Die Ölwaffe in Amerikas Weltordnung

Vermeintliche und wahre Motive des Irak-Krieges

Über die Motive des US-Angriffs auf den Irak wird schon seit Monaten diskutiert und spekuliert. Insbesondere die Frage, ob der wahre Kriegsgrund die irakischen Ölvorkommen sind, wird immer wieder ..

... kontrovers behandelt. In seinem soeben im VSA-Verlag erschienenen Buch "Amerikas Weltordnung. Hegemonie und Kriege um Öl" arbeitet Mohssen Massarat heraus, dass der Zugriff auf die Ölvorkommen eine entscheidende Rolle für die weltumspannenden hegemonialen Strategien der USA spielt. Die EuropäerInnen sollten sich die Frage stellen, ob sie diese hegemonialpolitische Entwicklung schweigend hinnehmen oder sogar aktiv unterstützen können. An die offizielle Rechtfertigung des Krieges, den Besitz von Massenvernichtungsmitteln in der Hand eines Diktators durch einen Regimewechsel im Irak verhindern zu wollen, glaubt niemand, nicht einmal der US-Präsident und die US-hörigen europäischen PolitikerInnen selbst. Noch weniger glaubwürdig erscheint die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als Kriegsgrund. Für eine Verwicklung Saddam Husseins mit Al-Qaida konnten bisher keine überzeugenden Belege vorgelegt werden. Wie ist es jedoch mit dem Öl als Motiv für den aktuellen Irak-Krieg? Gerne wird als Haupteinwand gegen dieses Motiv die geringe Abhängigkeit der US-Ölversorgung von den Lieferungen aus der Persischen Golf-Region angeführt. Tatsächlich decken die USA nur 20% ihres Ölimportbedarfs aus dieser Region. Die restlichen 80% der Ölimporte stammen aus Kanada, vor allem aus Südamerika und Westafrika.1 Bei dieser Betrachtung wird jedoch die Bedeutung der Persischen Golf-Region für die Preisbildung und die Geostrategie der USA übersehen. Es lohnt die kritische Analyse jener Beiträge, bei denen selektiv angeführte Einwände gegen das Öl als Leitmotiv dazu dienen, der US-Irak-Politik humanistische Ziele zu unterstellen.

Demokratisierung und Neuordnung?

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler schiebt in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau2 mit dem einzigen Einwand, "ginge es nämlich bloß darum, den Weltmarktpreis für Erdöl zu drücken, wäre dies am ehesten mit einer Beendigung des Irak-Embargos zu erreichen", allen Ernstes das Öl-Argument beiseite und bezeichnet Argumente in diese Richtung als "antiimperialistisch-ideologiekritisch". Mehr noch, er verbindet diese dürftige Begründung gegen das Öl-Argument mit dem Appell, die "deutsche Debatte über die Irak-Politik" jenseits "der ewigen Anschuldigungen des Antiamerikanismus oder der Parole "Kein Blut für Öl" auf ein höheres Niveau zu heben." Münkler lässt aber bei seinen Ausführungen keinen Zweifel über einen anderen "rationalen Hintergrund und eine strategische Orientierung" der US-Irak-Politik, der darin bestehen soll, "dass die USA die notorische Entwicklungsblockade der muslimischen Welt, die sicherlich eine der wichtigsten Ursachen für die politische Instabilität der gesamten Region und deren Anfälligkeit für fundamentalistische Ideologien ist, im Irak aufzulösen versuchen, und zwar durch die Installierung eines Regimes, das unter Nutzung der natürlichen Reichtümer des Landes ökonomische Prosperität und politische Stabilität miteinander verbindet Â…". Mehr noch soll die Sogwirkung dieser Entwicklungsperspektive eines "erfolgreichen irakischen Beispiels" alle "umliegenden Staaten" und darüber hinaus auch "den gesamten muslimisch-arabischen Raum" erfassen. "Eine solche Rolle könnte Irak nach einem militärisch erzwungenen Regimewechsel von den USA zugedacht sein", weil der Irak räumlich zwischen lauter "entwicklungsblockierten" Staaten wie "Türkei, Saudi-Arabien, Syrien und Iran eine zentrale Position in der Region einnimmt". Ralf Fücks, immerhin ein Spitzenpolitiker der Grünen in der engeren Führungsriege um Außenminister Fischer, identifiziert ebenfalls humanistische Leitmotive bei der Irak-Politik der Vereinigten Staaten. In seinem Beitrag für die Tageszeitung3 lehnt er es ab, diese Politik auf "den Zugang zu den Ölquellen des Irak zu reduzieren". Fücks bescheinigt der gegenwärtigen US-Regierung ein "selbstkritisches Element gegenüber der Politik" früherer US-Regierungen und geht davon aus, dass es den USA "nicht nur um die Installierung einer pro-westlichen Regierung, sondern um einen fundamentalen Neuaufbau des Landes als Modellprojekt für eine langfristige politische Stabilität der Region" geht, da - so Fücks - "amerikanische Interessen weltweit am besten durch Ausbreitung von Demokratie und Marktwirtschaft gewährleistet werden." In der Perspektive des "demokratischen Transformationsprozesses im Nahen Osten" erblickt Fücks auch die Lösung der Palästinafrage. Er kann dem "jüdischen Staat die Bereitschaft zur Akzeptanz eines autonomen Palästinenserstaates" erst dann "zumuten, wenn die existenzielle Infragestellung Israels durch nationalistische oder fundamentalistische Staaten in seiner Nachbarschaft" verschwunden ist. Demnach dient nicht nur der Regimewechsel im Irak, selbst durch einen Krieg der USA, einem humanistischen Zweck und ist daher legitim, er rechtfertigt indirekt vielleicht unbemerkt auch die Fortdauer israelischer Besetzungspolitik einschließlich der Desavouierung des Osloer Friedensprozesses durch Ariel Sharon. Herfried Münkler und Ralf Fücks stehen mit ihrem Plädoyer für die Demokratisierung des Nahen Ostens durch Krieg nicht allein. Sie orientieren sich an dem "neuen transatlantischen Projekt" der US-Experten und außenpolitischen Berater von Präsident Clinton, Ronald D. Asmus und Kenneth M. Pollack.4 Ihrem Konzept folgend würde es in diesem Projekt für die Region Greater Middle East, wozu sie den Nahen und Mittleren Osten sowie die zentralasiatischen Republiken in der Kaspischen Meer-Region zählen, "auf eine neue Form der Demokratie hinauslaufen, auf ein neues Wirtschaftssystem, das den Menschen in der Region zu Arbeit und Würde verhilft". Nur so können letztlich auch "die dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen" behandelt werden. Die Hilfe von außen, die "zweifellos auch eine militärische Komponente" enthält, ist unabdingbar, da der gesamte Greater Middle East unter "einer Krise der Regierbarkeit leidet, die mit der Unfähigkeit seiner Staaten einhergeht, die Herausforderungen der Moderne und der Globalisierung zu bewältigen". Sie plädieren unumwunden dafür, erstens Saddam Hussein mit seinem Regime abzuschaffen, was "eine groß angelegte Invasion im Irak erfordert" und zweitens auch bei einem "Regimewandel im Iran freilich auf ganz andere Weise" als im irakischen Fall "mitzuhelfen".

Regimewechsel

In der Tat ist die in Aussicht gestellte Perspektive eines demokratischen Greater Middle East mit innerer Stabilität und ohne neue Kriege allzu verlockend, um ihr die Sympathie zu verweigern. Als ein aus diesem Raum stammender und mit dessen kulturellen Wurzeln verbundener Wahldeutscher würde ich mir nichts anderes als eben diese positive Perspektive für eine von Krieg, Zerstörung und politische Instabilität geplagte Region wünschen. Bestünde tatsächlich die begründete Hoffnung für diese Lösung, deren einziges Manko darin läge, den Feldzug gegen Saddam Hussein hinzunehmen, wäre ich sogar bereit, meine pazifistische Grundhaltung ausnahmsweise zu suspendieren. Meine Kenntnisse der Entwicklung des Greater Middle East im letzten halben Jahrhundert, die ich persönlich miterlebt bzw. als Wissenschaftler mit größter Neugier beobachtet und begleitet habe, mein Verstand, meine Möglichkeit, mich emotional in die Seelenwelt beider orientalischer wie okzidentaler Kulturen hineinversetzen zu können, und die erdrückende Last der überprüfbaren Fakten und historischen Ereignisse hindern mich jedoch daran, der makellosen Vision dieser Befürworter des neuen Golfkrieges zu folgen. Es besteht kein Zweifel daran: der Mangel an Demokratie in Greater Middle East hat historisch bedingte endogene Wurzeln. Diese Region liegt in Sachen Demokratie Meilensteine entfernt hinter der Entwicklung in Europa und dem gesamten Westen zurück. Dennoch hat es im letzten Jahrhundert ernsthafte Versuche gegeben, die Demokratisierung aus eigenen Kräften einzuleiten, beispielsweise Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre im Iran, gerade nach dem Kriegsende und vor dem Beginn der Kalten Krieg-Ära, in einem offensichtlich durch die Schwäche der Supermächte bedingten günstigen Zeitraum für eine ungehinderte Entfaltung von grundlegenden politischen Umwälzungen: Entstehung von Parteien, einer freien Presse und der offenen politischen Auseinandersetzung, freie Parlamentswahlen und der - erstmalig in der iranischen Geschichte - frei gewählten Regierung unter Mohammed Mossadegh 1951. Diese über den Iran hinaus im gesamten Mittleren und Nahen Osten positiv registrierte Demokratisierung hatte einen unbeugsamen Gegner: die sich herausbildende angloamerikanische Allianz. Denn der Demokratisierungsprozess im Iran war mit dem Anliegen verknüpft, die bis dato durch Großbritannien beherrschte iranische Ölindustrie zu nationalisieren und sie dadurch dem britischen Zugriff zu entziehen. Die Regierung Mossadeghs ist 1953 schließlich auch der angloamerikanischen Allianz zum Opfer gefallen. Über die Verwicklung von CIA und USA beim Sturz Mossadeghs und beim Aufbau des Schah-Regimes zur militärisch stärksten Macht im Mittleren Osten gibt es nicht den geringsten Zweifel. Durch die Installierung eines vom Volk gehassten Regimes wurde nicht nur die begonnene Demokratisierung in der Region unterbrochen und für Jahrzehnte zurückgeworfen, mehr noch wurde so der Boden für die Errichtung von arabisch-nationalistischen Militärdiktaturen in Syrien und Irak und letztlich auch für den Rüstungswettlauf zwischen Iran und Irak, für den islamischen Fundamentalismus und für die beiden Golfkriege fruchtbar gemacht. Über ein halbes Jahrhundert erlebten die Menschen im Mittleren und Nahen Osten eine politisch-militärische Kooperation des Westens und der Sowjetunion mit diktatorischen Regimen, sie erlebten Militärinterventionen, Waffenimporte, Kriege, Zerstörungen und menschliches Leid. Es gibt kein einziges Beispiel dafür, dass Ansätze von Demokratie von außen gefördert wurden, dass die Werte westlicher Industriestaaten wie Pluralismus, Meinungsfreiheit und Schutz der Menschenrechte ihren Beziehungen mit den Staaten im Mittleren und Nahen Osten glaubhaft zugrunde gelegen hätten. Sind die amerikanischen Verfechter der "demokratischen Neuordnung" in Greater Middle East, Asmus und Pollack, sowie ihre deutschen Kollegen, Münkler und Fücks, geschichtsblind oder setzen sie auf Geschichtsvergessenheit der anderen, um dem Irak-Krieg ein humanistisches Mäntelchen umzuhängen? Ein Regimewechsel im Irak ist das erklärte Ziel des Krieges. Es geht dabei offenbar nicht nur um Irak, sondern auch um den Iran, wie die US-Experten Asmus und Pollack hervorheben. Als gebürtiger Iraner wüsste ich aber gern, wie und mit welchen Mitteln und Methoden "die Vereinigten Staaten und Europa bei einem Regimewandel" im Iran behilflich sein sollten. Sicher ist schon jetzt, dass eine militärische Besetzung des Iraks den seit dem Frühjahr 1997 eingeleiteten und durch eine breite Bevölkerungsmehrheit unterstützten Wandel im Iran nicht fördert, sondern diesen ganz im Gegenteil beenden wird. Fortan wird das herrschende Mullah-Regime die Überreste der Errungenschaften der Reformbewegung mit dem Vorwand "Schutz der nationalen Sicherheit" beseitigen und jegliche interne Kritik an dessen autokratischer Herrschaft als Verrat am Islam und am Iran brutal unterdrücken und die republikanischen Elemente der Verfassung der Islamischen Republik außer Kraft setzen. Sicher ist auch, dass durch die militärische Besetzung Iraks auch alle fundamentalistischen Strömungen der Region, einschließlich der Al-Qaida, beträchtlichen Zulauf erhalten werden.

Geostrategie und Öl

So erdrückend die Fakten sind, die gegen die Annahme humanistischer Motive für den Krieg der USA gegen den Irak sprechen, so umfassend und durchsichtig sind ihre rüstungs- und vor allem ölpolitischen Motive, die Asmus und Pollack nicht einmal erwähnen und Münkler und Fücks leichtfertig und schnell beiseite schieben. Der den Großraum Persischer Golf und Kaspisches Meer umfassenden Region kommt nicht erst seit Saddam Hussein, der den Besitz von Massenvernichtungsmitteln anstrebt, eine Schlüsselrolle in Amerikas unilateraler Weltordnung zu. In dieser Region lagern ca. 67% der bekanntlich knappen und besonders produktiven Ölquellen der Welt. Hier geht es über die Ölfrage hinaus auch um rüstungsexportpolitische Interessen und die geostrategische Rolle der Region als hegemonialpolitischer Hebel in Amerikas unilateraler Weltordnung: Erstens sitzt die US-Ökonomie mehr als jede andere Volkswirtschaft in der Ölfalle. Die USA verbrauchen gegenwärtig über 25% der Ölproduktion in der Welt. Die neue den Ölkonzernen in besonderer Weise verpflichtete US-Regierung hat den Verflechtungen der US-Ökonomie mit dem fossilen Energiesektor einen neuen Schub gegeben. Unmittelbar nach der Amtsübernahme kündigte George W. Bush den Ausbau des fossilen Energiesektors an und beschloss gleichzeitig, aus dem Kyoto-Protokoll, das auch für die USA Verpflichtungen zur Reduktion des fossilen Energieverbrauchs zur Folge gehabt hätte, auszusteigen. Die neue OPEC-Ölverknappungspolitik, die durch eine vorsichtige schrittweise Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien seit 1999 zu stabil höheren Ölpreisen um ca. 25 US-Dollar pro Barrel geführt hat, wird von der US-Regierung als eine Bedrohung interpretiert. Das gewachsene Misstrauen der USA gegenüber dem saudischen Regime, ihrem nach wie vor wichtigsten Verbündeten (mit 25% der Weltölreserven), hat demnach auch einen ölpolitischen Hintergrund. Durch einen Regimewechsel im Irak könnte dessen Ölangebot rasch um 200-250% erhöht und die Ölweltmarktpreise dadurch gesenkt werden. Nicht nur die Ölpreise, sondern die gesamte OPEC geriete so unter Druck.5 Die Zerschlagung der OPEC, zumindest deren Schwächung, gehört durchaus zu den ölpolitischen Zielen der USA. Zweitens sparen energieintensive Volkswirtschaften - die USA sind mit einem Pro-Kopf-Energieverbrauch, der doppelt so hoch wie in Europa ist, der energieintensivste Staat der Welt - bei niedrigen Ölpreisen beträchtliche Summen an Energiekosten ein. Da Ölpreise Weltmarktpreise sind, spielt es dabei keine Rolle, ob die USA ihr Öl aus der Persischen Golf-Region oder aus Südamerika beziehen. Irak, Saudi-Arabien und die Golf-Region insgesamt haben wegen ihres Marktanteils entscheidenden Einfluss auf die Weltmarktpreise. Mit dem Krieg gegen den Irak wird der Ölpreis drastisch ansteigen, sich danach aber wieder normalisieren. Bei einer Überproduktion, wie sie nach dem zweiten Golfkrieg bis Ende der 90er Jahre anhielt, könnte der Ölpreis auf 15 oder sogar 10 US-Dollar sinken. Bei einer Preisdifferenz von 10 US-Dollar je Barrel Öl spart die US-Volkswirtschaft bei dem gegenwärtigen Verbrauch fossiler Energien (Öl, Kohle, Erdgas) von ca. 15 Mrd. Barrel Öläquivalent jährlich 150 Mrd. US-Dollar.6 Die Einsparungen allein durch das Importöl betrügen jährlich über 42 Mrd. US-Dollar. Dadurch träte als Nebeneffekt auch eine spürbare Entlastung bei der US-Zahlungsbilanz ein, durchaus nicht unwichtig bei einem Land mit der größten Auslandsverschuldung der Welt.7 Bei Devisen- und Energiekosteneinsparungen dieser Größenordnung lassen sich die geschätzten Kriegskosten von 100-300 Mrd. US-Dollar in wenigen Jahren spielend amortisieren. Im Übrigen wird in den Vereinigten Staaten offen diskutiert, die Besatzungskosten nach dem Regimewechsel direkt durch die irakischen Öleinnahmen zu decken. Drittens können die USA durch die Besetzung Iraks ihre in der Öffentlichkeit kaum registrierte, aber sehr erfolgreiche Strategie, Petro-Dollar-Einnahmen der Persischen Golf-Staaten gegen US-Rüstungsgüter zu recyclen, fortführen und sogar ausbauen. Seit der massiven Aufrüstung des Schah-Regimes im Iran durch die USA nach dem ersten Ölpreissprung 1974 befindet sich der Nahe und Mittlere Osten in einem Teufelskreis des Rüstungswettlaufs, der Gewalteskalation mit zwei Golfkriegen und der anhaltend großen Nachfrage nach Rüstungsgütern. Seit über 25 Jahren gehören die Ölexportstaaten am Persischen Golf zu den größten Waffenimporteuren der "Dritten Welt". Der Löwenanteil dieser Importe stammt aus den Vereinigten Staaten.8 Viertens und nicht zuletzt geht es um die direkte Kontrolle der wichtigsten Ölquellen der Welt als hegemonialpolitisches Instrument, ganz im Sinne von Brzezinskis "Geopolitik auf dem eurasischen Schachbrett" nicht nur gegen Russland, China und Indien, sondern auch gegenüber den eigenen Verbündeten, der Europäischen Union, ganz besonders Deutschland und nicht zuletzt auch Japan, dessen Abhängigkeit von Ölimporten dramatische Züge aufweist. Diese heutigen und künftigen ökonomischen Giganten und Konkurrenten der USA würden demnächst über die wachsende Abhängigkeit von knapper werdenden Ölimporten aus der Persischen Golf-Region gleichzeitig auch politisch abhängiger von jener Macht, die durch ihre direkte militärische Präsenz in der Region für sich in Anspruch nehmen könnte, die "Sicherheit" einer störungsfreien Ölversorgung aller großen Ölimporteure zu "garantieren". Angesichts der zu erwartenden steigenden Weltnachfrage nach Öl in den nächsten Dekaden bei gleichzeitig abnehmenden Förderkapazitäten von besonders ergiebigen Ölquellen des Mittleren Ostens hätten die Vereinigten Staaten unmittelbar selbst die "Ölwaffe" in ihrer Hand, die sie gegen alle ihre ökonomischen und politischen Rivalen nach Belieben einzusetzen in der Lage wären.

Unheilvolle Gefahrenlage

Alle diese miteinander verwobenen, öl- und hegemonialpolitischen Ziele können um so leichter erreicht werden, je mehr Ölstaaten die USA in Greater Middle East direkt, möglichst auch militärisch, beherrschen. Ihre Anstrengungen in dieser Richtung sind älteren Datums. Unter dem Vorwand der sowjetischen Bedrohung zur Besetzung der Ölquellen der Persischen Golf-Region stationierten die USA in den siebziger Jahren im Iran bis zu 40.000 amerikanische Militärberater, die das Land erst kurz vor dem Sturz des Schah-Regimes verließen. Versuche, diesen Verlust durch die Einrichtung von Militärstützpunkten in Saudi-Arabien wettzumachen, scheiterten zunächst am Widerstand der saudischen Herrscher. Erst nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak gaben die Saudis ihre Bedenken auf und erlaubten den USA die bis dato vehement abgelehnte Errichtung von US-Militärstützpunkten auf ihrem Territorium. Die Indizien für den oft vorgetragenen Verdacht, der machthungrige irakische Diktator könnte mit seiner Kriegsaktion und der Besetzung Kuwaits im Jahre 1990 in eine für ihn gestellte geopolitische Falle der USA geraten sein, verdichten sich allmählich zur Gewissheit. Die Aussagen des Oberkommandierenden der US-Streitkräfte im Golfkrieg 1991, General Schwarzkopf: "Die Befreiung Kuwaits von irakischen Truppen war lange vor der irakischen Invasion im Pentagon simuliert worden", erhärten jedenfalls den Verschwörungsverdacht.9 Nur durch eine direkte militärische Präsenz im Irak erlangen die Vereinigten Staaten die bisher unerreichbare geostrategische Stärke, die sie befähigt, alle ihre ökonomischen und hegemonialpolitischen Ziele im eigenen Interesse und gegen den Rest der Welt durchzusetzen. Es ist höchst zweifelhaft, ob irgend ein Ölstaat oder ob alle Ölstaaten zusammen je die Möglichkeit und die Macht besässen, ihr Öl für längere Zeit wirksam als Waffe einzusetzen. Sie würden angesichts ihrer monostrukturellen Abhängigkeit von den Öleinnahmen überdies dadurch zuerst sich selbst Schaden zufügen. Diesem vor allem durch die USA konstruierten Fall steht dagegen die realistische Gefahr der Ölwaffe in der Hand der Vereinigten Staaten gegenüber. Kein Staat dieser Erde wäre je in der Lage, sich gegen diese Bedrohung zur Wehr zu setzen. Spätestens bei diesem Gedanken müssten die EuropäerInnen, ob Wirschaftsbosse, konservative Parteien, europäische FinanzministerInnen oder alle jene, die vom Billigöl von Amerikas Gnaden kurzfristig mit profitieren, allmählich anfangen zu begreifen, in welche unheilvolle Gefahrenlage sie sich begeben, wenn sie die neue hegemonialpolitische Entwicklung schweigend hinnehmen oder ihr sogar aktiv Vorschub leisten.

Anmerkungen

1) BP Statistical Review of World Energy, June 2002. 2) Münkler, Herfried: Blockierte Entwicklung. Über amerikanische Motive für einen weiteren Golfkrieg, in: Frankfurter Rundschau vom 29.11.2002. 3) Ralf Fücks: "Ohne uns" reicht nicht, Tageszeitung vom 03.01.2003. 4) Asmus, Ronald D./Pollack, Kenneth M.: Transformation des Mittleren Ostens. Das neue transatlantische Projekt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 12/2002. 5) Der ehemalige saudische Ölminister Scheich Jamani beantwortet in einem Spiegel-Interview die Frage, ob eine solche Entwicklung das Ende der OPEC bedeuten würde, definitiv mit "ja". 6) Die Deutsche Bank prognostizierte Ende 2002 in ihren "Globalen Trends bis zum Jahresende" eine Senkung des Ölpreises von "jetzt 25 auf 15 US-Dollar", gelänge es den USA, den Irak-Krieg mit einem "raschen Sieg" zu beenden (Tageszeitung vom 31.10.2002). 7) Nach Angaben des IWF "sind die USA Â… mittlerweile außenwirtschaftlich für ein Industrieland extrem hoch verschuldet Â… Die US-Notenbank geht im Jahre 2000 von einer Netto-Schuldnerstellung in Höhe von etwa 40% und einer internationalen Brutto-Schuldnerstellung von über 60% am amerikanischen BIP aus". (Federal Reserve 2000, zitiert nach: Globale Trends 2002, Frankfurt/M., 2001: 275f. 8) Vgl. ausführlicher dazu: Kriege ums Öl im 20. Jahrhundert, Kapitel 8, in: Massarrat, Mohssen: Amerikas Weltordnung. Hegemonie und Kriege um Öl, Hamburg 2003. 9) Diese Aussage machten General Schwarzkopf und auch andere US-Militärs sinngemäß in der äußerst faktenreichen Filmdokumentation "Die wahre Geschichte des Golfkriegs", die vom Fernsehsender ARTE am 8. Januar 2003 ausgestrahlt wurde. Prof. Dr. Mohssen Massarat ist Politologe und lehrt am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück