Das Leben im Knast
„Das Gefängnis? Ein Hotel hinter Gittern, ein Leben in Saus und
Braus!" Wer so denkt, kann noch nie in einem deutschen Knast gewesen
sein.
Der Strafvollzug, so steht es im Gesetz, soll auch dem Schutz der
Allgemeinheit dienen, (negative Spezialprävention), es geht also auch
umsdem Wegsperren. Oberstes Ziel der Gefängnisstrafe ist nach
Strafvollzugs- und Grundgesetz aber die Resozialisierung. Das bedeutet,
dass die Gefangenen lernen sollen, künftig in sozialer Verantwortung
ein Leben ohne Straftaten zu führen. (positive Spezialprävention). Ob
dieses Ziel durch den streng hierarchischen Aufbau des Gefängnisses und
die absolute Kontrolle über die Gefangenen erreicht werden kann, ist
nach kriminologischen Studien äußerst fraglich. Viele ehemalige
Häftlinge werden nach der Entlassung wieder straffällig, die
Rückfallquote kann bis zu 55% betragen.
Weit entfernt von jedem Leben in Freiheit bekommen die Gefangenen die
Kontrolle der Institution Gefängnis zu spüren. Der komplett
durchgeplante Tagesablauf fördert nicht gerade die Selbstständigkeit
der Insass_innen: 5:58 Uhr Aufstehen, 6:00 Uhr Frühstück, 6:45 Uhr
Arbeitsbeginn, 11:50 Uhr Mittagessen, 12:35 Uhr Ende der Mittagspause,
und so weiter.
Theoretisch soll die Strafe nur in der Freiheitsentziehung liegen,
praktisch werden die Gefangenen von ihrem sozialen Umfeld getrennt, der
Kontakt zu Familie und Freund_innen wird in der Regel auf eine Stunde
Besuchszeit im Monat beschränkt und die Privatsphäre der Gefangenen
wird faktisch abgeschafft. Briefe, die ein- und ausgehen, können „aus
Gründen der Behandlung oder der Sicherheit und Ordnung" vom Personal
mitgelesen werden. Die Gefangenen dürfen nur zu bestimmten Zeiten mit
bestimmten Leuten telefonieren, selbst angerufen werden können sie
nicht.
Alle zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten müssen 7,5 Stunden am Tag
arbeiten - zu einem Lohn von ca. 1,43 Euro in der Stunde. Von dem
erarbeiteten Geld stehen den Gefangenen nur drei Siebtel zur freien
Verfügung, der Rest wird zwangsweise angespart für die Zeit nach der
Entlassung (das so genannte Überbrückungsgeld). Nur die zu
lebenslänglichen Strafen Verurteilten können über einen höheren Anteil
ihres Lohns verfügen. Außerdem werden die Gefangenen immer öfter für
den Unterhalt der Vollzugsanstalt und sogar für Stromkosten von
Fernsehgeräten oder DVD-Playern herangezogen: Jedem „unangebrachten
Anspruchsdenken" soll so entgegen gewirkt werden. Die Gefangenen, die
in der Anstalt arbeiten, sind gerade mal unfall- und
arbeitslosenversichert und bekommen die nötige medizinische Versorgung.
Für Einzahlungen in die Rentenversicherung wird nicht gesorgt. Wer also
im Alter von 60 oder 65 Jahren entlassen wird, hat zwar gearbeitet,
aber keinen Rentenanspruch.
Im Knast gehen „Sicherheit und Ordnung" über alles, und selbst die
normalsten Gegenstände stellen ein Risiko für die Institution dar: Ein
Haartrockner oder eine Leselampe sind potentielle Waffen, ein
Kanarienvogel würde die regelmäßige Zellenkontrolle erschweren (da der
Futternapf ein potentielles Versteck darstellt), eigene Bettwäsche
könnte Drogenverstecke in sich bergen, eine teure Armbanduhr den
Schwarzmarkt fördern. Für alle persönlichen Gegenstände außer Fotos
müssen daher Anträge gestellt werden, die oft abgelehnt werden.
Es ist sehr gut vorstellbar, wie Menschen durch lange Haftdauern jeder
Fähigkeit beraubt werden, ein eigenständiges Leben in Freiheit zu
führen. Vielmehr lernen sie im Knast, sich hierarchischen Strukturen zu
unterwerfen, Selbstständigkeit aufzugeben und nicht aufzumucken. Ganz
wie im Hotel also.
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