"Inaction is a weapon of mass destruction…"

in (18.10.2005)

Interview mit Yiannis Bournous, Vorstandsmitglied von Neolaia Synaspismou, der griechischen Partnerorganisation von JD/JL in ENDYL (European Network of Democratic Young Left)..

.. und dort Verantwortlicher für das Ressort "Soziale Bewegungen - Internationale Angelegenheiten. Er ist als Mitglied der Koordinationsgruppe an der Organisierung des nächsten Europäischen Sozialforums (ESF), das im April 2006 in Athen stattfinden wird, beteiligt.

tendenz: Du bist mit deiner Organisation an der Vorbereitung des nächsten ESF beteiligt. Was wird deiner Meinung nach das Besondere am ESF in Athen werden und von welchen Fehlern in der Vergangenheit hat deiner Meinung nach die Vorbereitungsgruppe gelernt?

Die europäischen sozialen Bewegungen sind nach nunmehr drei Jahren ESF-Erfahrung erwachsener geworden. Wir versuchen sowohl die Vorteile als auch die Fehler der Vergangenheit in den Vorbereitungsprozess des ESF in Athen einfließen zu lassen. Das ist keine einfache Aufgabe, da wir nicht nur gegen unsere eigenen politischen und organisatorischen Schwächen angehen müssen, sondern auch gegen Akteure in den Bewegungen, die versuchen, diesen Prozess auf nationaler und internationaler Ebene zu vereinnahmen.
Um genauer zu sein: Unser Ziel als Neolaia Synaspismou ist im griechischen Vorbereitungskommittee alles dafür zu tun, dass das vierte ESF grundlegend anders wird als die Entwicklung, die in London verfolgt wurde. Wir wollen einen ESF-Prozess, der offen, integrativ, transparent und demokratisch ist. Ein solcher Prozess kann sehr "attraktiv" für alle antineoliberalen Strömungen und sozialen Bewegungen Europas werden. Dementgegen hat der Prozess, wie er von dem Londoner Vorbereitungskommitee vorangetrieben wurde, viele Strömungen, Organisationen und lokale Gruppen ausgeschlossen und damit das ESF zu einem undemokratischen, "glamurösen" aber nicht sozialen Event gemacht.

Im Rahmen dieses Öffnungsversuches werden wir - auf einer technischen Ebene - das Element der Freiwilligkeit stärken und das Budget kürzen, um die Teilnahmegebühren für alle so gering wie möglich zu halten. Außerdem werden wir einen Fokus auf die Organisierung verschiedenster kultureller und Graßwurzelaktivitäten innerhalb des ESF legen, um sicherzustellen, dass es kein "ausnahmslos" politisches Event wird. Ein gutes Beispiel hierfür ist unser Plan für eine "Straße der Sozialen Bewegungen", welche ein großer, bunter und "warmer" gemeinsamer Ort innerhalb des ESF sein soll − offen für alle politischen, sozialen und kulturellen Bewegungen, die nach Athen kommen werden. Es soll Treffpunkt sein, um Erfahrungen und Kulturen auszutauschen und für internationale Solidarität einzutreten.

tendenz: Warum ist das ESF deiner Meinung nach für die Europäische Linke so wichtig und welches ist die wichtigste politische Aufgabe für das kommende ESF?

Die Entstehung der globalisierungskritischen Bewegungen bietet die Möglichkeit der Widergeburt einer Vision für die politische Linke; nicht für eine konkrete Vision - denn heute gibt es keine "Gewissheiten" für die Linke - vielmehr für ein allgemeines Set an Werten und neuer Vorschläge für die Zukunft der Welt.
Die Bewegungen haben neue horizontale Strukturen, neue politische Kulturen, Methoden und Aktionen hervorgebracht, um die traditionelle politische und organisatorische Agenda der politischen Linken zu durchbrechen. Denn diese war auf eine bestimmte Art und Weise zu sehr Formalitäten, technischen Prozeduren und Stereotypen verhaftet, verursacht durch ein generelles Gefühl der Niederlage in den ‘90er Jahren.

Das führte dazu, dass große Teile der Europäischen Linken ihr Verhalten gegenüber den neuen sozialen Bewegungen veränderten und die Beziehung zwischen politischen Parteien und sozialen Akteuren neu definierten. Die Beteiligung der Rifondazione Comunista in den Genua-Prozess war meiner Meinung nach ein Durchbruch, der uns half unsere Hindernisse gegenüber der Antiglobalisierungsbewegung zu überwinden und eine "Ansteckung" der europäischen Linken mit neuen Ideen und Praxen zuließ.

Das Aufkommen dieser neuen Ideen erzeugte neue Bedürfnisse und neue Aufgaben für die Politische Linke. Wir begannen zu realisieren, dass wir, um einen globalisierten Feind effektiver bekämpfen zu können, unsere internen "Kommunikationshindernisse" überwinden müssen und uns gemeinsamen Kämpfen in einem größeren Maße zuwenden müssen - so wie es die sozialen Bewegungen uns gelehrt haben.
In diesem Sinne ist die Europäische Linkspartei in gewisser Hinsicht ein "Kind" der Beteiligung der politischen Linken in den sozialen Bewegungen.

Die europäische Linke muss immer noch mit internen Behinderungen/ Begrenzungen kämpfen, die auf ideologischen Traditionen beruhen, um ihre Präsenz im ESF-Prozess zu stärken. Durch unsere Präsenz in allen ESF-Vorbereitungstreffen von Anfang an haben wir bemerkt - und das sollten wir unterstreichen − dass selbst heute die Beteiligung der europäischen linken Kräfte geringer ist als erwartet; und das nicht nur in Bezug auf die linken Parteien sondern auch auf die linken europäischen Jugendorganisationen, die immer noch eine möglichst große Beteiligung missen lassen. Ein Ergebnis dessen ist, das das ESF oft ein Feld der Auseinandersetzung zwischen Sozialdemokratie und extremen Linken wird - ein Phänomen, das (vor allem jüngere) AktivistInnen ertäuscht und abschreckt.
Das ESF in Athen ist eine gute Möglichkeit für die europäische Linke und besonders für die Jugend, politisch zu intervenieren. Das bedeutet nicht, dass wir die Bewegung kontrollieren wollen; aber wir wollen sie mit unserer realistischen aber auch radikalen politischen Perspektive "anstecken", uns aber auch von ihrer Vielfalt und ihren Methoden "anstecken" lassen. Wir brauchen das, und zwar sofort!

tendenz: Was macht das ESF besonders spannend für junge Linke? Warum würdest du sie ermutigen am ESF teilzunehmen?

Die Stichworte sind: Solidarität, Widerstand und Alternative. Die Werte der sozialen Bewegungen sind immer inspirierend gewesen − besonders für junge Leute − selbst wenn sie keine linken AktivistInnen sind, sondern nur BeobachterInnen sozialer Auseinandersetzungen. Um erfolgreich Leute in unserem Alter zu mobilisieren ist es notwendig, ihnen zu zeigen, dass unser Slogan "Eine andere Welt ist möglich" nicht einfach nur visionäre und inspirierende Rhetorik ist. Vielmehr ist er eine Möglichkeit, die bereits existiert: Sie beginnt mit den kleinen Dingen in unserem Leben und entfaltet sich zu einer Strategie, um die Welt demokratischer, gerechter und friedlicher zu machen. In diesem Sinne sind zum Beispiel freiwilliges Engagement für das ESF, selbst organisierte Räume, Organisieren von Aktivitäten, Austausch von persönlichen und politischen Erfahrungen und Zeit für nicht kommerzielle Unterhaltung eine Möglichkeit alternative Werte Realität werden zu lassen. Dafür können die fünf Tage ESF in Athen ein Ausgangspunkt sein.

Und noch etwas: Wir können nicht über die
Zukunft unseres Lebens, unseres Landes unseres Kontinentes und unseres Planeten sprechen ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass WIR diejenigen sind, die über die Zukunft entscheiden. Das ist die größte Herausforderung, der wir uns stellen müssen -durch unsere aktive Beteiligung an einem Prozess, dessen Ziel es ist, das neoliberale Modell zu überwinden. Erinnert euch daran, was Faithless sagen: "Inaction is a weapon of mass destruction".

Interview und Übersetzung: Alexander Wagner