Bürger gegen Parteien

In den Gazetten dieser Republik sind nach den Wahlen in Bayern und
Brandenburg viele kluge Analysen zu lesen. Besonders die Akteure der
CSU bekommen eine mediale Aufmerksamkeit, die sonst nur Naturkatastrophen
erregen. Die Wahlniederlage der CSU ist das am meisten kommentierte
Ereignis. Doch lassen wir die zeitlichen Dimensionen auf uns
wirken, dann werden wir schnell feststellen, daß diese Abwahl einer
Herrschaftspartei nur eine Fußnote in der Geschichte sein wird. Für das
Wohl und Wehe der bundesrepublikanischen Demokratie ist dieser Akt
völlig belanglos. Sicherlich ist es recht ersprießlich, Gedankenspiele zu
den koalierenden Partnern in München vorzunehmen, aber wird sich
deswegen irgendetwas verändern in bayerischen Landen? Natürlich nicht.
Die schwarze Republik bleibt in seinen freistaatlichen Grenzen fest im
Glauben und standfest auf der Wies’n. Darum verlassen wir die greinenden
Becksteins und Hubers und grüßen den Herrn Seehofer. Der zur
Stunde zwar noch in Berlin ministerial hofiert, aber den Ruf der Berge
vernehmend zu denselbigen zu wandern sich aufmacht.


In den Brandenburgischen Gefilden verschob sich auch so manches
in der Wählergunst. Da waren die sozialdemokratischen Tugenden und
die sozialistischen Ideen wieder modern. SPD und LINKE gingen Hand
in Hand durchs Ziel und versprachen sich für die Zeit nach den Landtagswahlen
die Ehe. Natürlich nicht öffentlich, aber es soll Villen in Potsdams
Berliner Vorstadt geben, in deren Gästeräumen der gemeinsame
Gang in Preußens Gloria besprochen wird. Warum auch nicht. Dann wäre
die Länderehe zwischen Berlin und Brandenburg möglichst komplikationslos
zu bewerkstelligen. Doch das ist für diese Wahlbetrachtung
zu weit gedacht.


Daß die CDU richtig verlor, ist verständlich und bedarf keiner Kommentierung.
Mit den Nazis hängt ein Wermutstropfen in den verschiedenen
Kreistagen. Doch werden sie der parlamentarischen Demokratie nicht
wirklich gefährlich. Dafür ist der gesunde Menschenverstand zu robust.
Möglicherweise wird er aber nicht ausreichen, deshalb muß auch die repressive
Gewalt des Gemeinwesens das ihrige dazu tun.


Man könnte die Wahl-Nachlese damit beenden. Doch dies wäre zu
schnell gedacht. Denn die beiden Wahlen haben durchaus Potential für
eine historische Beachtung. Da sind zum einen die gestiegenen Wahlbeteiligungen.
Das aktive Wahlvolk übertraf das nichtwählende. Das könnte
bedeuten, daß die sogenannte Politikverdrossenheit ihren Höhepunkt
überschritten hat, daß wieder mehr Bürger mitreden wollen. Deshalb ist
der Gang zu den Urnen kein Beerdigungsritual, sondern besitzt eine rei-nigende Wirkung für machthungrige Pragmatiker jeder Partei. Die lebenslänglichen
Versorgungslaufbahnen als Berufspolitiker sind gefährdet.
Der manifestierte Anspruch auf den Erbhof wird abgewählt.


Das hat aber noch eine weitere Ursache. Es sind die überall entstehenden
Wählerkonstrukte, die sich – unabhängig von parteilichen Strukturen
– zu Machtblöcken entwickeln. Dies ist historisch die Geburt eines
politischen Akteurs, der der Demokratie neuen Lebenssaft geben könnte.


Natürlich sind Wählerbündnisse keine Erfindung der beiden Wahlen,
aber deren parlamentarische Wucht wächst. Die Freien Wähler in Bayern
sind zwar dem konservativen Lager entwachsen, ihre gewonnenen 11 Prozent
haben aber die CSU die absolute Mehrheit gekostet. Auch in kommunalen
Parlamenten Brandenburgs sind die Parteien immer öfter gezwungen,
sich Bürgerbündnissen zuzuwenden.


Es entstehen somit unterhalb des Bundestages neuartige Kräftekonstellationen,
die nicht mehr nach der herkömmlichen Machtarithmetik
einer Parteiendemokratie funktionieren. Mit den Wahlbündnissen sind
Akteure im Spiel, die sich inhaltlich klar definiert haben und die statt
machtstrategisch lösungsorientiert agieren. Ihre Kompromißfähigkeit ist
gering, da es für sie keinen komplexen politischen Zielkorridor gibt. Mit
ihnen sind also weniger Gegengeschäfte möglich. Wer mit ihnen regieren
will, egal auf welcher Ebene, der lernt den Wählerwillen zu akzeptieren.
Eine völlig neue Erfahrung für die Parteien und ihre Vertreter.
Bisher konnten sie sich bei nicht gehaltenen Wahlversprechen immer
auf den politischen Kompromiß berufen. Dies ist mit den Bündnissen
nicht mehr möglich. Deren Selbstzweck ist es, ein Projekt zu sein, zeitlich
und inhaltlich begrenzt. Ist dieser Zweck erfüllt, dann löst es sich
auf. Für die Parteien verbleibt aber meistens keine Verschnaufpause, da
an der Peripherie schon das nächste Bündnis entsteht.


Wenn man unter diesem Aspekt die Wahlen betrachtet, wird das politische
Leben spannend. Es werden Menschen den politischen Raum bevölkern,
die nicht von der Politik leben müssen und damit weniger erpreßbar
sind, weil sie jederzeit den Ausgang finden können. Ein neuer
Genius des Politischen.