Summer of Resistance reloaded?

Studierendenproteste in Hessen, NRW, Bayern und Hamburg gewinnen an Dynamik

Sie lagen schon verstaubt in Kleiderschränken oder wurden ausgeleiert und verwaschen als Nachthemden verwendet. Doch seit einigen Wochen sieht man sie wieder, auf der Straße bei Demonstrationen ...

... und Blockaden: Die gelben T-Shirt des studentischen "Summer of Resistance" 2005. Denn seit einigen Wochen protestieren Studierende bundesweit verstärkt gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren. Steht ein neuer "Summer of Resistance" vor der Tür? Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass bundesweit die Studierenden mit Protesten, vor allem in Hamburg und Baden-Württemberg, auf sich aufmerksam machten. Doch wie so oft verhallte ihr Protest ungehört. Am 15.12.05 beschloss der baden-württembergische Landtag die Einführung allgemeiner Studiengebühren zum Sommersemester 2007. In Hamburg führten die Proteste zwar immerhin zu einer Verschiebung der geplanten Einführung, jedoch ist dort bisher nicht einmal eine Ausnahmeregelung für BAföG-EmpfängerInnen vorgesehen. Ruhig war es im Wintersemester um die Studierenden geworden. Fast scheint es so, als könne der studentische Kampfgeist inzwischen nur noch durch starke Lichteinstrahlung erweckt werden. Denn mit den ersten warmen Tagen des Jahres erwachte auch der studentische Protest in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bayern aus seinem Winterschlaf.

Studiengebühren bald bundesweit?

Dabei zeigen sich die gleichen Probleme wie im vergangenen Sommer. Seit der Aufhebung des Verbots allgemeiner Studiengebühren durch das Bundesverfassungsgericht am 26.1.05 können die Länder Gebühren erheben. Dies führt zu äußerst unterschiedlichen Gebührenplänen und daher stark unterschiedlichen Kampffeldern. So erscheinen Studiengebühren im Osten der Republik noch in weiter Ferne. Dagegen sind in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Studiengebühren bereits beschlossen wurden. Jedoch liegt die Entscheidung in NRW bei den Hochschulsenaten. Dies führt zu der absurden Situation, dass die Hochschulen sich einerseits in Wettbewerb gesetzt sehen, andererseits die Auseinandersetzung um die Erhebung nun konkret an den Hochschulen stattfindet. Doch bisher sind alle Versuche der Studierenden, Gebühren durch Besetzungen der Rektorate und Blockaden der entscheidenden Senatssitzungen zu verhindern, gescheitert. In Köln und Bonn war dafür immerhin ein Versteckspiel mit den Studierenden von Nöten: Für die neu angesetzten Sitzungen wurden sämtliche SenatorInnen an unterschiedliche Straßenecken bestellt und von Fahrdiensten abgeholt, um zum geheimen Tagungsort zu gelangen. Dort angekommen, mussten sie zumindest in Köln eine kurzfristige Blockade des Tagungsortes durch einige hundert Studierende, die informiert worden waren, erdulden.

Sozialer Ungehorsam statt "Lucky Streik"

Gerade in Nordrhein-Westfalen ist jedoch eine massenhafte Mobilisierung bislang nicht gelungen. Doch die Proteste sind in Bewegung geraten. Dabei wird auf ähnlich Elemente wie im "Summer of Resistance" zurückgegriffen. Im "Summer of Resistance" wurde versucht, andere gesellschaftliche Akteure in die Proteste stärker mit einzubeziehen und den Protest im Alltag, z.B. durch die gelben T-Shirts, präsent zu machen. Zudem baut man nicht mehr wie im "Lucky Streik" 1997/98 vor allem auf "Bildung geht baden"-Bettelaktionen, sondern ergreift, wie im Winterstreik 2003/04 in Berlin und Hamburg erprobt, die Initiative in Form des zivilen Ungehorsams. So gelangen vor allem in Hessen die Proteste in die Schlagzeilen. Ob Autobahn- oder Gleisblockade, Parteibüro- oder Uni-Turmbesetzung, spontane oder angemeldete Demonstrationen. Für alle ist etwas dabei. Und die Luft scheint den Studierenden in Hessen so schnell nicht aus zu gehen. Dies liegt sicher auch am CDU-Wissenschaftsminister Udo Corts, der kein Blatt vor den Mund nimmt und die Studierenden fast schon anstachelt, wenn er erklärt: "Wir haben eine Mehrheit. Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie und am Ende wird ein Parlament entscheiden und nicht die Straße." Solche Aussagen erinnern stark an die Auseinandersetzungen um den Contrat Première Embauche (CPE) im Frühjahr dieses Jahres in Frankreich, als Premierminister Villepin wochenlang die Proteste ignorierte. Vielleicht spielt auch die WM im eigenen Land den Studierenden in die Hände, wie die entfachte Diskussion um den Umgang mit Protesten während der WM zeigt. "Wenn vor den WM-Spielen der Weg zum Stadion blockiert wird, dann bleibt keine Zeit für lange Gespräche", hatte Darmstadts Polizeipräsident Gosbert Dölger angekündigt und sorgte damit für reichlich Wirbel. Nur wenige Tage später blockierten in Marburg zum wiederholten Mal mehrere hundert Studierende die Stadtautobahn. Weitere Demonstrationen sind schon in Planung.

Proteste gegen den CPE in Frankreich als Vorbild

Während der Massenproteste in Frankreich gegen den CPE war es in Deutschland sehr ruhig geblieben. Man kann jedoch doch den Eindruck gewinnen, dass der Erfolg Nachwirkungen hatte und die Kampfbereitschaft der Studierenden bestärkt hat. Denn immer wieder fordern Studierende "französische Verhältnisse" zu schaffen. Beim bundesweiten Aktionstag am 31. Mai konnten erstmals auch die HamburgerInnen einen Eindruck davon gewinnen. Über hundert Studierenden gelang es im Anschluss an eine Demonstration, durch eine Blockade den Zugverkehr im Hauptbahnhof für anderthalb Stunden lahm zu legen. Und die Proteste sollen weiter gehen. In Düsseldorf ist für den 21. Juni eine landesweite Demonstration geplant. Höhepunkte des Protestsommers 2006 sollen der 28. Juni und 7. Juli werden. Während Frankfurt Ziel einer bundesweiten Demonstration am 7. Juli werden soll, sollen in der Woche zuvor in Wiesbaden und Hamburg mehrere tausend Studierende auf die Straße gehen. Mit Spannung wird dabei die Norddemo in Hamburg verfolgt, da an diesem Tag Studiengebühren im Senat beschlossen werden sollen. Für Aufregung sorgte in Hamburg die Schlagzeile eines Artikels zu den angekündigten Protesten in der Hamburger Morgenpost, die einen Aktivisten mit den Worten "Wir legen die ganze City lahm" zitierte. Man darf gespannt sein ... jf aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 507/16.6.2006