Über die Rolle der "internationalen Gemeinschaft", insbesondere Deutschlands im Zusammenhang mit dem Krieg im Libanon.
Am 20. September 2006 stimmte der Bundestag in Berlin mehrheitlich für das was längst schon feststand, die Bundeswehr wird sich an der UN-Truppe im Libanon (UNIFIL) mit bis zu 2400 Soldatinnen und Soldaten beteiligen. Diese hatten bereits die Koffer gepackt und schon am nächsten Tag brachen zwei Fregatten, vier Schnellboote und zwei Versorgungsschiffe mit 1000 Soldaten an Bord von Wilhelmshaven Richtung Mittelmeer auf. Politische Entscheidungen des Parlaments verkommen zur reinen Formalie, wenn ein Tag nach der Entscheidung Schiffe vollbesetzt auslaufen. Die Medienberichterstattung des 21. Septembers konzentrierte sich auf anrührende Bilder von zurückbleibenden Partnerinnen und Kindern der Soldaten und Kanzlerin Merkel, die vor diesem Hintergrund erklärte, dass die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr für deren gewachsene Aufgabengebiete nicht mehr ausreiche. Die Einstimmung der Bevölkerung auf höhere Militärausgabe mit der Fürsorge für Soldaten und ihre Angehörigen zu begründen ist nicht neu, aber dennoch emotional effektiv. Wenn Merkel davon redet, die Mittel, die Deutschland derzeit für seine Verteidigung aufwende, seien "auf mittlere und längere Sicht nicht ausreichend", dann meint sie damit jedoch weniger das Wohl der Soldaten, es geht ihr wohl eher um die Möglichkeit militärische Machtpolitik auszuüben. "Es müssten die militärischen Fähigkeiten mit den Notwendigkeiten in Einklang gebracht werden, um politische Verantwortung zu übernehmen."(1)
Die Frage, ob es überhaupt nötig oder gar sinnvoll ist, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken, gerät zur Nebensache. Am 11. August verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1701. In ihrem Rahmen sollen die deutschen Soldaten Unterstützung bei der Absicherung der seeseitigen Grenzen leisten. Waffenschmuggel fand allerdings bisher vorwiegend über den Landweg statt. Es ist einerseits sehr unwahrscheinlich, dass sich dies ändern wird, andererseits ist Waffenschmuggel insgesamt schwer zu stoppen, wenn die entsprechenden Akteure die Unterstützung der Bevölkerung haben. Selbst in den hermetisch abgeriegelten Gaza-Streifen schmuggelten militante Kräfte Katyuscha-Raketen. Glücklicherweise schließt bis jetzt keine der bisher angedachten Anti-Schmuggel-Strategien ein Gaza-Szenario ein. Der militärische Sinn einer deutschen Präsenz vor dem Libanon ist also mehr als zweifelhaft. Erreicht wird durch den Einsatz der Bundeswehr in der Region Naher Osten aber auf jeden Fall eine völlige Enttabuisierung deutscher Militäreinsätze. Nach diesem Einsatz ist weltweit keine Region mehr denkbar in der aus welchen moralischen Gründen auch immer deutsche Soldaten NICHT eingesetzt werden können.
Die Kosten für den deutschen Einsatz werden auf 200 Millionen angesetzt, die italienische Regierung setzt ihre Kosten bis August 2007 mit ca. 800 Millionen an (NZZ, 31.8.2006). Allein die Einsatz-Kosten dieser zwei Länder sind somit höher als die für den Wiederaufbau versprochenen Gelder der Geberkonferenz. Timur Goksel, ein ehemaliger Blauhelm-Sprecher, spricht das aus was viele zivile Organisationen bewegt, er bezweifelt den Sinn des großen Marineeinsatzes, den die Deutschen leiten werden. Viel dringender sei es die "Minen und Streubomben wegzuräumen. ... Da brauchen wir umfangreiche Hilfe. Was derzeit in diesem Bereich passiert, ist längst nicht genug, es ist eine sehr mühselige Arbeit. Dies hätte Deutschland übernehmen können, ohne Soldaten zu schicken. In diesem Bereich den Menschen technische Hilfe zu geben, wäre etwas gewesen, das den Libanesen viel mehr bedeutet hätte." (Tagesschau, 20.09.2006)
Die deutsche Beteiligung am UNIFIL-Einsatz und besonders ihre Begründung lässt in der Region erhebliche Zweifel an der Neutralität des Einsatzes aufkommen. "Die Deutschen haben erklärt, dass sie mit ihrer Mission das Ziel verfolgten, Israel zu schützen", erklärte der syrische Staatschef Assad in einem Interview mit der spanischen Zeitung El País. "Damit disqualifizieren sie ihren Einsatz selbst."(2) Assad fürchtet offensichtlich auch um den syrischen Einfluss auf die Innenpolitik und die Ökonomie des Libanon. Gerade letztere könnte durch die UN-Truppen tatsächlich beeinträchtig werden. Es ist davon auszugehen, dass Warenlieferungen zwischen dem Libanon und Syrien auf dem Land- oder auf dem Seeweg genau kontrolliert werden. Verzögerungen und Störungen auch der zivilen Transporte sind dabei sehr wahrscheinlich. Dass Frankreich, Deutschland und Italien sowohl maßgebliche Truppensteller als auch maßgebliche Handelspartner des Libanon sind, stärkt ihre Glaubwürdigkeit nicht unbedingt. Am meisten diskreditiert haben sich wesentliche Truppensteller der UNIFIL-Truppe aber durch ihr langes Zögern einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern.
Schweigen macht zu Komplizen
Das Leid der Bevölkerung im Libanon und in Israel während des Libanonkriegs war von Anfang an nicht zu übersehen. Die Hisbollah-Milizen haben während des Libanonkriegs vorsätzlich Zivilpersonen und zivile Objekte in Israel unter Beschuss genommen und in anderen Fällen nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden. Völkerrechtlich ist beides als Kriegsverbrechen zu beurteilen. Ein Bericht von amnesty international (ai) kommt zu dieser eindeutigen Einschätzung.(3) Katyuschas töteten 43 (sieben davon Kinder) und verletzten über 4.000 Zivilisten im Norden Israels. 19 der Opfer waren arabische Israelis. Auch zwölf Soldaten wurden Opfer von Katyuscha-Angriffen. Etwas mehr als hundert weitere Soldaten starben in Kampfhandlungen mit der Hisbollah, durch Unfälle und in einem Fall durch eine israelische Mine aus dem letzten Libanonkrieg.
Über tausend Zivilisten starben im Libanon, ein Drittel davon waren Kinder. Die libanesische Armee war keine Kriegspartei, dennoch starben ca. 30 Soldaten. Die Hisbollah gibt 80 unter ihren Kämpfern an, während die israelische Armee von über 500 getöteten Hisbollahkämpfern berichtete. Fest steht, dass der größte Teil der Opfer im Libanon Zivilisten waren. Die Kampfhandlungen zwangen in Israel bis zu 500.000 und im Libanon eine Million Menschen in die Flucht.
Warum fiel es den meisten westlichen Staaten so schwer angesichts des unsäglichen Leids der betroffenen Menschen im Libanon und in Israel von beiden Konfliktparteien einen bedingungslosen und sofortigen Waffenstillstand zu verlangen?
Ein zentraler Punkt ist wohl die starke Kompromittierung der USA und vieler EU-Staaten durch ihre eigene Interventionspolitik. Die "Logik" des "Krieges gegen den Terror" ist in ihrer brachialen Machtausübung und Ignoranz gegenüber völkerrechtlichen Bestimmungen nicht grundlegend vom Vorgehen der israelischen Armee zu unterscheiden. Auch die Systematik der Kriegsführung, die unten anhand der Luftkriegskonzepte genauer ausgeführt wird, unterscheidet sich kaum. Weder die israelische Regierung noch die "Anti-Terror-Allianz" stellen die Tauglichkeit von Militäreinsätzen zur Herstellung von "Sicherheit" in Frage.
Die US-Regierung, aber auch die Verantwortlichen in Berlin und London erhofften mehr oder weniger offen, dass die israelische Armee im Libanon eine "Lösung des Problems Hisbollah" herbeiführen könne. Erst wenn Hisbollah als Machtfaktor ausgeschaltet wäre, könnte man einen "nachthaltigen Waffenstillstand" fordern, hieß es noch Anfang August nach gut drei Wochen Krieg. "Die Bundesregierung gibt einer dauerhaften Lösung im Nahen Osten weiter den Vorzug vor einem sofortigen Waffenstillstand." (afp/dpa 2.8.2006) Eine solche Haltung kann wohl nicht isoliert aus dem Libanonkrieg heraus verstanden werden. Möglicherweise ging es auch um den Versuch mit Hilfe der israelischen Armee den Iran zu isolieren. Wenn Hisbollah als Machtfaktor ausgeschaltet wird, dann verändert dies die Ausgangslage für einen möglichen Iran-Krieg. Seymour Hersh zitierte im April 2006 in einem Artikel im New Yorker Analysen, dass bei einem Irankrieg Hisbollah "nicht beiseite stehen werde. Wenn die Israelis diese nicht ausschalten, werden sie gegen uns mobilisieren." Hersh vermerkte weiter: "Als ich den Regierungsberater über diese Möglichkeit befragte, sagte er, für den Fall, dass Hisbollah ins nördliche Israel schieße, würden 'Israel und die neue libanesische Regierung diese ausschalten ("finish them off")'".(4) Die Kooperationswilligkeit der Beiruter Regierung wurde offensichtlich falsch eingeschätzt, dennoch wird so klar, warum die Aktionen der israelischen Armee von der US-Regierung und ihren Verbündeten nicht sofort abgelehnt wurden. Auch wenn die Hisbollah sich nun nach Ende des Krieges als Sieger feiert, ist auch klar, dass sie in nächster Zeit (auch wenn sie nicht abgerüstet wird - wie auch immer dies umgesetzt werden soll) sehr zögerlich sein wird, nochmals israelisches Territorium anzugreifen. Am 28. August erklärte Sayyid Hassan Nasrallah in einem Interview im libanesischen Fernsehen, "dass seine Organisation am 12. Juli die israelischen Soldaten nicht gefangen genommen hätte, wenn er die Folgen vorausgesehen hätte. ... Er versucht damit auch Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die den Hizbullah des Abenteurertums bezichtigt hatten." (NZZ 29.8.2006) Mit dieser eher defensiven Haltung versucht der Hisbollah-Chef die macht seiner Organisation im Libanon zu sichern, es ist aber auch klar, dass damit die israelische Armee (und ihre mehr oder weniger offenen Unterstützer) die Hisbollah zwar nicht ausgeschaltet, aber doch für absehbare Zeit als möglicher Verbündeter des Iran geschwächt haben.
"Effect-based Operations"
Wer bei den Medienberichten über Bombardierungen von Kraftwerken, Straßen und Brücken im Libanon ein Déjà vu hatte und sich daran erinnerte vergleichbare Kriegsszenarien schon im NATO-Angriffskrieg auf Jugoslawien und im zweiten Irakkrieg beobachtet zu haben, der lag nicht völlig falsch. Die Zerstörungen im Norden Israels und die Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur waren wie oben aufgeführt ein Kriegsverbrechen. Die Angriffe auf den Libanon waren jedoch mehr als eine wahllose Zerstörung und Gefährdung von Zivilisten. Besonders während der ersten zehn Tage des Krieges, die fast ausschließlich aus Luftschlägen bestanden, fiel sowohl der Bevölkerung im Libanon als auch dort tätigen Hilfsorganisationen auf, dass die Angriffe einem Muster folgten. Amnesty International (ai) stellte in einer umfassenden Studie die Frage "Deliberate destruction or 'collateral damage'?" (Absichtliche Zerstörung oder "Kollateralschäden"?). Hinter den Angriffen der israelischen Armee auf zivile Infrastruktur vermutete ai die Absicht der systematischen Demoralisierung der Bevölkerung, um so dies Hisbollah zu schwächen. "Die weit verbreitete Zerstörung von Wohnungen, Häusern, Elektrizitäts- und Wasserversorgungseinrichtungen, Straßen, Brücken, Fabriken und Häfen, zusätzlich zu verschiedenen Äußerungen israelischer Regierungsvertreter lässt eine Strategie gegenüber der libanesischen Regierung sowie der Zivilbevölkerung vermuten, die diese dazu bringen soll gegen die Hisbollah vorzugehen."(5)
Tatsächlich war die Zielauswahl weder in diesem Krieg noch im Jugoslawienkrieg oder auch in der ersten Phase des jüngsten Irakkriegs ein Zufall, sondern beruhte auf der Theorie des "Effect Based Warfare", die von Colonel John A. Warden(6) formuliert wurde und heute zum zentralen Ausbildungsbestandteil vieler Offiziere in westlichen Armeen gehört. "Es macht zudem den Anschein, ... dass Israel mit seinen Angriffen auf Ziele im Herzen Libanons das von den USA entwickelte Konzept der sogenannten "Effects-based Operations" anwendet." (NZZ 22.7.2006) Es geht dabei darum, den jeweiligen "Gegner als System" zu sehen. "Das Ziel ist es, ein solches Ausmaß an Lähmung/Zerstörung oder Auflösung der zivilen und militärischen Fähigkeiten des Gegners zu verursachen, dass der Feind den Willen oder die Fähigkeit verliert den Konflikt fortzusetzen."(7) Die Reihenfolge zuerst zivil dann militärisch in diesem Zitat ist kein Zufall, die Zielauswahl wird einer so genannten "Fünf-Ring-Analyse" vorgenommen, wobei die "vitalen" Ziele des Systems (=Gegners) mit Prioritäten von eines (zentral wichtig) bis fünf (weniger wichtig) versehen werden.
"Angriffsschwerpunkte werden entsprechend der folgenden Kategorien definiert:
1. Führung (C41)
2. Produktion/Industrie
3. Transport
4. Bevölkerung
5. Militär"(8)
Diese Analyse galt nur noch eingeschränkt, nachdem die israelische Regierung auf Drängen der Armeeführung Bodentruppen in den Süden Libanons schickte. Doch die systematische Zerstörung ziviler Infrastruktur wie Straßen, Brücken, Elektrizitätswerke oder Treibstoffdepots stellte in den folgenden Kriegswochen ein massives Problem für die Versorgung der Zivilbevölkerung dar. Nahrungsmitteltransport wurde schwierig, Fluchtwege waren versperrt, Versorgung von Verletzten war häufig nahezu unmöglich und Krankenhäuser konnten ohne Strom nur eingeschränkt arbeiten. Leider ist nicht davon auszugehen, dass an dieser Form der Kriegsführung von Seiten der USA oder der EU ernstzunehmende Kritik kommt - müsste man doch dann die eigene Kriegsführung ebenfalls kritisieren. Die einzige Kritik an der Prioritätensetzung bei den ausgewählten Zielen kam bisher vom israelischen Militär. Die meisten Katyushas wurden von stationären Basen abgeschossen, da diese aber nicht die primären Ziele der Armee waren, hat nach Ansicht des israelischen Militärberichterstatters Zeev Schiff, die israelische Armee "ihre Chance verspielt, die Kurzstreckenraketen zu zerstören"(Haaretz 3.9.2006).
Streubomben
Kriege sind nie sauber und präzise, es gibt jedoch Waffensysteme, die in besonders rücksichtsloser Weise vor allem die Zivilbevölkerung beeinträchtigen, dazu gehören Streubomben. Streumunition ist nicht international geächtet, sie gilt jedoch als unvereinbar mit dem humanitären Völkerrecht, da sie großflächig und damit unterschiedslos gegen Kombattanten und Zivilisten wirken und da die Blindgänger noch Jahre nach einem Krieg als Minen töten und verstümmeln können. Die meiste Streumunition wurde am Ende des Libanonkrieges eingesetzt. In den Tagen zwischen der Verabschiedung der UN-Resolution und dem Beginn des Waffenstillstands warf die israelische Armee vor allem über Dörfern im Süden des Libanon Streumunition ab. Vorgeblich um eine schnelle Rückkehr der Hisbollah zu verhindern.
Schon zu Beginn des Libanonkrieges warnte Human Rights Watch, dass Streumunition im Libanon zum Einsatz kommt und dokumentierte dies umfangreich. Doch auch hier fiel es der "internationalen Gemeinschaft" offensichtlich schwer klar Position zu beziehen. Denn auch hier hätte der mahnende Zeigefinger auf die israelische Kriegspolitik bedeutet, dass mehrere Finger auf die eigenen Kriegsstrategien zurückgezeigt hätten. Im NATO-Krieg gegen Jugoslawien waren Streubomben verantwortlich für ¼ der zivilen Opfer, die Opferbilanz der Streubomben, die 2001/2 im "Antiterrorkrieg" gegen Afghanistan eingesetzt wurden, ist heute noch nicht abgeschlossen, und im Krieg gegen den Irak 2003 waren Streubomben der größte einzelne Faktor für zivile Opfer.
Bis jetzt hat das UN Mine Action Coordination Center (MACC) mehr als 500 Orte im Libanon identifiziert, auf die wahrscheinlich mehr als 1 Million nicht detonierter Sprengkörper verteilt sind, diese Stellen müssen nun systematisch nach nicht explodierten Sprengkörpern durchsucht werden. Bereits innerhalb des ersten Monats nach Ende des Krieges wurden 92 Zivilisten Opfer bei Unfällen mit Streubomben, über ein Drittel waren Kinder.(9) Ende September 2006 konnten noch über 200.000 Menschen auf Grund von Streubomben nicht in ihre Dörfer oder Höfe zurückkehren.(10)
Das israelische Militär hatte Streubomben bereits bei der Libanoninvasion 1982 eingesetzt. Damals verhängte die US-Regierung einen Lieferstopp für die Dauer von sechs Jahren. Auch im aktuellen Fall hat das US-Außenministerium eine Untersuchung über einen möglichen "illegalen" Einsatz von Munition aus US-Produktion angeordnet. Beobachter rechnen jedoch nicht mit Konsequenzen.
Glaubwürdige Politik?
Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels ist die UNO-Resolution noch weit davon entfernt wirklich umgesetzt zu werden. Die zwei entführten israelischen Soldaten sind immer noch nicht befreit und die israelische Armee ist noch nicht vollständig aus dem Libanon abgezogen. Auch wenn die meisten Soldaten wieder in Israel sind, so sind doch entgegen der meisten Medienberichte israelische Soldaten nicht nur in den Schebaa-Farmen nach wie vor präsent, auch im Dorf Ghajar an der syrisch/libanesischen Grenze stehen "noch einige Dutzend israelische Soldaten und Offiziere" (NZZ, 2.10.2006). Doch weder die Befreiung der Entführten oder der Abzug der Soldaten, noch die Entwaffnung der Hisbollah sind Aufgaben, die von einer UNIFIL (oder auch jeder anderen) Truppe gewaltsam umgesetzt werden könnten.
Ohne einen umfassenden politischen Prozess wird es keinen dauerhaften Frieden und keine Sicherheit in der Region geben, weder für die Menschen in Israel, noch in den anderen Staaten der Region. Eine tragfähige Lösung muss die Demokratisierung des Libanon genauso einschließen, wie die Schaffung eines lebensfähigen Palästinenserstaates sowie Sicherheitsgarantien und Abrüstungsvereinbarungen für den gesamten Mittleren Osten. Weitere Waffenlieferungen oder einseitige Parteinahmen sind hierfür Gift.
Leider liefern westliche Staaten - nicht zuletzt Deutschland - nach wie vor Rüstungsgüter in die Region. Der Verkauf von zwei weiteren deutschen U-Booten an Israel oder die Lieferung von Eurofightern an Saudi-Arabien sind lediglich zwei aktuelle Beispiele für die Aufrüstungsspirale im Nahen Osten, die von außen immer weiter angetrieben wird. Das TV-Magazin Monitor berichtete am 27. Juli 2006, dass deutsche Waffen ihre Wege zu beiden Konfliktparteien gefunden hatten. Der israelische Standard-Kampfpanzer vom Typ "Merkava" fährt mit einem deutschen Motor. Seine 120-mm-Granaten verschießt er mit einer in Deutschland entwickelten Kanone. Die Panzerabwehr-Raketen vom deutsch-französischen Typ Milan wiederum stellten die größte Gefahr für die Merkava-Panzer dar. Zwischen 1999 und 2004 kamen Waffenexporte in Höhe von mindestens 1,6 Milliarden in den Nahen Osten.
Aufgrund ihrer großen moralischen Verantwortung für die Entstehung und die Aufrechterhaltung der Kriege und Krisen im Nahen Osten, sind deutsche Soldaten das denkbar schlechteste und unglaubwürdigste Mittel zur Deeskalation. Ein wesentlicher Schritt zur Vorbereitung einer Lösung könnte ein umfassendes ziviles Wiederaufbauprogramm für alle Opfer des Libanonkrieges sein, das weit über die Zusagen der Geberkonferenz hinausgeht und direkt bei den Betroffenen ankommt. Die Menschen im Süden des Libanon erleben bis jetzt fast ausschließlich die Hisbollah als Helfer. So wird kaum Akzeptanz geschweige denn Unterstützung für eine Schwächung der Hisbollah zu mobilisieren sein.
Wichtig ist deswegen eine glaubwürdige Politik mit einer generellen Abkehr von doppelten Standards. Dazu gehört auch eine Abkehr von selektiven Sicherheitskonzepten und selektiver Menschenrechtsauslegung. Der Protest darf sich dabei nicht allein gegen die israelische Militärpolitik richten sondern gegen die gesamte westliche Militär- und Antiterrorpolitik.
(1) Financial Times Deutschland Online 20.9.2006, http://www.ftd.de/politik/deutschland/114777.html?zid=82973
(2) Der Standard 1.10.2006 http://derstandard.at/?url=/?id=2607262
(3) Vgl.: http://web.amnesty.org/library/Index/ENGMDE020252006
(4) Seymour Hersh, THE IRAN PLANS, New Yorker 17.4.2006 (Übersetzung C.H.).
(5) http://web.amnesty.org/library/print/ENGMDE180072006
(6) Colonel John A. Warden: The enemy as a system, Airpower Journal Spring 1995
(7) Maj K. Noedskov, Systematizing Effect Based Air Operations, Air & Space Power Journal, 24 May 2000.
(8) Ebd.
(9) Handicap International e.V. 20.9.2006, http://www.streubomben.de/handeln/libanon1.html
(10) Libanesische Regierung/Higher Relief Council: http://www.lebanonundersiege.gov.lb/english/F/eNews/NewsArticle.asp?CNewsID=387