Does Form Matter? – Ist die Form von Bedeutung?

Diese Frage, dieses Thema, war nicht nur der Fokus verschiedener Kommentare von Platon, Aristoteles und vieler der MeisterdenkerInnen der großen Religionen, sondern auch, etwas gegenwärtiger und wahrscheinlich vorhersehbarer Weise, von postmodernen DenkerInnen mit ihrem Interesse am Formlosen. Diese Debatten waren, kurz gesagt, mit dem Innen und dem Außen, dem Gebrauch und der Nützlichkeit, der Zeitlosigkeit, mit Wahrheit und Erzählung, Organisation und Struktur und dem Streben nach dem Authentischen und dem Schönen beschäftigt. Spuren davon finden sich in verschiedenen Feldern, die deutlichsten zweifellos im Feld der Kunst und seit einiger Zeit auch in der Architektur und der Planung – oder in dem, was man heute als räumliche Praktiken bezeichnet.

London ist wie keine andere europäische Stadt: Ihr anhaltender kolonialer Kontext und die liberale Orthodoxie lassen es zum Zuhause für Familien ebenso wie für Unternehmen von allen Breitengraden des Globus werden. London kann besten Gewissens als eine sehr verlässliche Quelle für Fallstudien einer ganzen Reihe von Angelegenheiten dienen. Man stelle sich nun vor, was es bedeutet, wenn eine Stadtregierung eine Organisation mit dem Titel Design For London ins Leben ruft. Die gesamte Beschäftigung dieser Organisation dreht sich um die Form – die Form, in der wir die Straße, die Schulen und die Plätze öffentlicher Zusammenkünfte bevölkern.

Beeindruckende, bedeutende Summen sind ausgegeben worden, um Londons gegenwärtige Struktur zu erforschen, zu kartographieren und zu vermessen, um dann mögliche Pläne zu entwerfen, auf denen die gestaltete Form am größten ist. Design For London spricht ernsthaft davon, „zugängliche und demokratische Straßen und Räume (zu schaffen), zu denen der Bürger ungehinderten Zugang hat.“
[1] Diese Räume, wird behauptet, werden das Werk der besten DesignerInnen mit dem übergreifenden Ziel sein, schöne Räume und Plätze zu schaffen. Dieser Fokus auf die Form stützt sich auf eine organisierte Übereinkunft über Ästhetik, Geschmack und Verständnis. Eines der zentralen Projekte, in denen diese Werte getestet wurden, wurde 2002 mit dem The 100 Public Spaces Programme gestartet, einem Programm zur Überprüfung von 100 Orten in ganz London. Sechs Jahre später sind gerade 5 von diesen „100 Public Spaces“ erhoben worden. Die Form zu formatieren stellt sich offensichtlich als sehr schwierig heraus. Und dennoch werden Städte mehr und mehr in Begriffen der Form diskutiert und überdies vermessen. Es gibt nicht nur zahlreiche Konferenzen, Ausstellungen und Publikationen über die Form der Städte, sondern, wichtiger noch, Erscheinungen wie diese sind über den gesamten Globus verteilt. Diese globale Verschiebung, die in den frühen 1990er Jahren begann und die nicht schwächer zu werden scheint, hat eine Reihe von komplexen Bedingungen geschaffen, unter denen regionale, nationale und globale Agenden aneinander geraten. Innerhalb dieses spannungsreichen Kontextes hat sich eine Gruppe von durch die Welt jettender TheoretikerInnen gefunden, die sich mit ihren Forschungsteams darüber geeinigt haben, wie eine Stadt zu vermessen und zu verstehen ist.[2] Diese Formen umfassen die Form des öffentlichen Raumes, die Form von Stadtvierteln und die Form der Infrastruktur. Dies sind die neuen Formen, die neuen Wahrheiten, über die empirische Beweise gesammelt, die vermessen und in Hierarchien eingeordnet werden können. Es gibt keinen Zweifel, dass die Form für diese Vielflieger-Clubmitglieder von großer Bedeutung (weil ein großes Geschäft) ist. Sie wiederum argumentieren, dass die Formen Bedeutung für die vielen Millionen EinwohnerInnen haben, haben werden und haben sollten. Und so werden die formale Forschung und die Zirkulation von Leuten und Ideen weiter betrieben – vervollständigt durch Demographien, statistische Berichte und visuelle Kartographien. Wie die vielfältigen Formen von Mexiko-Stadt mit denen von Sydney zu vergleichen sind, kann in der Tat, wenn auch verstörend, sehr interessant sein.[3]

Während sich die Welt zusehends urbanisiert, werden Diskussionen rund um die Form immer wichtiger. Tatsächlich ist zu erwarten, dass 2050 rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben wird. Dabei ist entscheidend anzumerken, dass sich die Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum etwa verdoppeln wird. Dies wird kein pauschaler Anstieg über den Globus hinweg sein – stattdessen wird es Verschiebungen in der Aufteilung der Bevölkerung, des Ökonomischen und Sozialen geben. Das bedeutet mit Sicherheit, dass unser Leben deutlich komplexer wird, indem neue Migrationsmodelle, sich verschiebende ökonomische Grundlagen und die städtischen Entwicklungen die globale Landkarte verändern.

Diese Komplexität ist es, die die Arbeit derjenigen motiviert und ausgelöst hat, die bei This Is Not A Gateway (TINAG) involviert sind. TINAG wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, Einfluss darauf zu nehmen, wie Menschen über Städte (nach)denken. Dabei ist es TINAG klar, dass es mehr als genug gut ausgestattete und hoch gebildete Professionelle und UrbanistInnen gibt, die an der „urbanen Form“ arbeiten – an der Breite der Gehwege, der Aufstellung von Sitzbänken, der Programmgestaltung für öffentlich zugängliche Räume. Es gibt sicherlich mehr als genug ArchitektInnen, die viel Aufhebens um die Form von Objekten machen, die irgendwo in unsere Städte geworfen werden. Es scheint tatsächlich so etwas wie eine FormversteherInnen-Industrie zu geben, die dann darüber entscheidet, was funktional ist. Was fehlt ist allerdings ein spezifisches Wissen über Form und Formierung von Städten. Es ist das Wissen derjenigen, die sich außerhalb der „Urbanisierungsindustrie“ befinden, das Wissen aus anderen Feldern wie der Psychologie, der Politik, der Kunst und auch der Planung. Darüber hinaus fehlt das Wissen von Leuten, die sich fast vollständig außerhalb etablierter Kreise bewegen, wie migrantische ArbeiterInnen, Asylsuchende, AktivistInnen und Mitglieder von Diaspora-Communities. Zweifellos findet sich hier das am meisten verlockende Wissen über die Städte. Im Unterschied zu den Feldern der Technologie wie Neue Medien, Design und Mode, werden die aufkommenden urbanen DenkerInnen bestenfalls unterhalten und im schlechtesten Fall vom Establishment der „Urbanisierungsindustrie“ ausgeschlossen. Der Prozess, Form zu generieren, und der Prozess der Formation von Städten müssen dringend in Bewegung kommen.


Mit einem Programm von Salondiskussionen, einem Festival, Publikationen und der Errichtung einer Bibliothek arbeitet TINAG mit anderen Leuten aus ganz Europa an einem grundsätzlichen Verständnis der Komplexität von Städten. Hier, zwischen den Disziplinen, zwischen Formellem und Informellem und zwischen dem Vergessenen, dem bewusst Verneinten und dem Etablierten, hier findet sich das packende und scharfsichtige Wissen.


Aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG BIldende Kunst, Wien, Herbst 2008, "formal sinnvoll".


 



[1] Design For London stellt seine „zentralen Werte“ auf ihrer Webseite dar: http://www.designforlondon.gov.uk/corevalues.html

[2] So zum Beispiel im zig Millionen Pfund, zig Jahre und zig Städte umfassenden Urban Age Project: A Worldwide Investigation Into The Future Of Cities, http://www.urban-age.net

[3] Vgl. Ricky Burdett und Deyan Sudjic (Hg.): The Endless City, Berlin 2008 (Phaidon Verlag).