Die Regierungskoalition konnte nicht zuletzt deshalb das Gendiagnostik-Gesetz verabschieden, weil sie ein umstrittenes Feld kategorisch aus dem Regelungsbereich des Gesetzes ausschließt: Die Verwendung von DNA-Proben und den dazugehörigen Patientendaten für die Forschung.
Von Uta Wagenmann
Der Bundesrat bezeichnet es in seiner Stellungnahme als „unverständlich“, der Bundesdatenschutzbeauftragte als „bedauerlich“, der Verbraucherzentralen Bundesverband (VZBV) beklagt eine „Regelungslücke“. Zahlreiche Institutionen, Verbände und Einzelsachverständige führen in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung aus, warum zur Regelung der Gendiagnostik auch die Regelung des Forschungsbereiches gehört.(1) Selbst der Verband der Diagnostica-Industrie bedauert den Ausschluss der Forschung, ein „umfassend definierter Anwendungsbereich“ erhöhe schließlich „die Akzeptanz der Bevölkerung für die Gendiagnostik“.(2)
Für die Bundesregierung jedoch ist der Fall klar. Sie sieht „zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit, gesetzliche Initiativen im Bereich der Forschung zu ergreifen.“ In ihrer Gegenäußerung zu den Einwänden des Bundesrates kündigt sie lediglich an, dass sie „die weitere wissenschaftliche Entwicklung und die nationale und internationale Diskussion in diesem Bereich aufmerksam verfolgen und im Hinblick auf den gesetzgeberischen Handlungsbedarf überprüfen“ werde. Begründet wird diese Haltung in einem Satz, und zwar mit einem „durchaus heterogenen Meinungsspektrum“ bezüglich der Auswirkungen gesetzlicher Regelungen auf die Durchführung von Forschungsarbeiten. In einem zweiten Satz wiederholt die Bundesregierung, was auch die pharmazeutische Industrie als Argument gegen eine gesetzliche Regelung ins Feld führt: Es ginge um die Erforschung der „Ursachenfaktoren menschlicher Eigenschaften“, nicht um konkrete Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen.(3) Übersetzt bedeutet diese unangemessen kurze Antwort: Mehr Spenderschutz ist überflüssig und behindert Forschung nur. Damit liegt die Bundesregierung argumentativ voll auf der Linie der pharmazeutischen Industrie, die stärkere Auflagen fürchtet und deshalb gewohnheitsmäßig schon mal vor den Folgen gesetzlicher Regelungen für die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandortes Deutschland warnt.(4)
Datenschutz als Forschungshindernis
Insbesondere angesichts der „bemerkenswerten quantitativen und qualitativen Ausweitung“ der Biobankforschung in den letzten Jahren hält auch Ethikratsmitglied Regine Kollek die Position der Bundesregierung für „schwer nachvollziehbar“ (siehe Interview in diesem Heft). Eine Regelung des Umgangs mit DNA-Proben sei „zwingend erforderlich“, weil Grundprinzipien des Datenschutzes in diesem Bereich kaum greifen.(5) So könnten Datensätze mit zunehmendem Informationsgehalt nicht mehr anonymisiert werden: Je mehr Informationen vorhanden sind, desto leichter ist ein Datenprofil einer Person zuzuordnen. Schon die Erhebung einiger weniger genetischer Variationen auf bestimmten DNA-Abschnitten ermöglicht es, einen Datensatz mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit einer Person zuzuordnen. Zudem könnten häufig weder eine Zweckbindung erhobener Daten noch die Möglichkeit des Widerrufs gewährleistet werden, so Kollek weiter. Andere Grundprinzipien des Datenschutzes, insbesondere die Datensparsamkeit und die Dezentralität der Speicherung, seien gar Hindernisse für die mit Biobanken verfolgten Forschungsansätze. Denn hier geht es um den Einfluss von DNA-Eigenschaften auf die Entstehung weit verbreiteter Erkrankungen in der Bevölkerung. Um diese „kleinen“ Effekte statistisch zu berechnen, sind Daten möglichst vieler Menschen nötig. Es gilt das Prinzip: Je mehr Probanden und Daten, desto besser.(6) Deshalb gehört der Aufbau großer, zentraler Sammlungen genauso zu der Forschungsrichtung wie das Streben nach Vernetzung. „Was sich abzeichnet“, schrieb Kollek kürzlich zusammenfassend, „ist eine in immer größerem Maßstab erfolgende biologisch-genetische Erfassung der Bevölkerung mit nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch gesundheitspolitischer Zielsetzung.“ Die Anforderungen an den Persönlichkeits- und Datenschutz erwiesen sich dabei als „als nur begrenzt umsetzbar.“ Deshalb sei es höchste Zeit für rechtliche Regelungen.(7)
Biobanken und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten
Die Bundesregierung misst diesen Einwänden nur scheinbar keine Bedeutung zu. Wenn sie in ihrer Gegenäußerung behauptet, die Datenschutzgesetze gewährleisteten „einen umfangreichen Schutz vor möglichen Gefahren“ in der genetischen Forschung, ist das wohl kaum auf eine mangelnde Kenntnis der Gesetze zurückzuführen.(8) Vorsichtig formuliert handelt es sich hier um eine nicht eben verbreitete Interpretation des Begriffs „Datenschutz“. So enthalten die Datenschutzgesetze nur allgemeine Vorschriften, Anforderungen an den Schutz der Persönlichkeitsrechte im Zusammenhang mit Biobanken fehlen sogar gänzlich.(9) Vor allem aber gibt es hierzulande kein Forschungsgeheimnis. Das heißt, dass Forschungsdaten nicht vor staatlicher Einsichtnahme geschützt sind. Und die Bundesregierung lässt keinen Zweifel daran, dass das so bleiben soll: Paragraph 13, Absatz 1 des Gesetzentwurfes bestimmt zwar, dass DNA-Proben nur zu dem Zweck genutzt werden, für den sie entnommen wurden und danach „unverzüglich“ zu beseitigen sind. Auch die Ergebnisse der Untersuchungen sollen nach spätestens zehn Jahren vernichtet werden. Ausnahmen von dieser Zweckbindung soll es aber durchaus geben: Sowohl Proben als auch Untersuchungsergebnisse dürfen anderweitig verwendet werden, wenn das „gesetzlich zulässig“ ist oder - wohlgemerkt nicht: und - die Person eingewilligt hat. Als Beispiel für solche zulässigen anderen Zwecke nennt die Bundesregierung in der Begründung zum Entwurf ganz offen nicht nur die Forschung, sondern auch die „Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit“.(10)
Forschungsgeheimnis doch nicht so wichtig?
Darüber hinaus lägen andere Zwecke vor, "wenn eine bereits vorhandene genetische Probe für eine andere genetische Untersuchung oder Analyse verwendet werden soll.“(11) Diese letzte Definition muss insbesondere die Bundesärztekammer (BÄK) und die humangenetischen Verbände in Nöte versetzt haben. Gerade die forschungsnahen Berufsgruppen haben in der Vergangenheit immer wieder für die gesetzliche Verankerung eines Forschungsgeheimnisses plädiert. Der Schutz von Daten und Informationen, die in Forschungsprojekten anfallen, ist essentiell, um Vertrauen und Teilnahmebereitschaft zu erzeugen. Zugleich möchten dieselben Berufsgruppen aber auch eine nicht allzu enge Zweckbindung bei der Entnahme von DNA-Proben - unter anderem um Forschung möglichst wenig zu behindern. Folgerichtig sind die Paragraphen 12 und 13 im Gesetzentwurf zur Vernichtung von Proben beziehungsweise Untersuchungsergebnissen auf Kritik bei BÄK und Humangenetikern gestoßen. Wichtige Informationen könnten „verloren gehen und weiterführende Untersuchungs- und Kontrollmöglichkeiten nicht genutzt werden“, heißt es etwa beim Bundesverband deutscher Humangenetiker.(12) Auch die Gesellschaft für Humangenetik führt ein „Interesse der Familienangehörigen und der Ratsuchenden“ an einer unbefristeten Aufbewahrung ins Feld. Nur so könnten „die Informationen auch künftigen Generationen zur Verfügung stehen.“(13) Aus ähnlicher Perspektive kritisiert die sich als Vertretung von Patienteninteressen verstehende Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe die Fristsetzung.(14) Sie nimmt außerdem zu den Ausnahmen von der Zweckbindung Stellung und fordert, dass Proben nur dann zu anderen Zwecken genutzt werden dürfen, wenn deren Spender darüber ausreichend aufgeklärt worden sind und der Weiterverwendung zugestimmt haben. Einzige Ausnahme: die Durchführung eines Strafverfahrens. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorlägen, sei „anzuordnen, dass von der Einholung einer Einwilligung abgesehen werden kann.“(15)
In den Stellungnahmen der forschungsnahen Berufsgruppen dagegen findet sich keinerlei Kommentar zum Anspruch des Staates auf Einsichtnahme in Forschungsdaten, schon gar kein kritischer. Das könnte sich möglicherweise rächen. Denn staatliche Überwachungsambitionen sind spätestens seit der Diskussion um das BKA-Gesetz in der Öffentlichkeit wieder ein Thema. Bleibt es dabei, dass Forschungsdaten prinzipiell der Polizei zur Verfügung stehen, wird sich das herumsprechen. Und dann könnte es bald vorbei sein mit dem Sammeln von DNA-Proben in großen Biobanken und der Akzeptanz dieser Forschung.
Uta Wagenmann ist Soziologin und arbeitet seit vielen Jahren mit dem Gen-ethischen Netzwerk zusammen. Derzeit befasst sie sich vertieft mit der Forschungspolitik von Selbsthilfeorganisationen.
Fußnoten:
(1) Zur Stellungnahme des Bundesrates vgl. BR-Drs. 633/1/08, S.1. Die Stellungnahmen der Institutionen, Fachverbände und Einzelsachverständigen finden sich unter www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/105/stllg/index.html. Im folgenden wird lediglich mit den Kürzeln der Verbände beziehungsweise den Nachnamen der Einzelsachverständigen auf die Quellen der Zitate verwiesen. Hier zitiert: Bundesdatenschutzbeauftragter, S.2 und VZBV, S.3
(2) VDGH, S.2
(3) Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, Drucksache 16/10582, 15.10.08, S.1, www.bundestag.de/ ausschuesse/a14/anhoerungen/105/BT-Drs/index.html
(4) Schließlich hätten auch andere Länder Regelungen nicht für notwendig erachtet, so die Begründung. Vgl. VfA, S.3. Die Einzelsachverständige Regine Kollek macht in ihrer Stellungnahme darauf aufmerksam, dass viele pharmazeutische Unternehmen Biobanken mit Proben und Daten aus klinischen Studien anlegen. Sie dienten „nicht nur der Eigenforschung, sondern werden unter Umständen auch an Dritte veräußert. Solche Verkäufe gehören bereits heute zum Geschäftsmodell einiger Unternehmen.“ Vgl. Kollek, S.4
(5) Ebda, S.2
(6) Ebda., S.3 ff.
(7) Vgl. Kollek, Regine: Biobanken - medizinischer Fortschritt und datenschutzrechtliche Probleme, in: vorgänge - Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Heft 4: Der gläserne Mensch, Berlin, Dezember 2008, S.59-69. Zitat S.68. Nähres zu den gesundheitspolitischen Zielsetzungen im Zusammenhang mit Biobanken im Interview, S.49
(8) Gegenäußerung der Bundesregierung, a.a.O., S.1
(9) Vgl. Bundesdatenschutzbeauftragter, S.3
(10) Entwurf eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen, BT-Drs. 16/10532, 13.10.08, S.30. Allerdings haben auch gesetzliche Verbote in diesem Bereich ihre Halbwertzeit. So wollte die Regierung Schweden im vergangenen Sommer der Polizei Zugang zu den genetischen Daten von knapp 3,7 Millionen Menschen verschaffen. Bisher ist die Nutzung der seit 1975 von jedem Neugeborenen entnommenen Blutproben im Rahmen polizeilicher Ermittlungen noch durch das 2003 in Kraft getretene Biobankgesetz verboten. Vgl. „Ausgeforscht bis aufs Blut“, die tageszeitung, 01.07.08
(11) Entwurf, a.a.O., S.30
(12) BVDH, S.3
(13) GfH, S.3
(14) BAGSH, S.8
(15) Ebda., S.7
Kasten:
Kritische Punkte im Entwurf für ein Gendiagnostik-Gesetz
Gegen den Entwurf der Bundesregierung gibt es eine ganze Reihe weiterer Einwände. Eine Auswahl: Der Bereich der Lifestyle-Gentests wird nicht geregelt. Das GeN verweist auf die „in der Regel höchst zweifelhafte“ Validität und Verlässlichkeit der aus solchen Tests abgeleiteten Aussagen.(1) Gemeinsam mit Pro Asyl und dem Deutschen Anwaltsverein haben wir außerdem eine Kampagne gegen die geplante Legalisierung von DNA-Analysen im Rahmen des Familiennachzugs gestartet.(2)
Viel Kritik gibt es an den Regelungen rund um die Pränataldiagnostik. Mehrere Verbände, darunter das GeN, das Institut Mensch, Ethik, Wissenschaft und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAGSH), fordern ein Verbot von Tests auf spät manifestierende Krankheiten an Ungeborenen. Unter anderem werde mit solchen Tests „eine gesellschaftliche Erwartungshaltung erzeugt, ein lebenslang gesundes Leben sei mittels der Genetik machbar und planbar“, so etwa die BAGSH. Eine Reihe von Verbänden kritisiert auch die Regelungen zur Beratung und fordert deren stärker sozialpsychologische und weniger humangenetische Orientierung. Das GeN wendet sich ganz grundsätzlich gegen ein Monopol der Humangenetik bei Beratungen, auch im Rahmen prädiktiver Tests.
Bemängelt wird außerdem das große Gewicht der so genannten Fachdisziplinen bei der Besetzung der Gendiagnostik-Kommission, die bei Genehmigungsverfahren von Tests beraten und Richtlinien erstellen soll. „Wegen des engen Bezugs der gesamten Regelungsmaterie zum Datenschutz“ fordert der Bundesrat zudem ihre „institutionelle Verflechtung“ mit Datenschutzbehörden. Das GeN ist sich mit anderen Verbänden einig, dass der Anteil von Vertretern zivilgesellschaftlicher Gruppen größer werden muss. Fachexpertise sei „hier nicht gleich zu setzen mit ‚Unabhängigkeit’.“ Gerade im Hinblick auf „die gebotene nicht-kooperatistische Transparenz“ sei es nicht hinzunehmen, „wenn diejenigen, die ‚Selektionswissen’ bereitstellen und daran verdienen, auch über seine Bedeutung urteilen sollen“.
Nicht zuletzt werden die Ausnahmen der Verbote zum Einsatz von Gentests in der Arbeitswelt und bei Versicherungsabschlüssen von Verbänden und Bundesrat kritisiert.
Fußnoten:
(1) Vgl. dazu auch den Artikel von Arnold Sauter und Leonhard Hennen in diesem Heft (S.35)
(2) Siehe Kurzbericht von Susanne Schultz in diesem Heft, S.51
Alle Stellungnahmen unter www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/105/stllg/index.html
(Uta Wagenmann)