Nun also dürfen sie wieder mitspielen, die Berliner Mitregierungssozialisten. Ein schlechtes Gewissen müssen sie dabei nicht haben, denn eine Landesfunktionärskonferenz (vulgo: Landesparteitag) ...
...
hatte mit überwältigender Mehrheit diesen Schritt gutgeheißen. Wer da eventuell gehofft/befürchtet/geglaubt/erwartet/gewünscht hatte (je nach Gusto Zutreffendes unterstreichen), die PDS würde aus dem vorangegangenen Wahldebakel Konsequenzen ziehen, hatte sich geirrt.
Die Jung- und Mitteljung-PDSler um Senator Harald Wolf, Klaus Lederer, Stefan Liebich und andere bekommen zwar durchweg Allergiepickel, wenn sie auf das Thema SED-Vergangenheit angesprochen werden; aber die Ironie der Geschichte will es, daß sie gerade diesen von ihnen so Ungeliebten ihre innerparteilichen Abstimmungserfolge verdanken: Denn ein in "der Partei" sozialisierter Genosse, ein der SED-Parteidisziplin unterworfen gewesenes PDS-Mitglied, stimmt nicht so schnell gegen "die Partei", es stimmt nicht gegen Beschlußvorlagen, die aus Vorstandsstuben kommen. Das gehört sich einfach nicht.
Der Start der neuen Berliner Provinzialregierung war zum Gaudi vieler etwas verstolpert. Doch das ist in der schnellebigen Zeit inzwischen der Schnee von gestern. Gewählt ist gewählt, auch wenn es erst im zweiten Anlauf war. Zu klären wäre höchstens noch, aus welcher Fraktion die beiden Abweichler kamen, die sich der Fraktionsdisziplin entzogen. Möglicherweise werden wir das nie erfahren. Und eigentlich ist es auch gar nicht so wichtig. Aber wissen möchteÂ’s i scho Â…
Als erstes wurden wieder Wohnungen verkauft. Was interessiert die Genossen ihr Geschwätz aus dem Wahlkampf? Jetzt wird regiert! Und wie! Eine Vorstellung davon, wohin der Hase läuft beziehungsweise auf welche Spur er geschickt worden ist, vermittelte der PDS-Landesvorsitzende Klaus Lederer in einem Interview, das die Zeitung Neues Deutschland mit ihm über Wasserpreise, Müllabfuhr und Sparkassen führte. Eigentlich müßte man dieses Interview hier in voller Gänze darbieten, indes: Wir müssen uns aus Platzgründen mit Kernsätzen begnügen. Die sind, selbstredend, aus dem Zusammenhang gerissen. Doch diese Sätze sind auch ohne "Zusammenhang" von seltener Klarheit - unverschwiemelt und sehr praxisorientiert.
Sie hörÂ’n die Aufnahme:
"Wer öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge halten will, muss wirtschaftlich agieren."
"Wirtschaftlich agieren"? Das ist doch eine Binsenweisheit. Oder meint der Interviewte etwas ganz anderes, als er sagt?
"Die so verursachten Preissteigerungen ließen den Wasserverbrauch immer weiter zurückgehen. Die Fixkosten der Infrastruktur bleiben aber gleich teuer - egal wie viel Kubikmeter Wasser hindurchfließen. Weil aber die Fixkosten einen großen Anteil am Gesamtpreis haben, wird der Kubikmeter Wasser teurer. Sinkt der Wasserverbrauch weiter, dreht sich die Spirale weiter nach oben."
Unter "Wirtschaftlich agieren" versteht man landläufig den verantwortungsbewußten und vernünftigen Umgang - hier mit den öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge. Das meint Klaus Lederer aber offensichtlich gar nicht. Er meint: Es solle "sich rechnen". So ein Grundseminar in kapitalistischer Produktionsweise hatten wir seit langem nicht.
Lederer ist vielleicht zu jung, um zu wissen, daß öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge viele Jahrzehnte lang - auch in Staatswesen, in denen die kapitalistische Produktionsweise obwaltete - sich nicht haben "rechnen" müssen. Auf den heutigen Universitäten wird allerdings mitunter vergessen, dergleichen mitzuteilen.
Früher sicherten öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge das Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise. Denn diese Unternehmen halfen, den Preis der Ware Arbeitskraft niedrigzuhalten, indem sie ihre Leistungen für wohlfeile Preise verkauften, so daß die Mehrwertproduzierenden weniger benötigten, um sich selbst zu reproduzieren. Sogar Sozialschwache konnten ein Leben auf zivilisatorischem Mindeststandard führen. Die Defizite bei diesen Unternehmen wurden subventioniert. Diese Subventionen bezahlten per Steuererklärung alle Teile der Gesellschaft, nicht zuletzt die großen Unternehmen, die heute die Politik - Rettet den Standort! - aber weitgehend von Steuern freigestellt hat.
Womit die Gier aber nur weiter angeheizt wurde. Denn laut neoliberalen Doktrinären reicht die klassische Mehrwertproduktion als Quelle, um Profitgier zu befriedigen - sie sagen es freundlicher -, nicht mehr aus. Deshalb werden die öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge privatisiert und in Anstalten zur Ausplünderung ganzer Bevölkerungen verwandelt. Nichts anderes heißt: sich rechnen müssen, oder, um in der regierungssozialistischen Diktion Klaus Lederers zu bleiben: "wirtschaftlich agieren". Die Wasserbetriebe haben einen garantierten Gewinn abzuführen; wird der nicht erzielt, werden die Verbraucher noch ein Stückchen mehr ausgenommen. Klaus Lederer akzeptiert in seinem Interview ganz augenscheinlich diese Doktrin; auf ihrer Grundlage argumentiert er dann völlig logisch - in der Logik des Neoliberalismus.
Garantierter Gewinn und Marktwirtschaft schließen sich - das wissen auch die Neoliberalen - aus. In der Marktwirtschaft gibt es keine Garantien. "Garantien" gibt es nur in der Staatswirtschaft. Außer in Berlin. Hier wird mit staatswirtschaftlichen Methoden eine Marktwirtschaft simuliert, die ohne Markt, aber dafür mit sehr, sehr viel Staat funktioniert.
Doch Klaus Lederer hat in dem Interview nicht allein schlicht neoliberal vor sich hinagitiert - wobei es ungerecht wäre zu sagen, daß man von einem Konvertiten ohnehin mehr erwarten darf. Der Mann ist kein Konvertit. Er hat wahrscheinlich nie etwas anderes kennengelernt als die Logik des Neoliberalismus - wie so viele Kader des PDS-Nachwuchses.
"Wir führen auch Anschluss- und Benutzerzwang ein, um Unternehmen, die überlegen, eigene Brunnen zu bauen, den Ausstieg aus der Solidarpreisgemeinschaft zu verwehren."
Offenkundig bedarf unterdessen die neoliberal zugerichtete Wirtschaft, deren Doktrinäre ständig die "Freiheit" über alles andere stellen, der Abschaffung der Freiheit, um weiter zu funktionieren. Natürlich im Interesse der Zurückdrängung der staatlichen Lotterwirtschaft. Notfalls mit Methoden der Staatswirtschaft. Aber immer im Namen der Freiheit.
Damit es den PDS-Wählern nicht so wehtut, ruft Lederer nun nach "Solidarität": Solidarisch verhält sich, wer nicht egoistisch aus der Gemeinschaft der Ausplünderungsopfer flieht. Notfalls wird mit Zwang nachgeholfen. Das kennen die meisten der Berliner PDS-Parteitagsdelegierten noch von vor 1989. Auch damals haben sie (fast) alles mitgetragen.
in: Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 25. Dezember 2006, Heft 26
aus dem Inhalt:
Wolfgang Sabath: Wirtschaftlich agieren; Heerke Hummel: Veraffung des Menschen? Martin Nicklaus: Berlin, ganz privat; Erhard Crome: Terrorismus-Legenden; Gerd Kaiser: Springer im Land;, Gertrud Eggert, Peking: Mädchenmangel; Klaus Hart, São Paulo: Kindermord; Detlef Kannapin: Eine schöne Erkenntnis; Helmut Höge: Unter Immortalisten; Renate Hoffmann: Flöhe