Der 11. September 2001 - Beginn eines Zeitalters des Terrorismus?
Der Angriff vom 11.9. löste Entsetzen aus. Das ist verständlich. Doch es war weniger die Zahl der Opfer, sondern die plötzliche Gewissheit, dass es überall in der Welt solche Anschläge geben kann
in: UTOPIE kreativ, H. 136 (Februar 2002), S. 107-119Der 11. September 2001 - Beginn eines Zeitalters des Terrorismus?
Der Terrorangriff auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001 und auf das Pentagon in Washington löste weltweit Entsetzen aus. Das ist verständlich, wurden doch durch diesen heimtückischen Anschlag Tausende ahnungsloser Bürger auf brutale Weise in den Tod gerissen. So furchtbar dieses Geschehen auch ist und auf allen Fernsehschirmen in West und Ost, Nord und Süd mit angesehen werden konnte - ist seine Grausamkeit aber der alleinige Grund für Aufschrei und Entsetzen? Gibt es nicht in unserer Zeit in anderen Regionen der Welt ähnliche, noch furchtbarere Ereignisse, bei denen in erklärten und unerklärten Kriegen, Unruhen und Guerillaaktionen blutige Massaker verübt werden, Familien und ganze Stammesverbände bestialisch ermordet sowie ihre Ortschaften verwüstet wurden und noch immer werden? Verhungern nicht täglich Tausende Menschen, werden infolge nicht enden wollender Kriege in weiten Teilen der Welt nicht täglich unzählige Kinder und Erwachsene durch Minen getötet, zerrissen und verstümmelt? Leiden nicht heute noch Menschen unter den Folgen einer grausamen Kriegführung mit chemischen Waffen, von denen auch ihre Nachkommen betroffen sind? Durch welche und wessen Willkür sind alle diese unschuldigen Opfer zu beklagen? Sind wir schon derart an Greueltaten gewöhnt, daß wir über solche Verbrechen anderswo verhältnismäßig schnell hinweg zur "Tagesordnung" übergehen? Brauchte es tatsächlich erst eines solchen verbrecherischen Akts gegen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, das heißt der westlichen Welt, um das Weltgewissen aufzurütteln?
Uns dünkt, daß nicht primär die Dimension der Anzahl der Opfer den Ausschlag für das weltweite Entsetzen gab, sondern vielmehr die plötzliche Gewißheit, daß es morgen in jeder beliebigen Region der westlichen Welt ähnliche Terroranschläge geben und massenhaft Menschen treffen kann. Vorbei ist die Zeit, da nur "hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen" (Goethe: Faust).
Bundeskanzler Schröder sagte in seiner Regierungserklärung am 12. September 2001 vor dem Bundestag, der "11. September wird als ein schwarzer Tag für uns alle in die Geschichte eingehen". Er nannte die Terroranschläge von New York und Washington eine "Kriegserklärung an die zivilisierte Völkergemeinschaft". 1 In den Bundestagsdebatten am 12. und 19. September, 11. Oktober und 16. November vertraten verschiedene Abgeordnete zu den Terroranschlägen die Meinung, daß sich mit dem 11. September die internationale Lage weltpolitisch völlig verändert hätte. Der Berater des USA-Präsidenten, Bruce Hoffman, ging im Römerberggespräch in Frankfurt/Main Anfang November sogar so weit zu formulieren, "ein neues Zeitalter des Terrorismus hat begonnen, das möglicherweise blutiger und verheerender sein wird als alles, was wir bislang erlebt haben". 2 In der durch die Terroranschläge entstandenen neuen internationalen Situation versicherte der Bundeskanzler die USA mehrfach der "uneingeschränkten Solidarität" Deutschlands. Deutschland werde seiner "neuen Verantwortung gerecht werden", denn es "steht", so der Kanzler am 19. September, "zu Beginn dieses neuen Jahrhunderts auf der richtigen Seite - fast ist man versucht zu sagen: endlich - auf der Seite der unveräußerlichen Rechte der Menschen." 3 Wenn unveräußerliche Rechte der Menschen mit Krieg verwirklicht werden sollen, dann dürften Zweifel berechtigt sein, ob das ausgerechnet für Deutschland die richtige Seite sein kann. Terrorismus mit Bombenterror zu bekämpfen bedeutet, den Teufel mit Belzebub austreiben zu wollen. Dieser Weg würde in das von Bruce Hoffman befürchtete "Zeitalter des Terrorismus" führen.
Scheint es zunächst nur leichtfertig, von einem neuen Zeitalter des Terrorismus zu sprechen, so muß jedoch befürchtet werden, daß mit dieser Prophezeiung die Angst vor dem Terrorismus instrumentalisiert werden soll. Die USA, heißt es offiziell, stellten sich den Herausforderungen der Zeit. Sie wähnten sich bisher als unverwundbar. Jetzt schwören sie nicht nur ihre NATO-Partner auf eine Anti-Terror-Koalition ein, sondern suchen weitere Verbündete in allen Regionen der Welt. Hochrangige Diplomaten der USA und selbst Regierungschefs der europäischen NATO-Staaten reisen in arabische und asiatische Länder, die bis vor kurzem zum Teil noch als "Schurkenstaaten" galten, um sie zur Mitwirkung am "Kreuzzug" gegen die "islamistischen" Terroristen zu gewinnen. Um den Sicherheitsrat und andere UNO-Mitglieder für diese Anti-Terror-Koalition zu gewinnen, beglichen die USA nach dem 11. Oktober einen Großteil ihrer Schulden gegenüber der UNO, was wiederum nicht ohne Einfluß auf die beiden UNO-Resolutionen 1368 vom 12. und 1373 vom 23. September 2001 gewesen sein dürfte. 4 Mt China und Rußland beziehungsweise asiatischen GUS-Staaten sind zumindest Stillhaltevereinbarungen zustande gekommen, Militäraktionen der USA gegen Afghanistan keine Hemmnisse in den Weg zu legen. Rußland möchte seinen Einfluß auf die früheren sowjetischen Unionsrepubliken in Asien nicht verlieren, aber gleichzeitig seine Partnerschaft zu europäischen NATO-Staaten vertiefen. China ist am Abbau antichinesischer Aversionen in den USA und Intensivierung des Handels interessiert. Japan und Deutschland wollen die Einsatzmöglichkeiten ihrer Streitkräfte erweitern, was als Andeutung verstanden werden kann, bei länger andauerndem Krieg in Mittelasien aktiv sein zu können. Das Engagement der Bundesrepublik ist zudem darauf gerichtet, sich für einen ständigen Platz im Sicherheitsrat die Sporen zu verdienen, obgleich es für die internationale Entwicklung wesentlich sinnvoller wäre, den Staaten der sogenannten Dritten Welt eine ständige Stimme im Sicherheitsrat einzuräumen. Die selbsternannten "islamistischen Gotteskrieger" haben somit - sicher ungewollt - zur Bildung der Anti-Terror-Koalition beigetragen.
Mit dem Label des Kampfes gegen den Terrorismus versehen, setzen sich die USA an die Spitze der Anti-Terror-Koalition , um ihren Führungsanspruch bei der Gestaltung einer "Neuen Weltordnung" durchzusetzen. Bei diesem Etikettenschwindel werden die USA gegenwärtig von ihren Verbündeten, allen voran Deutschland und Bundeskanzler Schröder, unterstützt. NATO-General Robertsons Bemerkung, die Taleban um Bin Laden und seine Al Qaida könnten die Terroranschläge auf die USA nicht allein organisiert haben, deutet darauf hin, daß die Androhung von USA-Präsident Bush weiterhin gilt, wer Terroristen begünstigt, hat mit militärischen Vergeltungsschlägen der USA zu rechnen. Was aber als Begünstigung verstanden und wo, wie und wann gegen Terroristen vorgegangen wird, entscheiden sie selbst.
Blickt man in die Geschichte nur des 20. Jahrhunderts zurück, so waren nicht nur Aggressoren bemüht, ihre Kriegsziele auch mit terroristischen Mitteln gegenüber unbeteiligten Zivilisten durchzusetzen und dabei Zerstörung der Lebensgrundlagen, Vertreibungen, Vergewaltigungen, massenhafte Hinrichtungen, Bombenterror usw. anzuwenden. Auch autokratische und diktatorische Regime bedienten sich in Friedenszeiten des Terrors gegen die eigene Bevölkerung. Selbst sich demokratisch nennende Ordnungen waren und sind nicht frei von solchen Tendenzen. Wenn zum Beispiel während der Ost-West- Konfrontation ein "Gleichgewicht des Schreckens" durch Androhung des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen erzeugt wurde und die Existenz der gesamten Menschheit gefährdete, war eine solche Politik nicht fern von Terrorismus. Terrorismus setzt immer auf Angst, Schrecken und Panik unter den Menschen. Ähnlich fragwürdig ist das heutige Festhalten der USA und der NATO an der atomaren Erstschlag-Strategie. Da nützt es auch nichts, wenn man sich auf irgendein moralisches, historisches oder wie auch immer geartetes Recht beruft. Zu allen Zeiten war es üblich, daß sich gewaltbereite Kontrahenten gegenseitig verteufelten, allerlei Untaten und böser Absichten beschuldigten oder die Gegenseite als "Reich des Bösen" bezeichneten.
Vernunft und Selbsterhaltungswillen der Menschen verbieten, sich mit dem Vorhandensein von Massenvernichtungsmitteln, in wessen Händen auch immer, abzufinden. Nicht nur ihrer weiteren Proliferation zu wehren, ihre Beseitigung aus allen Waffenarsenalen ist eine unabdingbare Forderung im Kampf gegen jeden Terrorismus. Sonst könnte tatsächlich ein Zeitalter des Terrorismus anbrechen. Angesichts des ungeheuren Gefahrenpotentials der Massenvernichtungswaffen würde dieses Zeitalter sehr kurz sein und mit dem Untergang der Menschheit enden.
Das Bemühen der USA um die Schaffung einer Anti-Terror-Koalition bedeutet keineswegs einen Kurswechsel der USA zu einer neuen Weltordnung, die diese Bezeichnung wirklich verdiente. Die Auflösung von Sowjetunion und Warschauer Vertragssystem 1990/91 eröffnete für die USA und die NATO unerwartete Chancen, eine ihren Interessen besser entsprechende Weltordnung zu schaffen. Neu ist vielmehr, daß mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 überraschend eine Situation eingetreten ist, die sie blitzschnell und entschlossen zu intensivierter Fortsetzung der seit 1990 von den USA und der NATO anvisierten Politik und zur Überwindung bestehender Widerstände dagegen zu nutzen verstanden.
Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa steht für die weltweiten US-Hegemonialpläne "Eurasien", das heißt der Raum zwischen Lissabon und Wladiwostok, oder das Schachbrett, auf dem das "global play" ausgetragen wird, im Mittelpunkt strategischer Planungen. Nach Worten Brzezinskis ist Eurasien "Amerikas geopolitischer Hauptgewinn." Der Fortbestand der globalen Vormachtstellung Amerikas hängt unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv es sich in Eurasien halten kann. Nach Brzezinski ist die Vorherrschaft der USA in diesem Raum angeblich sowohl für die Sicherheit der Amerikaner, als auch für die Zukunft von Freiheit, Demokratie, freier Marktwirtschaft und für die Weltordnung von zentraler Bedeutung. "Eine Macht", so Brzezinski, "die Eurasien beherrscht, würde über zwei der drei höchstentwickelten und wirtschaftlich produktivsten Regionen der Erde gebieten." Wer die Kontrolle über dieses Gebiet innehat, besitzt auch fast automatisch die Kontrolle über Afrika. Wörtlich führt Brzezinski aus: "Nahezu 75 % der Weltbevölkerung leben in Eurasien, und in seinem Boden wie auch Unternehmen steckt der größte Teil des materiellen Reichtums der Welt. Eurasien stellt 60 % des globalen Bruttosozialprodukts und ungefähr drei Viertel der weltweit bekannten Energievorkommen. Eurasien beherbergt auch die meisten der politisch maßgeblichen und dynamischen Staaten. Die nach den USA sechs größten Wirtschaftsnationen liegen in Europa und Asien. Mit einer Ausnahme sind sämtliche Atommächte und alle Staaten, die über heimliche Nuklearwaffenarsenale verfügen, in Eurasien zu Hause." 5
Die Weltmacht USA ist bisher nur in einer verhältnismäßig schmalen Zone an der westlichen Peripherie Eurasiens präsent. Im Fernen Osten unterhält sie lediglich einige Stützpunkte auf einer Inselkette und einem Teil der Koreanischen Halbinsel. Zwischen diesen beiden Endpunkten Eurasiens "dehnt sich ein gewaltiger, dünnbesiedelter, derzeit politisch instabiler und in organisatorischer Auflösung begriffener Raum... Südlich von diesem großen Zentraleurasischen Plateau liegt eine politisch anarchische, aber an Energievorräten reiche Region, die sowohl für europäische als auch für ostasiatische Staaten sehr wichtig werden könnte und die im äußersten Süden einen bevölkerungsreichen Staat aufweist, der regionale Hegemonie anstrebt." Nach Brzezinski besteht auf diesem "Spielfeld Eurasien" die reale Gefahr, daß Amerika hier "irgendwann ein potentieller Nebenbuhler um die Weltmacht erwachsen könnte" 6 , was es unbedingt zu verhindern gilt.
Aber selbst für die übriggebliebene "einzige Weltmacht" USA ist es trotz ihrer politischen und militärischen Potenzen nicht möglich, diesen gewaltigen Raum von Lissabon im Westen bis Wladiwostok im Osten unter Kontrolle zu halten. Am westlichsten Punkt dieses gewaltigen Raumes bindet die NATO die produktivsten und einflußreichsten Staaten an die USA und sichert ihnen zugleich erheblichen Einfluß auf Europa. Daher das außerordentliche Interesse der USA an einem einigen Europa. Komplizierter ist die Lage am östlichen Ende Eurasiens. Hier fehlt ein solches Bündnis, und noch ist keineswegs klar, welche Macht sich hier etablieren wird. Ambitionen dazu habt eine Reihe Länder. Wer aber ist auf Dauer bereit, das Patronat der USA zu akzeptieren und bei welcher Kräftekonstellation könnte die Region Stabilität erhalten? Die Reichtümer Zentralasiens wecken natürlich nicht nur in den USA Begehrlichkeiten. Insofern prallen hier verschiedene Interessen aufeinander. Politisch besonders widerspenstig sind zur Zeit jene politischen Kräfte, die ihren Frust gegenüber der USA-Vorherrschaftspolitik zunehmend in einen religiös-islamistisch motivierten Terrorismus kanalisieren. Die USA stellen sich den Herausforderungen des Terrorismus auf ihre Art: mit Krieg und dem Bemühen, ihre Stellung als einzige Supermacht weiter auszubauen. Neu an der Lage ist, daß sie unter den gegenwärtigen Bedingungen Zugeständnisse machen, zu denen sie vor dem 11. September nicht bereit waren.
Im Gefolge des Zusammenbruchs des Kolonialsystems nach dem 2. Weltkrieg suchten die bis dahin kolonialen Länder nach Wegen der Modernisierung und des gesellschaftlichen Fortschritts. Von den ehemaligen "Mutterländern" hatten sie wenig Unterstützung zu erwarten, und die sogenannte Entwicklungshilfe erwies sich oft nur als Form neokolonialer Unterdrückung. Nachdem nationalistisch oder sozialistisch orientierte wirtschaftliche Entwicklungsversuche in der Regel scheiterten, setzten viele ihre Hoffnung auf das Reformpotential eigener Traditionen, um das schwere Erbe des Kolonialismus abzuwerfen. Das konnte in den meisten dieser Länder im Nahen und Mittleren Osten, aber auch Nordafrikas nur auf der Grundlage des hier vorherrschenden Islam erfolgen, weil nach dem Koran Mohammed als Gründer auch eines weltlichen Reiches angesehen wird. 7 Die Besinnung auf Religion ist besonders im Islam ein wichtiges Moment für die grenzüberschreitende Wirksamkeit und den Zusammenhalt ganzer Regionen. In ihrem wirtschaftlichen Bemühen von den reichen Industriestaaten des Westens im Stich gelassen, weiterhin ausgebeutet und mit Arroganz begegnet, schlug in diesen Ländern die anfängliche Ablehnung gegenüber der Politik der westlichen Industrienationen zunehmend in Haß um und konzentrierte sich immer mehr auf die westliche Führungsmacht USA. Diese wachsende Unzufriedenheit einer steigenden Anzahl hungernder und in Elend lebender Menschen dieser Länder mißbrauchte eine zahlenmäßig kleine, in Luxus und Reichtum schwelgende Oberschicht, um von ihrer eigenen Gewaltherrschaft abzulenken und in Terrorakte gegen im Ausland sitzende "Schuldige" zu dirigieren. Das fällt ideologisch um so leichter, als große Teile der Bevölkerung vieler Länder dieser Region tatsächlich verelendet sind, keinen Ausweg aus ihrer Situation sehen und aus Ohnmacht gegenüber erdrückender Macht immer stärker Gewaltbereitschaft entwickeln. Auf die Sympathie und Unterstützung eines Teiles dieser Menschen bauen die Drahtzieher des internationalen Terrorismus. Dabei hat noch kein einziger der langen Kette von Terrorakten irgendeinem dieser Völker auch nur den geringsten Nutzen gebracht.
Den Hintermännern des Terrorismus, die den Islam mißbrauchen und zum "Heiligen Krieg" gegen die Ungläubigen aufrufen, geht es nicht um Religion. Religion wird hier tatsächlich als Opium für das eigene Volk mißbraucht. Mit ihrer Hilfe wird der Parasitismus ihrer herrschenden Oberschicht verdrängt. Aber auch jene Politiker des Westens und ihre Medien machen sich der Verschleierung der wahren Verhältnisse schuldig, indem sie immer wieder vom religiösen Fanatismus fundamentalistischer islamischer Terroristen sprechen und den Eindruck erwecken, der Terrorismus habe religiöse Wurzeln. Fragen nach Wurzeln und Ursachen sowie dem eigenen Anteil am Zustandekommen des Terrorismus werden dabei unter den Tisch gekehrt.
Zunächst hieß es, der Zweck des Krieges gegen Afghanistan sei, Bin Laden tot oder lebendig zu fangen. Gesetzt den Fall, es gelingt, so ist damit das Problem des Terrorismus nicht gelöst. Gewalt und Gegengewalt blieben bestehen, gleich einer Hydra wüchsen einem abgeschlagenen Terroristenkopf sofort einer oder sogar mehrere nach. Bushs Ankündigung, der Krieg gegen den Terrorismus werde längere Zeit, mindestens zwei Jahre beanspruchen, geht von der Prämisse aus, die USA werden Terrorismus auch in Zukunft mit militärischer Gewalt bekämpfen statt mit Diplomatie und anderen zivilen Mitteln, um die Ursachen des Terrorismus zu beseitigen. Der unter mißbräuchlicher Auslegung der UNO-Charta erklärte Fall der Selbstverteidigung soll also erweitert werden.
Internationaler Terrorismus - Herausforderung der Menschheit
Nach Überwindung der mit Kaltem Krieg und Ost-West-Konfrontation verbundenen Besorgnisse vor einer atomaren Konfrontation müssen die Völker im ersten Jahr des 21. Jahrhunderts anhaltenden Krieg und Terror befürchten. Diese Angst, von manchen Medien noch geschürt, verlangt von den Politikern, die von sich behaupten, die Sicherung der unveräußerlichen Rechte aller Völker zum Ziel zu haben, alle zivilen Möglichkeiten zur Verhinderung militärischer Aggressionen auszuschöpfen. Leider besteht der Eindruck, als wäre einigen Politikern diese Aufgabe und Verantwortung noch nicht bewußt geworden. Gegenwärtig scheint sich die Offenbarung des Johannes, die Apokalypse, in ungeheurer Weise zu erfüllen. Die heute die Menschheit bedrohenden apokalyptischen Reiter sind: 1. Die Gefahr der Anwendung von Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen und in deren Gefolge die Vernichtung des menschlichen Lebens überhaupt. 2. Die erschreckend fortschreitende weltweite Umweltzerstörung. 3. Die enorme, alle bisherigen Wachstumsraten in den Schatten stellende Bevölkerungsexplosion bei weiter fortschreitender Polarisierung der Weltbevölkerung in Arme und Reiche. 4. Die wie ein Flächenbrand global um sich greifende Massenarbeitslosigkeit.
Bereits 1991 wurde im Vorwort zum Bericht des Club of Rome festgestellt: "Die heutige Weltproblematik umfaßt offensichtlich neue Elemente wie Veränderungen im menschlichen Verhalten, das Auftauchen anscheinend irrationaler Bewegungen wie des Terrorismus und die Entwicklung eines ausgeprägten individuellen und kollektiven Egoismus..." 8 Diese Einschätzung wurde mit den Terrorakten vom 11. September bestätigt. Werden daraus jedoch die richtigen Schlußfolgerungen gezogen? Der Krieg gegen Afghanistan gibt Anlaß zu Zweifeln. Vielmehr bestätigen sich leider auch die folgenden Feststellungen aus dem eben genannten Bericht: "Regierungen bevorzugen Lösungen, die kurzfristig politischen Nutzen bringen, und vernachlässigen systematisch die langfristige Perspektive... Regieren verkommt zur regelmäßig wiederkehrenden Krisenbewältigung, zum Taumeln von einem Notfall zum anderen... Regierungen bringen von sich aus selten Neuerungen hervor. Sie reagieren meist nur auf Druck... Doch auch dann...wirken sie...häufig als Bremse..., zeigen sie keine Neigung zur Selbstkritik... Verbesserungsvorschläge werden mit einem Achselzucken abgetan..." 9 Entspricht das nicht der Handlungsweise der US-Administration? Handelt nicht auch die deutsche Regierung wie hier beschrieben, indem die Ablehnung dieses Krieges durch immer mehr Bürger unseres Landes nicht nur ignoriert, sondern ihre Protagonisten auch noch beschimpft werden?
Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die apokalyptischen Reiter unserer Zeit mit den von ihnen ausgehenden ungeheuren Gefahren aufzuhalten, wenn ihnen ihre Atom- und anderen Massenvernichtungswaffen nicht entrissen und Rüstung und Waffenhandel nicht als Anstiftung zu Krieg und Kriegsverbrechen geächtet werden, wenn die immer schneller fortschreitende Umweltzerstörung nicht energisch bekämpft und Duldung und Vertiefung von sozialer Ungerechtigkeit, Hunger und Massenelend nicht als unterlassene Hilfeleistung geahndet wird, dann ist das Ende der Existenz der Menschheit vorprogrammiert. Vor Jahren warnte der polnische Philosoph Adam Schaff: "Die plebejischen Länder oder aus ihnen stammende Terroristengruppen werden mit der atomaren Erpressung anfangen, und zwar in nicht allzu ferner Zukunft." 10
Die zunehmende Verbreitung von Nuklear- und anderen Massenvernichtungswaffen bestätigt einmal mehr, wie ernst die Bedrohung der Menschheit tatsächlich ist. Ohne Wende im Verhalten der Verantwortung tragenden Politiker gegenüber diesen vor der Menschheit stehenden ungeheuren Herausforderungen, deren Bewältigung tatsächlich eine globale Allianz und koordiniertes Handeln aller friedlichen Staaten und Völker verlangt, ist der Kampf gegen diese Gefahren zum Scheitern verurteilt. Gelänge es heute, die gegenwärtig so intensiv geschmiedete Anti-Terror-Koalition mit diesen Aufgaben zu verbinden, es könnte die beginnende Erlösung der Menschheit aus selbst verursachten Zwängen und Gefahren sein. Eine Einteilung der Staaten in "gute" und "böse" verbietet sich dabei freilich von selbst.
Die hochentwickelten Industriestaaten und ihre politischen und wissenschaftlichen Eliten haben eine besondere Verantwortung für das künftige Geschick unseres Erdballs. Eine Wende der Politik von wahrhaft kosmischen Dimensionen ist dazu unerläßlich. Politik, welche sich in hegemonialem Patronat und weltweiter Vorherrschaft gefällt, muß ohne jedes Wenn und Aber kompromißlos überwunden werden. So wie sich die Menschheit - wenn auch noch zögerlich - vom Wahn befreit, der Natur ihren Willen aufzuzwingen, ohne daß sie sich dafür rächt, müssen sich alle Staaten und ihre Politiker von dem Wahn befreien, andere Staaten und die Bevölkerung anderer Länder beherrschen und ihnen ihre Lebensweise oktroyieren zu können. Der Mensch "will unter sich keinen Sklaven sehen und über sich keinen Herrn."(Brecht) Das zu begreifen, ist höchste Eile geboten.
Herrschaftsstreben, Bedrohung mit überlegenem Waffenpotential, Diktat über Rohstoffquellen anderer Länder, Ignoranz gegenüber berechtigten Forderungen anderer Völker, über ihre Naturreichtümer und Lebensweise selbst bestimmen zu wollen, müssen notwendigerweise auf Widerstand und Ablehnung stoßen. Dieser Gewalt wird immer mehr mit Gegengewalt als vermeintlichem Ausweg begegnet. Wenn die USA und die NATO vorgeben, ein Bündnis zum eigenen Schutz und zur Sicherung des Friedens zu sein, dann müssen sie sich schon fragen lassen, warum ein so edlen Zielen verpflichtetes Bündnis die gewaltigste Militärmacht aller Zeiten sein muß? 11 Weshalb halten USA und NATO an der atomaren Erstschlagskonzeption und anderen Drohmitteln fest? Wozu unterhalten die USA ein weltweites Netz militärischer Stützpunkte? Mit welcher Absicht wurden in der NATO-Strategie und in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) für die deutsche Bundeswehr festgeschrieben, gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln Seewege und den Zugang zu Rohstoffquellen überall in der Welt zu erzwingen? Sind die so formulierten "vitalen deutschen Interessen" auch die der Völker in anderen NATO-Staaten? Welchen Nutzen hat es für die Gesellschaft, ständig Milliarden für neue und noch effektivere Waffensysteme auszugeben, wenn man doch nichts mehr als den Frieden in der Welt anstrebt? Es ist ein Irrglaube, dauerhaft auf der Grundlage überlegener ökonomischer und militärischer Macht alle strittigen Fragen und Probleme zum eigenen Vorteil lösen zu können.
Terror und Terrorismus unserer Zeit sind in diese geschilderte Situation eingebettet, sind Ausgeburten der apokalyptischen Gefahren. Ohne Zweifel ist der Terrorismus zu einer wuchernden Krebsgeschwulst der gefährlichsten Art geworden, die energisch entfernt werden muß. Jeder Operation geht eine genaue Diagnose voraus, in der Ursache der Krankheit und der Herd bestimmt werden, von dem alles ausgeht. Wichtig für den Erfolg ist die Art der Operation und was für den anschließenden Gesundungsprozeß getan werden muß. Es geht also nicht darum, schlechthin nur zu operieren, ohne vorher die möglichen Folgen einer Operation zu bedenken. Gegen terroristische Gewalt mit überlegener militärischer Gewalt zu "operieren", bedeutet nichts anderes, als sich von Terroristen die Kampfmethoden aufzwingen zu lassen.
Die Strategen kriegerischer Rache spekulieren bei allen Kreisen der Bevölkerung nicht ohne Erfolg auf Akzeptanz ihrer Politik militärischer Machtdemonstration, zumal sie sorgsam darauf bedacht sind, ihren Krieg mit minimalsten eigenen Opfern und nicht auf eigenem Territorium zu führen. Sie werfen teuflische Bomben aus für die Gegner nicht erreichbaren Höhen. Vor dem Aufprall explodierend, vernichten sie im Umkreis hunderter Meter alles Leben, vermeldete ein Militärsprecher der USA vor Fernsehkameras. Tarnkappenbomber starten in den USA, laden ihre tödliche Fracht über dem Zielgebiet in Afghanistan ab und kehren im Nonstopflug auf ihre Startbasis zurück. In weniger als 48 Stunden können ihre Besatzungen wieder im Kreise ihrer Familie am Tisch sitzen oder mit ihren Kindern spielen. Es wird sogar daran gearbeitet, Maschinen zu entwickeln, welche die gleiche "Mission" ganz ohne fliegendes Personal bewältigen. Kriege könnten bald vom "Arbeitsplatz" in der Heimat aus geführt werden. Kein Wunder, daß diejenigen, die an Terrorakten völlig unbeteiligt sind, aber unter den Bombenschlägen der Rächer "Kollateralschäden" erleiden, für die technische Perfektion der Mordmaschinen und deren Erfinder und Anwender keinen Beifall aufbringen.
Die Terroristen und ihre Handlanger wollen aus der berechtigten Empörung der unbeteiligten Bürger über die militante Kriegführung gegen den Terrorismus ideologisches Kapital schlagen, vor allem aber ihre politische und moralische Unterstützung erreichen. Zugleich gieren sie danach, selbst in den Besitz der "modernsten" Kriegstechnik bis hin zu Massenvernichtungswaffen zu gelangen. Aus gegenseitigem Haß und Gewalt auf beiden Seiten erwachsen Krieg und Terrorismus, Zynismus und Menschenverachtung, denen Einhalt geboten werden muß.
Die Feststellung der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy, USA-Präsident Bush und Bin Laden hätten gleiche Denkstrukturen, 12 hat in Regierungs- und Medienkreisen der Bundesrepublik heftige Proteste hervorgerufen. Warum eigentlich? Die Flugzeugmörder von New York und Washington haben an die Tausende unbeteiligte und unschuldige Menschen ermordet, um die Macht des Terrorismus zu demonstrieren. In nicht wenigen islamischen Ländern haben sie dafür Zustimmung erfahren. Der Krieg der Gegenmacht ist nicht weniger mörderisch.
Wir empfinden es für Deutschland, seine Politiker und die demokratischen Parteien, von denen sich einige gern Volksparteien nennen, als beschämend, daß nur eine einzige Partei, die PDS, ohne Wenn und Aber geschlossen gegen deutsche Beteiligung am NATO-Krieg gegen Jugoslawien und den USA-Krieg gegen Afghanistan auftrat. Dafür hat sie sich Verhöhnung und Haß der etablierten Parteien zugezogen und wird deshalb in Deutschlands Hauptstadt Berlin als nicht regierungsfähig angesehen! Der Kanzler hat in seiner Regierungserklärung zur Begründung der Teilnahme von 3900 deutschen Soldaten am Krieg gegen Afghanistan nicht nur das Argument der Sicherheit strapaziert, sondern auch von Bewahrung "unserer Werte" gesprochen. Schon aus historischen Gründen muß Teilnahme an Kriegen davon ausgeschlossen sein. Offensichtlich gehen zwischen Regierenden und Bevölkerung die Auffassungen über "unsere" Werte auseinander. Weiterhin hat er ziemlich unumwunden die Teilnahme an diesem Krieg mit deutschen Interessen begründet. Welche meinte er? Offensichtlich hatte er den Profit der Multis im Auge. Wie einer dpa-Meldung zu entnehmen ist, erklärte er, der Antiterror- Kampf sei gut für die Wirtschaft. Würde Deutschland keine Unterstützung für die USA angeboten (!) haben, hätte es sich nicht nur als Bündnispartner disqualifiziert, sondern das auch wirtschaftlich zu spüren bekommen. Derart unverfroren begründete er auf einer Betriebsrätevollversammlung des Energiekonzerns E.O.N. seine Kriegspolitik als Arbeitsbeschaffung und Arbeitsplatzsicherung! 13
Manche Abgeordnete und Funktionäre der SPD greifen dummdreist das längst von Adam Smith, Karl Marx und vielen nachfolgenden Wissenschaftlern widerlegte und dem gesunden Menschenverstand widersprechende "Argument" auf, Rüstungswirtschaft sei Arbeitsplatzbeschaffer. Mehr noch, in den Medien wird demagogisch verbreitet, Kriegsgerät wie Sanitätsflugzeuge und Spürpanzer Fuchs dienten auch der Zivilbevölkerung. 14 Nach diesem eigenartigen Verständnis von Humanität kommen zuerst die Bomber und töten und verkrüppeln die Menschen. Wer danach noch zusammengeflickt werden kann, hat die Chance, in einer mit modernster Medizintechnik ausgerüsteten Militärmaschine versorgt und abtransportiert zu werden. Deutsche Arbeiter sollen sich freuen und der Bundesregierung dankbar sein, an dieser humanitären Aktion mitgeholfen und dadurch ihren Arbeitsplatz erhalten zu haben.
Gipfel der Heuchelei ist es, wenn verantwortliche Politiker vor die Öffentlichkeit treten und erklären, wie schwer sie mit ihrem Gewissen gerungen hätten, aber es sei keine andere Entscheidung als der Krieg möglich gewesen, eine Alternative wäre nicht vorhanden. Einem derartigen Schauspiel mußte die deutsche Bevölkerung seit 1999 nun schon das zweite Mal beiwohnen. Mußte sie das wirklich? Es ist ein Armutszeugnis, wenn der deutsche Außenminister Josef Fischer auf Einwände gegen eine Kriegsbeteiligung Deutschlands mit der rhetorischen Frage reagiert: "Mit welchen anderen Mitteln können wir der Terroristen habhaft werden?" Daß Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik überprüfenswert sein könnte, darauf sind bisher weder er noch Kanzler Schröder und schon gar nicht der Verteidigungsminister Rudolf Scharping gekommen. Fischers ehemalige Kollegin, Frau Albright, hatte im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg wenigstens noch die Frage gestellt, woher es wohl komme, daß die USA so gehaßt werden. Die Antwort fiel allerdings mehr als dürftig aus. Die USA hätten doch gar nicht die Rolle angestrebt, die ihnen in der Welt zugefallen sei, offensichtlich riefen Stärke und Reichtum der USA den Neid anderer Länder hervor. 15 Frau Albright scheint vergessen zu haben, daß die USA ihre Begehrlichkeit nach Rohstoffquellen anderer Länder auf allen Kontinenten der Erde stets mit politischem, ökonomischem und militärischem Druck zu realisieren verstanden und sich dadurch Ablehnung und Haß zugezogen haben. 16 Was die beherrschende Rolle der USA betrifft, so ist es einfach Lüge, Washington hätte eine solche Position nicht angestrebt. Spätestens mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg und vor allem in der Nachkriegsära gaben sie Tendenzen des Isolationismus endgültig auf. Solange ein starker Widerpart in Gestalt der Sowjetunion existierte, mußten sie allerdings ihre Weltherrschaftsgelüste zügeln. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und des Ost-Blocks, mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten konnten sie alle bisherige Zurückhaltung fallen lassen. Eine wesentliche Bedingung für die USA-Zustimmung zur Vereinigung war die weitere Mitgliedschaft des vereinigten Deutschland in der NATO, deren Existenz unbedingt erhalten bleiben sollte, obgleich sie angeblich nur der Abwehr der östlichen Bedrohung gedient hatte.
Mit dem zu Beginn der neunziger Jahren eröffneten USA-Krieg gegen den Irak wurden ungehemmter Globalismus und militärisches Abenteurertum miteinander verbunden. Die NATO-Partner der USA, besonders England, Frankreich und Deutschland, unterstützen aktiv den von den USA vorgegebenen Kurs der neuen Hochrüstung und Herrschaftspolitik, um ihren Anteil bei der Neuaufteilung der Weltmärkte zu erhaschen. Helmut Kohl erklärte 1991 in seiner Antrittsrede als wieder gewählter Kanzler, Deutschland sei wieder wer und könnte sich nun offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen, die Zeit einer wieder erlangten Normalität sei nun angebrochen. Der damalige Daimler-Benz-Chef Reuter sekundierte, die Welt werde jetzt neu aufgeteilt und Deutschland wolle dabei sein. In diesem Sinne wurde 1991 in den schon genannten VPR für die Bundeswehr unter anderem die Aufgabe gestellt, sie habe künftig für den freien Zugang zu Rohstoffquellen und für die Sicherheit der Seewege zu sorgen. Dementsprechend sollen deutsche Marineeinheiten im Auftrage der USAin Kürze am Horn von Afrika aktiv werden. Für Kanzler Schröder ist der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr außerhalb Europas ein historisches Datum für Deutschland!
Wir bezeichnen es schon heute als ein Datum der Schande. "Denn Krieg ist die falsche Antwort auf den Terror. Krieg fordert neue Opfer unter Unschuldigen, führt zu einer neuen Spirale der Gewalt, verschärft die existierenden Gegensätze, provoziert den neuen Ruf nach Rache und Vergeltung. Nur im Frieden wird es möglich sein, der komplexen Probleme weltweit gemeinsam Herr zu werden. Nur im Frieden wird man eine neue Globale Sicherheitsarchitektur schaffen können, nur im Frieden ist weltweit soziale Gerechtigkeit zu schaffen, nur im Frieden werden Wasser, Brot und Öl gerecht verteilt werden können, nur im Frieden ist eine gleichberechtigte Entwicklung der Kulturen möglich. Darum sind wir gegen den Krieg der USA in Afghanistan und eine Beteiligung Deutschlands an diesem Krieg." 17
Recht statt Krieg gegen den internationalen Terrorismus.
In Auswertung der Erfahrungen der NATO mit dem Jugoslawien-Krieg verkündete seinerzeit General Naumann: "Der nächste Konflikt kommt bestimmt.... Es ist eine Illusion zu glauben, man könne einen Krieg ohne Tote führen." 18 Diese Äußerung Naumanns ist lediglich eine Variante der auch heute immer wieder auftauchenden Behauptung, wonach es Kriege immer gegeben habe und auch in Zukunft geben werde. Den Menschen soll eingeredet werden, daß sie sich mit der Existenz von Kriegen für alle Zeiten abfinden müssen. Im Kern geht es um den ersten Satz: "Der nächste Konflikt kommt bestimmt." Woher weiß er, daß es nächste Konflikte geben wird, die militärisch ausgetragen werden müssen? Eine solche "Prognose" schließt ein, sich auch mit der Bereitstellung der materiellen und militärtechnischen Mittel und natürlich des erforderlichen "Menschenmaterials" abzufinden.
Um künftige Kriege vorherzusagen, bedarf es nicht der prophetischen Fähigkeit eines NATO-Generals. Bei Fortsetzung der bisherigen Politik der das Weltgeschehen dominierenden Mächte - und dazu scheinen sie entschlossen zu sein - muß es tatsächlich immer wieder zu Kriegen kommen, weil deren Ursachen, allen voran die aus der Profitgier der Multis erwachsenden Ungerechtigkeiten in der Weltwirtschaft, nicht beseitigt werden. Wo politisches Handeln von wirtschaftlichen Interessen diktiert ist und diese Interessen von wenigen großen Wirtschaftsgiganten, gestützt auf das militärische Potential der Industriemächte, nach ihrem Gutdünken auch mit Brachialgewalt gegen den Rest der Welt durchgesetzt werden, entstehen Rebellionen der betroffenen Völker und werden militärische Konflikte und Kriege heraufbeschworen. Das sind die eigentlichen Gründe, weshalb heute friedwillige Menschen politisch resignieren und die scheinbare Unvermeidlichkeit von Kriegen hinnehmen. Wer aber ohnehin auf der Seite jener steht, die das Geschäft des Krieges betreiben oder ihnen sogar dient, für den ist der Krieg "natürlich" und "Kriegsdienst" gerechtfertigt. Den Krieg als Dauererscheinung der Menschheit zu akzeptieren, heißt aber auch, den Terror hinzunehmen. Terror und Krieg haben prinzipiell gleiche Wurzeln: Bereicherung und Machtgier. Terror ist der illegitime Bruder des Krieges.
Um des Terrors Herr zu werden, ist die Fahndung nach ihren Akteuren und Hintermännern und ihre Verurteilung ein erster unumgänglicher Schritt. Er wird aber langfristig gesehen scheitern, wenn nicht der Sumpf, in welchem Terrorismus gedeiht, trocken gelegt wird. Das jedoch verlangt eine solche Wende der Politik, die sich vom Handlanger der Wirtschaft und Zutreiber der Shareholder-Value- Strategen zum Diener der Lebensinteressen ihrer Völker wandeln muß. Sie verlangt Absage an jede wie auch immer geartete Form von Großmacht- und Hegemonialpolitik. Sie verlangt konsequenten Verzicht auf Gewaltandrohung und Krieg als Mittel der Politik und daher tatsächliche Abrüstung, beginnend mit der schrittweisen Vernichtung aller Massenvernichtungsmittel. Sie verlangt den Schutz des höchsten Gutes aller Menschen, des Lebens und der Lebensgrundlagen im weitesten Sinne. Sie verlangt politische, religiöse und kulturelle Toleranz und entschiedene Absage an Rassismus, Verherrlichung des Faschismus, des Krieges und der Gewalt. Sie verlangt nicht zuletzt eine solche Reorganisation der Vereinten Nationen, die, frei vom Diktat welcher Großmacht auch immer, zum realen Vertreter der Interessen aller Völker und Staaten werden muß. Nur flankiert von Schritten in die angegebene Richtung kann die auf der Grundlage des Rechts gestützte Verfolgung und Bestrafung krimineller terroristischer Elemente langfristig von Wirkung sein.
Seit Beginn des USA-Bombardements auf Afghanistan hat international bei vielen Bürgern, Künstlern und Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen und auch bei manchen Politikern ein tieferes Nachdenken über Ursachen, Hintergründe, Wesen, Gesichter, Ziele und andere Erscheinungsformen von Terror und internationalem Terrorismus begonnen. Sie befürchten, daß sich die Kriegführung der USA und Großbritanniens gegen Afghanistan zu einem Weltbrand ausweiten kann, wenn noch mehr arabisch-islamische Staaten - durch welche Umstände auch immer - in diesen Krieg einbezogen werden. Fragen nach den Mitteln der Bekämpfung des national und international wirkenden Terrorismus sind deshalb in den Mittelpunkt politischer und ideologischer Auseinandersetzungen gerückt. Nichts kann die Verurteilung von Terroristen relativieren, die unschuldige Männer, Frauen und Kinder mit in den Tod reißen. Solches Handeln ist kriminell und weder politisch, religiös und sozial noch mit Not oder Elend von Menschen oder Völkern zu rechtfertigen.
Die internationale Kritik an den amerikanisch-britischen Bombardements auf Afghanistan ist inzwischen weiter angewachsen. Immer mehr Völker, Staaten, internationale Organisationen, Kirchen usw. lehnen den Krieg als Mittel des Kampfes gegen Bin Laden und die Taleban in Afghanistan und den internationalen Terrorismus ab. Sie fordern adäquate, auch gewaltsame Mittel, die aber nicht unschuldige Menschen töten oder ihre Existenzgrundlagen zerstören. Das Beharren der USA, Großbritanniens, auch Deutschlands und anderer Staaten auf Fortsetzung dieses Krieges ignoriert den Willen der vom Krieg Betroffenen und der Mehrheit der Menschen auf allen Kontinenten. Krieg ist als Geißel der Menschheit überall verhaßt. Die immer wiederkehrenden Behauptungen in der Regierungsverantwortung stehender Politiker, zum Krieg gegen den Terrorismus gäbe es keine Alternative, ist eine besonders üble Demagogie. Die Rabulistik in dieser Frage auf dem Parteitag der deutschen Bündnis-Grünen-Partei am 24./25. November 2001 bedeutet Verrat der Ideale, mit denen diese Partei einst mutig angetreten ist.
Die Alternative, in Abstimmung mit dem Sicherheitsrat der UNO eine militärisch organisierte Polizeiaktion zur Verhaftung von bin Laden auf der Grundlage eines internationalen Haftbefehls durchzuführen und ihn vor einem internationalen Gericht für die terroristischen Verbrechen vom 11. September zur Verantwortung zu ziehen, müßte als Methode des Kampfes gegen Terroristenführer doch wenigstens nachdenkenswert sein und sollte nicht lakonisch als politische Naivität oder ähnliches vom Tisch gewischt werden. Eine erfolgreiche Aktion dieser Art war zum Beispiel die Ergreifung des SS-Verbrechers Eichmann. Die USA müßten allerdings zunächst einen internationalen Gerichtshof anerkennen und zustimmen, daß vor diesem Tribunal Kriegsverbrechen ohne Ansehen von Person und Staat verhandelt werden. Ihre Weigerung, einen solchen Gerichtshof gutzuheißen, ist um so befremdlicher, als sie gleichzeitig das 1974 vom damaligen US-Präsidenten erlassene Verbot für die CIA, ohne gesetzliche Grundlage zu töten, aufheben und besondere Gerichte bilden zur Aburteilung von Terroristen und des Terrorismus Verdächtiger im Schnellverfahren, was fatal an die Sondergerichte der Nazis erinnert. Aus solchen Schritten erwachsen größte Gefahren für den Rechtsstaat und für Demokratie. Ähnliche Befürchtungen wecken die von Deutschlands Innenminister Schily auf den Weg gebrachten Gesetzespakete zur inneren Sicherheit.
Es ist konsequent zu verurteilen, wenn Regierungen mit der Begründung des Kampfes gegen den Terrorismus Freiheitsrechte ihrer Völker beschneiden und Parlamentsentscheidungen über Krieg unter Kuratel stellen. Formen und Varianten eines Überwachungsstaates führen zum Abbau von demokratischen Grundrechten und begünstigen Terrorismus - nicht nur die deutsche Geschichte hat dafür abschreckende Beispiele geliefert. Die weltweite rechtliche Verfolgung der das internationale Leben bedrohenden Terroristen könnte zur Verrechtlichung auch der zwischenstaatlichen Beziehungen beitragen und damit der Antiterrorallianz über den gegebenen Anlaß in New York und Washington hinaus Substanz und Stabilität verleihen. Dazu bestehen insofern Voraussetzungen, wenn innerhalb dieser Allianz gemeinsame und auf gleichberechtigter Basis beruhende Schritte unternommen würden, um zu einer neuen Weltordnung zu gelangen, die auf wirklich demokratischen Prinzipien beruht und auf jegliche Hegemonialbestrebungen primär der Großmächte verzichtet. Das alles könnte und müßte im Rahmen der UNO geschehen. Die mit den beiden Resolutionen des Sicherheitsrates vom 12. und 28. September 2001 gewachsene Autorität der UNO und ihres Sicherheitsrates bedarf weiterer Festigung.
Ingomar Klein - Jg. 1931, Ökonom, Agrarökonom, Prof. Dr. sc. oec. ab 1961 Dozent, 1967-1991 Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, 1996 (mit Wolfgang Triebel "Helm ab zum Gebet! Militarismus und Militarisierung - ein deutsches Schicksal?"; Mitglied der AG Friedenspolitik
Wolfgang Triebel - Jg. 1930, Politikwissenschaftler, Historiker, Prof. Dr. sc. phil.; 1968-1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dozent, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Lehrgebiete Sozialismustheorie, Theorie internationaler Beziehungen. Ab 1991 Grotewohl-Forschung und politikwissenschaftliche Arbeit in der AG Friedenspolitik
1 Zitiert nach DAS PARLAMENT, Nr. 39 vom 21. September 2001, S. 11.
2 Zitiert nach Neues Deutschland vom 5. November 2001, S. 5. Heiner Halberstadt: Kontroverse Debatte über die Folgen der Terroranschläge.
3 Zitiert nach DAS PARLAMENT, Nr. 40 vom 28. September 2001, S. 11.
4 Unabhängig von denkbaren kritischen Anmerkungen zu beiden Resolutionen, weil sie einen Krieg gegen den Terrorismus nicht ausdrücklich ablehnen, ist die Verurteilung jeglichen TerrorismusÂ’ und die Aufforderung an alle Staaten eindeutig, geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen und den Sicherheitsrat darüber zu informieren. Ende Dezember 2001 soll der neu gegründete Ausschuß des Sicherheitsrates ein Arbeitsprogramm zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorlegen. Wortlaut beider Resolutionen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 11/2001, S. 1397 f. und 1400 ff.
5 Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Dieser Titel erschien 1997 im Beltz Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin. Hier zitiert nach der 4. Auflage Fischer Taschenbuch Verlag, Berlin 2001, S. 54.
6 Ebenda, S. 57/58.
7 Siehe Koran, 2. Sure u. a. in der Übersetzung von Lazarus Goldschmidt. Frechen 2000. Während in der christlichen Lehre das von Jesus geschaffene Reich ›nicht von dieser Welt‹ ist, versteht sich der islamische ›Gottesstaat‹ als weltlich ausgerichtet.
8 Die Globale Revolution. Bericht des Club of Rome 1991, in: Spiegel Spezial Nr. 2/1991, S. 8.
9 Ebenda, S. 104/105.
10 Adam Schaff: Mein Jahrhundert. Glaubensbekenntnisse eines Marxisten, Berlin 1997, S. 149.
11 Von den weltweit für das Militär ausgegebenen Mitteln entfielen 1995 fast 70 Prozent auf die NATO. Von den Militärausgaben der NATO wiederum entfallen rund 60 Prozent auf die USA. Vom überlegenen Ausstattungsgrad mit Waffen und Kriegsgerät der NATO-Armeen zeugen die Ausgaben pro Soldat. Sie betragen 93 000 US-Dollar im Jahr. In den anderen Armeen der Welt 16 000 bis 18 000 US-Dollar.
12 Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. September 2001 hat sie formuliert: "Die Amerikaner sollten wissen, dass der Hass nicht ihnen gilt, sondern der Politik ihrer Regierung ... Was ist Usama bin Laden? Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten. Der brutale Zwilling alles angeblich Schönen und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde, durch ihre Kanonenbootdiplomatie, ihr Atomwaffenarsenal, ihre unbekümmerte Politik der unumschränkten Vorherrschaft, ihre kühle Mißachtung aller nichtamerikanischen Menschenleben, ihre barbarischen Militärinterventionen, ihre Unterstützung für despotische und diktatorische Regimes, ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Länder gefressen haben. Ihre marodierenden Multis, die sich die Luft aneignen, die wir atmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken, unsere Gedanken."
13 Siehe: Neues Deutschland vom 9. Oktober 2001.
14 So in der Diskussionsrunde ›Berliner Platz‹ auf dem Fernsehsender B 1 am 20. November 2001.
15 ›Ohne uns läuft nichts‹, in: Der Spiegel Nr. 30 vom 26. Juli 1999.
16 Robert B. Reich bescheinigt den USA, mit ›unerschütterlichem Eifer... seine Außenpolitik in den Dienst der amerikanischen Kernunternehmen zu stellen‹. Weiter führt er aus: "Es war kein Zufall, dass die CIA gerade dort kommunistische Verschwörungen aufzudecken pflegte, wo Amerika größere Vorkommen an natürlichen Ressourcen besaßen oder besitzen wollten.‹ Die neue Weltwirtschaft, Frankfurt/M, 1991, S. 76. Auch wenn mit dem Verweis auf kommunistische Verschwörungen kaum noch argumentiert werden kann, so wird den CIA-Spezialisten sicher etwas einfallen, um auch in Zukunft zu intervenieren, notfalls wird auf Menschenrechtsverletzungen verwiesen oder Terrorakte, die für militärisches Eingreifen in anderen Ländern instrumentalisiert werden.
17 Roland Claus, Vorsitzender der PDS-Bundestagsfraktion, in: Neues Deutschland vom 1. November 2001.
18 Klaus Naumann: Der nächste Konflikt wird kommen. Erfahrungen aus dem Kosovo-Einsatz, in: Europäische Wehrkunde, Nr. 11/1999, S. 12 und 15.