Auf ins Wendland!

Die Mobilisierung für die Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben läuft auf Hochtouren

Vom 7. bis 10. November soll ein Castor-Transport mit hochradio­aktivem Atommüll nach Gorleben rollen. In der Anti-Atom-Bewegung wird in diesem Jahr besonders intensiv zu den Protesten ins Wendland mobilisiert. Denn es geht um eine ganze Menge: Entsorgungsdebatte nach dem Asse-Desaster und der Kampf um die Zukunft der Atomkraft insgesamt in Zeiten wachsender Begehrlichkeiten der Stromkonzerne.

 

Erfreuliches ist derzeit aus der Anti-Atom-Bewegung zu berichten: Die Mobilisierung für die Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben brummt.

Überall im Lande finden Veranstaltungen statt, örtliche Gruppen bereiten sich auf die Reise ins Wendland vor, bei den beteiligten Initiativen werden in großen Mengen Flyer und Plakate bestellt. Auch viele größere Organisationen, die sich in den letzten Jahren rar gemacht haben, sind diesmal mit voller Energie dabei. Diese neue Motivation hat einen einfachen Grund: In die atompolitische Debatte kommt Bewegung.

Und zwar erstmal von einer unangenehmen Seite: Die Stromkonzerne machen seit Monaten eine vehemente PR-Kampagne für den ach so umweltfreundlichen und billigen Atomstrom.

Sie wollen nach der Bundes­tagswahl 2009 eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten durchsetzen.

Jahrelang waren die atompoli­tischen Rahmenbedingungen festgeklopft. Auch GegnerIn­nen des von der rot-grünen Bundesregierung mit den Stromkonzernen geschlossenen so genannten Atomkon­sens mussten schmerzlich anerkennen, dass dieser eine be­fri­edende Wirkung auf den gesellschaftlichen Großkonflikt um die Atomkraft hatte - ohne dass dabei allerdings irgendeine Art von Atomausstieg zustande kam.

Letztlich haben sich die Konzerne mit ihrer Unterschrift unter das Vertragswerk einen von Aufsichtsbehörden und gesellschaftlicher Kritik weitgehend ungestörten Weiterbetrieb ihrer Reaktoren für fast zehn Jahre erschlichen. In der aktuellen Le­gislaturperiode sollten eigentlich die vier Alt-Reaktoren Bib­lis A und B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel vom Netz, aber da sich im Atomkonsens das Ende eines AKW nicht an seien Betriebsjahren, sondern an der Menge des produzierten Atomstroms bemisst, war es für die Stromkonzerne ein Leichtes, ihre maroden Meiler über die Wahl 2009 zu retten.

Die beiden Bibliser Blöcke standen wegen technischer Probleme über ein Jahr still. Bruns­büttel ist seit dem Doppelstörfall mit Krümmel im Juni 2007 abgeschaltet. Nur in Neckar­westheim mussten sich die Be­treiber etwas einfallen lassen und fahren das Kraftwerk seit Monaten nur noch mit halber Kraft um damit die Betriebszeit über den Wahltag hinaus zu strecken.

Nach der Bundestagswahl wird es spannend: Denn irgendwann ist auch bei noch so kreativem Laufzeiten-Management der Punkt erreicht, an dem die im Gesetz festgelegten „Reststrommengen" produziert sind. Das wird im Zeitraum 2009 bis 2013 bei etwa sieben Reaktoren der Fall sein. Da sich aber mit einem abgeschriebenen Uralt-Meiler pro Jahr etwa 300 Millionen Euro verdienen lassen, verlieren die Konzerne jetzt das Interesse, sich weiter an die Ver­einbarung aus dem Jahr 2000 zu halten. Also wird derzeit auf allen Kanälen versucht, die gesellschaftliche Stimmung in Sachen Atomkraft zu kippen. Am erfolgreichsten sind die PR-Ab­teilungen bisher mit dem Argument, mit einer Laufzeitverlän­gerung ließen sich die Strompreise senken. Seltsam nur, dass in den Bundesländern, in denen die meisten AKWs laufen, nämlich Bayern und Baden-Württemberg, auch der Strom am meisten kostet. Ökostrom der Energiewerke Schönau aus dem Schwarzwald ist in vielen Regionen im „Ländle" schon preisgünstiger als EnBW-Atom- und Kohlestrom.

Es gibt drei Parteien, die im Wahlkampf Anti-Atom-Positionen vertreten werden, die teil­weise sogar über das im Atomkonsens vereinbarte hinaus gehen: So fordert die SPD eine Steuer auf Atombrennstäbe und manche Grüne wollen eine sofortige Stilllegung der sieben ältesten Reaktoren. Weil Atomkraft Wahlkampfthema wird, wird die Debatte darüber in der öffentlichen Wahrnehmung faktisch nur von Parteien geführt. Lange Zeit galt in den Medien Umweltminister Sigmar Gabriel als einzig aufrechter Atomkraftgegner. Inzwischen machen sich auch einige Grüne wieder bei diesem Thema bemerkbar. Andere AkteurInnen werden in dieser Debatte bisher kaum wahrgenommen.

Genau das wird aber spätestens dann zum Problem, wenn es nach der Wahl darum geht, Koalitionen zu bilden und Kompromisse zu schließen. Wir haben das bei der letzten Bundes­tagswahl in Sachen Mehrwertsteuer erlebt: Merkel wollte vor der Wahl eine Erhöhung von 16 auf 18 Prozent. Die SPD hat im Wahlkampf massiv dagegen gewettert („Merkelsteuer") um dann in der großen Koalition einer Erhöhung auf 19 Prozent zuzustimmen.

Nötig ist also eine starke Anti-Atom-Bewegung, die als eigenständiger Akteur die Debatte mitbestimmt und so viel Druck aufbaut, dass sich Eon, Vatten­fall und Co nicht durchsetzen können. Wie das gehen kann, haben in den letzten Monaten die Initiativen rund um die Asse vorgemacht. Zwar war vieles von dem, was jetzt nach und nach an die Öffentlichkeit sickerte und zu beunruhigten Schlagzeilen führte, in Anti-Atom-Kreisen seit Jahrzehnten bekannt. Aber die örtlichen Initiativen haben es geschickt verstanden, daraus jetzt ein Thema zu machen, was auf Interesse der Medien stößt und entsprechenden Wirbel verursacht.

Ein Wirbel, der weit über die Asse hinaus wirkt: Zum ersten Mal seit langem gibt es wieder eine Debatte um die Eignung des Salzstocks in Gorleben, in dem ja sämtliche hochradioak­tiven Abfälle eingelagert werden sollen.

Sigmar Gabriel will Gorleben mit anderen möglichen Standorten für ein Endlager vergleichen. Er hat Kriterien für die Endlagersu­che vorgelegt, die vom 30. Oktober bis 1. November auf einem Symposium in Berlin diskutiert werden sollen.

Auffällig an diesem Papier ist, dass genau der Haupt-Schwachpunkt von Gorleben als Kriterium gar nicht mehr vorkommt: Der Salzstock hat direkten Kontakt mit dem Grundwasser, weil eine wasserundurchlässige Deckgebirgsschicht fehlt. Bisher war dieses Deckgebirge wichtiges Eig­nungskriterium. Jetzt fehlt es.

So drängt sich also der Verdacht auf, dass diese Kriterien extra so geschrieben wurden, dass sie möglichst genau auf Gorleben passen.

Erstaunlich ehrlich wurde jetzt Angela Merkel in der Debatte um die Frage, wie es nach dem Desaster in der Asse in Sachen Atommüll-Entsorgung weitergehen soll. Die Kanzlerin erklärte, sie habe „keine Lust weitere Milliarden auszugeben", um nach einer Alternative für Gorleben zu suchen.

Da haben Generationen von PolitikerInnen versucht, der Be­völkerung im Wendland und darüber hinaus weiß zu machen, das Bergwerk in Gorle­ben diene nur der Erkundung, die dafür bisher ausgegebenen 1,5 Milliarden Euro seien keine Vorfestlegung usw.

Eigentlich haben das viele nie so richtig glauben können.

Doch jetzt ist erstmals eine Spit­zenpolitikerin so dreist, es auf den Punkt zu bringen: Seit der aus politischen und nicht aus wissenschaftlichen Gründen erfolgten Standortentschei­dung für Gorleben vor mehr als 30 Jahren hat sich nichts geändert. Es ging und geht nicht um Sicherheit, sondern darum, ein lästiges Problem irgendwo loszuwerden, damit die Stromkon­zerne weiter Profite mit ihren AKW machen können.

Interessanterweise ist es nämlich nicht Merkel, die hier Milliarden ausgeben müsste, sondern die Stromkonzerne, die die Suche nach einem Endlager bezahlen sollen. Und die 1,5 Milliarden, die in den letzten Jahrzehnten in Gorleben in einen ungeeigneten Salzstock geflossen sind, machen ungefähr den Betrag aus, den die AKW-Be­treiber jährlich sparen, weil ihre Brennelemente steuerbefreit sind.

CDU/CSU fordern ein Ende des Moratoriums im Salzstock Gorleben. Das Endlager soll trotz aller Zweifel weitergebaut werden. In zwei Jahren würde der Baustopp sowieso auslaufen. Doch durch den Asse-Skandal ist die Diskussion über Endla­ger im Salz ganz grundsätzlich neu entbrannt. Manche Jour­nalistInnen trauen sich sogar die Frage zu stellen, wie es eigentlich sein kann, dass in den Reaktoren ständig Atommüll produziert wird, ohne dass es ein funktionierendes Entsor­gungskonzept gibt.

Viel Bewegung also im Streit um die Atomkraft. Und entsprechend viel Bewegung auf den Straßen und Schienen des Wendlandes ist nötig, um den für 2009 erwarteten Machtkampf um die Laufzeiten offensiv zu beginnen. Es braucht nicht mehr und nicht weniger als eine neue Anti-Atom-Bewegung, die bei den Castor-Protesten ihren Ausgang nimmt. Für die Öffentlichkeit wird Gorleben im November zum Gradmesser dafür, wie die neue Debatte um die Atomkraft von der Bewegung aufgenommen wird. Da ist eine klare Antwort sinnvoll.

Jede/r AtomkraftgegnerIn, die sich in der neuen Auseinandersetzung um Laufzeiten und Entsorgung nicht geschlagen geben will, kommt in diesem Jahr um Gorleben nicht herum. Das ist auch schon deutlich spürbar. So ist beispielsweise die Generation derjenigen Mitte-40- bis Mitte-50-jährigen, die sich in den 70er und 80Jahren an den großen Anti-Atom-Demos beteiligt haben und inzwischen mit dem Atomkonsens soweit befriedigt waren, dass ihr politisches Lebensziel zwar nicht so­fort, aber vielleicht doch im Lauf der Jahre erreichbar schien, merklich verunsichert. Viele merken, dass es Zeit ist, erneut auf die Straße zu gehen  und fühlen sich vom neuen An­ti-Atom-Aufkleber der taz mit dem Motto „Atomkraft - nicht schon wieder" angesprochen, obwohl diese ja eigentlich nie weg war. Jüngere Aktive sind glücklicherweise sowieso nicht so das Problem, weil die widerständige Stimmung im Wendland einfach ihren Reiz hat. Und die wird in diesem Jahr nichts zu wünschen übrig lassen, da sich die Menschen in Lüchow-Dannenberg spätestens seit der Ankündigung der Kanzlerin, in Sachen Endlagerung dem Lustprinzip zu folgen, bewusst sind, was auf dem Spiel steht.

Ein Höhepunkt wird die Großdemo am 8. November, Beginn um 13 Uhr im Dorf Gorleben.

Die Demo ist thematisch ganz bewusst nicht auf das Atommüll-Problem reduziert, sondern soll alle ansprechen, die den neuen Kampf um die Atomkraft aufnehmen wollen.

Los gehen die Proteste aller­dings schon deutlich früher.

Vom 30. Oktober bis 1. November findet in Berlin das von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel veranstaltete Endlager-Symposium statt, bei dem es eben auch um seinen skandalösen Kriterien-Entwurf gehen soll, der deutlich nach „Salzstock Gorleben" riecht. Aktionen vor der Tür des Symposiums sind in Vorbereitungen.

Viele Menschen aus dem Wendland und aus der bundesweiten Anti-Atom-Bewegung werden auch an der Veranstaltung teilnehmen und mitdisku­tieren - auch, um zu verhindern, dass sich Gabriel hier eine Legitimation schafft, die Atommüll-Entsorgung nach dem Asse-Debakel wieder als „lösbar" darzustellen.

Rund um die große Demo am 8.11. wird es natürlich im Wendland wieder unzählige Aktionen geben. Alle, die das einrichten können, sollten schon am Donnerstag, 6.11. oder Freitag, 7.11. anreisen. Anlaufpunkte sind die verschiedenen Camps und Infostellen im Wendland. X-tausendmal quer bereitet sich auf die Blockadeaktionen dies­mal in Gedelitz vor. Das Dorf liegt nicht weit von den Gorlebener Atomanlagen entfernt. Manche kennen das Camp-Gelände schon von den Wendland-Sommercamps, die dort in den letzten Jahren stattfanden.

Der Fahrplan des Castor-Transports sieht wahrscheinlich folgendermaßen aus: Abfahrt in Frankreich ist am Abend des 7.11., die französisch-deutsche Grenze bei Karlsruhe wird am Mittag des 8.11. erreicht, in Lüneburg kommt der Zug mög­licherweise in den Morgenstunden des 9.11. an, braucht dann erfahrungsgemäß den ganzen Tag, um die 50 km bis Dannen­berg zu kommen, dort werden dann die Nacht über die diesmal elf Behälter auf Straßen-Tieflader umgeladen. In den frühen Morgenstunden am Montag, den 10.11. soll dann der Stras­sentransport über die letzten 20 km von Dannenberg bis zur Gorlebener Castor-Halle stattfinden.

X-tausendmal quer plant gemeinsam mit anderen Gruppen ab Sonntag 9.11. eine große Blockadeaktion in Gorleben. Bei der ewig neuen Frage, ob der Castor besser auf der Schiene oder der Straße aufgehalten werden soll, gab es diesmal eine klare Präferenz für die Straße, weil mit vielen Menschen gerechnet wird, die sich zum ersten Mal beteiligen wollen. Auf der Straße ist die „Schwellenangst" einfach geringer. Es geht schon am Sonntag los, weil da noch viel Polizei an der Schiene gebunden ist.

Wichtig ist, dass es nach den Castor-Protesten weitergeht, dass viele die Aktionen im Wendland als Auftakt verstehen, um in den nächsten anderthalb Jahren der Offensive der Atomlobby so viel entgegenzusetzen, dass sich die Parteien nach der Wahl 2009 nicht an Laufzeitverlängerungen herantrauen, sondern wieder ernsthaft über einen Atomausstieg diskutiert wird, der diesen Namen wirklich verdient.

Jochen Stay

 

Mehr Infos: www.X-tausendmalquer.de, www.castor.de, www.ausgestrahlt.de

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 332, Oktober 2008, 37. Jahrgang, www.graswurzel.net