Globalisierung im Bundestag

Aktuelle politische Debatten und alternative Forderungen

Seit dem 13. März 2000 tagt die Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft -Herausforderungen und Antworten". Sie setzt sich proportional zur Fraktionsgröße aus 13 Abgeordneten und ...

I. Einleitung

... einer gleichen Anzahl von Sachverständigen zusammen. Zur Diskussion wurden Arbeitsgruppen gebildet, die das Feld anhand der Schwerpunkte Finanzmärkte; Waren-, Güter- Dienstleistungsmärkte; Ressourcen; Arbeitsmärkte; Global Governance; Wissensgesellschaft strukturieren.[1] Im September 2001 legte die Kommission ihren Zwischenbericht vor, in der die Analyse der fortgeschrittenen Arbeitsgruppen (Finanzmärkte sowie Waren-, Güter- und Dienstleistungsmärkte) bereits in Empfehlungen mündete. Ob und inwieweit die kritischen Positionen und die zaghaften Mehrheitsempfehlungen für das politische Handeln relevant werden, bleibt abzuwarten.

Die parlamentarische Arbeit kann dazu dienen, in den Diskurs, wie die Globalisierung zu verstehen ist und was zu tun und zu lassen wäre, alternative Aspekte einzubringen und öffentlich zu machen. Es geht einerseits um Forderungen nach einer anderen Regulierung sozio-ökonomischer Prozesse und einer alternativen internationalen Kooperation. Andererseits müssen sich links verstehende Parteien mit den ‚neuen‘ Bedingungen auseinandersetzen, um ihre Positionen weiterzuentwickeln. Bei aller Ideologie verbirgt sich hinter dem Schlagwort Globalisierung nämlich ein Strukturwandel. Kommunale und nationale Lösungen allein werden nicht mehr greifen und sie können es auch nicht, denn der Entscheidungsrahmen wir zunehmend durch internationale bzw. regionale Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) oder die EU bestimmt. Die parlamentarische Linke hat sich angesichts dessen besser zu vernetzen und ihr Verhältnis zu den Globalisierungskritikern zu klären. Die folgenden Bemerkungen sind im wesentlichen eine Zusammenfassung der Anmerkungen und Handlungsvorschläge im Minderheitsvotum der PDS zum Zwischenbericht der Kommission.

II. Finanzmärkte

Wie üblich wenn die Globalisierung ins Blickfeld rückt, nahm die Diskussion über die Finanzmärkte eine exponierte Stellung in den Sitzungen der Kommission ein. Kontrovers wurde über das Ausmaß und den Einfluss deregulierter Finanzmärkte debattiert und relativ schnell zeichnete sich ab, dass es zu unterschiedlichen Empfehlungen kommen mußte. Im Diagnoseteil des Zwischenberichts beschränkte sich die Regierungsmehrheit in der Kommission - wenn auch erst unter Druck der von links vorgetragenen Fakten und Argumente - zumindest nicht auf die Beschwörung der theoretisch möglichen Vorzüge liberalisierter Finanzmärkte, sondern nahm die wirkliche Welt zur Kenntnis. Dieses führte dazu, dass der Bericht zu einer deutlich skeptischen und kritischen Einschätzung der Rolle von Finanzmärkten und ihrer Verantwortung für zunehmende weltwirtschaftliche Instabilitäten und Krisen, vor allem aber für die soziale Ungleichheit gelangt ist. Allerdings blieb die Analyse teilweise verharmlosend und inkonsequent. Die Problemwahrnehmung beschränkt sich auf die destabilisierende Rolle der Finanzmärkte und klammert den ‚disziplinierenden‘ Druck auf Parlamente und Regierungen aus. Aber gerade dieser Druck führt zu einer verengten wirtschaftspolitischen Gesamtorientierung und z.B. zur Auslieferung zunehmender Teile der sozialen Sicherung an die Gewinninteressen der institutionellen Investoren und die Risiken der Kapitalmärkte.

Alleinherrschaft der Eigentümer

Beispielhaft hierfür ist die jüngste Diskussion um den Begriff ‚Shareholder Value‘. Es geht eben nicht in erster Linie um die Einführung einer neuen Meßzahl für den Unternehmenswert. Shareholder value Orientierung beschreibt im Kern eine Kampfansage der institutionellen Anleger an eine Unternehmenspolitik, die neben den Interessen der Eigentümer (shareholder) auch noch andere Interessen berücksichtigt. Sie ist eine Kampfansage an Mitbestimmung der Beschäftigten und Gewerkschaften. Kern der Vorstellung von ‚Wirtschaftsdemokratie‘ war, dass große Unternehmen mit Tausenden von Beschäftigten nicht als Privatveranstaltung von Privatleuten im ausschließlichen Interesse von Privatleuten geführt werden sollten, sondern soziale Organisationen sind, in denen zum einen ein Mindestmaß an innerer Demokratie herrschen und die zum anderen in ein Geflecht sozialer, ökologischer und entwicklungspolitischer Verantwortung einzubinden sind. Eine solche Orientierung war auch in der Vergangenheit harten Angriffen ausgesetzt und ist oft verletzt worden. Mit der Entwicklung und Liberalisierung der Finanzmärkte und der wachsenden Rolle institutioneller Anleger erhalten diese Angriffe neue Wucht. Die Folgen beschränken sich nicht auf die Unternehmen, in denen die institutionellen Anleger unmittelbar präsent sind und direkten Druck auf das Management ausüben. Über die Mechanismen der Börse, des Rating und Ranking, die Konkurrenz, über neue Standards und Benchmarks für die Rechnungslegung, Konditionen für Zulieferer und Kunden wird der Druck auf andere Unternehmen übertragen und trifft somit auch mittelständische Firmen. Shareholder value Orientierung ist lediglich ein Kürzel für eine massive Welle der Gegenreform in der Unternehmensführung.

Die Aushebelung von Demokratie

Der neoliberal favorisierte ‚disziplinierende‘ Druck der Finanzmärkte auf die Politik gefährdet andererseits das ohnehin nicht besonders stabile demokratische Gefüge. Dieser Druck wird von denen, die ihn ausüben, als Vorzug der modernen Finanzmärkte herausgestellt: Sie reagieren schnell und hart auf politische ‚Fehler‘ und erzwingen politische Korrekturen. Als Fehler gilt dabei alles, was nicht im Interesse der Anleger liegt: ein starkes öffentliches System der sozialen Sicherheit, hohe Löhne, energische Beschäftigungs- und Umweltpolitik, großzügige Entwicklungspolitik, zu hohe Steuern. Die Korrektur dieser Fehler erfolgt seit den 80er Jahren durch restriktive Geld- und Finanzpolitik, Sozialabbau und die ‚Lockerung‘ sozialer und ökologischer Standards. Die Hebel, mit denen die institutionellen Anleger ihre Interessen gegenüber der Politik und der Gesellschaft durchsetzen, sind die Konkurrenz um Neuanlagen und ihre ‚Exit-Option‘, also ihre Fähigkeit, das Kapital, das sie in einem Land angelegt haben, sehr schnell und praktisch ohne Kosten abzuziehen. Allein die Drohung mit Kapitalverlagerung veranlaßt Regierungen, sich auf einen ‚Standortwettbewerb‘ einzulassen, in dem soziale und demokratische Fortschritte geschleift werden. Die auf den Finanzmärkten dominierenden Banken und Anleger haben auf diese Weise dazu beigetragen, dass sich die wirtschaftspolitische Hauptausrichtung in den letzten Jahrzehnten zugunsten eines Marktradikalimus gewandelt hat, in dem sich die Rolle der Politik darauf beschränken soll, privates Eigentum zu schützen und öffentliches zu privatisieren, Märkte zu öffnen und für stabile Preise zu sorgen - notfalls durch Auslösung von Krisen und Arbeitslosigkeit.

Diese Politik ist aus zwei Gründen schädlich. Zum einen verschärft sie die soziale Polarisierung zwischen den Ländern und in den meisten Ländern massiv. Zum anderen untergräbt sie die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie, indem die Disziplinierung und Kontrolle der Regierung und die Korrektur von Regierungspolitik nicht mehr als Aufgabe der Parlamente, Gerichte und der Öffentlichkeit angesehen wird, sondern von den Finanzmärkten übernommen wird, oder indem die Parlamente zu machtlosen Exekutoren der von den Finanzmärkten erhobenen Anforderungen werden. International spielen seit den 70er Jahren der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank vor allem gegenüber den Entwicklungsländern eine ähnlich disziplinierende Rolle. Sie verbinden mit ihren Strukturanpassungsprogrammen wirtschaftspolitische Auflagen, die im wesentlichen auf Privatisierung, Liberalisierung, Deregulierung und eine restriktive Geld- und Fiskalpolitik zielen. Das führte nicht nur zu sozialen, ökologischen und politischen Verwerfungen, sondern beseitigte auch weitgehend die Handlungsautonomie der jeweiligen Regierungen, Parlamente und EinwohnerInnen, demokratisch über ihre Wirtschaftspolitik zu entscheiden. Die ausschließliche Verteilung des Stimmrechts bei IWF und Weltbank entsprechend der Einlagen gibt den Industrieländern ein massives Übergewicht und unterstreicht den für eine Organisation mit globaler Verantwortung inakzeptablen undemokratischen Charakter.

Die Auslieferung der sozialen Sicherheit an die Finanzmärkte

Auch der Einfluss der großen Akteure auf den Finanzmärkten bei der massiven Beschädigung der Systeme der sozialen Sicherheit, die mit ihrer schrittweisen Privatisierung verbunden ist, wird in der Regel nicht thematisiert. Diese Privatisierung wird gegenwärtig in unterschiedlicher Form und Geschwindigkeit unter dem Titel ‚Modernisierung der Sozialsysteme‘ betrieben. Als Begründung dient die Behauptung, die geltenden gesetzlichen und paritätisch oder aus den öffentlichen Haushalten finanzierten Umlagesysteme seien angesichts einer älter werdenden Bevölkerung nicht mehr zu finanzieren und müssten durch private Systeme ergänzt bzw. ersetzt werden. Diese Begründungen halten einer theoretischen und empirischen Überprüfung nicht stand. Bei der Privatisierung der Systeme der sozialen Sicherheit handelt es sich vielmehr um eine Umverteilung von Leistungen zugunsten der reicheren Schichten der Gesellschaft. Vor allem aber handelt es sich um eine Subvention in Billionenhöhe für die großen Versicherungen und andere institutionelle Anleger: Die Beiträge zur Sozialversicherung, die in umlagefinanzierten öffentlichen Systemen unmittelbar - d.h. ohne den Umweg über die Kapitalmärkte - für Leistungen ausgegeben werden, fließen im Zuge der Privatisierung zunächst als disponible Mittel in die Portfolios der institutionellen Anleger und stärken ihre Position als ‚global players‘ auf den internationalen Finanzmärkten. Die Versicherungen und Finanzanleger, die eine Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme gefordert und maßgeblich betrieben haben, sind zugleich die unmittelbar Begünstigten dieser Gegenreform. Die Benachteiligten sind die LeistungsempfängerInnen, also die große Mehrheit der Bevölkerung: Die Leistungen der gesetzlichen Versicherungssysteme sinken, die Beitragsbelastung für einen unveränderten Leistungsumfang steigt, und überdies unterliegen die tatsächlichen Leistungen den Risiken der Kapitalmärkte.

Handlungsfeld: Stabilisierung und Demokratisierung der Finanzmärkte

Einführung einer Devisenumsatzsteuer (Tobinsteuer)

Die Einführung einer Devisenumsatzsteuer ist mittlerweile zu einer zentralen Forderung der zivilgesellschaftlichen Bewegung zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte in aller Welt geworden. Gewerkschaften wie der DGB, der amerikanische AFL/CIO und der japanische RENGO haben sich ihr angeschlossen. Zahlreiche ParlamentarierInnen und WissenschaftlerInnen unterstützen die Forderung. Widerstand kommt vor allem aus den großen Finanzinstitutionen (deren Provisionseinkommen durch einen Rückgang der Finanzspekulation sinken würden) und von den Regierungen der meisten großen Finanzzentren. Die Steuer richtet sich gegen Devisenumsätze, die nach kurzer Zeit (Tage oder Stunden) durch Umsätze in der Gegenrichtung kompensiert werden. Derartige Transaktionen haben keine güterwirtschaftliche Lenkungsfunktion, sondern werden durchgeführt, um entweder bestehende Zinsdifferenzen auszunützen (diese Arbitragegeschäfte führen dazu, dass die Zinsunterschiede eingeebnet werden und autonome nationale Wirtschaftspolitik unmöglich wird) oder um aus erwarteten Veränderungen der Wechselkurse Gewinn zu ziehen (derartige Spekulationsgeschäfte bringen Unruhe in die Finanzmärkte). Sie erhöhen die Volatilität von Finanzmärkten, fördern irrationale Übertreibungen und verstärken Spekulationswellen oder bauen sie erst auf.

Arbitrage- und Spekulationsgeschäfte finden dann nicht statt, wenn der daraus zu erzielende oder erwartete Gewinn kleiner ist als die Steuerbelastung aus einem kompletten Arbitrage- oder Spekulationsgeschäft. Die Steuer bewirkt genau eine solche Verteuerung. Dies führt dazu, dass es zum einen möglich wird, eigenständige Zinssätze durchzuhalten, die aufgrund besonderer wirtschaftlicher Situationen wirtschaftspolitisch erwünscht sind und sich von Zinssätzen in anderen Ländern unterscheiden. Zum anderen werden hierdurch Wechselkursspekulationen verhindert, die auf kleine Kursänderungen in kurzer Zeit setzen, und die einen erheblichen Teil der Wechselkursgeschäfte ausmachen. Dass es organisatorisch und technisch ohne Probleme möglich ist, eine Tobinsteuer einzuführen und umzusetzen, wird heute von keiner Seite mehr ernsthaft bestritten. Die Besteuerung muss nicht an Saldenveränderungen der Banken ansetzen, hinter denen eine nur zu schätzende Anzahl von Umsätzen stehen. Mit dem Übergang zur lückenlosen Dokumentation aller Bruttozahlungsvorgänge in Echtzeit in den modernen Zahlungssystemen ist auch für eine Tobinsteuer ein punktgenauer Zugriff auf alle Transaktionen möglich geworden - der durch ein einfache Zusatzprogramm zur Zahlungsdokumentation zu realisieren ist.

Globale Wechselkurszielzonen und regionale Währungssysteme

Gegenüber der Währungsspekulation ist weder die völlige Freigabe der Wechselkurse noch die vollständige Bindung an eine Leitwährung angebracht. Sinnvoll ist vielmehr eine Reform der internationalen Währungsbeziehungen auf zwei Ebenen. Auf der ersten sollen regionale Währungssysteme entwickelt werden, in denen nicht nur feste Wechselkurszielzonen mit flexiblen Anpassungsmöglichkeiten für die Leitkurse festgelegt sind, sondern - nach dem Muster des früheren Europäischen Währungssystems - auch intensive wirtschaftspolitische Zusammenarbeit erfolgt. Auf der zweiten Ebene sollte ein Management der Wechselkurse zwischen den Leitwährungen eingeführt werden, das mit fallweise koordinierten Interventionen beginnt und mittelfristig zur Einrichtung von Zielzonen führt.

Zur Vermeidung spekulativer Attacken müssen starke kurzfristige Schwankungen der Wechselkurse ebenso wie ihre starre Fixierung ohne Rücksicht auf die Entwicklung ökonomischer Grundlagen vermieden werden. Geeignet hierfür ist die Vereinbarung von Leitkursen mit tolerierten Abweichungen (sog. Zielzonen oder target zones). Wenn die Marktkurse den Zielkorridor zu verlassen drohen, greifen die Notenbanken und Regierungen der betroffenen Länder und der IWF durch Interventionen auf den Devisenmärkten ein. Ein solches System kann allerdings nur mit politischer Flexibilität funktionieren. Sie lässt sich herstellen, indem die Zielzonen für unterschiedliche Währungen - je nach dem Grad der bestehenden wirtschaftspolitischen Kooperation zwischen den beteiligten Ländern - unterschiedlich definiert werden, indem regelmäßige Überprüfungen und undramatische Anpassungen der Leitkurse vorgenommen werden und indem die Interventionspflicht abgestuft oder begrenzt wird. Diese Flexibilität vermindert den Anreiz zur Spekulation und erhöht zugleich den Anreiz zur wirtschaftlichen Kooperation.

Demokratisierung des IWF

Gegenwärtig ist der IWF eine Einrichtung, die von den Industrieländern dominiert wird. Das Stimmrecht der 183 Mitgliedsländer richtet sich allein nach ihrer ökonomischen Stärke. Mit 17,3% der Stimmen können die USA angesichts einer notwendigen Stimmenmehrheit von 85% für wesentliche Entscheidungen jede grundlegende Reform blockieren. Eine solche Verteilung der Stimmrechte ist für eine Institution, die als Sonderorganisation der Vereinten Nationen globale Verantwortung trägt, unvertretbar. Eine demokratische Neuordnung der Stimmrechte im IWF sollte die ökonomische Potenz eines Landes nicht ignorieren, aber nicht zum alleinigen Maßstab machen. Daneben sollte auch die Zahl der Menschen eine Rolle spielen, die in einem Land leben. Darüber hinaus könnten zusätzlich zu diesen beiden Kriterien die Fortschritte bei der qualitativen Entwicklung berücksichtigt werden. Sie lässt sich Ansatzweise mit Hilfe des Index der menschlichen Entwicklung darstellen, in dem neben dem Pro-Kopf-Einkommen auch qualitative Kriterien wie Gesundheit und Bildung eingehen. Wenn die relative Position der Mitgliedsländer bei diesen drei Bezugsgrößen jeweils zu einem Drittel gewichtet wird, ergibt sich eine Neuverteilung der Stimmrechte, durch welche die vier bevölkerungsreichsten Entwicklungsländer in die Gruppe der 10 Länder mit dem größten Stimmrecht aufrücken. Insgesamt würde die Neugewichtung zu einer gleichmäßigeren Verteilung von Stimmen und Einfluß führen und die gegenwärtige drastische Dominanz der Industrieländer (allein 45% der Stimmen für die G-7 Länder !) beenden. In Verbindung mit einer Senkung der Mindestmehrheit bei wesentlichen Entscheidungen von 85% auf 75% ergibt sich eine Struktur, die Majorisierungen oder Blockierungen erschwert und dazu zwingt, Verständigung und Ausgleich herbeizuführen.

Einbindung der Finanzmärkte in eine Strategie für nachhaltige Entwicklung

Die Reform der Finanzmärkte sollte in eine umfassende Strategie zur Finanzierung nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung eingebunden werden, die einerseits der skizzierten Verselbstständigung der Finanzmärkte entgegenwirkt und andererseits eine breite Streuung von Vermögen zu bewirken vermag. Hierzu Bedarf es verschiedener Anstrengungen auf nationaler und europäischer Ebene:

Beendigung der Privatisierung und der Auslieferung der Systeme der sozialen Sicherheit an die Finanzmärkte und Rückkehr zur vollständigen Finanzierung lebensstandardsichernder gesetzlicher Sozialsysteme durch paritätisch aufgebrachte Beiträge und/oder Haushaltsmittel.

Finanzierung der Daseinsvorsorge als öffentliche Aufgabe. Der Sparkassen- und Genossenschaftssektor sollte als wesentliches Element der öffentlichen Daseinsvorsorge (öffentliches Gut) gestärkt und Privatisierungs- und Deregulierungstendenzen in diesem Bereich gestoppt werden. Insbesondere die Versorgung von abgelegenen Regionen und Kommunen mit Finanzdienstleistungen sowie die Finanzierung privaten Wohnungseigentums ist eine wesentliche öffentliche Aufgabe und sollte in öffentlicher Regie erfolgen. Zentrale öffentliche Institute (Landesentwicklungsbanken, KfW) sollten verstärkt zur Steuerung im Sinne ökologischer und sozialer Ziele eingesetzt werden.

Konsolidierung der Steuerbasis. Wesentliche Bedingung für eine wirksame wirtschaftspolitische Entwicklungsstrategie ist ein vernünftiges und verläßliches Steuersystem. Dieses wird aber durch Steuerflucht und Steuerkonkurrenz untergraben, die nicht nur durch die Existenz von Offshorezentren, sondern auch von Industrieländern gefördert werden. Hier ist verstärkte europäische Kooperation erforderlich. Der Beschluß zur gegenseitigen Information über Zinseinkommen von Ausländern ist daher schnell umzusetzen. Für Gewinneinkommen kommt es darauf an, das Welteinkommensprinzip, das formal bereits in vielen Ländern gilt, durch steuerpolitische Kooperation durchzusetzen. Damit könnte allerdings nicht verhindert werden, dass Konzerne ihren Hauptsitz in ein Niedrigsteuerland verlegen. Hierzu ist langfristig eine Steuerharmonisierung erforderlich, die z.Z. weder realistisch noch sinnvoll ist. Überdies ist eine weitgehende steuerliche Abschöpfung nicht reinvestierter Gewinne notwendig.

Ausweitung der Mitbestimmung und Demokratisierung der Unternehmensverfassung. Damit Unternehmen nicht einseitig dem Druck des shareholder-value Interesses von Seiten der Finanzanleger ausgesetzt sind, sollten die Rechte der Belegschaften und der Öffentlichkeit durch Ausweitung der Mitbestimmung in den Betrieben und den Unternehmen gestärkt werden, in besonderem Maße bei Großunternehmen.

Erweiterte Regulierung der institutionellen Investoren. Der wachsende Einfluss institutioneller Investoren und Rating-Agenturen bedingt ihre stärkere gesellschaftliche Kontrolle. Dies betrifft einerseits die Aufsichtsgremien über die institutionellen Anleger, in denen Gewerkschaften sowie Umweltverbände und entwicklungspolitische Organisationen vertreten sein sollten, andererseits die inhaltliche Kontrolle und Beschränkung der Anlagetätigkeit nach sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien. Die bisherige Beschränkung der Anlagetätigkeit im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften zielt ausschließlich auf den Schutz der Anleger und die internationale Koordination bezüglich des Rating beschränkt sich auf Bonitätsforderungen. Diesen sollten soziale und ökologische ‚Bonitätsanforderungen‘ zur Seite gestellt werden. Die Berichtspflicht der Unternehmen und institutionellen Anleger wäre um ökologische, soziale und entwicklungspolitische Aspekte zu erweitern. Und es ist auch sinnvoll, Anlagen in ökologisch/sozial fortschrittlichen Unternehmen steuerlich zu fördern, Anlagen in Unternehmen dagegen steuerlich zu diskriminieren, deren Aktivität hohe gesellschaftliche Kosten oder Risiken mit sich bringt.

III. Waren-, Güter- und Dienstleistungsmärkte

Neben den Finanzmärkten gilt der internationale Handel als zentraler Aspekt der Globalisierung. Jedoch ist die gängige Aussage zurückzuweisen, hinter der Globalisierung stehe eine zunehmende Integration in den Weltmarkt. Das Gegenteil ist der Fall, die Desintegration wächst und die überwiegende Zahl der Länder kämpft darum, überhaupt integriert zu werden. Die Zusammenhänge zwischen einer exportorientierten Wirtschaftspolitik und der sozialen Entwicklung sowie der Rolle der internationalen Organisationen und multinationalen Konzerne sind dabei ausschlaggebend. Letztlich liegen hier Ansatzpunkte, aus denen sich politische Antworten zur Verminderung der wachsenden globalen Ungleichheit ergeben würden. In der Analyse und den Empfehlungen setzte sich die Enquete-Kommission zunächst mit den Wirkungen vor allem für die Entwicklungs- und Schwellenländer auseinander.

Marginalisierung im Welthandel

Gerade im internationalen Handel zeigt sich die ungleiche Entwicklung deutlich. Vom ausgehenden 19. bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hatten sich die relativen Anteile der nicht-industrialisierten Länder am Welthandel noch erhöht: Um 1900 entfielen auf diese Länder 16% der Weltexporte, 1913 19% und 1928 23%. Nach der großen Depression der 30er Jahre stiegen die Anteile 1938 auf 25% und erreichten 1953/54 schließlich 31%.[2] Seitdem sank der Anteil der sogenannten Dritten Welt an den Exporten, die auf der anderen Seite die Importe bilden, permanent. Trotz der steigenden Bedeutung der Ölexporte fiel der Anteil 1960 bereits auf 21%, 1970 auf 17% und liegt gegenwärtig bei 10%. Ergebnis dieser Entwicklung ist eine Konzentration des gesamten Welthandels über alle Warengruppen hinweg in einem bis dato unbekannten Ausmaß auf die 29 OECD-Länder und einige wenige Schwellenländer. Entsprechend ist der Anteil aller Entwicklungsländer und v.a. Afrikas südlich der Sahara auf marginale Größen geschrumpft.

Bis zur Asienkrise 1998 konnten zwar einige Länder durch die Politik der Exportorientierung ihre nachholende Industrialisierung unterstützten und relative Erfolge erzielen. Die gleichzeitige Öffnung des Kapitalmarktes und die Attraktion ausländischer Direkt- und Portfolioinvestitionen stellte jedoch ein immanentes Problem für die Produktion und damit den Export dar. Stellte die Exportorientierung nie eine verallgemeinerungsfähige Strategie für alle Länder zum Aufholen des weltwirtschaftlichen und sozialen Gefälles dar, so reduzierten sich seit 1998 die Spielräume selbst für die bislang relativ erfolgreichen 12 Schwellenländer. Die Marginalisierung im Welthandel ist nicht primär auf schlechte Absatzbedingungen und/oder verzerrte Faktorpreise (Arbeit und Kapital) zurückzuführen, sondern liegt in den unterschiedlichen Entwicklungsniveaus und Produktivitätsrückständen begründet. Diese Differenzen vergrößerten sich in den letzten Jahren immer mehr. Folglich fehlt den meisten Ländern die industrielle Basis für die gleichberechtigte Teilhabe am Welthandel, so dass Wettbewerb und Handel unter ungleichen Partnern stattfindet. Damit verteilen sich die positiven und negativen Wirkungen ebenfalls ungleich: Die Industrieländer profitieren, die Entwicklungsländer verlieren überproportional. Integration in den Welthandel durch Handelsliberalisierung ist ein Versprechen, das in der Realität nicht eingelöst wurde.

Konzentration und Wettbewerb in der Globalisierung

Die Gewinner der Handelsliberalisierung sind die multinationalen Konzerne aus den OECD Ländern. Durch sie bestimmt sich auch der Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen (ADI), das klassische Indiz der Globalisierung. Das Wachstum der ADI geht jedoch primär auf den hohen Anteil an Investitionen für Fusionen und Beteiligungen (Mergers-and-Acquisitions; M&As) zurück, die ca. 80% der globalen ADI ausmachen.[3] Auf die Gruppe der in den Industrieländer beheimateten Konzerne entfallen regelmäßig ca. 90% der Fusions- und Beteiligungsinvestitionen. Zentraler Grund der jüngsten Fusionswelle sind die Wachstumskrisen auf den Binnenmärkten. Trotz gestiegener Gewinne ist es nicht rentabel, in neue Produktionskapazitäten zu investieren. Stattdessen ist Wachstum primär über eine Stärkung der eigenen Position auf dem Weltmarkt und die massive Kostenreduktion zu erzielen. Was also theoretisch als Unterkonsumption be­zeichnet wird und betriebswirtschaftlich als Absatzproblem im Unternehmen auftaucht, soll so grenzüberschreitend gelöst werden. Die Lohnhöhe spielt als Investitionsmotiv dabei nur eine untergeordnete Bedeutung, jedoch übersetzt sich die Kostenkonkurrenz zwischen den einzelnen Standorten in Lohn- und Sozialdumping.[4] Trotz der Investitionen im Ausland und der steigenden Bedeutung multinationaler Konzerne sind klare Einschränkungen hinsichtlich der unterstellten weltweiten Mobilität zu treffen: Obwohl diese Unternehmen global agieren, liegt ihr Schwerpunkt in den OECD Staaten, mit einem deutlichen Bezug zum angestammten Standort.[5] Folglich ergänzen die ADI den Trend, der beim internationalen Handel zu verzeichnen ist. Sie sind regional konzentriert und in die Mehrheit der Länder auf der Welt fließen wenig Investitionen.

Erosion von Sozialstandards

Immer deutlicher lässt sich in diesem Kontext die Erosion sozialer Rechte der Beschäftigten sowie die Informalisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse beobachten. Dies gilt nicht nur für die Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern auch die Industrieländer. Die negativen Effekte der Globalisierung zeigen sich eben nicht nur in einer stärkeren Einkommenspolarisation und der ungleichen Entwicklung, vielmehr verschärft die Kopplung von Handelsliberalisierung und Exportorientierung das Problem erodierender sozialer Standards. Die herkömmliche These, Liberalisierung führe grundsätzlich zu Exporterfolgen und darüber implizit zur Verbesserung der sozialen Bedingungen und Stärkung der Rechte von Beschäftigten, konnte nicht verifiziert werden.[6] Die Handelsliberalisierung sowie die Zunahme regionaler und bilateraler Freihandelsabkommen und der damit verbundene Abbau jeglicher Import- und Niederlassungsschranken vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern haben vielmehr zu einer wirtschaftspolitischen Orientierung auf die Exportproduktion geführt. Inzwischen ist die Konkurrenz jedoch dort am schärfsten, wo mit ähnlichen Produktionstechniken vergleichbare Produkte für den Weltmarkt angeboten werden, was in der Regel die soziale Situation der Beschäftigten verschlechtert.

Sonderwirtschaftszonen und informeller Sektor

Ausdruck dieser Konkurrenz ist die Verlagerung zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern an den nächst ‚kostengünstigen‘ Standort. Denn der Trumpf billige Arbeitskräfte für bestimmte Segmente der Produktion sticht nicht lange: es gibt immer noch billigere Arbeitskräfte und schlechtere Standards in anderen Ländern. Flankiert wurde diese Politik vom massiven Ausbau der Sonderwirtschaftszonen zur Attraktion von Direktinvestitionen.[7] Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sind ca. 27 Millionen Menschen in diesen Zonen beschäftigt (plus ca. 18 Mio. in China). Sonderwirtschaftszonen und die Exportorientierung sollten somit als Entwicklungsmotor dienen. Das Gegenteil hat sich aber herausgestellt. Die einheimische Produktion der lokalen handwerklichen Bekleidungsindustrie wird ebenfalls von Billigprodukten verdrängt. Lokale HandwerkerInnen werden, wenn überhaupt, zu Zulieferern der Sonderwirtschaftszonen oder die Menschen dort werden zu MigrantInnen. Ausdruck der verschärften Konkurrenz zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern ist das dramatische Wachstum des informellen Sektors: Zwischen 1990-94 war die Beschäftigungsentwicklung in Lateinamerika zu 80% (in Afrika 90%) auf das Wachstum im informellen Sektor zurückzuführen.

Handlungsfeld: Soziale Rechte stärken

Soziale Wirkungen der Fusionswellen

Folgen der zuvor skizzierten Fusionen sind Entlassungen, dauerhafte Arbeitsplatzvernichtung und Arbeitsverdichtung durch massive Rationalisierungen und der Abbau sozialer Schutzrechte und tariflicher Leistungen. Verstärkt wird dieser Prozess durch Ausgliederungen und Verkäufe, da die Durchsetzung des ‚Shareholder Values‘ eine Konzentration auf das Kerngeschäft verlangt. Damit stellt sich die Frage nach innerbetrieblicher Demokratie und sozialer Gestaltung vor einem veränderten Hintergrund. Alle Instrumente auf nationaler und europäischer Ebene sind zu stärken, die den Beschäftigten ihre sozialen Rechte sichern und im Zeitalter von ‚Megafusionen‘ auf die neuen Bedingungen reagieren. Informationsrechte alleine reichen nicht, sondern es bedarf effektiver Einflußmöglichkeiten. Zur Sicherung der Interessen von Öffentlichkeit und Belegschaften sollten z.B. Regelungen für Unternehmensübernahmen vorsehen, dass sie nur nach intensiver Information und Mitbestimmung mit Belegschafts- und GewerkschaftsvertreterInnen und in besonderen Fällen nur mit ihrer Zustimmung erfolgen dürfen. Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen sollten darüber hinaus ein Verbot von Massenentlassungen und Betriebsschließungen als Folge von Fusionen enthalten, wie es bereits in Frankreich diskutiert wird.

Regeln für den Wettbewerb

Langfristig werden Regeln für das Investitionsverhalten multinationaler Konzerne notwendig. Bei aller berechtigten Kritik am gescheiterten multilateralen Investitionsabkommen (MAI) ist die gegenwärtige Situation nicht haltbar und für ‚schwächere‘ Staaten negativ, in der nur auf bilateraler/regionaler Ebene diesbezügliche Regeln gelten. Notwendig wird ein allgemeines Abkommen, wobei jedoch die WTO nicht der geeignete Ort ist, um über Investitionen und Wettbewerb zu verhandeln. Multi- und plurinationale Regeln sind an die Einhaltung internationaler Sozial- und Umweltstandards, menschenrechtliche und demokratische Normen zu binden. Darüber hinaus sind sie mit entwicklungspolitischen und strukturpolitischen Zielsetzungen zu verbinden. Das Regelwerk der WTO umfaßt diese Bestandteile nicht und hat darüber hinaus gerade die Öffnung und Liberalisierung der Märkte als vorrangiges Ziel. In Folge dessen ist dieses Thema auf der UN-Ebene zu behandeln, wobei eine Partizipation der betroffenen Länder, sozialer Gruppen und Parlamente zu gewährleisten ist, denn es geht nicht nur um die Bedürfnisse der Konzerne nach Rechtssicherheit bei ihren Investitionen.

Perspektiven für eine globale Sozialordnung

Der verschärfte Konkurrenzkampf zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern ist eine Ursache für die Erosion sozialer Verhältnisse, der jedoch auf nationaler Ebene allein nicht begegnet werden kann. Eine internationale Koordination und Anerkennung sozialer Mindeststandards ist folglich eine Voraussetzung für die soziale Entwicklung auf nationaler Ebene. Nur dann brauchen die Länder nicht zu befürchten, dass sie sich durch die Einhaltung sozialer Standards schlechter stellen als ihre direkten Konkurrenten. Allerdings können sie auch andere Länder nicht im Wettbewerb auf Kosten der sozialen Standards verdrängen und ihre Weltmarktposition durch einen ‚race to the bottom‘ stärken. In einem Gutachten für die Enquete-Kommisson wurde die Diskussion um internationale Sozialstandards aus der Perspektive des ‚Südens‘ dargelegt.[8] Es wird dort auf die besondere Rolle der Landwirtschaft, der kleinen Farmer und des informellen Sektors für die eigene Entwicklungsperspektive und somit die Bedingungen der Implementation von Sozialstandards abgehoben. Neben Marktöffnung in den Industrieländern für die Produkte aus dem ‚Süden‘ und dem Abbau von Exportsubventionen sind deshalb Strategien für eine binnenmarktorientierte Industrialisierung erforderlich, die auch Zölle und andere Barrieren zum Schutz vor Importen insbesondere in der Landwirtschaft im WTO Abkommen erforderlich machen würden. Andernfalls ergebe sich kaum eine Chance, eine wirkliche auf die jeweiligen nationalen und regionalen Bedürfnisse abgestimmte Entwicklung zu forcieren, die den Spielraum für soziale Emanzipation erweitert.

Soziale Entwicklung weltweit fördern

Alle bestehenden und zukünftigen internationalen Gremien/Foren zur Unterstützung einer sozialen Entwicklung greifen bisher zu kurz, denn sie flankieren lediglich ideologisch und rhetorisch die geltende Liberalisierungspolitik. Die ‚Arbeitsteilung‘ ist zu durchbrechen, in der soziale Fragen diskutiert werden, während gleichzeitig die Liberalisierung in zahlreichen Bereichen ohne Einigung auf die Implementation von Sozialstandards und Kernarbeitsnormen forciert wird. Damit verschärft sich lediglich der Wettbewerb zu Lasten sozialer Standards und dehnt sich auf bisher unberührte Bereiche aus. Die immer wieder angemahnten Lösungen der globalen sozialen Probleme und der Rechtlosigkeit der Beschäftigten rückt so in weite Ferne. Angesichts dessen fordern zahlreiche Entwicklungsländer und zivilgesellschaftliche Organisationen vor dem Start einer neuen Runde zur Handelsliberalisierung ein Moratorium, das zur Evaluierung der Auswirkungen der bisherigen Schritte und der sozialen und ökologischen Effekte zu nutzen sei.

Weitere Auseinandersetzung um Sozialstandards und Kernarbeitsnormen

Zwei parallele Schritte hierzu wären mehr regionale Abkommen zu fördern und eine Reform der IAO mit dem Ziel, Arbeitslose sowie Beschäftigte aus dem informellen Sektor und der Landwirtschaft stärker in die Diskussion um Sozialstandards einzubeziehen. Die einseitig auf die Interessen des Freihandels zu Lasten sozialer und ökologischer Schranken ausgerichtete Rolle der WTO (einschließlich ihrer Schiedsgerichtsbarkeit) sowie die Rolle von IWF und Weltbank, die Zunahme bilateraler Abkommen und die wachsende Bedeutung der Konzerne für die soziale Entwicklung - all dies erfordert ein demokratisch legitimiertes System international als verbindlich anerkannter sozialer Mindestnormen und verbindliche Strategien zu ihrer Durchsetzung und Überwachung. Das Überwachungs- und Beschwerdeverfahren der IAO könnte mit dem Streitschlichtungsverfahren der WTO verbunden werden. Es müßte hierzu ein Beschwerdemechanismus greifen, der, unter Einbeziehung der Gewerkschaften und NGOs der betroffenen Länder, die vermutete Verletzung untersucht. In Zusammenarbeit mit der Regierung und Organisationen der Zivilgesellschaft sollte ein Aktionsplan erarbeitet werden, der die Voraussetzungen zur Einhaltung der Normen schafft. Durch Transparenz, klare Regelungen und Beteiligung der betroffenen Regierung und der zivilgesellschaftlichen Gruppen der Länder ließe sich so sicherstellen, dass die dann beschlossenen Maßnahmen nicht zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden. Die vereinbarten Normen müssen ebenso verbindlich durch Weltbank, IWF und WTO anerkannt und unterstützt werden und bindend für regionale/bilateralen Verträgen sein.

Ohne die Lösung der speziellen Problematik von Sonderwirtschaftszonen kann der Erosion der sozialen Standards nicht begegnet werden. Insofern ist ein internationales Abkommen über die Anerkennung sozialer und ökologischer Standards in Sonderwirtschaftszonen mit Maßnahmen der Überwachung als Mindestgrundlage erforderlich. Langfristig sind die dort gewährten Privilegien abzuschaffen. Flankierend ist die unüberschaubare Anzahl von freiwilligen Verhaltenskodizes und sozialen Gütesiegel für multinationale Konzerne und ihr Agieren zu vereinheitlichen (staatliche Beobachtung, Kontrolle oder Zertifizierung), sowie die Wertschöpfungsketten transparent zu machen.

[1] Mehr Informationen unter: www.bundestag.de/globalisierung.

[2] Vgl. Bairoch, Paul: Die Dritte Welt in der Sackgasse. Die Entwicklung vom achtzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert, Wien, 1971, S. 172, in: Schöller, Wolfgang: Die offene Schere im Welthandel - Und wie sie zu schließen ist, Heilbronn, 2000.

[3] Vgl. UNCTAD: World Investment Report 1998/1999/2000/2001, Genf.

[4] Vgl. OECD (1995:21): Recent Trends in Foreign Direct Investment; in: Financial Market Trends, Juni 1995. Wortmann, Michael: Zur Logik von Wachstum und Restrukturierung multinationaler Unternehmen - ein kritischer Beitrag zum Globalisierungsdiskurs, in: Dörrenbacher, Christoph/Plewhe, Dieter (Hg.): Grenzenlose Kontrolle? Organisatorischer Wandel und politische Macht multinationaler Unternehmen, Berlin, 2000, S. 165ff.

[5] Vgl. Hirst, Paul/Thompson, Graham: Globalization in Question, Cambridge, 1996, S. 76ff. Doremus, Paul u.a.: The Myth of the Global Corporation, New Jersey, 1999. Wolf, Winfried: Fusionsfieber - Oder: Das große Fressen, Köln, 2000.

[6] Vgl. Amnesty International: Annual Report, London, 2000. International Confederation of Free Trade Unions: Annual Survey of Trade Union Rights 1999, Brüssel, 2000.

[7] Freie Exportzonen, in denen Exportunternehmen steuerliche und finanzielle Privilegien genießen und in denen in der Regel selbst die bestehende rudimentäre Arbeitsgesetzgebung nicht beachtet wird. Überwiegend arbeiten dort Frauen zu niedrigen Löhnen in nicht abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen.

[8] Vgl. Bullard, Nicola: Social Standards in international Trade, NGO - Focus on Global South, Bangkok, 2001.