Nürnberg ignoriert seine Nazis

Bündnis gegen Rechts mobilisiert mit Erfolg gegen NPD-Aufmarsch

in (19.05.2005)

Am 1. Mai waren in Nürnberg mindestens 5.000 Menschen gegen einen überregionalen Aufmarsch der NPD auf der Straße.

Der Aufmarsch wurde trotz erheblicher Polizeipräsenz mehr als zwei Stunden lang verzögert und blockiert. Wie sich die verschiedenen Ansätze des Widerstands gegenseitig ergänzten und dadurch massenwirksam wurden, ist das eigentlich Spannende daran. Die Strategie des "Aktiven Ignorierens" neofaschistischer Auftritte durch regionale PolitikerInnen und Presseorgane wurde jedenfalls durchbrochen. Seit 2002 sitzt der bayerische NPD-Landesvorsitzende Ralph Ollert im Nürnberger Stadtrat (dazu noch ein Republikaner). Die NPD-Tarnliste "Bürgerinitiative Ausländerstopp" bekam damals 2,3% der Stimmen. Seit dieser Zeit nahm die Anzahl neonazistischer Kundgebungen und Demonstrationen deutlich zu. Nürnberg kann heute durchaus als ein Zentrum neonazistischer Organisation betrachtet werden. Im Vorfeld des 1. Mai trat zuletzt im Januar der NPD-nahe "Bund Frankenland" mit Palästinensertüchern und entsprechenden Parolen auf ("Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker - gegen israelische und amerikanische Kriegsverbrechen"). Eine relevante öffentliche Debatte entstand erst, als die NPD eine überregionale Demonstration zum Thema "Hartz IV" für den diesjährigen 1. Mai anmeldete. Im Nürnberger Rathaus regiert formell Rot-Grün, aber de facto eine ultragroße Koalition der bürgerlichen Parteien. Politische Widersprüche sind nur noch mit der Lupe zu erkennen. Die Grünen sind als politisch aktive fortschrittliche Bewegung seit vielen Jahren verschwunden. Nach sich häufenden Demonstrationen der Gruppe um den Neonazi Gerd Ittner beschloss das Rathausspektrum inklusive der SPD-nahen Monopolzeitung Nürnberger Nachrichten, Aufzüge der Nazis zu ignorieren sowie den Widerstand dagegen zu verschweigen. Diese von den InitiatorInnen so genannte Strategie des "Aktiven Ignorierens" wurde meist damit begründet, dass Gegenaktionen den Neonazis öffentliche Aufmerksamkeit bescheren, die sie sonst kaum hätten. Die NPD im Rathaus wird weitgehend ignoriert, kaum politisch bekämpft. Die neonazistischen WählerInnen werden im Grunde als verloren gegangene Schäfchen der bürgerlichen Parteien betrachtet und entsprechend nachsichtig behandelt. Vor drei und vor fünf Jahren war die NPD am 1. Mai durch Nürnbergs Nachbarstadt Fürth gezogen. Die Demozüge wurden von der Polizei durchgesetzt, allerdings gegen massiven Widerstand der Bevölkerung, organisiert vom Fürther Bündnis gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Lautstarke Störungen und Blockaden wurden von einem breiten Bündnis bis hin zur autonomen Antifa mitgetragen, das auch die bürgerlichen Parteien des Öfteren unter Zugzwang brachte. AktivistInnen aus den verschiedenen Spektren lernten sich kennen und kooperierten häufig auf sehr nützliche Art und Weise. Anfang Frühjahr 2004 wurde in Nürnberg ein Bündnis gegen Rechts gegründet. Die Initialzündung kam vom lokalen Ableger der IPPNW (Ärzte gegen Atomkrieg). Daraus entwickelte sich ein relativ breites Bündnis von christlichen Gruppen bis hin zu autonomennahen Gruppen. Ziel des Bündnisses war die Verhinderung öffentlicher Auftritte von Neonazis sowie die Bekämpfung der Strategie des "Aktiven Ignorierens".

Fluktuation bei DGB-Demo

Nachdem im Februar durch recherchierende autonome Antifas bekannt wurde, dass die NPD bereits vor längerer Zeit eine Demonstration vom Süden der Stadt hin zur Stadtmitte mit dem Motto "Weg mit Hartz IV, das Volk sind wir" angemeldet hatte, begann eine widersprüchliche Suche nach dem effektivsten Widerstand gegen diesen nicht hinzunehmenden Naziaufmarsch. Bereits die ersten Signale der relevanten politischen Spektren deuteten darauf hin, dass es drei verschiedene Aktionslinien geben würde: Erstens die traditionelle 1.-Mai-Demonstration des DGB-Spektrums mit staatsoffiziöser Behandlung des Nazi-Aufmarsches (zentrale Reden Prominenter weitab von der Route der Nazis). Zweitens die "revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" eines Großteils des autonomen und linksradikalen Spektrums mit einer Aktionsorientierung gegen die Nazis und drittens das Bündnis gegen Rechts mit dem Versuch, mit einer Aktion den Nazi-Aufmarsch möglichst zu verhindern. Das Bündnis gegen Rechts tat sich zunächst schwer damit, eine brauchbare Aktionsorientierung zu finden, zog es doch einige zu einem Bündnis mit den Stadtoberen und dem DGB hin, andere eher zu den Autonomen. Der teilweise abstrakt geführte Streit (Haltung zu Autonomen, Gewaltfrage, Haltung zur Stadtspitze) verhinderte lange eine gemeinsame Linie. Vier Wochen vor dem 1. Mai konnte man sich schließlich doch noch einigen. Der Auftaktort der Nazis in Nürnbergs Südstadt sollte blockiert werden. Da am gleichen Platz - drei Stunden früher - die DGB-Demo beginnen sollte, wollte man dort einfach stehen bleiben und viele Menschen aus der DGB-Demo zum Bleiben animieren. Nachdem ein Bündnissprecher zu einer "peinlichen Befragung" mit Stadtoberen, DGB und Polizei (!) vorgeladen worden war und dort die "Instrumente" gezeigt bekommen hatte (diverse Drohungen, u.a., der DGB würde mit seinen Ordnern den Platz räumen), schlingerte man im Bündnis wieder dahin, bis in den letzten zwei Wochen doch noch eine neue Aktionsorientierung auf die Beine gestellt werden konnte. Entscheidend dafür war sicher auch, dass die angesprochenen VertreterInnen von Stadt und Gewerkschaften keinerlei Konzessionen machten, etwa in Richtung einer wenn auch nur symbolischen Verhinderung des Nazi-Aufmarsches. Es wurden schließlich zwei Kundgebungen als Bündnisveranstaltungen angemeldet, eine davon in unmittelbarer Nähe der Demoroute der Nazis. Weiter wurde beschlossen, Menschen aus der DGB-Demo wegzumobilisieren, um gegen die Nazis zu handeln, statt sich Sonntagsreden anzuhören. Die Stadt weigerte sich übrigens standhaft, rechtliche Schritte gegen die NPD-Demo zu unternehmen. Der Rechtsreferent, zur Rede gestellt, war nicht in der Lage, seine Vorgehensweise überzeugend zu begründen. Die teilweise sehr heftig geführten Debatten im Vorfeld hatten neben dem üblichen frustrierenden Effekt eine eher motivierende Wirkung auf einige der AktivistInnen im Bündnis. Der öffentliche Druck sorgte schließlich dafür, dass die hiesige Monopolzeitung über alle Aktionen im Vorfeld berichtete und die Daten des Nazi-Aufmarsches bekannt gab. Ein erster Erfolg.

5.000 gegen Naziaufmarsch

VertreterInnen des Bündnisses gegen Rechts gingen zunächst mit eigenem Transparent in der DGB-Demonstration mit. Kurz vor dem Ort der Abschlusskundgebung verließen die TransparentträgerInnen mit ca. 300-400 (von 1.500) Menschen den DGB-Zug. Eine Spontandemo führte zum ersten Kundgebungsort des Bündnisses gegen Rechts, zum Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma. Dort schloss man sich nach einigem hin und her der vorbeiziehenden "revolutionären 1.-Mai-Demo" an (deren Schlusskundgebung und die angemeldete zweite Kundgebung des Bündnisses sollten nacheinander auf dem gleichen Areal stattfinden). Eine kluge Entscheidung, stellte sich doch heraus, dass die Polizei weitere KundgebungsteilnehmerInnen später nicht mehr durchließ. Die zweite Kundgebung des Bündnisses fand schließlich in der Nähe der Naziroute statt. Eine Sprecherin des Bündnisses und ein eher linksorientierter SPD-Stadtrat (!) hielten Reden, der angekündigte Zeitzeuge und Bergen-Belsen-Überlebende Josef Jakubowicz wurde von der Polizei aufgehalten. Die vorbeiziehenden 300-400 Nazis wurden beschimpft. Highlights des Tages waren der Rauch im U-Bahn-Schacht (ob technischer Defekt oder Rauchbombe, ist unklar), der den Transport der Nazis erheblich behinderte, die Rapper um Hakan MC auf dem Kundgebungswagen sowie vor allem eine Straßenblockade durch etwa 100 aus Fürth angereiste gewerkschaftliche AktivistInnen mittleren Alters und nichtautonomen Aussehens. Die Gruppe aus Fürth wurde von der Polizei zunächst gestoppt und dann fahrlässigerweise durch einen Tunnel auf der Nazi-Route zum Kundgebungsort des Bündnisses geführt. Diese Chance wurde von den AktivistInnen nicht ausgelassen. Die Blockade konnte lange Zeit nicht aufgelöst werden, befanden sich doch einige bekanntere Leute in der Gruppe (Thomas Händel von der Wahlalternative sowie Horst Schmitthenner vom IG-Metall-Bundesvorstand). Nachdem die BlockiererInnen beiseite gedrängt waren, wurden die Nazis von einigen 1.000 Menschen im Stadtzentrum erwartet und übelst beschimpft. Hierzu eine Fußnote: DGB-Ordner versuchten vergebens, junge GewerkschafterInnen von den Nazi-Gegenaktionen zum Ort der DGB-Kundgebung zurückzuholen. Man hatte offenbar die Befürchtung, die offizielle DGB-Aktion könnte zu sehr ausdünnen. Andererseits rief der SPD-Oberbürgermeister Maly auf der DGB-Kundgebung doch noch dazu auf, zur NPD-Abschlusskundgebung zu gehen und dort zu protestieren. An den Gegenaktionen beteiligten sich insgesamt mindestens 5.000 Menschen, angesichts der offiziellen Ignoranz im Vorfeld ist dies eine beachtliche Anzahl. Dass die autonome Demo zusammen mit den vom Bündnis gegen Rechts Mobilisierten größer war als die DGB-Demo, sei hier nur nebenbei erwähnt. Aber wenn der DGB den bayerischen Innenminister und Rechtsausleger Beckstein als einen der Hauptredner für den 1. Mai bestellt, ist das auch kein Wunder. Die Nazi-Demo wurde deutlich behindert, wenn auch leider nicht verhindert. Angesichts der Ignoranz von Stadt und Gewerkschaftsspitzen sowie regionaler Presse und angesichts des massiven Polizeiaufgebots ein großer Erfolg. Geschickte Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation der AktivistInnen im Vorfeld waren dafür eine wichtige Voraussetzung. Der Widerstand erwies sich als handlungsfähig und wenig berechenbar. Das starr agierende Funktionärsspektrum von DGB und Stadtspitze wurde blamiert und unter Zugzwang gesetzt. Und nicht zuletzt: Eine deutliche Wirkung über das linke Getto hinaus wurde erzielt. Die Lokalpresse berichtete schließlich verhältnismäßig ausführlich und relativ wohlwollend über die Aktionen. Gute Voraussetzungen für die weitere Antifa-Arbeit in der Region. m., Nürnberg aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 495/20.5.2005