Balkanisierung der Linken

Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich

nach dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Le Pen tritt gegen den amtierenden Präsidenten an, nicht gegen einen Kandidaten der Linken. Die Überraschung in der europäischen und französischen Linken darüber war groß. Dies hat aber auch mit einer Unterschätzung von gesellschaftlichen Entwicklungslinien zu tun. Je nach Institut lag Chirac in der Woche vor der Wahl zwischen 18,5% und 22% und Jospin zwischen 16,5% und 18%. Die großen Formationen besitzen schon lange nicht mehr die Integrationskraft, über die sie in den "geordneten" Verhältnissen des Fordismus verfügten. Die Zahl der Kandidaten stand im umgekehrten Verhältnis zum Interesse der Wähler und zeigte, wie flüssig das Parteiengefüge geworden ist.

Die Rechte

Die größte Überraschung dieses Wahlganges war die anfängliche Zustimmung, die Jean-Pierre Chevènement als "Dritter Mann" bei 10-12% der Wählerinnen und Wähler antraf. Die bunte Koalition, die sich in seinem Fahrwasser sammelte, reichte vom ehemaligem kommunistischen Minister Le Pors, drei übergelaufenen Europa-Abgeordneten der Pasqua-Liste, über den trotzkistischen Leitungskader Morvan, Attac-Gründungsmitgliedern, ehemaligen Zuarbeitern Mitterands und Literaten wie Max Gallo bis hin zu den ultrakatholischen de Villiers und Rechtspopulisten der 50er Jahre, Poujade. Chevènement gilt als einer der Architekten des Gemeinsamen Programms von Kommunisten und Sozialisten des Jahres 1972, das zur Präsidentschaft Mitterands 1981 führte. Wegen der Beteiligung am Golfkrieg trat Chevènement als Verteidigungsminister unter Mitterand zurück und aus Protest gegen den geplanten Autonomiestatus für Korsika trat er aus der Regierung Jospin aus. Chevènement gehört letztlich zum Establishment. Sein Programm fasst sich in der These zusammen: Nur innerhalb des Nationalstaates kann es Demokratie geben und lassen sich soziale Errungenschaften verteidigen. Er hat das Thema innere Sicherheit zuerst besetzt und er wird zur Gallionsfigur eines breiten Spektrums von Modernisierungsgegnern. Mit ihm trat zum erstenmal neben Le Pen ein neuer charismatischer Führer gegen den von Chirac und Jospin in der Kohabitation verkörperten "Stillstand" an. Doch da seine Konzeption eher die Vergangenheit verherrlicht, als einen Übergang zu einer neuen Epoche gestaltet, befand er sich seit März auf Talfahrt und blieb bei 5,36% hängen, da ihm vor allem die rechten Sympathisanten wegliefen.

Der Amtsinhaber Chirac hatte keinen Bonus: Seine Sammlungsbewegung fing zwar die offizielle UDF wieder ein, doch die rechten Abspaltungen zeigten, dass die bürgerlichen Kräfte keine hegemoniefähige Antwort auf die Bedürfnisse des französischen Kapitals gefunden hatten, die der Unternehmerverband in ungewohnter Direktheit vorgebracht hatte. In der ersten Runde konnte von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ministerpräsident Jospin und Chirac nicht ausgegangen werden, denn es gab einige Kandidaten aus der zweiten Reihe, die im Wahlkampf den Matadoren recht nahe kamen. Um die Zersplitterung einzugrenzen, hat die Wahlgesetzgebung die formalistische Notbremse eingebaut, dass jeder Kandidat mindestens 500 Unterschriften von den rund 40.000 Würdenträgern der Republik (Bürgermeister, Parlamentarier usw.) braucht, um überhaupt antreten zu dürfen. Le Pen, die Trotzkisten und einige grüne Splittergruppen hatten damit ihre liebe Not. Für die großen Kandidaten stand aber auch ein weiteres Absinken der Wahlbeteiligung mit unkalkulierbaren Folgen auf dem Spiel. Während Pasqua an den notwendigen Honoratioren scheiterte, wurden der neokonservative Bayrou und der ultraliberale Madelin mit jeweils 5% in den Umfragen gehandelt. Auf Ebene der Zivilgesellschaft versuchte der ehemalige Air France-Chef Blanc, mit einer Unterschriften-Kampagne für eine Volksabstimmung über eine Staatsreform den Arbeitgeberforderungen im Wahlkampf Gehör zu verschaffen.

Chirac verhedderte sich nach der Rückkehr eines früheren Mitarbeiters in den sieben bei der Justiz anhängigen Affären um die Finanzierung seiner Bewegung und seiner Entourage in den 80er Jahren. Dass es eine wachsende Schicht gibt, denen die Verstrickungen ihrer politischen Repräsentanten egal ist, hat etwas mit dem härter werdenden Wettbewerb zu tun. Will man es in der Überakkumulation und vor allem im Börsenroulette zu etwas bringen, muss der übliche risikobereite Unternehmergeist ("Frechheit siegt") schon mal mit etwas krimineller Energie aufgeladen werden; Korruption und Insidergeschäfte sind da nur einige der auffälligeren Spielarten.

Diesem Eindruck von moralischer Verlumpung versuchte Chirac mit einer Kampagne für "Null-Toleranz" in der Kriminalitätsbekämpfung entgegenzutreten. Spektakuläre Fälle von Gewalt unter Schülern, das Attentat gegen die Stadtverordneten von Nanterre und die Brandanschläge auf die Synagogen emotionalisierten das Thema im Wahlkampf. Anfang März äußerten aber gerade mal 43% der WählerInnen, sie hätten Vertrauen zum Staatspräsidenten. Der Zuspruch für Chirac in den Vorwahlumfragen kam bis Ende März nicht über 24% hinaus und hatte im Laufe des April eher sinkende Tendenz. Zustimmung zu Chirac kam vor allem aus den Reihen der Selbständigen, der Rentner und der Arbeitslosen (32%). Nur ein Fünftel erwartet sich von der Realisierung seines Programms positive Auswirkungen für den eigenen Haushalt, nur in der inneren Sicherheit hatte er einen Vorsprung vor Jospin.

Natürlich trat auch der Rechtsextremist Le Pen wieder an und baute im rhetorischen Weichspülgang seinen Stimmanteil kontinuierlich auf 14% gegen Ende der Kampagne aus. Er konnte sich erneut auf die Zustimmung bei den kleinen Selbständigen (30%) und von Rentnern (21%) stützen; der klassenübergreifende Impetus seiner Bewegung blieb im Wählerreservoir der Umfragen erhalten. Gegen Ende der Kampagne hatte er bei den kleinen Angestellten und bei den Ungelernten sogar 21% errungen. Nachdem er bei den Kommunalwahlen durchaus Achtungserfolge erzielt hatte, musste sich der einstige Mitstreiter Le Pens, Bruno Megret, mit 2,37% begnügen. Megret rief noch am Wahlabend zur "Unterstützung unserer Strömung" auf.

Und die Linke?

Der amtierende Ministerpräsident Jospin genoss das Vertrauen von 48% der Franzosen, mit steigender Tendenz im Verlauf der Kampagne. Unter den Frauen hatte Jospin im Wahlkampf den größten Zuspruch (46% der Wahlabsichten). Doch weniger als 40% wünschen ihn als Staatspräsidenten. Diese Ambivalenz gegenüber dem dröge, aber integer erscheinenden Ministerpräsidenten nährt sich aus seiner Politik: Denn unter seiner Ägide sind zwar zentrale linke Werte verteidigt worden - aber nur soweit sie die wirtschaftsfreundlichen Umbaumassnahmen abstützten: Flexibilisierung der Arbeitszeit im Rahmen der 35-Stunden-Woche, Niedriglohnsektor zur Senkung der Arbeitslosigkeit, größte Privatisierung aller Zeiten für eine Fiskalpolitik, die Massenkaufkraft stärkt. Dass Frankreich ein Eldorado der prekären Beschäftigung geworden ist, liegt an der konsequenten Entlastung des Niedriglohnsektors von sozialen Abgaben seit 1993 (allein unter Jospin jährlich 3,8 Mrd. EUR). Die Jugend-Beschäftigungsprogramme kosten Zuschüsse in Höhe von 27 Mrd. EUR bis 2006. Wer nicht mehr als das 1,3-fache des Mindestlohns bezieht, kann eine Art negative Einkommenssteuer geltend machen. Davon profitieren etwa 8,5 bis 9 Mio. Haushalte, denen im Schnitt 144 EUR überwiesen werden. Mit solchen Mitteln (und nicht mit irgendwelchen lächerlich ausgestatteten Mainzer Modellen) hat die Regierung Jospin das französische Job- und Wirtschaftswunder bewirkt. Das Leben im Niedriglohnsektor aber bietet keine persönliche Perspektive; die eingesetzten Mittel blockieren rd. 5-10 Millionen Menschen in einer Armutsfalle.

Jospins Kompetenzen sahen die Wähler bei den positiven Effekten seines Programms auf die Arbeitslosigkeit (51%) und auf die Steuern (48%). Im Kampf gegen die Preissteigerungen sowie gegen die Arbeitslosigkeit sieht jeder 2. Befragte die Regierung nicht sehr effektiv. Es sind die Erstwähler (28%), die ihm zu Beginn seiner Kampagne die Politik der emplois-jeunes besonders dankten; seine traditionellen Bastionen sind die intellektuellen Berufe und der öffentliche Dienst (28% statt durchschnittlich 22% versicherten den Demoskopen, ihn zu wählen). Doch je länger der Wahlkampf dauerte, desto mehr verlor er genau in seinen sozialen Schwerpunkten. Die Umfrage-Institute sahen ihn gegen Ende des Wahlkampfs deutlich unter 20%.

Robert Hue, nicht mehr unumstrittener Präsident der neuen französischen kommunistischen Partei, wurde Ende März auf der zentralen CGT-Demonstration gegen die vermutliche Privatisierung des Strom-Monopolisten EDF ausgepfiffen; er wusste im Wahlkampf kaum Akzente zu setzen. Die Erfolge in der Regierung hatten im Zweifel viele Väter. Die kommunistische Kampagne für ein Verbot der Massenentlassungen verhedderte sich im parlamentarischen Laokoon-Kampf, der linksradikale Vorurteile bestätigte, auf legislativem Wege sei dem Kapital nicht beizukommen. Die erzielten Einschränkungen der Verfügungsmacht der corporate governance wurden aufgrund der nachlassenden sozialen Dynamik vom Verfassungsrat wieder zurückgenommen. Die Finanzierung der 35 Std.-Woche aus den Beiträgen der gesetzlichen Sozialversicherung für jene Firmen, die die Arbeitszeit verkürzen, (immerhin 2,47 Mrd. EUR in 2000 plus 5 Mrd. EUR für die Rentenkassen) wurde von der gleichen Instanz gestoppt, so dass neuer Regierungszwist über die Höhe der Staatsverschuldung und Steuern vor dem Hintergrund geringer Wachstumsraten sich abzeichnet. Diese Grabenkriege sind im Institutionengeflecht selten transparent zu führen und die Anteilnahme der Bevölkerung kocht eher auf Sparflamme. Im Verhältnis zur aufgewandten Energie der Beteiligten sind die Erfolge bescheiden. Hue dümpelte infolgedessen während seiner Kampagne bei 5% mit sinkender Tendenz. Mit erreichten 3,41% dürfte sein persönliches Schicksal besiegelt sein.

Seine unmittelbare Konkurrentin Arlette Laguiller - eine langjährige Aktivistin einer linkskommunistischen Organisation - konnte über die medialen Aufmerksamkeit ihre Position in den Umfragen ausbauen. 43% der befragen Franzose sahen sich ihren Ideen nahe, soviel Zuspruch hatte in dieser Frage kein anderer. Je 10% der Anhänger der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei sprachen sich für Arlette aus. Die in Jahrzehnten erworbene Glaubwürdigkeit der Jeanne d´Arc des Trotzkismus entsteht nicht aus dem Programm der Umgestaltung, sondern aus der Präsenz der Lutte-Ouvrière-Kader in den Alltagsauseinandersetzungen, wo die Abwehr immer brutalerer Durchgriffe des Kapitals im Vordergrund steht. Arlette setzt auf einfache Wertorientierungen: 1. Offenlegung der Managergehälter und Aufhebung des Bankgeheimnisses (Einklagen des Gleichheitsversprechens) 2. Verbot der Massenentlassungen (Freiheitsversprechen). 3. Die Eigenschaften, die in Umfragen der Kandidatin zugeschrieben werden: Solidarisch, hilfsbereit und jeder zweite würde ein gemeinsames Konto mit ihr eröffnen. Spektakulär war Laguillers Auftritt bei den entlassenen Näherinnen des Modehauses Givenchy. Sie ist von allen angetretenen diejenige Kandidatin, der die meisten Befragten (26%) zugestehen, sich am besten um die Sorgen von Frauen zu kümmern, 70% der Frauen halten nämlich die Herstellung der Lohngleichheit für das vorrangige Thema eines neuen Präsidenten. Laguiller ist in allen Altersgruppen beliebt, bei den Erstwählern haben 60% eine gute Meinung von ihr, so dass sie bei den Jungen einen Spitzenplatz neben Jospin einnimmt. Besonders aber im Milieu der kleinen Angestellten. Doch im Verlauf der letzten Wochen vor der ersten Runde sackte die Bereitschaft, Laguiller zu wählen wieder in sich zusammen, denn allein mit einer sympathischen Moral kann man den Herausforderungen des Phasenübergangs in einen modernisierten Kapitalismus nicht begegnen. Geringfügig konnte der ebenfalls trotzkistische LCR-Kandidat Besancenot (4,29%) davon profitieren.

Was bewegte die Franzosen?

Es war absehbar, dass ein Drittel der Franzosen nicht wählen würde. In der vergangenen Präsidentenwahl hatten rund 6% (1 Mio.) Wähler ungültige Stimmen abgegeben, die den Enthaltungen zugeschlagen wurden. Unter den Jungwählern lag die Wahlbeteiligung diesmal bei 53% und bei den Arbeitern nur geringfügig höher. Seit der Niederlage der PS am Ende der Mitterand-Ära und den Spaltungsmanövern Mitterands (Wahlrechtsreform, Europa-Referendum) ist die Hegemoniekrise im politischen System virulent, die mit der Modernisierungskrise von Wirtschaft und Gesellschaft zu tun hat.

Der fordistische Gesellschaftskonsens ist in Frankreich nur noch teilweise intakt. Dafür spricht z. B., dass 52% der Befragten dem System der gesetzlichen Rente ein "System der individuellen Ersparnis hinzufügen wollen". Zwei Drittel würden die Möglichkeit einer flexiblen Wahl des Renteneintritts bevorzugen, nur 10% eine Verlängerung des Arbeitslebens oder eine Erhöhung der Sozialabgaben. Die Reaktionen gehen sowohl in eine Verstärkung der neoliberalen Positionen, die mit mehreren Kandidaten vertreten waren, als auch in extreme Richtungen. Da zudem der Verfassungsrahmen für Eingriffe in das Eigentumsrecht noch durch die Institutionen blockiert wird, wählt mehr als ein Drittel der Franzosen außerhalb des "fordistischen" Verfassungsbogens, der von PCF, PS über RPR bis hin zu DL und UDF reicht. Keiner der Kandidaten repräsentiert wirklich eine Mehrheit der Franzosen.

Die Zweifel an der Tragfähigkeit der bisherigen sozialen und politischen Konstellation eines Klassenkompromisses wurden dadurch aktualisiert, dass die Wirtschaft in einem konjunkturellen Zyklenwechsel steckt. Man sieht im Frühjahr der kommenden wirtschaftlichen Entwicklung eher mit Sorge entgegen und zwei Drittel erwarten viele soziale Konflikte, die nur jeder zweite auf dem Verhandlungsweg für lösbar hält. Dieses Bedrohungsgefühl erschien den Kandidaten vor allem der Rechten mit den Themen der inneren Sicherheit eine politische Scheindynamik zu ihren Gunsten zu ermöglichen, was sich in demoskopische Meinungsfloskeln umsetzt. Die innere Sicherheit, Gewalt und Kriminalität im Alltag sind für jeden zweiten Franzosen das überragende Thema, weit vor der Arbeitslosigkeit. Gegen Ende des Wahlkampfs sahen 47% der Befragten einen Bedarf der französischen Gesellschaft nach mehr Sicherheit, aber nur 20% nach mehr Gleichheit oder Solidarität. Jeder zweite Befragte sieht die Rolle Frankreichs in der Welt schwächer werden; solche Stimmungen, die auch im Inneren ein härteres Durchgreifen verlangen, tragen Le Pen, zumal Jospin mit einem eigenen Programm der inneren Sicherheit auf diese Linie einschwenkte.

Die Linke unter Einschluss aller Trotzkisten, der Grünen, PS und Kommunisten, mobilisiert in ihrer Zersplitterung gerademal 37% plus 5% für Chevènement: Ein Debakel. Die Stimmen der trotzkistischen und kommunistischen Linken fehlten dem Kandidaten Jospin. Die verschiedenen Strömungen der Linken hätten durchaus - im Hinblick auf die anschließenden Parlamentswahlen im Frühsommer - eine Chance gehabt, der Gestaltung der Lebensverhältnisse eine neue Richtung zu geben, wenn es gelungen wäre, sich auf ein Aktionsprogramm zu verständigen, mit dem sich die Auswirkungen der verschärften Weltmarktkonkurrenz mildern lassen, ohne die Interessen der besser gestellten Lohnabhängigen zu vernachlässigen. Bei den Parlamentswahlen Anfang Juni wird das Verhältniswahlrecht dieses gemeinsame Aktionsprogramm noch zwingender erscheinen lassen; doch die PS steht vor einer Zerreissprobe, wenn sie eine Linkswende einleitet.

Le Pen, der am Wahlabend "das Verschwinden der kommunistischen Partei" feierte, appellierte "an die Ausgeschlossenen und an die Arbeiter der von der Globalisierung ruinierten Industrien" (eine Referenz an die neuen Wähler im traditionell linken Nordfrankreich, wo er über19% erzielte) und an die unter Maastricht leidenden Bauern, jetzt für die "nationale Wiederaufrichtung" einzutreten. Als "Mann des Volkes" richtete er sich "an die Französinnen und Franzosen egal welcher Rasse welchen Glaubens und welcher sozialen Herkunft: Ich bin sozial links, ökonomisch rechts und national bin ich für Frankreich".

Die spontanen Gegendemonstrationen am Abend des ersten Wahlgangs gaben ihm Gelegenheit, sich als Mann der Ordnung und die Linke als undemokratisch darzustellen, da sie Ergebnisse nicht respektiere. Er hatte die Kriegskasse für den zweiten Durchgang mit rd. 2,3 Mio. EUR bereits gefüllt und den 1. Mai als Machtdemonstration auf den Straßen von Paris geplant, bevor im April die Demoskopen seinen Aufstieg in der Wählergunst auf 14% registrierten (1995 gaben ihm die Umfragen 11% und die Wähler am Ende15%). In seinen historischen Hochburgen im Elsass (23%) und in Südfrankreich (22%) baute er ebenso wie im übrigen Land seine Position aus. Er kalkulierte mit einem vergleichbaren Effekt und damit seiner Chance, diesmal als Zweiter Kandidat durchzukommen; er sprengte so die Hypothesen über den Ausgang der Wahl.

Zwar fällt Chirac das Präsidentenamt jetzt ohne Anstrengung in den Schoß. Die bürgerliche Rechte aber wird versuchen, eine Kohabitation mit einer linken Parlamentsmehrheit zu verhindern, indem sie den Wählern Le Pens Avancen machen wird, denn die Bewegung Le Pens wird ebenso wie die anderen kleinen Parteien durch das Mehrheitswahlrecht benachteiligt. Als Präsident wird Chirac eine Koalition mit der Nationalen Front nicht verhindern. Die Linke hat Hoffnungen geweckt, die sie nicht erfüllen wollte.