nennung Badreddins. Fransen zufolge soll Bellemare die Anklage gegen Badreddin erst im Juni nachgereicht haben. Zugleich wird Badreddin aber bereits im "Spiegel"-Bericht von Erich Follath 2009 mit dem Mord in Verbindung gebracht. Er also stand als zu identifizierende Person anscheinend schon fest, nur die Begründung wurde nachgeliefert.

Neue alte Spur

Zwar hatte Hizbullah eine eigene Lösung des Mordfalls vorgestellt. Demnach wurde Hariri von Israel mit Hilfe einer Lenkrakete ermordet, nicht mit einer Bombe von ganzen 2,5 t TNT, wie es neuerdings heißt. Solange aber auch dieser Theorie jeder unmittelbare Beweis fehlt, bleibt sie genauso hypothetisch wie die Anklage Bellemares. Hizbullah und "Al Ahbash" waren übrigens nicht die einzigen, die mit Hilfe der Telefonanalysen verdächtigt wurden. Auf der Suche nach einer überzeugenderen Erklärung erinnerte man sich in Anschluss an die Veröffentlichung der Anklage plötzlich an die Spur der "13 Salafis", die Anfang 2006 verhaftet worden waren und die die Ermordung Hariris gestanden, aber widerriefen, mit dem Hinweis, sie seien zu den Geständnissen mit Gewalt gezwungen worden. Im Oktober 2007 hatte die Zeitung "Al-Akhbar" Protokolle von Polizeivernehmungen veröffentlicht, die bewiesen, dass die sunnitischen Extremisten über Kenntnisse des Anschlags verfügten, die nur Beteiligte haben konnten. So kannten sie angeblich die für das Attentat verwendeten Telefone. So handfest diese Spur den anderen gegenüber aber ist, auch ihr haftet etwas Nebulöses an, das zugleich der Grund dafür sein könnte, warum sie nur ungenügend aufgedeckt wurde. Denn lange galt ein gewisser Zarqawi als Gründer der "Al-Qaida"-Gruppen auch im Libanon. Aber wer war Zarqawi? Einem Bericht der "Washington Post" von April 2006 zufolge war der Zarqawi, der uns präsentiert wurde, ein Phantom, Ergebnis einer US-Propagandaoperation. Im Juni 2006 soll er bei einem Militäreinsatz getötet worden sein. Auch die Vorwürfe gegen die "13 Salafis" verstummten. Einige sollen ermordet worden, andere im Ausland untergetaucht sein. Es war Malbrunot, der Anfang 2009 die Erinnerung wieder auf sie richtete, gegen die Geschichte von Hizbullah, die er selbst lanciert hatte, der gleiche Malbrunot, der als Journalist bekannt wurde, nachdem er im Iraq von mit Zarqawi verbündeten Untergrundkämpfern entführt worden war.

Ob "Al Qaida" von außen unterwandert war oder nicht, ein Grund, sich an Hariri zu rächen, wäre, dass er 2004 Mitglieder einer solchen Zarqawi-Zelle hatte hinrichten lassen. Aber welches Motiv soll Hizbullah gehabt haben? Lange hatten beide Seiten ihr freundschaftliches Verhältnis betont. Die Gegner von Hizbullah suggerieren, dass Syrien die Schiitenmiliz beauftragt haben könnte, Hariri zu ermorden. Auch hier war es Malbrunot, der für die Streuung dieser Informationen zuständig war, indem er davon berichtete, dass der französische Geheimdienst dem Tribunal im Frühjahr neue Spuren in Richtung Syrien geliefert habe - immer wieder Malbrunot, Blanford, Follerth, diese und die Geheimdienste.

Letztes Gespräch ohne Vermächtnis

Möglicherweise war eine dieser Spuren das Gesprächsprotokoll, das die kurz zuvor von dem früheren Verteidigungsminister Murr neu gegründete Zeitung "Al Jumhuriya" im Umfeld der Veröffentlichung der Anklageschrift druckte. "Ich hoffe, dass Syrien mir nicht über Hizbullah ein Geschenk schickt," soll Hariri angeblich zum syrischen Außenminister Muallem gesagt haben, wenige Tage vor seinem Tod. Doch dieses Dokument gibt mehr Rätsel über die Hintergründe des Verbrechens auf, als es löst. Offensichtlich hatte der syrische Geheimdienst im Sommer 2004 Informationen, dass Hariri maßgeblich am Zustandekommen der UN-Resolution 1559 beteiligt gewesen sei. Das war der Grund für das Zerwürfnis Hariris mit Präsident Asad. Fest steht dabei, dass Hariri rechtzeitig vom französischen Staatspräsidenten von der Resolution informiert worden war, und er sollte seine Rolle bei der Intrige spielen, indem er der von Asad initiierten Wiederwahl Lahouds nicht zustimmte. Doch er stimmte ihr zu. Es deutet sich zwar die Möglichkeit an, dass er dies vor allem deswegen tat, weil ansonsten wahrscheinlich Suleiman Franjieh zum Präsidenten gewählt worden wäre, aus seiner Sicht kein kleineres Übel als Lahoud. Die Frage ist nur, über welche Informationen der syrische Geheimdienst verfügte. Vielleicht wurde Hariri mit Falschinformationen in eine schwierige Lage gebracht? So sieht er es in dem Gespräch selbst. Zugleich lügt er anscheinend in wichtigen Fragen. Unklar bleibt auch, ob es einen Versuch gab, die Resolution abzuwenden, und wer für seinen Fehlschlag die Verantwortung trug. In jedem Fall beweist die Mitschrift, in welchem Ausmaß Hariri vor seinem Tod zwischen die Stühle geraten war.

Eine Partei, die bisher noch gar nicht ins Blickfeld der Untersuchungen geraten ist, ja womöglich diese die ganze Zeit beeinflusst, könnte diese Situation zu ihrem Vorteil genutzt haben. Aus neueren "Wikileaks"-Veröffentlichungen war zu erfahren, dass die Milizen im Libanon längst wieder aufgerüstet haben. Für ihren Erfolg gegen Hizbullah bräuchten sie aber Luftunterstützung. Diese anzufordern, käme ein Urteil gegen Hizbullah gelegen. Sogar Saad al-Hariris "Zukunftsbewegung" hat eigene Kampfgruppen gebildet. Ob die früheren Zarqawi-Anhänger darunter sind, oder die alten Kämpfer der palästinensischen "Fatah al-Islam", die Saad Hariri insgeheim unterstützt haben soll? Diese untergründigen Querverbindungen sind noch kaum ausgeleuchtet worden. Denn der Hariri-Prozess dient von Anfang an nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln, mit gefälschten Beweisen, falsch gelegten Spuren und politisch motivierten Anklagen bis hin zur dreistesten Lüge.

Beachten Sie auch das ausführliche Dossier zum "Fall Hariri" in "inamo" Nr. 66