Ist die Rente mit 67 noch zu verhindern?

in (27.02.2007)

Das Rentenalter soll nach dem Willen der schwarz-roten Koalition ab 2012 pro Jahrgang zunächst um einen Monat, ab 2024 um zwei Monate angehoben werden; ab 2030 würde es dann nach dem 67. Lebensjahr

erreicht. Daß diese langfristige Planung eingehalten werden kann, wird wohl auch von den Regierungsmitgliedern kaum einer ernsthaft glauben. Sollte das repräsentative System kapitalistischer Herrschaftssicherung in der BRD tatsächlich so lange Bestand haben, gäbe es bis 2030 mindestens noch sechsmal Bundestagswahlen - wohl auch mit neuen Regierungskoalitionen. Deren Zusammensetzung könnte für einen Stopp, aber auch für eine noch schnellere Rentenkürzung genutzt werden. Unternehmerverbände fordern bereits eine zügigere Heraufsetzung des Rentenalters - und nicht nur auf 67, sondern auf 70. Das wirtschaftliche Auf und Ab wird der Kapitalseite immer wieder Gelegenheit geben, auf radikalere Forderungen zu pochen.

Jeder weiß (auch der Arbeitsminister): Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit bedeutet nicht, daß die Älteren tatsächlich länger arbeiten. Heute sind die Lohnabhängigen, wenn sie in die Rente gehen, durchschnittlich nur wenig älter als 60 Jahre; wer mit 50 arbeitslos wird, gilt bereits als schwer vermittelbar. Daran wird sich in absehbarer Zukunft kaum etwas ändern. Die unter der rot-grünen Regierung schon vorgenommene Heraufsetzung des Rentenalters für Frauen von 60 auf 65 hat kaum einer Frau zu längerer Anstellung verholfen. Viele müssen weiterhin ihren Arbeitsplatz mit Anfang 60 aufgeben - aber bei ihren Rentenansprüchen müssen sie jetzt erhebliche Abstriche hinnehmen, pro Jahr 3,6 Prozent. Wer mit 60 geht, bekommt also heute schon 18 Prozent weniger Rente - auf Lebenszeit. Sobald das Renteneintrittsalter auf 67 stiege, würden noch einmal 7,2 Prozent abgezogen.

Den Regierungs- und Kapitalmanagern geht es vor allem um diesen Effekt der Einsparung von Sozialkosten für die Gesetzliche Rente. An zusätzlichen Arbeitsmöglichkeiten für Ältere wird weiterhin Mangel herrschen. Mit dem Gesetzentwurf "Rente mit 67" setzt die jetzige Koalition nur jene Rentenkürzungen fort, die von der Vorgängerregierung zunächst mit der Einführung der "Riester-Rente", dann mit Abstichen bei der Anrechnung von Ausbildungszeiten, mit den diversen Zuzahlungsregelungen für die Kranken- und Pflegeversorgung sowie schließlich mit der Einführung des "Nachhaltigkeitsfaktors" zur kontinuierlichen Absenkung des Rentenniveaus beschlossen wurden. So liegt die preisbereinigte Durchschnittsrente inzwischen schon um mehr als zehn Prozent niedriger als in den neunziger Jahren.

Alle inzwischen Gesetz gewordenen Kürzungsmechanismen - die noch verstärkt würden um die jetzt geplante Rente mit 67 - sollen die umlagefinanzierte Gesetzliche Rente zu einer Notversorgung für die Alten herabstufen, bestenfalls auf dem Niveau der Sozialhilfe. Wer im Alter nicht zum Sozialfall werden will, wird von den Regierenden mit Zuckerbrot (Steuerzuschüsse zur Riesterrente) und Peitsche (drohende Altersarmut) auf den privaten Versicherungs- und Kapitalmarkt getrieben. Dies ist - neben der Ersparnis bei den Lohnnebenkosten für die Unternehmerseite - der zweite, wahre Grund für die Demontage in allen Sozialsystemen: Die Geschäfte der Banken und Versicherungskonzerne sollen angekurbelt werden. Zudem wollen die Macher aus Kabinett und Konzernen der Elite der Arbeiter und Angestellten Kapital- und Renditedenken angewöhnen. Nicht mehr die direkte Lohnhöhe soll sie interessieren, sondern die besseren Gewinnbedingungen ihrer Rentenfonds - was sich oftmals gegenseitig beißt.

Die Versicherungskonzerne jubeln zur Zeit über Zuwachsraten bei den Neuabschlüssen für private Rentenverträge, acht Millionen neue Kunden sollen bisher auf Grund der Riester-Förderungskriterien gewonnen worden sein. Doch wer fragt nach all jenen, die von ihren kargen Nettolöhnen oder gar von der Arbeitslosenunterstützung keine monatlichen Prämien abzweigen können? 41 Millionen Erwerbspersonen in der BRD weist die Statistik für 2005 aus, davon sind 34 Millionen als "Arbeitnehmer" angegeben. Demnach haben mehr als drei Viertel aller Lohnabhängigen und wohl auch ein Großteil der Nichtberufstätigen sowie der kleinen Selbständigen bisher keine Zusatzrenten erwerben können.

Die Altersarmut wird wieder ein Massenphänomen werden, wenn nicht kollektiver Widerstand die Regierenden zur Besinnung bringt oder sie auswechselt. Da gibt es zur Zeit einen kleinen Hoffnungsschimmer: In den letzten Januar- tagen 2007 sind quer durch die Republik an die hunderttausend Beschäftigte auf die Straßen gegangen, um gegen die erste Lesung des Gesetzes zur Rente mit 67 zu protestieren. IG Metall und Ver.di hatten endlich einmal gegen ein Sozialkürzungsvorhaben mobilisiert. Die IG-Metall-Spitze hatte auch nicht mehr verhindert, daß es in Betrieben zu spontanen Arbeitsniederlegungen kam.

Verhältnisse wie in Frankreich, wo ein derartiges Regierungsvorhaben einer Rentenenteignung wohl mit einem längeren Generalstreik beantwortet worden wäre, der das Land lahmgelegt hätte, haben wir hierzulande noch lange nicht. Aber die Wut unter den Beschäftigten wächst. Die Gewerkschaften würden sich selbst überflüssig machen, wenn sie - wie so oft in der Vergangenheit, zum Beispiel bei Einführung der Riester-Rentenkürzung - abwiegeln würden.

Die Arbeitgeberseite behauptet, diese Warnstreiks seien politische Streiks und widersprächen deshalb dem Grundgesetz. Eines ihrer Sprachrohre, die FAZ, dekretiert: "Politische Streiks, also der Einsatz der Streikwaffe gegen die Bundesregierung oder den Bundestag, sind Â… verboten. Das war eine der Konsequenzen, die im Grundgesetz aus den leidvollen Erfahrungen der Weimarer Republik gezogen wurden." Beide Argumente sind falsch. Weder findet sich im Text des Grundgesetzes ein Verbot des politischen Streiks, noch ist wie im vorliegenden Fall eine von der Regierung geplante Rentenkürzung etwas "nur Politisches". Denn schließlich sind Sozialabgaben und daraus erworbene Ansprüche Bestandteile des Arbeitsvertrages und des Lohnes. Deshalb ist es mehr als legitim, auf deren Teilenteignung auch mit Arbeitskampfmaßnahmen zu reagieren. Die Politik betätigt sich hier - wie so oft - als Agent der Unternehmer, weshalb gegen beide auch mit Arbeitskampfmaßnahmen geantwortet werden muß.

Die Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie die europäische Menschenrechts- und Sozialrechts-Charta sehen beide das Streikrecht ohne Einschränkungen als soziales Menschenrecht vor.

Die meisten Beschäftigten in den Betrieben wissen inzwischen, daß sie von der Bild-Zeitung bis zum Fernsehen nur noch hinters Licht geführt werden. Von ihrer Gewerkschaft aber verlangen sie ehrliche Aufklärung über die Verarmungsstrategien der Regierenden. Keine Beschönigungen und Verschleierungen mehr wie immer wieder in den rot-grünen Zeiten. Sie wollen nicht in Armut und Not ihren Lebensabend verbringen. Aber genau das folgt aus den neuen Kürzungsgesetzen wie der Rente mit 67, immer noch vorgeschlagen von SPD- und oft Gewerkschaftsmitgliedern in Regierungsämtern. Dagegen muß gekämpft werden, auch mit Produktionslahmlegungen, möglichst mit Hilfe der Gewerkschaften. Sonst sind auch sie nicht mehr zu gebrauchen - wie inzwischen fast die ganze kaputtgeschröderte SPD.