Es war für die linke Szene eines der zentralen Ereignisse des Jahres. Über eine Woche lang kamen ungefähr tausend AktivistInnen aus verschiedensten Ländern nach Hamburg, um sich zu vernetzen und Sand in das Getriebe der Abschiebemaschinerie und der klimazerstörenden Energiepolitik zu streuen.
Aber noch bevor das Camp begonnen hatte, wurde es den AntirassistInnen und KlimaschützerInnen schwierig gemacht. Die Stadt Hamburg genehmigte zunächst nicht die Benutzung von zentral gelegenen Grünflächen, so dass das Camp nach wochenlangem Hinhalten auf einem Platz weit entfernt von der Innenstadt stattfinden musste. Die BILD-Zeitung „warnte" bereits im Juli vor den „Chaos-Campern".
Als in den ersten Tagen des Camps das Haus des SPD-Abgeordneten und Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde Gunnar Eisold Ziel eines „Farb-Anschlags" wurde, waren die TäterInnen schnell gefunden: Die linken Camper. Unbekannte hatten „Abschiebung = Mord" auf die Hauswand des Politikers geschrieben und Fenster zerstört.
Was folgte, war eine Welle der Hetze gegen das Doppelcamp. Die SPD berief eine Sondersitzung des Ausschusses für Innenpolitik ein. Ihr Fraktionschef forderte sogar die Auflösung des Camps. Gregor Jaecke, Landesgeschäftsfüher der CDU, erzählte der BILD-Zeitung, dass bei den CamperInnen „Anarchie und Krawall im Vordergrund stehen". Einer Räumung widersprach die schwarz-grüne Koalition jedoch, was ihr sofort einen Rüffel der Deutschen Polizeigewerkschaft einbrachte: Laut ihrem Chef sei "vor lauter ,Deeskalationsstrategie' keine klare innenpolitische Linie mehr zu erkennen".
Was die Polizei unter Deeskalationstrategie versteht, bekamen die AktivistInnen wenige Tage später zu spüren. Beim Aktionstag „Fluten 3.0", an dem der Hamburger Flughafen, über den zahlreiche Flüchtlinge abgeschoben werden, „geflutet" werden sollte, löste die Polizei eine angemeldete und friedliche Kundgebung vor dem Terminal Tango auf. Schon vorher wurde AktivistInnen der Weg zur Kundgebung verwehrt.
Auch bei der versuchten Besetzung des Bauplatzes für das Kohlekraftwerk in Moorburg, stand für die Polizei der Schutz von Eigentum über der Achtung von Grundrechten.
Gegen friedliche DemonstrantInnen wurden Knüppel, Pfefferspray und Wasserwerfer eingesetzt, und selbst die Presse wurde Opfer der Polizeigewalt: Ein Video von graswurzel.tv zeigt, wie ein Polizist auf einen zurückweichenden Demonstrierenden einprügelt. Anschließend geht der Beamte der Hamburger Beweissicherung- und Festnahme-Einheit (BFE) zielstrebig auf den Kameramann von graswurzel.tv zu, schlägt gegen die Kamera und entreißt den Presseausweis. Das Team von graswurzel.tv sah sich daraufhin „außer Stande, weiterhin den öffentlichen Auftrag der Presse in Moorburg wahrzunehmen".
Ein Vorstandsmitglied der Deutsche Journalisten-Union (DJU) von Ver.di sagte, dies sei ein "gravierender Verstoß gegen das Pressegesetz". Polizeisprecher Ralf Meyer rechtfertigte zunächst die Attacke, gab jedoch später gegenüber der taz an, den Fall „dem Dezernat Interne Ermittlungen zur Prüfung zu übergeben".
Aber auch die Demonstrierenden bekamen staatliche Willkür zu spüren: Wie am Tag zuvor wurde eine angemeldete Kundgebung dieses Mal vor dem Vattenfall-Gelände von der Polizei aufgelöst. Bei der Spontandemonstration unter dem Motto „Gegen Polizeigewalt", die zurück zur S-Bahn-Station verlief, stürmten Einheiten der Polizei immer wieder in die Demonstration und versuchten einzelne DemonstrantInnen herauszugreifen.
Wer am Samstag in Moorburg war, fühlte sich an Bilder erinnert, die man sonst nur von Fernsehberichten aus Peking kennt. Dabei ist natürlich klar, dass es SystemkritikerInnen in China noch um einiges schwieriger haben als in Deutschland. Was die Situationen in beiden Ländern gemeinsam haben, ist die staatliche Missachtung von demokratischen Prinzipien für den Schutz von Kapital. Dass dieses Kapital mit dem Bau eines Kohlekraftwerks, eine über Jahre hindauernde Umweltzerstörung verursacht, spielt dabei keine Rolle.
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