Feminismus für die Elite -- Familie fürs Volk

in (28.11.2002)

‘Eine solidarische Gesellschaft kann überhaupt erst aus solidarischen Familien entstehenÂ’, formuliert Schröder in seiner Regierungserklärung zur Familienpolitik im April 2002. ...

... Immerhin zeigt er damit genügend Realitätssinn, um festzustellen, dass diese Gesellschaft in der Tat alles andere als solidarisch bezeichnet werden kann. Familie soll darin das Projekt sein, in dem das Wunder vollbracht werden soll: Menschen, die lernen müssen, alltäglich in verschärften Konkurrenzverhältnissen ihre Existenz zu sichern, sollen sich zugleich solidarisch verhalten. Man kann diese Aussage als Aufforderung lesen, trotz einer politisch regulierten zunehmenden gesellschaftlichen Entsolidarisierung im Privaten -- d.h. individuell -- den verzweifelten Versuch zu unternehmen, familienähnliche Praxen aufrechtzuerhalten, in denen ein Stück alltägliche Solidarität gelebt wird. Gelingen wird dies den meisten eher in unzureichender Form, da sie ihren Lebensunterhalt zunehmend in prekären und/oder zeitlich entgrenzten Arbeitsverhältnissen verdienen müssen, die traditionelle Formen der verbindlichen Übernahme von Verantwortung gegenüber anderen brüchig werden lassen. Zudem sollen wir ja gerade lernen, uns alle als Unternehmer unserer eigenen Arbeitskraft zu verstehen und als solche permanent fortzubilden, über das Marktgeschehen zu informieren u.ä. Die Pflege eines kranken Familienmitglieds ist da hinderlich. Schröders Aussage liest sich in solchen Verhältnissen als Vorwurf und Drohung: Wenn ihr darin versagt oder kein Interesse daran habt, neben eurer erfolgreichen Behauptung auf deregulierten Arbeitsmärkten noch solidarische Familienformen zu pflegen, so tragt ihr die Verantwortung dafür, wenn Gesellschaft sich auch weiterhin als ein Projekt vollkommener Entsolidarisierung entwickelt!
Politische Eingriffe ins Feld Familie wie dieser sind derzeit wieder weit verbreitet. Offenbar wird eine politische Notwendigkeit gesehen, Familie im Ideologischen als Raum zu erhalten, der einen Gegenpol bildet zu der sonst vorherrschenden Marktlogik und Vereinzelung. Will man hiergegen Widerstand artikulieren, besinnt man sich spontan vielleicht auf die Losung der Abschaffung der bürgerlichen Kleinfamilie, die in weiten Teilen unterschiedlicher gesellschaftskritischer Bewegungen eine Selbstverständlichkeit ist: Diese Kritik geht dahin, dass das herkömmliche Familienbild Vater-Mutter-Kind nur der Lebensrealität einiger weniger entspreche und auch hier meist zu hierarchischen Anordnungen innerhalb von Familie führe. Ein Großteil der Menschen werde durch die damit vermittelten Werte und Normen an individueller Selbstbestimmung gehindert. Bisweilen verstärkt eine solche ablehnende Haltung Desinteresse an den konkreten Politiken um Familie. Individuell werden ohnehin andere Lebensweisen gesucht. Doch reicht eine solche Kritik aus? Die Perspektive linker Theorie und Praxis in den gegenwärtigen Verhältnissen wird häufig benannt als Suche nach möglichen solidarischen Formen, aus denen heraus Gegenkräfte zu einer Vermarktung aller Lebensbereiche entwickelt werden können. Das Schröderzitat zeigt, dass mit der Frage nach Familie(npolitik) der Kampf um die Bedeutung und Möglichkeit solidarischer Praxen auch von denen aufgegriffen und vorangetrieben wird, die um die Hegemonie neoliberaler Gesellschaftsregulierung ringen. Überall dort, wo Familie als Solidarprojekt hochgehalten wird, werden Bedürfnisse und Träume nach einem anderen, nicht leistungsorientierten Leben artikuliert. Nimmt linke Politik die genannte Zielsetzung ernst, so muss es eines ihrer zentralen Anliegen sein, sich gegen solche Weltbilder zu richten, in denen Bedürfnisse und Träume und die Praxen, die aus ihnen erwachsen, in erster Linie im Privaten verortet werden. Herauszuarbeiten wäre statt dessen, wie das konkrete Überleben und die Lebensqualität der Einzelnen und die dazu notwendige Unterstützung durch andere als Ausgangspunkt für die Gestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche begriffen werden könnte und auf welche Weise dies im Gegensatz steht zu einer Regulierung von Gesellschaft nach Marktprinzipien.
In diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise die aktuellen Diskurse um Familie einer solchen Wahrnehmung gesellschaftlicher Verhältnisse entgegen arbeiten. Die aktuelle Reartikulation der hohen Bedeutung von Familie findet innerhalb sozialer Verhältnisse statt, in denen, wie später erläutert wird, Familie als soziale Praxis zunehmend zeitlich und inhaltlich entgrenzt wird. Sie stellt sich als Möglichkeit dar, neue Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit und weiblichen Lebensentwürfen, die sich nicht mehr bloß über Familie definieren, zu verbinden mit der Aufrechterhaltung der privatförmig organisierten Sicherung des Überlebens und der Entwicklung der Einzelnen. In dieser Privatförmigkeit wird diese Aufgabe auch weiterhin in unsichtbarer Form von Frauen geleistet.
Die Ökonomie der fordistischen Kleinfamilie
Historisch betrachtet diente die Durchsetzung der Kleinfamilie als hegemonialer Lebensform dazu, einen Grundwiderspruch kapitalistischer Gesellschaften für die Einzelnen lebbar zu machen. Während sich Arbeitende in Lohnverhältnissen vollständig an den Anforderungen von Unternehmen und freien Märkten, an Effizienz und Leistung orientieren müssen, bedürfen Tätigkeiten zur individuellen Reproduktion der Einzelnen zumindest teilweise einer dem Produktionsmodus grundsätzlich entgegenstehenden Zeitlogik und Verbindlichkeit (Haug 1996). Gleichwohl sind auch kapitalistische Gesellschaften auf diese Tätigkeiten angewiesen, wäre doch ohne sie die Erhaltung und Entwicklung menschlichen Lebens kaum möglich bzw. für die Einzelnen lebenswert gestaltbar. Mit der Durchsetzung der Produktionsweise des Fordismus wurde die Kleinfamilie, wie wir sie heute als traditionell beschreiben, zum allgemeinen Modell und setzte sich auch in der Arbeiterklasse als Ideal durch. Die Zuständigkeit für die verschiedenen Bereiche mit ihren unterschiedlichen Logiken wird in diesem Sinne als soziale Praxis verallgemeinert und baut dabei auf die in bürgerlicher Ideologie bereits festgeschriebene Vorstellung von der natürlichen Existenz zweier sich komplementär ergänzender Geschlechter auf (Hausen 1976). Westdeutschland ist dabei im Vergleich zu anderen europäischen Staaten das Land, in dem sich die Trennung dieser Bereiche und damit auch der Zuständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten der Geschlechter am schärfsten zeigt.1 Das fordistische Familienmodell, in dem allein der Mann für das Einkommen sorgt, die Frau ohne jede Lohnarbeit oder andere gesellschaftliche Aktivität ans Haus gebunden wird, wird hier nicht nur in Tarifvereinbarungen, sondern auch in Steuerrecht, Sozialversicherung und Familienpolitik ebenso wie in Moralvorstellungen und kulturellen Bildern als politisch gewünschtes Lebensmodell grundlegend eingeschrieben. Folglich werden die Geschlechter in die kollektiv organisierten Formen von Umverteilung und Solidarität grundlegend verschieden eingebunden: Formen weiblicher Identität existieren in solchen Verhältnissen vor allem bezogen auf die Praxen der Frauen in Familie und auf diese Weise über Arbeit, die Anderen unmittelbar von Nutzen ist. Gleichzeitig wird in ideologischen Kämpfen Familie als weiblicher Lebenssinn schlechthin behauptet (Haug/ Hauser 1988, 72), und auf diese Weise nicht zuletzt den Frauen selbst die Erkenntnis erschwert, welche Bedeutung ihre Tätigkeit im Gesamt der gesellschaftlichen Prozesse hat. Andersherum kann darüber, dass ausschließlich Familie als Institution und in ihr die Frauen als Individuen als zuständig galten für die Schaffung eines heimeligen Raumes zur individuellen physischen und kulturellen Reproduktion, die Verantwortung für die Lebensqualität der Einzelnen weitgehend von der Organisation von Gesamtgesellschaft abgetrennt werden (a.a.O., 25). Lohnarbeitende wurden jetzt insofern kulturell als männlich konstruiert, als die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nach zwischenmenschlichen Beziehungen und selbstbestimmter persönlicher Entfaltung weitgehend in Familie und in die Zuständigkeit "ihrer" Frauen hineinprojiziert wurde. Zu fragen wäre hier, inwiefern die Übernahme solcher Vorstellungen in den Alltagsverstand und die Selbstbilder der Lohnarbeitenden eine wichtige Voraussetzung dafür waren, dass der detailliert fremdbestimmte fordistische Lohnarbeitsalltag in den Fabriken bei ihnen Zustimmung fand.
Reproduktion als bloß individuelle Anforderung an den ‘ArbeitskraftunternehmerÂ’?
Die gegenwärtige Problematik besteht darin, dass das Familienernährermodell als Grundlage der politischen Regulierung erhalten bleibt, obwohl die ökonomischen und sozialen Verhältnisse, zu deren Regulierung es erschaffen und durchgesetzt wurde, sich in rasanter Auflösung befinden. Im Zuge der Durchsetzung hochtechnologischer Produktionsweisen und deren neoliberaler Regulierung verzichten Unternehmen zunehmend auf detaillierte Steuerung des Arbeitsalltags der Einzelnen. Möglich wird dies u.a. dadurch, dass sie die Weiterexistenz einzelner Arbeitsplätze bzw. einzelner als autonome Profitcenter organisierter Teams an deren ökonomischen Erfolg bei der Bearbeitung zeitlich eng gesetzter Aufträge knüpfen. Die Suche nach Profitmöglichkeiten und Marktvorteilen gegenüber der Konkurrenz ist insofern nicht mehr auf die Ebene der Unternehmensführung begrenzt. Vielmehr muss das individuelle Denken und Handeln im Lohnarbeitsalltag und darüber hinaus stärker als vorher bestimmt sein von der Frage nach Wegen des Erfolgs auf freien Märkten, sei es individueller Erfolg beim Kampf um Arbeitsplätze oder im Team bzw. Unternehmen als erfolgreiche Behauptung gegen andere Anbieter des gleichen Produktes. Diese neuen Anforderungen an die Einzelnen werden in der Soziologie häufig als Entstehung eines neuen Typus von Arbeitenden gefasst, dem Arbeitskraftunternehmer (Voß/Pongratz 1998). Voß und Pongratz begreifen diese Entwicklungen aus Sicht der Arbeitenden als Chance und Gefahr zugleich: Sinn der Durchsetzung eines solchen Typus von Arbeitenden sei zunächst einmal die möglichst effiziente Ausbeutung all ihrer Potenziale, und zwar bezogen auf alle Bereiche ihrer Persönlichkeit, über Kreativität, Begeisterungsfähigkeit, Lernbereitschaft bis hin zu Solidarität und Kooperationsfähigkeit. Insgesamt sei die ‘verstärkte Selbstvergesellschaftung von IndividuenÂ’ dabei nicht einfach ‘schöne, neue FreiheitÂ’, sondern vielmehr die massiv verstärkte ‘Anforderung an eine aktive, effizienzorientierte Durchgestaltung des eigenen LebensÂ’ (Voß 1999). Zu den Nutznießern dieser Entwicklung könnten dabei jene gehören, die sich die entsprechenden Kompetenzen aneignen können. Daneben werde es eine ‘keineswegs kleine SchichtÂ’ von neuen Tagelöhnern geben, ‘hart am Rande der ExistenzsicherungÂ’. Während der Arbeitskraftunternehmer für einige eine ‘attraktive neue HerausforderungÂ’ darstelle, bestehe für andere eine Gefahr darin, dass ihnen gerade durch die Anforderung, sich "eigenverantwortlich selbst zu steuern", verstärkt nahegelegt werde, sich selbst für das Erreichen von Markterfolg über die Grenzen der eigenen Kräfte hinaus auszubeuten im Sinne einer permanenten Überforderung. Die Aneignung notwendiger Schlüsselqualifikationen, wozu auch Kompetenzen wie die ‘zum Identitätsmanagement und zur Ich-Stabilisierung einschließlich der Begrenzung von SelbstausbeutungÂ’ und die ‘Fähigkeit zur flexiblen Selbstorganisation von Alltag und LebenslaufÂ’ gehöre, müsse Voß und Pongratz zufolge fester Bestandteil von allgemeinen Bildungsinhalten werden. Begründet wird diese Forderung damit, dass die Herausbildung solcher Fähigkeiten wesentliche Scheidelinie zwischen Gewinnern und Verlierern sein werde. Neben dieser Vermittlung individueller Kompetenzen sollen entsprechende sozial- und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Entstehung des Arbeitskraftunternehmers soll in einen ‘neuen industriegesellschaftlichen KompromissÂ’ mit einer ‘flexiblen Neu-Regulierung und einer sozialpolitischen Flankierung der sich wandelnden Arbeits- und SozialverhältnisseÂ’ eingebunden werden.
Grundsätzlich reproduziert der Ansatz des Arbeitskraftunternehmers in dieser Form eine Ideologie, in der die gesellschaftliche Verortung der Einzelnen im Wesentlichen als eine Konsequenz aus ihren persönlichen Fähigkeiten begriffen wird. Aus dem Blick fällt, dass die Gesellschaft mit der Einführung hochtechnologischer Produktionsweise und bei der Auslagerung großer Teile der Produktion in Billiglohnländer vor der historischen Notwendigkeit steht, Verhältnisse neu zu regulieren, in denen es bei steigender Produktivität zu einem sinkenden Bedarf an menschlicher Arbeitskraft kommt, die gebraucht wird, um für das Leben notwendige Mittel zu produzieren. Bei der gegenwärtigen Stärke der kapitalistischen Profitinteressen in gesellschaftlichen Kämpfen führt dies zu einem Mangel an ausreichend bezahlter, langfristig gesicherter Lohnarbeit, die zugleich aber Grundlage der Existenzsicherung bleibt. Profite werden weniger in großen zentral organisierten Fabrikeinheiten mit streng hierarchisch strukturiertem monotonem Arbeitsalltag realisiert. Produziert wird vielmehr zunehmend in flexiblen Netzwerken mit kleinen, spezialisierten, selbständigen Einheiten (Candeias 2000, 708). Rationalisierung und verstärkte Auslagerung notwendiger Unternehmensbereiche an echte oder Schein-Selbständige oder andere Formen von Subunternehmen und damit in weniger regulierte Arbeitsverhältnisse ist dabei von Nutzen, um die sozialen Kosten krisenhaft bedingter Nachfrageschwankungen, verschärfter Konkurrenzbedingungen und eines beschleunigten Technologiewandels weniger den Unternehmen als vielmehr den einzelnen anzulasten. Die sozialen und ökologischen Kosten, die aus dem Handeln großer Konzerne erwachsen, werden dabei zunehmend -- wenn überhaupt politisch eingegriffen wird -- aus Steuermitteln getragen, während über die Profite weiterhin die Kapitaleigner und Managements voll verfügen. Wenn es zur Herausbildung einer Elite hochqualifizierter Lohnarbeitender kommt, die nicht immer hochbezahlt sind, in jedem Fall aber inhaltlich anspruchsvollen und relativ selbständigen Tätigkeiten nachgehen, so ist dies im Sinne transnationaler Unternehmen, solange es sich als profitsteigernd erweist. Daneben dient das nun schon seit Jahrzehnten als politisches Problem diskutierte große Heer derer, die durch Arbeitslosigkeit aus Gesellschaft ausgegrenzt sind oder in prekärer und zunehmend repressiv erzwungener Weise in Arbeit eingebunden sind. Diese sind eine flexible Verschiebemasse zur Übernahme niedrigqualifizierter Tätigkeiten, bei denen sich aufgrund niedriger Löhne eine Automatisierung nicht lohnt.
Gleichwohl ist der Ansatz des Arbeitskraftunternehmers zugleich auch nützlich, um zu verdeutlichen, welche Anforderungen, Versprechungen und emanzipatorischen Fortschritte in den gegenwärtigen Verhältnissen angelegt sind und individuell lebbar werden. Will man ihn nutzen, um auch die Veränderungen von Geschlechterverhältnissen und Familie in den Blick zu bekommen, kann dies allerdings nur gelingen, wenn man die Leerstellen, die dieser Theorie innewohnen, vorführt. Am nächsten kommt man dieser Frage dort, wo davon gesprochen wird, dass an die Einzelnen auch die Anforderung der ‘Verbetrieblichung des alltäglichen und biografischen LebenshintergrundsÂ’ (Voß 1999) gestellt werde. Aus der Notwendigkeit der aktiven Vermarktung aller persönlichen Fähigkeiten und Leistungen ergäben sich entsprechend neue Qualitäten der gesamten Lebensführung der Betroffenen. Als Beispiel dient bei Voß ein Mitglied einer dynamischen Projektgruppe, das als solches flexibel auf die Erfordernisse des Teamprozesses und die termingerechte Erfüllung von Aufträgen reagieren können müsse. Wenn es ‘in einer Stressphase auf feste Arbeits- und Urlaubszeiten pochtÂ’, könne es nicht lange im Team bleiben. Artikuliert wird dies vor allem als verschärfte Anforderung an den Einzelnen, die Kollegen, Familie und Freunde ‘geschicktÂ’ zu ‘koordinierenÂ’. Dies klingt, als sei die Arbeit, die zur individuellen Reproduktion der Lohnarbeitenden und für ihre genussvolle Lebensgestaltung notwendig ist, in irgendeiner Weise ohnehin geregelt, so dass nun individuell frei entschieden werde könne, wie viel Platz Familie oder Privates im jeweiligen Leben einnehmen soll. Auch wenn die individuelle flexible Organisation von Alltag und Lebenslauf als eine notwendig individuell anzueignende Schlüsselkompetenz gefasst wird, die explizit Platz in einer zukünftigen Bildungsagenda erhalten soll, so wird ignoriert, dass den Möglichkeiten dieser Selbstorganisation durch die Formen, in denen notwendige Reproduktionsarbeit außerhalb der Lohnarbeit organisiert ist, Grenzen gesetzt sind. Der vollkommene Verzicht auf jegliche Eingrenzung von Arbeitszeiten, der von den Einzelnen gefordert und zum Teil freiwillig geleistet wird, steht im Widerspruch zu Notwendigkeiten und Verpflichtungen, die außerhalb der Lohnarbeit existieren. Soweit dies entnannt wird, setzt dieser theoretische Ansatz des Arbeitskraftunternehmers ebenso wie die Wirklichkeit der Arbeitsverhältnisse, die er beschreibt, Lohnarbeitende voraus, hinter denen eine/ein Reproduktionsarbeitende/r steht, der/die ihnen sämtliche über die Verausgabung ihrer Arbeitskraft für die Erwerbsarbeit hinausgehenden notwendigen Tätigkeiten abnimmt. Dies übersieht, dass die Grenze zwischen privat organisierter Arbeit zur Erhaltung des Lebens und gesellschaftlich organisierter Erwerbsarbeit auch insofern in Bewegung geraten ist, dass auch für Frauen die ausschließliche Konzentration auf die unbezahlte Reproduktionsarbeit nicht mehr möglich oder wünschenswert ist. Damit einhergehend verliert Familie bzw. das Private als Ort, an dem fern von marktförmigen Anforderungen die individuelle Reproduktion gesichert ist, ihre fest umrissenen Grenzen. Wo die Zuständigkeit für die verschiedenen Bereiche der individuellen Reproduktion und gesellschaftlich und profitorientiert organisierten Tätigkeiten nicht mehr streng getrennt auf die verschiedenen Geschlechter verteilt werden kann, sehen sich die einzelnen tatsächlich der verschärften Anforderung gegenüber, neben einem nahezu grenzenlosen Zugriff von Unternehmen auf ihre Zeit auch noch individuell ihre eigene Reproduktion und die der von ihnen Abhängigen zu organisieren. Die Perspektive in der Theorie des Arbeitskraftunternehmers, dass die neuen Arbeitsverhältnisse sozialpolitische Flankierungen brauchen, um eine für alle lebbare Existenz zu ermöglichen, kann dahingehend konkretisiert bzw. erweitert werden, dass die Frage nach den zukünftigen Formen, in denen die bisher in der Familie aufgehobenen Tätigkeiten organisiert werden sollen, hierin eine zentrale Bedeutung einnimmt.
Die Frage ist allerdings, inwieweit in den Köpfen der Mehrheit der Menschen eine Notwendigkeit gesehen wird, Kämpfe um eine lebbare Lösung dieses Widerspruchs zu führen. Diskurse um Familie und ihre politische Regulierung greifen immer auch in den Alltagsverstand ein, hier beeinflussen sie die Vorstellung vom richtigen Verhältnis zwischen privater und öffentlicher Verantwortung für Sicherung und Ausgestaltung des Lebens der Einzelnen. Lange Zeit waren staatliche Transferzahlungen an Familien in Deutschland die hegemoniale bzw. nahezu einzige familienpolitische Strategie. Nach im Jahr 2000 bezeichnet die Familienministerin Bergmann das Erziehungsgeld als ‘KernstückÂ’ rot-grüner Familienpolitik (Frankfurter Rundschau, 8.7.00). Erst seit kurzem sind die Kämpfe darum, diese durch eine Politik der sogenannten Vereinbarkeit von Familie und Beruf abzulösen, auch in Deutschland insofern von einem gewissen Erfolg gekrönt, als nun Regierungsparteien ebenso wie Wirtschaftsverbände die Notwendigkeit eines solchen Politikwechsels betonen. In feministischer Literatur werden bisher beide Strategien als gegensätzlich und letztere auf diese Weise als dringend notwendige Voraussetzung für eine gerechte Gestaltung von Geschlechterverhältnissen beschrieben (Pinl, Schratzenstaller, Stolz-Willig). So betrachtet würde die jetzt anstehenden bzw. angekündigten Veränderungen herrschender Familienpolitik aus frauenpolitischer Sicht emanzipatorischen Fortschritt bedeuten. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit beide Strategien in den gegenwärtigen Verhältnissen nicht eher in einem ergänzenden Verhältnis zueinander stehen. Möglicherweise ist gerade diese Ergänzung zur Zeit nützlich, um Zustimmung zu Verhältnissen zu organisieren, in denen ein Teil der Frauen größere Handlungsfähigkeit hat, während zugleich die Privatförmigkeit der Arbeit zur individuellen Reproduktion festgeschrieben wird.
Von ‘Kinderlosen’ und ‘Doppelverdienern’ -- die Verschiebung eines Interessenskonflikts
Als eine Zuspitzung der familienpolitischen Auseinandersetzung kann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung vom April 2001 angesehen werden. Argumentiert wird, dass in Familien die Arbeit des Betreuens und Erziehens der nächsten Generation geleistet werde. Da auf diese letztlich alle Pflegebedürftigen früher oder später angewiesen seien, da es sich bei ihnen um künftige Beitragszahler handle, sei es nicht zu begründen, dass Familien ebenso hohe Beiträge zur Versicherung leisten wie Kinderlose. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, die Pflegeversicherung in diesem Sinne gerechter zu gestalten. Dieses Urteil und die Reaktionen darauf lesen sich als eine Aufforderung, die in Familien geleisteten Tätigkeiten endlich als Arbeit zu verstehen und zu begreifen, wie zentral diese Arbeit für zukünftige gesellschaftliche Entwicklung ist. Die Dringlichkeit, mit der diese Forderungen diskutiert und vertreten werden, baut dabei auf einen in Diskursen über die Zukunft der Sozialversicherungen konstruierten und erfolgreich als Selbstverständlichkeit im Alltagsverstand verankerten Zusammenhang auf: Die Behauptung, dass die Deutschen wegen der Alterung der Gesellschaft künftig länger arbeiten, höhere Sozialabgaben zahlen und mehr Geld in private Vorsorge für den Ruhestand stecken müssen, stoßen gegenwärtig ohne weitere Erläuterungen auf weit verbreitete Zustimmung. Die Diskussion um einen schrittweisen Übergang in eine kapitalgedeckte Rentenversicherung wird auf diese Weise begründet als notwendige Konsequenz aus der zu erwartenden Veränderung der altersmäßigen Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung. Ebenso akzeptiert wird die Perspektive, dass jene (wenigen) mit genügend Geld alle Möglichkeiten der modernen Medizin nutzen können, während es bei allen Anderen um ‘Sparen, Sparen, SparenÂ’ (Heckel/Tutt 2001) gehen muss, damit sie im Alter versorgt sind. Zwar kann ein auf diese Weise konstruierter Zusammenhang zwischen steigenden Kinderzahlen und sicheren Renten zurückgewiesen werden. Hinsichtlich der Frage der staatlichen Altersvorsorge ist zu bezweifeln, ob heute geborene Kinder morgen grundsätzlich zu Beitragszahlern werden. Bei Beibehaltung der aktuellen Flexibilisierungs- und Deregulierungsstrategien werden sie eher arbeitslos werden oder in solchen Lohnformen tätig sein, in denen keine sozialversicherungspflichtigen Abgaben zu leisten sind (Pinl 2001, 1125). Auch der Vorstellung, dass eine heutige geringe Geburtenzahl in Jahrzehnten zu einem Arbeitskräftemangel führe, kann entgegengehalten werden, dass auch für die Zukunft von einer permanent steigenden Arbeitsproduktivität ausgegangen werden könne, die diese Entwicklung (über-)kompensieren werde (Schratzensteller 2002, 128).2 Gleichwohl bildet die starke Akzeptanz eines einfachen Zusammenhangs zwischen einem Rückgang der Bevölkerung, einer zukünftigen Verschärfung sozialer Verhältnisse und (als bloßer Ableitung davon) der Notwendigkeit von Familienpolitik jetzt den Boden für die Erfüllung einer frühen feministischen Forderung. Die Kritik an der Marginalisierung der in Familie geleisteten Arbeit und ihr Begreifen als bloßen Akt der Liebe und damit als Erfüllung der natürlichen Bestimmung der Frau war von Beginn an ein zentrales Thema der zweiten Frauenbewegung. Der Naturalisierung von Familie wurde hier mit Analysen zur ökonomischen bzw. gesellschaftlichen Bedeutung von Familie begegnet. Gleichwohl dient die Aufnahme feministischen Gedankenguts in den mainstream der Familienpolitik heute nicht dazu, endlich die Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen über ihre Verortung in Familie zu problematisieren. Die neuerliche Betonung der gesellschaftlichen Notwendigkeit, Kinder aufzuziehen, wird vielmehr dazu genutzt, diskursiv einen Interessenskonflikt zwischen Familien und Kinderlosen zu konstruieren. Diese Gegenüberstellung hat den Effekt, dass über ‘FamilieÂ’ als einheitliches Subjekt gesprochen wird. Indem die Interessen aller in Familie lebenden Menschen als widerspruchsfrei gedacht und als solche stark gemacht werden, taucht sie nicht mehr auf als ein Ort, in dem die einzelnen Akteure abhängig von Geschlecht und sozialer Lage unterschiedlich positioniert sind. Die Kinderlosen gelten in dieser Konstellation als diejenigen, die sich unsolidarisch verhalten, sich nicht beteiligen an einer ‘verantwortbaren ZukunftsvorsorgeÂ’, die dafür sorgen, dass unser Gemeinwesen vor dem Offenbarungseid steht. Ihre massenhafte Existenz sei insofern ein ‘schwerer SystemfehlerÂ’ und eine ‘generative FehlleistungÂ’ (Hefty 2001). Das Bundesverfassungsgerichtsurteil wird begrüßt, weil es sich gegen die ‘DoppelverdienerÂ’ richte, die ‘in ihrer Erwerbslaufbahn nicht ohne Kostenbeitrag jene überholen (sollen), die Zeit und Geld für ihre Familie aufwenden, und später im Alter aus deren Verzicht unentgeltlich Nutzen ziehen könnenÂ’ (Jahn 2001). In der Gegenüberstellung zu diesen moralisch Verwerflichen erscheinen Männer und Frauen, die Kinder aufziehen, als die einzigen, die in dieser Gesellschaft überhaupt noch die eigentlich notwendige Arbeit leisten, freilich ohne, dass dies ausreichend von Politik und Gesellschaft gewürdigt würde. Das Eintreten für die Familie präsentiert sich auf diese Weise als ein Eintreten für die gesellschaftlich Marginalisierten. Bei einer solchen Kritik an den Kinderlosen kann gefragt werden, in welcher Weise hierin kritische Positionierungen gegenüber dem Aufbrechen traditioneller Geschlechterverhältnisse genutzt werden, um damit zugleich den sich verschärfenden Unterschiede zwischen arm und reich festzuschreiben: Werden den gesellschaftlich Marginalisierten die ‘KinderlosenÂ’ oder ‘DoppelverdienerÂ’ als Gewinner der gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbrüche gegenüber gestellt, so wird deren ökonomischer Erfolg allein auf die vom traditionellen Familienmodell abweichenden Formen zurückgeführt: Das Doppelte in dem Begriff der ‘DoppelverdienerÂ’, in dem immer auch ein unangebrachtes Zuviel mitschwingt, kann nur als solches gefasst werden im Vergleich zu einer Familie, in der es nur ein Einkommen gibt, im Regelfall das des Mannes, von dem Frauen und Kinder ökonomisch abhängig sind. Die artikulierte Empörung gegen Kinderlose setzt insofern auf Ressentiments gegen Lebensweisen, in denen Frauen von der ihnen zugedachten Rolle als Familienmutter abweichen. In der bloß moralischen Empörung über solche Lebensweisen wird zugleich festgeschrieben, dass es unvermeidbar ist, dass die Übernahme von Verantwortung für Kinder in dieser Gesellschaft eine Einschränkung von Handlungsfähigkeit bedeutet. Denn wohlgemerkt: Es wird nicht infragegestellt, dass Menschen ohne Kinder hinsichtlich der Qualität ihrer Lohnarbeit und der Höhe ihres Einkommens größere Handlungsmöglichkeiten haben. Sie sollen diese Vorteile nur nicht ‘ohne KostenbeitragÂ’ bzw. ‘unentgeltlichÂ’ genießen. Im Weiteren wird in einer Gegenüberstellung der Lebenssituation von Kinderlosen und Familien der Verzicht, den letztere in Kauf nehmen, mit positiven Bedeutungen besetzt: ‘Kinder sind jedoch nicht nur ... eine finanzielle Last, sondern eine Lust, die mit Geld nicht zu bezahlen ist.Â’ (Blüm 2001) Auf diese Weise werden Lebensweisen ohne Kinder nicht nur moralisch problematisiert als Ausdruck von zuviel Individualismus und Egoismus und einem verweigerten Dienst gegenüber der Allgemeinheit, aus der sie gleichzeitig Nutzen ziehen. Familie wird auch als einzig möglicher Weg zu wahrer Menschlichkeit und Lebensqualität dargestellt. Wenn man sich auf diese Weise Familie als Hort lustvoller Erlebnisse auf der einen, das Leben der Kinderlosen mit guten Jobs und guter Bezahlung auf der anderen Seite denkt, liegt es nahe, letzteres grundsätzlich als wenig erstrebenswert wahrzunehmen. Leben in prekären Verhältnissen trotz zunehmend sichtbaren Reichtums in der Gesellschaft lässt sich auf diese Weise als selbstbewusst gewählter Versuch begreifen, den Weg zu einem guten Leben zu finden. Solche Erklärungsmuster und Frageebenen, die der Kinderlosen-Diskurs zum Begreifen gesellschaftlicher Verhältnisse nahe legt, müssen zurückgewiesen werden: Ob Menschen zu einer solidarischen Entwicklung von Gesellschaft etwas beitragen oder nicht, entscheidet sich nicht entlang der Frage, ob sie sich für oder gegen ein Leben mit eigenen Kindern entscheiden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich an der gesellschaftlichen Marginalisierung derer, die nicht hochqualifiziert und der Lohnarbeit ihre gesamte Lebenszeit zur Verfügung stellen, nicht grundsätzlich etwas verändern würde, wenn Familien aufgewertet und finanziell besser gestellt wären. Solange sich die politische Regulierung von Gesellschaft im wesentlichen an den Profitinteressen großer Unternehmen ausrichtet, wird die Menge und die Qualität von bezahlten Arbeitsplätzen vor allem von den Anforderungen abhängen, die der Weltmarkt an die einzelnen Orte als ‘WirtschaftsstandorteÂ’ stellt. Eine erneuerte Haltung der Einzelnen zur Familie ändert hieran wenig, solange die Kritik an der Marginalisierung der in Familie Tätigen nicht dahingehend gewendet wird, dass hieraus die Forderung nach einer Neuregulierung aller gesellschaftlichen Bereiche folgt.
Obgleich solche Feststellungen wichtig sind, lässt sich zugleich auch nachvollziehen, dass die vorgeführten Denkweisen über die Interessenslage im Feld Familie im Alltagsverstand auf Zustimmung stoßen, da sie für offensichtliche Phänomene und Alltagserfahrungen Erklärungen anbieten: Man kann es als einen wahren Kern des vorgeführten Kinderlosen-Diskurses bezeichnen, dass die Chance auf einen existenzsichernden Arbeitsplatz und insbesondere die dauerhafte Zugehörigkeit zur Schicht privilegierter Arbeitnehmer/innen voraussetzt, dass man von häuslichen Verpflichtungen gegenüber anderen vollkommen entbunden ist. Individuell kann bei ausreichendem Einkommen das Wegfallen eines familiär organisierten Ortes der individuellen Reproduktion ausgeglichen werden durch die Inanspruchnahme entsprechend marktförmig angebotener Dienstleistungen. Als Kinderlosigkeit muss dies aber dann nicht gelebt werden, wenn diese Arbeitsplätze von Männern eingenommen werden, an deren Seite eine Frau die Bereitschaft zeigt, die ortsgebundene Organisation des familiären Rahmens zu übernehmen. Zu fragen wäre insofern, inwieweit die Anforderungen von hoher Flexibilität und Mobilität für Männer gerade aus traditionellen Familienstrukturen heraus lebbar wird. In Bereichen der Gesellschaft, in denen beide Elternteile eine akademische Ausbildung haben, werden zwar Ansprüche an eine partnerschaftliche Form von Arbeitsteilung in Familie artikuliert, gleichwohl wird aber mit Geburt des ersten Kindes aufgrund der fehlenden Infrastruktur zur Betreuung von Kindern zum klassischen Familienmodell übergangen ohne oder mit geringer Erwerbstätigkeit der Frau (Notz 1991 200f). Knapp 40% der 35- 44jährigen Frauen mit Hochschulabschluss bleiben heute auf Dauer kinderlos (Engstler 2001, 106). Dies lässt sich als Hinweis darauf begreifen, dass Frauen verstärkt nach individuell gelebten Möglichkeiten des Widerstands gegen solch ein Leben nach altem Muster und Frauenbild und entsprechender Benachteiligung suchen und dies bei ihnen unter den gegenwärtigen Bedingungen den Verzicht auf eigene Kinder voraussetzt. Wird dies allein als moralische Frage aufgegriffen, so verzichtet man auf eine Kritik an sozialen Verhältnissen, in denen die, die Verantwortung für andere übernehmen, auf Lebensqualität und gesellschaftliche Partizipation verzichten müssen, während allen anderen gerade dann, wenn sie tatsächlich ganz ohne konkrete Verantwortung gegenüber anderen leben und sich eben dadurch vollkommen flexibel und hochmobil den Strategien ihrer Unternehmen verschreiben können, die Welt offen steht.
Wie gezeigt arbeitet der Kinderlosen-Diskurs u.a. mit der ideologischen Anrufung derer, die in und für Familie alle Arbeit leisten und hierfür kaum von der Gesellschaft honoriert werden. Dies mag an den größer werdenden Orten gesellschaftlicher Marginalisierung auf eine mögliche Zustimmung durch solche männliche Identitäten stoßen, die sich über ihre Fähigkeit definieren, ausreichend für eine Familie sorgen zu können oder gesorgt zu haben. Für sie ist mittlerweile die Erfahrung, dass für ihr Leistungsangebot in Anbetracht der sich umwälzenden Arbeitsverhältnisse keine ausreichende Nachfrage besteht, alltäglich. Damit verschwindet auch ihre Fähigkeit, sich selbst und anderen in diesem Sinne ein gutes Leben zu verschaffen und darin die eigene innerfamiliäre Machtposition zu festigen. Tatsächlich würde eine höhere finanzielle Unterstützung von Familien, die häufig als Forderung aus dem Diskurs um den Konflikt zwischen Kinderlosen und Familien folgt, das Problem wachsender sozialer Ungerechtigkeit und Familienarmut nicht lösen. Sie würde es vielmehr verstärken, gerade weil sie in solcherart aufbrechende Geschlechterverhältnisse in konservativer Weise einzugreifen versucht: Die wesentliche Ursache für diese Schlechterstellung einer Großzahl von Familien sei, so Stolz-Willig (2002), der Leitbildcharakter des westdeutschen Familienernährermodells, das Frauenerwerbstätigkeit sanktioniere. Ein wesentlicher Beitrag dazu, trotz wegbrechender Löhne der Männer die Möglichkeiten zur Existenzsicherung für Familien zu verbessern, wäre eine entsprechend zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen. Dies ist aber in den Strukturen der westdeutschen und damit mittlerweile der gesamtdeutschen Gesellschaft nach wie vor kaum möglich, da sie hier eingeschrieben ist als ein zusätzliches ‘MitverdienenÂ’ neben dem eigentlichen Familieneinkommen des Mannes. Dieses Leitbild wird durch die Forderung nach Familiengeld nicht in Frage gestellt, vielmehr erneut gestärkt, da mit ihr die Arbeit, die notwendig ist im Zuge des Heranwachsens der nächsten Generation, allein unter dem Aspekt in die öffentliche Wahrnehmung gerät, wie diese in Familie besser und gerechter organisiert sein könnte. Aufgrund der fehlenden Bereitschaft zur Finanzierung ist der Vorschlag des Familiengeldes für Stolz-Willig ‘sozialpolitische MythenbildungÂ’, also ein bloß diskursiver Eingriff, der aber trotzdem ‘nicht folgenlos (bleibt) für die Debatte um gesellschaftliche Aufgaben, Strukturen des Zusammenlebens und Verantwortung gegenüber der nachfolgenden GenerationÂ’. Sie zeigt, dass die Vision eines Familiengelds der ideologischen Absicherung des gesellschaftlichen Rückzugs aus der Verantwortung für Erziehung und Ausbildung dienen kann (214f). Notwendige Diskussionen um eine gesellschaftliche Organisation dieser Arbeit durch den Ausbau von öffentlicher Kinderbetreuung und anderer Infrastruktur werden in einer solchen Perspektive blockiert. Diese aber seien wesentliche Voraussetzung, Frauen auch als Mütter von (Klein-) Kindern Möglichkeiten einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit zu eröffnen und damit dem Risiko der Verarmung durch das Großziehen von Kindern entgegen zu wirken.
Ganztagsbetreuung als Standortfaktor -- Feminismus als Elitediskurs?
In Anbetracht dieser Verhältnisse werden in feministischen Eingriffen in Sozial- und Wirtschaftspolitik seit Jahren ungehört Forderungen nach dem Ausbau von Ganztagsbetreuung vorgetragen. Sie werden hier als notwendige Maßnahmen begriffen, um die Autonomie von Müttern zu erhöhen, indem diese mehr Handlungsfähigkeit im Bereich der Erwerbstätigkeit entfalten können. Zugleich würde sich dadurch ihre Einkommenssituation und damit die der Kinder verbessern, sei es innerhalb oder außerhalb traditioneller Familie. Sie wären dadurch auch weniger von Mann oder Staat abhängig. ‘Das durch die Subventionierung der Familie verteilte Geld fehlt an anderer Stelle, vor allem da, wo es Kindern, unabhängig von ihrer jeweiligen familiären Situation, wirklich zugute käme: Im Bereich der öffentlichen ErziehungÂ’ (Pinl 2001, 1129). In diesem Kontext besteht Pinl noch ausdrücklich auf einem verallgemeinerbaren Charakter familienpolitischer Maßnahmen in dem Sinne, dass sie allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zugute kommen sollten. Diesen Anspruch gibt sie jedoch auf, sie führt die Begrenzung deutscher familienpolitischer Diskurse auf den Konflikt zwischen Kinderlose und Familien als einen altväterliche Diskussion vor, um zum Schluss hoffnungsvoll die Frage zu stellen: ‘Zieht die Wirtschaft die "lila Karte"?Â’ (1130). Damit bringt sie zum Ausdruck, dass ihrer Ansicht nach eine große Chance emanzipatorischer Erneuerung darin läge, wenn die Unternehmer Familienpolitik endlich in neuer Weise vorantreiben, motiviert durch ihren Bedarf nach den Kompetenzen gut ausgebildeter junger Frauen. Solche Wünsche sind nun in gewisser Weise erhört worden. Solche Wünsche sind nun in gewisser Weise erhört worden. Zwar wurde auf der Ebene politischer Entwürfe schon bei Anthony Giddens in seinen Vorschlägen zu einer ‚Politik des Dritten WegsÂ’ konservative Familienvorstellungen aufgegeben zugunsten des Ideals demokratischer Familienformen (vgl. kritisch hierzu Haug 1999, 797f). Doch dass Schröder Familienpolitik für so bedeutend hält, dass er hierzu eine Regierungserklärung abgibt und darin zudem ausführlich über die Wünsche von Frauen nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf spricht, ist eine wesentliche Neuerung rotgrüner familienpolitischer Strategien. Er verspricht den Bundesländern im Laufe der nächsten vier Jahre 4 Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsbetreuungseinrichtungen für Kinder. Die gesellschaftlichen Kräfte, die solchen Forderungen in dieser Form neue Kraft verleihen können, werden von Pinl richtig eingeschätzt: Stimmen gegen ein Familiengeld und für eine Streichung des steuerrechtlichen Ehegattensplittings verbunden mit der Forderung, aus diesen Einsparungen eine bedarfsgerechte öffentliche Kinderbetreuung in Deutschland zu finanzieren, werden neuerdings vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) oder der Bertelsmann Stiftung erhoben (Marshall 2002). Als Beweggründe hierfür wird neben den Ergebnissen der Pisa-Studie der absehbar wachsende Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften genannt. Akademisch gebildete Frauen, die einen Großteil ihrer Zeit ausschließlich für das Großziehen von Kindern in der Familie verwenden müssen, stellen sich in dieser Situation aus Sicht der Unternehmen und einer Politik, deren erstes Ziel es ist, Deutschland zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort zu machen, als Verschwendung von Humanressourcen und wohl auch investiertem Bildungskapital dar. Wegen dieser Interessenlage stimmen die angekündigten politischen Veränderungen, selbst wenn sie tatsächlich umgesetzt würden, kaum hoffnungsfroh; schon der Bericht der Kommission der Freistaaten Bayern und Sachsen zur Zukunft der Arbeit weist darauf hin, dass es volkswirtschaftlich notwendig wäre, hochqualifizierte Personen gleich welchen Geschlechts von der Familien- bzw. allgemein von der Reproduktionsarbeit zu befreien (Kommission zu Zukunftsfragen 1996, 119). Zwar sei es wegen des bisweilen notwendigen ‘engen KontaktsÂ’ in allen Betreuungsverhältnissen wichtig, dass manche Formen der Fürsorge von Familienmitgliedern übernommen werden (ebd.). Solche Betreuung durch Eltern bzw. Familienmitglieder, so führt der Bericht weiter aus, werde eben auch dadurch leiden, dass die Betreuungsarrangements wechselnd und notdürftig sind. Es wird betont, dass bei einer Delegation solcher Arbeit an bezahlte Arbeitskräfte deren Kompetenz gesichert sein müsse und also eine entsprechende Ausbildung nötig sei. Daneben aber sorge eine Delegierung jener Hausarbeit, die kaum Qualifizierung voraussetze, an bezahlte Dienstleister in Form sogenannter einfacher personenbezogener Dienste dafür, dass die in Familie geleistete Arbeit eben durch diese Delegation bessere Qualität bekommen könne. Die Frage nach den ökonomischen Bedingungen, unter denen diese Umwandlung von Hausarbeit in bezahlte Arbeit stattfinden soll, wird im Bericht innerhalb der Diskussion abgehandelt, inwieweit ein kaum staatlich regulierter Niedriglohnsektor volkswirtschaftlich notwendig ist (127ff).
Natürlich handelt es sich bei der aktuellen rotgrünen familienpolitischen Vorschlägen zum Ausbau der Kinderbetreuung um etwas anderes als um eine Diskussion solcher Formen von Niedriglohnsektoren. Doch wollte man nicht die Subventionierung privater Dienstleistungen für hochqualifizierte Frauen, sondern flächendeckende und bedarfsgerechte Ganztagsbetreuung aller Kinder, so würde dies ein Mehrfaches der jetzt versprochenen Summe -- der DIW spricht von 12,2 Mill. Euro (Marschall 2002) -- kosten. Der Bericht der Zukunftskommission lässt sich insofern als Hinweis darauf lesen, nach welchen Kriterien die Entscheidung über die nun versprochenen vier Mill. Euro des Kanzlers getroffen werden könnten: Es geht um die Möglichkeiten des effektiven Einsatzes akademisch ausgebildeter Frauen in Hightech- und wirtschaftsnahen Branchen. Qualitativ hochwertig muss die Betreuung von Kindern zudem dort sein, wo diese absehbar als Arbeitskräfte mit hohen persönlichen Kompetenzen gebraucht werden. Setzt sich die derzeitige Regulierungsweise des Arbeitsmarktes fort, bei der die Mehrzahl der Menschen wenn überhaupt als gering qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht werden, lässt sich hieraus kaum ein Anspruch auf eine gerechte Verteilung -- im Sinne der Erzeugung gleicher Chancen -- von öffentlich organisierter Kinderbetreuung entwickeln. Von der grundsätzlichen Zielsetzung her geht es explizit nicht darum, verallgemeinerbare Formen zu finden, in denen in allen gesellschaftlichen Schichten, neu überdacht wird, wie die Organisation familiärer Arbeit mit Erwerbsarbeit zu vereinbaren wäre. Viel mehr wird über die Diskussion um die Unumgänglichkeit niedriger Löhne und eine Aufrechterhaltung der geringen staatlichen Regulierung von Arbeitsverhältnissen in diesen Bereich die Erwerbsarbeit in einer Weise gestaltet, dass die Fürsorgearbeit in Familie daneben kaum in befriedigender Weise zu leisten ist. In diesen Bereichen können dann die ideologischen Eingriffe des Kinderlosen-Diskurses weiterhin von Nutzen sein, um diese Verhältnisse zu stabilisieren: Durch die Aufwertung von Familienarbeit findet der auch weiterhin nahezu ausschließlich von Frauen übernommene Versuch, prekäre gering entlohnte Arbeitsverhältnisse mit der Übernahme familiärer Verantwortung zu vereinen, moralische Anerkennung. Zugleich werden die Formen, die diese Belastung als individuell zu tragende überhaupt erst produzieren, verfestigt. Neben dieser herrschaftsstabilisierenden ergänzendem Verhältnis beider familienpolitischer Strategien müssen sie auch in ihren Widersprüchen und als solche als Chance wahrgenommen werden: Herauszuarbeiten wäre, in welcher Weise in den Diskursen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in ihrer hegemonialen Form stets ein allgemeingültiger Anspruch aller Frauen auf eine selbstbestimmte Existenz artikuliert wird. Es ist Aufgabe feministischer Eingriffe in dieses Feld, die notwendigen grundlegenden Gesellschaftsveränderungen aufzuzeigen, die für die Erfüllung eines solchen Anspruchs notwendig sind. Realisieren lässt er sich nur, wenn die Arbeitsverhältnisse so reformiert werden, dass die unbezahlten und die bezahlten notwendigen Leistungen für das Überleben, das Glück und Wohlbefinden der Menschen und der übrigen Lebewesen endlich Priorität über der marktwirtschaftlich und profitorientierten Produktion der Lebensmittel erlangen.
Anmerkungen
1) Vgl. Ostner, Ilona: Arm ohne Ehemann? Sozialpolitische Regulierung von Lebenschancen von Frauen im internationalen Vergleich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 36-37/1995, S.3ff.
2) Darüber hinaus kann global betrachtet von einem Bevölkerungsschwund natürlich kaum die Rede sein. Die Entwicklung der hierzulande lebenden Bevölkerung ist somit auch Ergebnis der hegemonialen Haltung dazu, dass Deutschland auf Einwanderung als politische Strategie setzen könnte. Das gegenwärtiges Zusammenspiel und die Widersprüche zwischen patriarchal-kapitalistischen Interessen und (teilweise dumpf-)nationalen Empfindungen und Denkweisen wäre ein eigenes komplexes Thema, das ich hier nicht näher erörtere.
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Erschienen in DAS ARGUMENT 247