Big Brother am Arbeitsplatz

Zu den Überwachungsskandalen in Unternehmen

Die Überwachung und Ausforschung von Beschäftigten sorgte in letzter Zeit wiederholt für Negativschlagzeilen. Tatsächlich besteht in Sachen Arbeitnehmer/innendatenschutz, wie ein kritischer Blick auf die aktuelle Rechtslage zeigt, dringender juristischer Handlungsbedarf. Gesetzesänderungen allein reichen allerdings bei weitem nicht aus, um das Persönlichkeitsrecht in Betrieben effektiv zu schützen.

Besonders der „Lidl-Skandal" rief letztes Jahr ein empörtes Medienecho hervor: Dem Wochenmagazin Stern waren Anfang 2008 über hundert Überwachungsprotokolle zugespielt worden, die Detektiv/innen im Auftrag der Lidl-Geschäftsleitung über das Verhalten von Mitarbeiter/innen angefertigt hatten. Wie bekannt wurde, waren in zahlreichen Filialen des Discounters Beschäftigte an ihrem Arbeitsplatz mit Hilfe von Miniaturkameras systematisch observiert worden. Nicht nur Informationen über das Arbeitsverhalten standen dabei im Mittelpunkt des voyeuristischen Interesses. Protokolliert wurden vielmehr auch Charaktereigenschaften, Kleidungsstil und private Handygespräche der Mitarbeiter/innen. Auch Toilettengänge, vermutete Schwangerschaften und Liebesverhältnisse im Betrieb wurden schriftlich festgehalten.[1] Die umfassende Überwachung zog in Einzelfällen für die Betroffenen unerfreuliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung nach sich.[2]

Nach dem Fall Lidl gelangten weitere ähnlich gelagerte Bespitzelungsaffären an die Öffentlichkeit, unter anderem bei den Firmen Rewe, Norma und Schlecker. Das Unternehmen T-Mobile geriet ebenfalls in Kritik, als bekannt wurde, dass die Konzernspitze heimlich Verbindungsdaten von Telefon- und Mobilfunkanschlüssen von Mitarbeiter/innen und Aufsichtsratsmitgliedern auswerten ließ, um „undichte Stellen" zu finden und Kontakte zu Journalist/innen ausfindig zu machen.[3] Ein weiterer Datenschutzskandal ereignete sich bei der Deutschen Bahn, die - ohne konkrete Verdachtsmomente - zur vorgeblichen Korruptionsbekämpfung Kontoverbindungen, Adressen und Telefonnummern von drei Vierteln ihrer Angestellten einem Datenabgleich unterzog.[4]

Diese und andere Enthüllungen führten nicht zuletzt auch in juristischen Fachkreisen zu einer verstärkten Diskussion darüber, ob die gegenwärtige Rechtslage einen ausreichenden Schutz der Beschäftigten vor Datenerhebung und -verarbeitung gewährleistet. Vor allem von linker und Gewerkschaftsseite wurde erneut die Forderung nach einem speziellen Arbeitnehmerdatenschutzgesetz erhoben, welches das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten an ihrem Arbeitsplatz sichern soll.

Auch wenn die derzeitige Skandalisierung von Vorfällen in den Medien Gegenteiliges vermuten lässt: Das Problem der Observierung und Ausforschung in Unternehmen ist alles andere als neu. Bereits vor zehn Jahren wurden bundesweit über 400.000 Videoüberwachungsanlagen in der Privatwirtschaft eingesetzt.[5] Die technische Weiterentwicklung ermöglicht allerdings immer umfassendere Überwachungsmethoden. So setzen immer mehr Firmen biometrische Zugangskontrollsysteme, Webcams, RFID-Chips oder GPS-Navigationssysteme zur Mitarbeiter/innenkontrolle ein.[6]

Legal totalüberwacht?

Angesichts der bestehenden Gefährdungslagen erweisen sich die existierenden Schutzregularien für Arbeitnehmer/innen als unzureichend. Die Rechtmäßigkeit der betrieblichen Videoüberwachung beispielsweise richtet sich mangels Fachgesetzen nach § 6b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Eine Kameraobservierung ist demnach nur zulässig, „wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen". Als „berechtigte Interessen" der Arbeitgeber/innen können hier nach der Rechtsprechungspraxis bereits „legitime betriebliche Belange" herhalten. Diese müssen allerdings mit dem Grundrecht der Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, welches auch die Firmenleitung zu beachten hat, in Ausgleich gebracht werden.[7]

Eine umfassende Videoüberwachung, die lediglich dazu dient, die Leistung der Mitarbeiter/innen zu kontrollieren, wird vor diesem Hintergrund überwiegend als unzulässig angesehen.[8] Allerdings kann die Unternehmensleitung den Einsatz der Kamera mit dem konkreten Verdacht einer Straftat oder eines Fehlverhaltens rechtfertigen. Nach der arbeitsrechtlichen Kommentarliteratur reicht insbesondere schon die Sorge vor Warenverlusten oder sonstigen Eigentumsbeeinträchtigungen aus, um ein legitimes Überwachungsinteresse anzunehmen.[9] Gemäß § 6b Abs. 2 BDSG muss die Videobeobachtung den Betroffenen gegenüber aber „durch geeignete Maßnahmen", wie z. B. ein Hinweisschild, kenntlich gemacht werden.

Die Überwachung in nicht allgemein zugänglichen Räumen ist gesetzlich nicht geregelt und wird momentan nach richterrechtlichen Leitlinien beurteilt. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem richtungsweisenden Fall, dass eine permanente offene Videokontrolle vieler „Unschuldiger" in einem Briefzustellzentrum zur Aufklärung des Abhandenkommens von Briefsendungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten darstelle.[10]

Heimlich ausspioniert

Jedoch hält die momentane Rechtsprechungspraxis unter Umständen sogar eine heimliche Kameraüberwachung wie im Fall Lidl für rechtmäßig, nämlich dann, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder „einer anderen schweren Verfehlung" zum Nachteil der Firma besteht und die Kamerabeobachtung das einzig verbleibende Mittel zur Aufklärung ist.[11] Ein Diebstahl geringwertiger Sachen z. B., wie in einem vom BAG entschiedenen Fall der unerlaubte Verzehr eines Stück Kuchens, kann hier bereits ausreichen. Eine die Intimsphäre verletzende Überwachung von Toilettenräumen und Umkleidekabinen wird dagegen als generell unzulässig erachtet.[12] Durch eine illegale Beobachtung gewonnene Informationen dürfen außerdem im Prozess, beispielsweise im Kündigungsschutzverfahren, nicht verwertet werden.[13]

Von einer unerlaubten Videobeobachtung Betroffene können gerichtlich einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend machen. Dazu kommt es allerdings in der Praxis nur in den seltensten Fällen, wie das Beispiel Lidl zeigt: Als die Gewerkschaft ver.di die Beschäftigten zur Klage aufrief, kam dem lediglich ein Mitarbeiter nach. Hinzu kommt noch, dass juristisch umstritten ist, ob ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz bei datenschutzrechtlichen Verstößen im Betrieb nach § 7 S. 1 BDSG geltend gemacht werden kann. Überwiegend wird ein Schmerzensgeld lediglich bei besonders gravierenden Persönlichkeitsverletzungen unter engen Voraussetzungen für möglich gehalten. Außerdem hat ein Unternehmen, bei dem es betriebliche Datenschutzbeauftragte gibt, rechtliche Schulungen stattfinden und „seriöse" Detektivagenturen beauftragt werden, ohnehin kaum etwas zu befürchten, da es sich regelmäßig über § 7 S. 2 BSDG vom Vorwurf des Verschuldens entlasten kann.[14] Von einer illegalen Videoüberwachung Betroffene werden es sich also gut überlegen, ob sie vor das Arbeitsgericht gehen.

Werden Mitarbeiter/innen in Toilettenräumen, ärztlichen Behandlungszimmern oder Umkleidekabinen gefilmt, können sie darüberhinaus unter Umständen Strafanzeige erstatten. Denn nach § 201a Strafgesetzbuch (StGB) ist das unbefugte Herstellen von Bildaufnahmen einer Person, die sich in einem gegen Einblicke besonders geschützten Raum befindet, strafbar. Allerdings wird der strafrechtliche Vorsatz der Unternehmensleitung selten nachzuweisen sein, zumal sie natürlich oft nicht gewusst haben wird, was die von ihr beauftragten Detekteien im Einzelnen taten.[15] Ob daneben strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten in bedeutendem Umfang praxisrelevant werden, darf angezweifelt werden. Denn wer erstattet schon Anzeige bei Vorfällen im Betrieb, wenn der Arbeitsplatz auf dem Spiel steht?

Auch ein Blick ins kollektive Arbeitsrecht zeigt, dass die derzeitigen Schutzregularien für Beschäftigte illegale Observierungen unter Umständen nicht verhindern können. Zwar unterfällt nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz die Einführung technischer Systeme, die objektiv zur Überwachung von Arbeitnehmer/innen geeignet sind (also auch der Einsatz von Videokameras), dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Diese Regelung läuft allerdings leer, wenn in der Firma keine Betriebsräte vorhanden sind und die Beschäftigten sich - wie bei Lidl - aus Angst vor Repressalien der Arbeitgeber/innenseite auch nicht trauen, eine entsprechende Interessenvertretung zu wählen.

Ein Unternehmen, das seine Beschäftigten umfassend videoüberwachen lässt, hat somit unter Umständen nicht viel zu befürchten, wie der Fall Lidl beweist. Bei letzterem dürfte für die Konzernleitung das Bußgeld, das die Aufsichtsbehörde verhängte, weil die Lidl-Vertriebsgesellschaften nicht die nach § 4f BDSG vorgeschriebenen betrieblichen Datenschutzbeauftragten hatten, die schmerzhafteste unmittelbare Konsequenz des Skandals gewesen sein.

Chef liest mit

Für viele Beschäftigte gehört die Internetnutzung am Arbeitsplatz mittlerweile zum Büroalltag. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit die Firmenleitung überwachen darf. Kündigungsstreitigkeiten wegen privater Nutzung des Internets während der Arbeitszeit waren in jüngster Vergangenheit Gegenstand zahlreicher arbeitsgerichtlicher Entscheidungen.[16] Die Rechtsprechungspraxis differenziert hier danach, ob Arbeitgeber/innen die Privatnutzung ausdrücklich erlaubt haben oder nicht. Im ersten Fall besteht ein weitgehendes Kontrollverbot. Gesendete Informationen fallen unter das in Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis. Unternehmen haben außerdem die Vorgaben des Telekommunikationsgesetzes und des Telemediengesetzes zu beachten.

Sie dürfen weder den Inhalt von E-Mails, noch die Verbindungsdaten der Netz-Kommunikation ausforschen. Kontrollen zur Verbrauchserfassung werden allerdings als zulässig betrachtet, wenn sie zu Abrechnungszwecken erforderlich sind. Außerdem kann die Unternehmensführung ihre Überwachungsmaßnahmen unter Umständen mit dem „konkreten Verdacht einer Straftat" oder einer anderen „schweren Verfehlung", wie beispielsweise der befürchteten Weitergabe von Firmeninterna durch die Beschäftigten, legitimieren.[17]

Gestattet der/die Arbeitgeber/in hingegen kraft des Direktionsrechts nur eine dienstliche Nutzung des Internets, hat er/sie den Gerichten zufolge das Recht, stichprobenartig zu prüfen, ob Surfen und E-Mail der Untergebenen tatsächlich geschäftlicher Natur sind. Auch soll schon die „Gefahr einer rechtswidrigen Nutzung" einen Rechtfertigungsgrund für eine Kontrolle darstellen. Eine ständige Überwachung des Internetverhaltens der Mitarbeiter/innen wird allerdings mit Blick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht als unzulässig angesehen. Ebenso wenig ist die Kenntnisnahme vom Inhalt privater E-Mails erlaubt. Unter Umständen machen sich Vorgesetzte in diesem Fall sogar nach § 202a StGB wegen Ausspähens von Daten strafbar.[18]

Auch hier stellt sich allerdings die Frage, inwieweit illegale Kontrollen in Betrieben in der Praxis verhindert und gegebenenfalls geahndet werden können. Studien zufolge lässt nämlich jede/r zehnte Arbeitgeber/in die Computer der Angestellten systematisch mittels Spionagesoftware observieren.[19] Scheuen Mitarbeiter/innen die (juristische) Auseinandersetzung mit ihren Vorgesetzten, so bleibt ihnen wohl nur die Möglichkeit zur Selbsthilfe zu greifen, wenn sie von der Überwachung Kenntnis erlangen. Aber wer installiert schon schon gerne vor den Augen der Kolleg/innen ein Antispionageprogramm auf seinem PC, was überdies als unerlaubter Eingriff in fremdes Eigentum betrachtet werden kann?[20]

Chefin hört mit

Die Telefonüberwachung ist eine der klassischen Formen der Mitarbeiter/innenkontrolle in Unternehmen. Auch hier haben sich die technischen Möglichkeiten in den letzten Jahren erweitert. Da die dienstliche Kommunikation nach überwiegender juristischer Auffassung, nicht unter das Fernmeldegeheimnis fällt und das Telekommunikationsrecht nicht anwendbar sein soll, bestimmt sich die momentane Rechtslage, ähnlich wie bei der Videobeobachtung, vorwiegend nach richterrechtlichen Leitlinien.

Grundsätzlich sollen Arbeitgeber/innen befugt sein, Verbindungsdaten von Telefonaten über dienstliche Apparate im Rahmen einer Kostenkontrolle zu verarbeiten. Das verdeckte Mithören und Aufzeichnen des Inhalts von Telefongesprächen wird hingegen als grundsätzlich unzulässig angesehen, unabhängig davon, ob es sich um private oder dienstliche Gespräche handelt. Arbeitnehmer/innen können sich hier nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht, der sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen hat, auf ihr Recht am eigenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen. Allerdings können „überwiegende Arbeitgeberinteressen", wie beispielsweise ein Verdacht des Verrats von Betriebsgeheimnissen, einen Eingriff in das Grundrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG rechtfertigen.

Auch wird in der Rechtsprechung das offene Mithören dienstlicher Gespräche von Call-Center-Mitarbeiter/innen zu Beweis- und Schulungszwecken als zulässig erachtet.[21] Verbreitet ist die Praxis von Arbeitgeber/innen, Telefonüberwachungen durch das Einholen individueller Einwilligungen von Beschäftigten zu legitimieren. Nicht selten wird dabei die Zustimmung des/der Arbeitnehmer/in mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags verbunden.[22] Ob derartige Einwilligungen tatsächlich immer aus freien Stücken erteilt werden, darf angesichts des faktischen Machtgefälles in Arbeitsverhältnissen bezweifelt werden. Zwar stellt § 4a BDSG an eine Einwilligung der Betroffenen in eine Datenerhebung erhöhte formale und inhaltliche Anforderungen. So bedarf die Zustimmung der Schriftform, muss auf einer „freien Entscheidung" beruhen und Betroffene müssen über den Zweck der Maßnahme informiert sein.[23] Ob damit im Einzelfall verhindert werden kann, dass Beschäftigte unter Druck gesetzt werden und ihre Zustimmung lediglich aus Angst vor Nachteilen geben, erscheint jedoch fraglich. Zumal der/die Arbeitgeber/in in der Regel bestreiten wird, Repressalien angedroht zu haben.[24]

Allgemein muss somit befürchtet werde, dass Arbeitgeber/innen in größerem Ausmaß ihre überlegene Verhandlungsposition ausnutzen, um durch zweifelhaft zustandegekommene „Einwilligungen" Überwachungsmaßnahmen zu legalisieren.[25]

Arbeitnehmerdatenschutzgesetz als Ausweg?

Um das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten im Betrieb effektiver zu wahren, fordern die Gewerkschaften schon seit langer Zeit die Einführung eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes. Dieses soll eine klare Rechtslage schaffen und die Situation von zahlreichen, sich zum Teil widersprechenden richterlichen Einzelfallentscheidungen beenden. Eine Erhöhung des Schutzniveaus bei Überwachungsmaßnahmen soll unter anderem durch einen festgeschriebenen Schmerzensgeldanspruch, ein Maßregelungsverbot gegenüber klagenden Mitarbeiter/innen und eine Stärkung der betrieblichen Datenschutzbeauftragten erreicht werden.[26] Auch in progressiven Jurist/innenkreisen wird eine Erweiterung bestehender Schutzinstumente diskutiert und insbesondere eine bessere Ausstattung der Aufsichtsbehörden und eine Stärkung der Betriebsräte als Kontrollinstanzen gefordert.[27]

So richtig und notwendig derartige Initiativen und Forderungen sind - ob sie von der Politik bei dem aktuellen allgemeinen Trend in Richtung Abbau von Arbeitnehmer/innenrechten in näherer Zukunft umgesetzt werden, erscheint eher unwahrscheinlich. Weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene bestehen momentan jedenfalls Anzeichen, dass eine grundlegende Verbesserung des Arbeitnehmerdatenschutzes politischen Mehrheiten finden wird.

Selbst wenn jedoch, was im Sinne der Rechte von Mitarbeiter/innen zu wünschen ist, der Druck von Gewerkschaften, fortschrittlichen Bewegungen und Bürgerrechtler/innen stark genug sein wird, um eine Trendwende in dieser Hinsicht zu bewirken und den Arbeitnehmerdatenschutz gesetzlich zu stärken: Das Grundproblem der praktischen Umsetzung juristischer Schutzmechanismen wird sich auf diese Weise kaum lösen lassen. Gerade in Zeiten der Krise, wo Massenentlassungen an der Tagesordnung sind und Beschäftigte sich einer erhöhten Drucksituation ausgesetzt sehen, besteht die Gefahr, dass rechtliche Regularien leerlaufen. Die strukturelle Unterlegenheit von Arbeitnehmer/innen und die reale Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes werden es in nicht wenigen Fällen verhindern, das die von einer illegalen Überwachungsmaßnahme Betroffenen bestehende Möglichkeiten wahrnehmen und sich gegen Arbeitgeber/innen zur Wehr setzen. Außerdem muss bei realistischer Einschätzung davon ausgegangen werden, dass selbst die beste Gesetzeslage eine Ausdifferenzierung innerhalb der Belegschaft bei der Wahrnehmung von Rechten nicht verhindern wird: Der hochdotierte Manager von T-Mobile wird sich in der Praxis eher wehren, wenn er Opfer einer unzulässigen Videoobservierung wird, als die Kassiererin bei Lidl. Die fortschrittlichsten Rechtsnormen stoßen hier zwangsläufig an ihre Grenzen.

Mehr Demokratie im Betrieb!

Die berechtigte Forderung nach einer Verbesserung der Gesetzeslage bedarf deshalb einer Ergänzung durch eine allgemeinpolitische Debatte über demokratische Mitbestimmung von Beschäftigten und den Abbau existierender Hierarchien im Betrieb. Auch die Frage, ob es überhaupt legitim ist, die Würde von Mitarbeiter/innen, die bei einer Überwachung erheblich verletzt ist, zur Disposition von Firmeninteressen zu stellen, müsste erörtert werden. Möglicherweise gelingt es der gesellschaftlichen Linken ja in Zeiten, in denen sich die Krisenanfälligkeit eines profitorientierten ökonomischen Systems einmal mehr erwiesen hat, aus der Defensive herauszukommen und die Diskussion über eine notwendige Neu- und Weiterentwicklung von Elementen einer Wirtschaftsdemokratie auf eine breite Basis zu stellen. Unter diesem Gesichtspunkt könnten auch die momentanen Datenschutzskandale in Unternehmen neu thematisiert werden.

 

Sonja Mangold hat in Heidelberg und an der FU Berlin Jura studiert.

 

Weiterführende Literatur:

Däubler, Wolfgang, Gläserne Belegschaften?, Datenschutz in Betrieb und Dienststelle, 4. Auflage 2002.

Oberwetter, Christian, Arbeitnehmerrechte bei Lidl, Aldi & Co, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2008, 610 ff.

Schild, Hans-Hermann, Schadensersatz und Gewerbeuntersagung als mögliche Folgen bei Lidl und Telekom?, Multimedia und Recht aktuell 2008, XII f.



 

[1] Vgl. http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/unternehmen/:Studie-Spitzelskandal-Lidl-Image/654199.html?eid=614772 (letzter Aufruf aller Seiten am 29.8.2009).

[2] Vgl. Pelzer, Marei / Büchting, Markus, Lidl is watching you, Grundrechte- Report 2009, 42.

[3] Dazu Kutscha, Martin, Im Griff der Datenkraken, Grundrechte-Report 2009, 36 f.

[4] Vgl. http://www.zeit.de/online/2009/05/spitzelei-deutsche-bahn.

[5] Däubler, Wolfgang, Gläserne Belegschaften?, Datenschutz in Betrieb und Dienststelle, 4. Auflage 2002, 150.

[6] Oberwetter, Christian, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2008, 612.

[7] Becker in Däubler u. a., Arbeitsrecht Handkommentar (Hk ArbR), 1. Auflage 2008, Art. 2 GG Rn. 35 f.

[8] Dann, Matthias / Gastell, Roland, Geheime Mitarbeiterkontrollen: Straf- und arbeitsrechtliche Risiken bei unternehmensinterner Aufklärung, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2008, 2948.

[9] Hk ArbR/Becker, Martin, Art. 2, Rn. 36.

[10] Vgl. BAG, NZA 2004, 1280 ff.

[11] Oberwetter, NZA 2008, 610.

[12] Däubler, Gläserne Belegschaften?, 2002, 152.

[13] Däubler, Gläserne Belegschaften?, 2002, 198.

[14] Schild, Hans-Hermann, Multimedia und Recht aktuell 2008, XII.

[15] Dann / Gastell, NJW 2008, 2948.

[16] Z. B. BAG, NZA 2006, 98.

[17] Oberwetter, NZA 2008, 611.

[18] Oberwetter, ebda.

[19] Vgl. Elharchie, Mohammed, Dienstliche und private Internet-Nutzung am Arbeitsplatz, abrufbar über http://www.onlinerechte-fuer-beschaeftigte.de.

[20] Vgl. Elharchie, ebda.

[21] Oberwetter, NZA 2008, 611.

[22] Wedde, Peter, Schutz vor verdeckten Kontrollen im Arbeitsverhältnis, Datenschutz und Datensicherheit 2004, 22.

[23] Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung im Einzelnen: Hk ArbR/ Hilbrans,§ 4a BDSG Rn. 2 ff.

[24] Vgl. Däubler, Gläserne Belegschaften?, 97.

[25] Vgl. Däubler, Gläserne Belegschaften?, 88.

[26] Positionspapier des DGB-Bundesvorstands vom 2. 12. 2008, abrufbar über http://www.dgb.de.

[27] Vgl. z.B. Pelzer, Marei / Büchting, Markus, Grundrechte-Report 2009, 43.