Zu den am 13.August verkündeten Gesetzesinitiativen der Bundesregierung
Die am 13.August verkündeten Gesetzesinitiativen der Bundesregierung werden einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung der Bundesrepublik hinterlassen...
... Insofern kann man der Einschätzung der Bundesregierung zustimmen.
Nachdem mit den ersten Hartz-Gesetzen im vergangenen Sommer und dem in den letzten Wochen ausgehandelten Kompromiß zur Gesundheitsreform dieser Bruch bereits massiv vorbereitet wurde, wird er mit diesen Gesetzesinitiativen vollzogen. Auch wenn es auf den ersten Blick als absurd anmuten mag: Hinter den schönen Worten von Eigenverantwortung und Selbstbestimmung steht nicht mehr und nicht weniger als die Verstaatlichung der sozialen Sicherungssysteme. Denn betrachtet man die Veränderungen näher, so treten vor allem vier Momente in den Vordergrund:
- wird das Gewicht des Repressiven in der Sozialpolitik erhöht,
- wird die Selbstverwaltung zu einem Vollzugsorgan der Vorgaben der Regierung degradiert,
- werden die sozialen Sicherungssysteme noch konsequenter als in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik auf die Bereitstellung verwertungsgerechter Arbeitskraft für die Unternehmen zentriert und
- wird in diesem Zusammenhang auf jeden noch so kleinen Ansatz einer sozial und ökologisch verantwortlichen Beschäftigungspolitik verzichtet.
Die Rolle des Staates nimmt nicht ab - sie wird nur verändert: hin zur Ausübung repressiver Funktionen gegenüber den Leistungsberechtigten.
Es sei dahingestellt, ob die Reformen die gewünschten oder wenigstens kommunizierten Ziele tatsächlich erreichen werden - dies hängt von diesen selbst doch nur zum Teil ab. Viel gewichtiger ist, dass alle, den Worten nach möglicherweise guten, Ansätze in eine fatale Richtung gelenkt werden. Die Verknüpfung der erweiterten Sanktionsmöglichkeiten mit dem erwähnten Verzicht auf eine aktive Beschäftigungspolitik, die Erweiterung der von den BürgerInnen zu tragenden Eigenanteile an den Kosten der Alters- und Gesundheitssicherung, der Abbau öffentlicher Leistungen verschiedenster Art (an der in der Sache die nun konzipierte Gemeindefinanzreform nichts ändern wird) und der damit verbundene Privatisierungsdruck sowie das über allem stehende Dogma der Senkung der Lohnnebenkosten ergeben, bei Erosion des Flächentarifs, einen Mix, der die Stellung der abhängig Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt in außerordentlicher Weise verändert und schließlich schwächt.
Daran werden "Vermittlungsagenten" und "Fallmanager", und seien sie noch so gut ausgebildet und engagiert, nichts ändern können - und sollen. Gewinner sind in jedem Fall die Unternehmen. Ob sie sich mit der Bereitstellung einer größeren Zahl von qualifizierten Arbeitsplätzen für alle Generationen revanchieren werden, darf bezweifelt werden. Die Entwicklung in den neunziger Jahren zeigte deutlich, was derartige Versprechen, wie sie im Zusammenhang mit dem von den Gewerkschaften zugestandenen Verzicht auf eine schnelle Angleichung der Ost- an die Westeinkommen seitens der Unternehmer gemacht wurden, wert sind: nämlich nichts.
Eine Regierung kann dies alles in Kauf nehmen - sie muß nur wissen, was sie tut. Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung das weiß und dass den Verantwortlichen die Konsequenzen dessen bewußt sind. Notwendige und gewollte Resultanten aller Aktionen der letzten Jahre sind die Verschärfung der Konkurrenz unter den abhängig Beschäftigten und das Aufbrechen der Reste der in der Arbeiterbewegung einst gewachsenen, tradierten kämpferischen Solidarität. Dies dürfte mit diesen Maßnahmen durchaus gelingen.
Was unter CDU-Regierungen nie in dieser Konsequenz betrieben wurde, macht eine SPD/Grüne-Regierung wahr - die Amerikanisierung der sozialen Sicherung. Die bekannten Nebenfolgen eines solchen Kurses - Kriminalität sowie kulturelle und soziale Exklusion immer breiterer Schichten der Bevölkerung - sind als "Schattenseiten" des "amerikanischen Beschäftigungswunders" hinreichend analysiert und benannt worden.
Ein Abbremsen dieser Entwicklung wird nur gelingen, wenn es jenseits der BefürworterInnen des Regierungskurses zu einem breiten Bündnis kommt, das dem von Regierung und Unternehmern propagierten pervertierten Solidaritätsbegriff tatsächlich eine praktizierte, von einem gemeinsamen Kampf um soziale Gerechtigkeit geprägte Solidarität entgegenstellt.
Berlin, 14. August 2003