Reproduktionsmedizinische Feldbestellung

Eizellspende und Leihmutterschaft waren in der Bundesrepublik lange kein Thema. Aber das ändert sich. Nicht nur ReproduktionsmedizinerInnen, auch JuristInnen und EthikerInnen machen zunehmend mobil, um deren Verbot zu kippen.

Ein üppiges Büffet wurde den etwa 350 TeilnehmerInnen der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates geboten - und offenbar fiel es nur wenigen schwer, etwas herunterzubekommen, denn nach den Pausen waren die Platten zumeist leergegessen. Dabei konnten einem die Beiträge der ReferentInnen, die auf der Tagung zum Thema „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland. Individuelle Lebensentwürfe - Familie - Gesellschaft" sprachen, gehörig auf den Magen schlagen. Schon gleich zu Beginn präsentierte Georg Griesinger vom Universitären Kinderwunschzentrum Lübeck in seinem vom stellvertretenden Ethikrats-Vorsitzenden Jochen Taupitz als „Bericht zum Sachstand“ angekündigten Vortrag Zahlen zur Reproduktionsmedizin, die vor allem ein Ziel verfolgten: Beim Publikum den Eindruck einer expandierenden und erfolgreichen Entwicklung zu erwecken. 1,5 Millionen „Unfruchtbarkeitsbehandlungen“ (wie die Verfahren von ihren AnbieterInnen gern genannt werden) im Jahr weltweit, davon 550.000 Behandlungszyklen in Europa, 80.000 in der Bundesrepublik. Jährlich würden etwa 10.000 auf diese Weise entstandene Kinder geboren, damit sei durchschnittlich zwei von hundert Geburten hierzulande eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) vorausgegangen. Dass demnach 70.000 Behandlungszyklen in der Bundesrepublik nicht mit der Geburt eines Kindes enden, also über 87 Prozent der Unfruchtbarkeitsbehandlungen erfolglos verlaufen, verschwieg der Referent.

 

Reproduktionsmedizinische Gleichschaltung

 

Aber nicht nur solche Leerstellen in der Darstellung hatten manipulativen Charakter, auch die Frage „Was kann die Medizin?“, mit der Griesinger seinen Vortrag überschrieben hatte, war eine rhetorische. Denn seine Präsentation gab immer wieder nur eine Antwort: Alles. So steige das Durchschnittsalter der Frauen, die durch die Behandlung Mütter werden, beständig an; lag es in der Bundesrepublik 1997 noch bei 32,6 Jahren, seien die Frauen 2012 im Schnitt 35,07 Jahre alt gewesen.

Auch sei das Überstimulationssyndrom (ÜSS), das nach Hormongabe im Rahmen einer IVF entstehen kann, inzwischen „weitgehend vermeidbar“. Eine Statistik hatte Griesinger nicht zur Hand, um diese Behauptung zu belegen, ihm genügten Schätzungen: Danach käme das ÜSS mittlerweile noch bei ein bis vier Prozent aller Unfruchtbarkeitsbehandlungen vor, und auch die Zahl der Todesfälle nach ÜSS werde auf nur noch drei pro 100.000 Behandlungszyklen geschätzt.(1)

Wichtig war Griesinger in seiner Darstellung auch die noch relativ junge Technik der so genannten Vitrifikation, mit der unbefruchtete Eizellen konserviert werden können, was bis vor kurzem nicht möglich war.(2) Damit entfalle der bisherige Aufwand bei der Eizellspende, denn bei der vor Erfindung der Vitrifikation üblichen Frischspende „mussten Sie Spenderin und Empfängerin synchronisieren, quasi gleichschalten“. Heute dagegen, so Griesinger enthusiastisch, können Frauen nun in jungen Jahren ihre Eizellen einfrieren, um sie dann aufzutauen, wenn sie ihren Kinderwunsch umsetzen wollen. Aber nicht nur dieses so genannte social freezing pries Griesinger, er geriet auch ins Schwärmen ob zukünftiger Möglichkeiten: Die Vitrifikation erlaube es, an eine Zukunft mit zentralisierten Eizellbanken zu denken, die „eine Vielzahl von IVF-Kliniken bedienen können“.

 

Vom „Ob“ zum „Wie“

 

Diese Zukunftsaussichten sollten keinesfalls als Phantasien eines Reproduktionsmediziners abgetan werden. Noch gilt zwar das Embryonenschutzgesetz (ESchG), das Eizellspenden wie auch Leihmutterschaft in der Bundesrepublik unter Strafe stellt. Aber nahezu allen ExpertInnen aus Reproduktionsmedizin, Rechtswissenschaft und Ethik, die in der in den vergangenen zwölf Monaten wieder aufgeflammten Diskussion um die Fortpflanzungsmedizin zu Wort kommen, gilt dieses Gesetz als Relikt. Die Frage, ob die Eizellspende erlaubt werden sollte oder nicht, wird nur selten ernsthaft gestellt, es geht eher darum, wie sie künftig geregelt werden kann. Auch die Forderung nach Erlaubnis der Leihmutterschaft steht keinesfalls im Abseits der Debatte, auch hier unterscheiden sich die Positionen eher in Fragen ihrer Ausgestaltung.

Dieser Grundkonsens wird bewusst erzeugt, und zwar nicht nur durch Darstellungen wie die eingangs beschriebene - dass ReproduktionsmedizinerInnen ihre Angebote im Licht erfolgreicher und unproblematischer Machbarkeit präsentieren, ist ja nicht neu. Wesentlich dafür, dass bestehende Verbote in der derzeitigen Diskussion so beinah selbstverständlich zur Disposition stehen, ist ein ebenso geschicktes wie in seinen Auswirkungen verheerendes juristisches Konstrukt: Das Grundrecht auf Fortpflanzung. Dieses Konstrukt verstehen seine Anhänger als Recht des Individuums, nicht nur selbst darüber zu entscheiden, ob es Nachwuchs möchte oder nicht, sondern auch, wie.

 

Grundrecht auf Fortpflanzung?

 

Ausformuliert ist diese Auffassung beispielsweise in dem Augsburg-Münchner-Entwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz (AME-FMedG), der im April 2013 von einer - interessanterweise ausschließlich aus männlichen Juristen bestehenden - Gruppe veröffentlicht wurde.(3) Sie argumentieren mit einem „Grundrecht auf reproduktive Selbstbestimmung“, das sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem daraus abgeleiteten Grundrecht auf Selbstbestimmung ergebe, denn „die eigene Fortpflanzung gehört zum Kern personaler Identität und Identitätsbildung“. Auch wenn Letzteres insofern streitbar ist, als es viele Menschen gibt, deren Selbstverständnis nicht oder nur marginal mit der Frage des Kinderkriegens verbunden ist - unstrittig ist, dass jedes Individuum selbst darüber bestimmen darf, ob es sich fortpflanzen möchte oder nicht, Menschen also weder dazu gezwungen noch daran gehindert werden dürfen, Kinder zu bekommen. Allerdings bestand die grundrechtliche Qualität dieser Garantie nach bisheriger Lesart darin, das Individuum vor staatlichen und institutionellen, politisch oder auch medizinisch motivierten Zwangsmaßnahmen wie beispielsweise Zwangssterilisationen zu schützen.

 

Die Autoren des AME-FMedG nun machen aus der Selbstbestimmung über die eigene Fortpflanzung ein Grundrecht auf Fortpflanzung und begründen daraus einen Anspruch des Individuums gegenüber Staat und Gesellschaft, Möglichkeiten zur Überwindung von Hindernissen bei der Reproduktion nutzen zu können: Reproduktive Selbstbestimmung definieren sie als „Recht, positiv oder negativ über die eigene Fortpflanzung und dabei sowohl über das ‚Ob‘ und das ‚Wie‘ der Fortpflanzung zu entscheiden“.(4) Deshalb umfasse dieses Grundrecht „nicht nur die natürliche Zeugung, sondern auch die medizinisch assistierte Fortpflanzung“. Folgerichtig hat die Verfügbarkeit reproduktionsmedizinischer Angebote ebenso Verfassungsrang: Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung sei „entwicklungsoffen“, das heißt, „jede nach dem medizinischen Stand künftig mögliche oder sinnvolle Maßnahme ist im Ausgangspunkt grundrechtsgeschützt“.(5)

 

Selbstbestimmung: Schlüssel zu neuen Märkten

 

Eine solche Interpretation von Selbstbestimmung kommt einem Blankoscheck gleich. Entsprechend sehen auch die konkreten Regelungen im Entwurf aus. Erlaubt wird nahezu alles, was derzeit noch verboten ist: Die Eizellspende (Paragraph 6), und zwar nicht nur, „wenn eine Frau nicht fortpflanzungsfähig ist“, sondern auch, wenn „bei der Verwendung ihrer Eizellen die Gefahr einer schweren Erbkrankheit für das Kind besteht“. Der Embryonentransfer (Paragraph 7), also die Übertragung befruchteter Eizellen, die deren biologische Mutter nicht ausgetragen hat, auf eine andere Frau. Die Leihmutterschaft (Paragraph 8), wenn „der notarielle Nachweis der unbedingten und unwiderruflichen Annahme des Kindes durch Dritte vorliegt“. Und nicht zuletzt sollen überzählige Embryonen für „hochrangige Forschungszwecke“ verwendet werden dürfen (Paragraphen 14 und 15), und zwar nicht etwa nach informierter Zustimmung der biologischen Eltern, sondern wenn diese „nach Information über den Forschungszweck nicht widersprechen“.(6)

Verbieten wollen die Autoren des AME-FMedG lediglich die Chimären- beziehungsweise Hybridbildung (Paragraph 12) und das Klonen (Paragraph 11), hier allerdings sind sie unentschieden, ob schon die Herstellung eines geklonten Embryos an sich strafbar sein soll oder nur dann, wenn sie „auf die Geburt eines Menschen abzielt“. Auch das Verbot der Keimbahnintervention ist nicht absolut (Paragraph 10), denn das Verfahren darf angewendet werden, um die „betroffenen Nachkommen vor einer Gefahr für deren Leben oder einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder psychischen Gesundheitszustandes zu bewahren“.(7)

Nicht zuletzt sehen die Autoren des AME-FMedG maximal ein Jahr Freiheitsstrafe vor, und zwar lediglich für das Klonen und die Chimären- beziehungsweise Hybridbildung oder wenn eine PID oder eine Keimbahnintervention ohne Einwilligung der Beteiligten stattgefunden hat.(8) Alle anderen Verstöße werden als Ordnungswidrigkeiten behandelt.

Vergeblich sucht man im AME-FMedG nach Schutzvorschriften für Eizellspenderinnen oder Leihmütter. Die Lebensumstände, unter denen Frauen sich für solche Dienstleistungen zur Verfügung stellen, finden keine Berücksichtigung. Nur der Aspekt der Bezahlung wird geregelt, und zwar so, dass der schöne Schein von Gleichheit und Altruismus gewahrt bleibt: Eizellspende und Leihmutterschaft sollen „nicht Gegenstand eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts“ sein - eine Aufwandsentschädigung allerdings ist „möglich“.(9)

 

Der schöne Schein der Gleichheit

 

Auch auf der Jahrestagung des Ethikrates zur Fortpflanzungsmedizin dominierte die Perspektive der Empfängerinnen reproduktionsmedizinischer Dienstleistungen, und der im AME-FMedG zutage tretende Wille einer umfassenden Legalisierung derzeit noch verbotener Verfahren war hier ebenso präsent wie das juristische Konstrukt eines Grundrechts auf Fortpflanzung. So brachte die Medizinethikerin Claudia Wiesemann die „reproduktive Autonomie“ in Anschlag, um die Erlaubnis von Leihmutterschaft und Eizellspende zu fordern, und die Juraprofessorin Dagmar Coester-Waltjen legte ihrem Plädoyer für die Erlaubnis bislang verbotener Techniken ein „Recht auf Fortpflanzung“ zugrunde. Sie sprach sich explizit zum Beispiel dafür aus, die Strafbarkeit der Befruchtung von Eizellen mit Spermien Verstorbener „zu überdenken“; außerdem müssten Eizell- und Samenspende gleich behandelt werden.

Hier kam sie - wenn auch indirekt - auf die Spenderinnen zu sprechen: Den Schutz vor Ausbeutung, so die Juraprofessorin, solle man „den Frauen selbst überlassen, statt ihnen die Möglichkeit zur Fortpflanzung zu verstellen“. Dass sie hier Empfängerinnen und Spenderinnen unter einen Hut brachte, der nur den einen passt, provozierte beim Publikum keine Reaktion, ebenso wenig schien es jemanden zu interessieren, wie genau Eizellspenderinnen sich selbst vor Ausbeutung schützen sollen.

Der gesellschaftliche Konsens, der seit zwei Jahrzehnten die Verbote trägt, denen Verfahren wie die Eizellspende oder die Leihmutterschaft derzeit noch unterliegen, scheint brüchig zu werden. Auch wenn Vorstöße wie das AME-FMedG oder die Vorträge diverser ReferentInnen auf der Ethikrats-Jahrestagung derzeit parteipolitisch wohl kaum mehrheitsfähig sind - eine ganze Riege von Ethik- und RechtsexpertInnen bereitet das Feld. Schon allein weil sie ausschließlich aus der Perspektive der Empfängerinnen reproduktionsmedizinischer Dienstleistungen argumentieren, sollte ihnen dieses Feld nicht kampflos überlassen werden.

 

Uta Wagenmann ist Redakteurin des GID und betreut den Bereich Medizin im GeN.

 

Fußnoten:

(1)  Durch die Hormongabe kann mehr als nur eine Eizelle für die Befruchtung im Reagenzglas gewonnen werden. Von einem Überstimulationssyndrom wird gesprochen, wenn die Wände der Blutgefäße durchlässiger werden und sich dadurch vermehrt Wasser im Gewebe ansammelt, das sich bis in die Lunge ausdehnen kann (so genannter Pleuraerguss). In der Folge sinkt der Flüssigkeitsanteil des Blutes, was Blutgerinnsel hervorrufen kann oder sogar eine Lungenembolie. Verbunden ist die Blutverdickung insgesamt auch mit einer schlechteren Durchblutung des Körpers, die wiederum Funktionsstörungen der Organe nach sich ziehen kann. Manchmal führt das ÜSS daher zum Tod, etwa durch Nierenversagen. Die genauen Ursachen des Syndroms sind nicht bekannt.

(2)  Bei dieser „Verglasung“ werden Zellen so ultraschnell eingefroren, dass sie dabei - im Gegensatz zur herkömmlichen Kryokonservierung - nicht zerstört werden.

(3)  Ulrich Gassner, Jens Kersten, Matthias Krüger, Josef Franz Lindner, Henning Rosenau, Ulrich Schroth: Fortpflanzungsmedizingesetz, Augsburg-Münchner-Entwurf (AME-FMedG), Tübingen 2013.

(4)  Ebda., S. 31.

(5)  Alle Zitate ebda., S. 32.

(6)  Hervorhebung durch die Autorin. Außerdem soll für das Forschungsvorhaben eine Genehmigung des Robert-Koch-Instituts eingeholt werden.

(7)  Die Ausnahme zielt auf den so genannten Mitochondrientransfer, eine bisher nur im Tierversuch erprobte Methode des Zellkerntransfers zur Vermeidung von Erkrankungen, die durch DNA-Veränderungen in den im Eizellplasma befindlichen Mitochondrien ausgelöst werden können. Vgl. GID Nr. 223, April 2014, S. 30; Nr. 217, April 2013, S. 30 und Nr. 215, Dezember 2012, S. 4 und 32 sowie S. 5 in diesem Heft.

(8)  Ist hier keine Einwilligung eingeholt worden, soll das zudem nur auf Antrag verfolgt werden.

(9)  AME-FMedG, a.a.O., S. 6 und 7.