Wissenschaft als Privateigentum

Wettbewerb und Wissenschaft in der Wissensgesellschaft

Da Hochschulen von der Öffentlichkeit finanziert werden, kann diese auch den Anspruch erheben, dass die produzierte Wissenschaft ihre Bedürfnisse und Interessen im Auge hat - mit verheerenden Folgen

Nach den Vorstellungen der CDU bricht die Bundesrepublik Deutschland gerade auf in die "lernende Gesellschaft". Andere sprechen von der "Wissensgesellschaft", um der gestiegenen Bedeutung der immateriellen Arbeit und der Wissensbasierung des alltäglichen Lebens Rechnung zu tragen. An der Lernfähigkeit dieser Gesellschaft und vieler ihrer Organisationen kann jedoch berechtigter Zweifel gehegt werden.
So ist, wie es Helmut Willke einmal formulierte, die Hochschule ein gutes Beispiel für die Dummheit und Irrationalität einer Organisation, die gleichwohl komplexes Lernen einzelner und erstaunliche wissenschaftliche Leistungen ermöglicht - wie zu vermuten ist, häufig eher gegen die und trotz der Hochschule als mit ihr und durch sie. Der Mangel an Lernfähigkeit der Hochschulen muß eine tiefe institutionelle Ursache haben, denn sie stehen seit Jahrzehnten unter dem ständigen Druck der Veränderung. Zu beobachten ist aber zweierlei: die Hochschulen ändern sich nicht oder weit weniger als politisch gewünscht, sie weisen ein enormes Beharrungsvermögen aus. Das ist vielleicht gut so und zu verteidigen, denn nachdem alle paar Jahre eine neue Reformkonzeption mit technokratischem Akzent aufkommt, wäre es möglicherweise katastrophal, wenn die Hochschulen zu lernbereit wären. Zum anderen ändern sich die Hochschulen aufgrund zahlreicher unsachgemäßer Eingriffe ständig, an unberechenbaren Stellen, und erzeugen auf diese Weise noch mehr Reformbedarf. Es ist deswegen schon lange nicht mehr allein die Hochschule zu reformieren, sondern auch die Reformen oder gar die Logik der Reformen.
Insbesondere die jüngsten Bemühungen, die den neoliberalen Strukturveränderungen auf unzeitgemäße Weise um Jahre hinterlaufen, lassen schon den Reformbedarf erkennen, mit der die nächste Generation von ReformerInnen ihre Existenz rechtfertigen wird. Erschwert wird alles dadurch, dass keineswegs Konsens ist, was jeweils als reformbedürftig gilt. Die Hochschulen sind ein Gegenstand, der zur Herausbildung und Kristallisation unterschiedlicher und gegensätzlicher Interessen und Interessengruppen einlädt: die HochschullehrerInnen, die Studierenden, die Wirtschaftsverbände, Stiftungen, die Parteien, die Gewerkschaften. Alle diese Gruppen und Organisationen sind auch jeweils unter sich uneins. Dies könnte rational sein, doch verbinden sich mit den jeweiligen Positionen höchst unterschiedliche Machtpotentiale. Damit kommt es gegenwärtig zur Verstärkung des Machtgefälles und zur Fragmentierung der Hochschulen und der wissenschaftspolitischen Diskussion.
Wissensgesellschaft ohne Wissen
Gerade an der Hochschulreformdiskussion fällt auf, welche geringe Bedeutung trotz der Rede von der lernenden und Wissensgesellschaft die Wissenschaft hat, wie wenig Forschung und die Fähigkeit der Studierenden, wissenschaftlich zu arbeiten und zu denken, geschätzt werden. Als Ziel gilt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Hochschulen und die Mobilisierung ihrer Innovationspotentiale. Kritisiert werden die Kosten, dass die Studierenden zu lange studieren und die Hochschulen mit ihren verbeamteten HochschullehrerInnen zu wenig flexibel sind. Wenn so viel von Wissensgesellschaft und der Fähigkeit zum Wettbewerb im internationalen Maßstab gesprochen wird, läge die Erwartung durchaus nahe, die gesellschaftlichen Ausgaben in diesem Bereich zu erhöhen. Gerade das ist nicht der Fall, wie einige der allgemein bekannten Zahlen deutlich machen.
Erwarben im früheren Bundesgebiet 1960 lediglich 6 % des Durchschnittsjahrgangs der 18- bis unter 21jährigen die Hochschulreife, so waren es 1994 37 %; entsprechend stieg die Zahl der StudienanfängerInnen im selben Zeitraum von 8 auf 33 %. Dennoch liegt der Akademisierungsgrad der Bundesrepublik 1996 mit 13 % noch erheblich unter dem der USA (26 %, Niederlande: 23 %, Korea: 19 %, Kanada: 17 %). Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Hochschulen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) , der 1975 einen Höchstwert von 1,32 % erreichte, bewegte sich in den folgenden Jahren eher bei Werten um 1,2 %, vereinigungsbedingt lag er in den neunziger Jahren dann knapp über 1,3 %. Die Zahl der Studierenden, die 1970 an Universitäten und Kunsthochschulen bei 421.000 lag, erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt 1993 mit 1,432 Mio. Studierenden (mit Fachhochschulen: 1,875 Mio.). Die Zahl der ProfessorInnen an diesen Einrichtungen stieg während dieses Zeitraums in einem deutlich geringeren Tempo von 13.300 auf 22.700 an und ist seit 1994 leicht rückläufig. Um so erstaunlicher ist, dass das Zahlenverhältnis von Studierenden zu Wissenschaftsstellen relativ stabil zu bleiben schien: 1975 kamen zehn Studierende auf eine Stelle, ab 1985 steigt die Zahl auf 15 und liegt 1991 und in den folgenden Jahren bei 17.
Dieser positive Eindruck geht auf die Berechnungsweise des Wissenschaftsministeriums zurück. In früheren Erfassungen kamen 1989 auf eine Wissenschaftsstelle 29 und 1994 41 Studierende. Offensichtlich werden nun auch die MitarbeiterInnen und Hilfskräfte mitberechnet, deren Zahl deutlich zugenommen hat. Setzt man die Zahlen der Studierenden und ProfessorInnen von 1995 ins Verhältnis, so kommen auf eine Professur 63 Studierende. Mit der bevorstehenden Pensionierungswelle wird das Zahlenverhältnis noch ungünstiger, die wissenschaftliche Ausbildung noch schlechter, da viele dieser Stellen gestrichen werden. Auf HochschullehrerInnen kommen aufgrund dieser Entwicklung mehr Verwaltungs- und Prüfungsaufgaben zu;. Entlastungen sind zu erwarten, indem die HochschullehrerInnengruppe aufgespalten wird in eine solche, die als besonders innovativ und qualifiziert gelten und deswegen ihr Lehrdeputat verringern können und sich ihre Studierenden aussuchen dürfen, und solche, deren Aufgabe fast ausschließlich die Lehre ist. Für die MitarbeiterInnen entsteht eine erhebliche Mehrbelastung und schlechtere Bedingungen für die eigene Forschung; viele Aufgaben werden auch an billigere Lehrkräfte vergeben, die prekär, häufig semesterweise, beschäftigt werden. Der Entwurf zu einem neuen Dienstrecht, der von der rot-grünen Regierung vorgelegt wurde, würde bei seiner Verwirklichung die Situation weiter verschärfen, da er einerseits das Ausgabevolumen für ProfessorInnengehälter konstant halten will, andererseits für eine leistungsabhängige und wirtschaftsnahe Bezahlung eintritt.
Im Vergleich mit anderen führenden kapitalistischen Gesellschaften liegt Deutschland hinsichtlich seiner gesamten Bildungsausgaben zurück. In Frankreich wurden 1995 6,3 % des BIP für Bildung aufgewandt, in Japan 4,7, in den USA 6,7 und schließlich in Deutschland 5,8 % - damit liegen die Bildungsausgaben in Deutschland knapp unter dem OEDC-Mittel von 5,9 %. Dies gilt im besonderen auch für den Hochschulbereich. Trotz der in Politik und Wirtschaft verbreiteten Überzeugung, in der Wissensgesellschaft zu leben, ist das Wachstum der Ausgaben für die Hochschulen in Deutschland rückläufig; das Gleiche gilt für die öffentliche Forschungsförderung, ihr Anteil lag seit 1990 bei 0,22 % des BIP, offensichtlich vereinigungsbedingt stieg dieser Wert auf 0,23 in den Jahren 1994-1997, erreichte aber nie die Höhe der Jahre zwischen 1975 und 1985. Gemessen an ihrem Anteil am Bruttosozialprodukt (BSP) sinken die öffentlichen und privaten Mittel für Forschung und Entwicklung sogar von 2,9 % im Jahr 1990 auf 2,3 im Jahr 1997.
Zukunftsinvestitionen?
Ausgaben für die Hochschulen galten in den vergangenen Jahren als etwas anrüchig, weil im internationalen Vergleich zu ineffizient. Suggeriert wurde, dass die privilegienverwöhnten Gruppen der ProfessorInnen und Studierenden zu Lasten der Allgemeinheit und Zukunft ihre Pfründe und ihre Bequemlichkeit sichern wollten. Dies gilt als Ergebnis einer verfehlten Reformperiode, die Ansprüche geschürt und die Hochschulen durch Politisierung der Wissenschaften von ihren eigentlichen Aufgaben abgebracht habe. Solche universalisierten Wohlfahrtsansprüche auf Bildung, die, weil sie nicht von den einzelnen bezahlt, von ihnen auch nicht geschätzt werden, sollen nun zurückgeschraubt werden, denn als erstes Ziel wurde und wird die Sanierung des Staatshaushalts betrachtet.
Das Argument für die Verringerung der Staatsschulden war im besseren Fall das der Nachhaltigkeit, also der politische Auftrag, die zukünftigen Generationen nicht zu belasten. Die Verringerung des Schuldendienstes und die Vergrößerung des staatlichen Handlungsspielraums sind ohne Zweifel sinnvolle Ziele - zu streiten ist darüber, ob erhebliche Steuersenkungen gerade für hohe Einkommensbezieher der richtige Weg sind. Mit Blick auf die Bildung wird gern außer acht gelassen, dass Bildungsausgaben im wesentlichen der zukünftigen Generation und der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung zugute kommen. Wissenschaft ist eine gesellschaftliche Produktivkraft, die, wenn sie nicht auf steigendem Niveau reproduziert wird, nicht einfach erhalten bleibt, sondern zerfällt. Eine Verringerung der Ausgaben in diesem Feld ist demnach ausgesprochen generationenegoistisch, da sie die Kosten für Bildung privatisiert und auf die Zukunft der einzelnen verlagert, während die gesellschaftlichen Zukunftsmöglichkeiten eher verschlechtert werden. Das von Teilen der Grünen und der SPD vorgebrachte populistische Argument, dass nach dem Verursacherprinzip Steuergerechtigkeit hergestellt werden müsse und die ArbeiterInnen mit ihren Steuern nicht länger die Ausbildung von Mittelklassekindern finanzieren dürften, ist sachlich falsch. Faktisch würde das rot-grüne Modell zu einer weiteren finanziellen Entlastung eben dieser Mittelklasse beitragen.
Alle diese Phänomene geben Anlaß zur Verwunderung und zur Frage, warum angesichts eben der Begeisterung für die Kommunikations-, Informations- und Wissensgesellschaft kaum der Status quo gehalten wurde, die Bereitschaft und der Wille jedoch, die Lage der Bildung, Wissenschaft und Forschung zu verbessern, nach wie vor gering sind.
Bei genauerer Betrachtung wird man diese Feststellung etwas einschränken müssen. Die Hochschulen und die Wissenschaft sollen besser gestellt werden. Nicht jedoch, wie während der Expansionsphase der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre durch staatliche Steuerungs- und Finanzierungsprogramme, sondern durch eine Stärkung der inneren Autonomie der Hochschulen, also ihrer Selbststeuerungsfähigkeit. Davon werden insgesamt positive Ergebnisse erwartet. Richtig an dieser Überlegung ist, dass die Hochschulen sich auf eine erhebliche Funktionsveränderung in der Gesellschaft einstellen müssen. Gerade weil die Zahl der Studierenden stark zugenommen hat und von diesen ein erheblicher Anteil auch noch erwerbstätig ist, ist das schon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren unsachgemäße Bild der Hochschule als Elfenbeinturm, in dem Studierende und Hochschullehrer sich gemeinsam einer weltabgewandten wissenschaftlichen Arbeit widmen, entschieden anachronistisch - allerdings nicht unbedingt zum Besten der Hochschulen und der ihr Angehörigen.
Die Hochschulen und die Wissenschaften sind schon lange als wichtiger Faktor in der Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaft erkannt. Diese Einsicht fand in den siebziger Jahren ihren Ausdruck in entsprechenden Metaphern und Organisationsreformen, es wurde von "Bildungsfabriken" gesprochen, an vielen Hochschulen ersetzten Fachbereiche und wissenschaftliche Betriebseinheiten die Fakultäten und Institute, in einigen Bundesländern wurde die Funktion des Rektors von der des Präsidenten abgelöst. Doch das hat nicht ausgereicht, die Hochschulen auf die neuen Anforderungen umzustellen, die sich aus der Zahl der Studierenden und der veränderten Bedeutung der Wissenschaften ergab. Das Studium ist mittlerweile auch kein besonderer biographischer Lebensabschnitt mehr, es kommt zu einer zunehmenden Durchdringung von Studium und beruflichem Alltag. Für solche Entwicklungen sind institutionelle Reorganisationen und neue Lernformen erforderlich. Diese sollten so beschaffen sein, dass Studierende tatsächlich in kleinen Gruppen wissenschaftlich arbeiten, dass sie auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand Kenntnisse und Methoden erwerben und HochschullehrerInnen Anregungen aus der beruflichen Praxis erhalten können. Da die Empirie in die Seminare und in die Forschung kommt, bedarf es neuer Kooperationsformen mit möglichst wenig Hierarchie und effektivem Wissensaustausch.
Die Art, wie gegenwärtig die Autonomie und Selbststeuerung der Hochschulen begriffen wird, ist irreführend. Denn der Autonomiegedanke setzt vor allem bei der Hochschule als Organisation an, einer Organisation, die, weil staatlich, aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Autonomie wird nicht durch Freiheit und Abgrenzung der Wissenschaft von Staat, Wirtschaft und gesellschaftlichen Interessen bestimmt. Es geht nicht um eine positive Konzeption der Freiheit und Selbstbestimmung der wissenschaftlichen Diskussion, die nun ermächtigt würde, intern festzulegen, wie sie die zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, die vielleicht sogar dazu berechtigt würde, größeren Finanzierungsbedarf in Gesellschaft und Politik anzumelden. Kommen angesichts des Autonomiebegriffs solche Gedanken auf, gelten Bildung und Wissenschaft als bloßes Partikularinteresse, im Zweifelfall von Hochschullehrern, die nicht genug bekommen können. Bildungspolitiker, die eigentlich die Aufgabe hätten, die Interessen der Wissenschaft und Bildung zu vertreten, machen sich in Unkenntnis empirischer Daten über die realen Arbeitszeiten von Hochschulbediensteten und Studierenden längst schon zum Instrument der Finanzmininster und nützlicher antiintellektueller populistischer Stimmungen, wonach ProfessorInnen nur faul seien und Studierende zu lange studierten.
Verwaltungsgeist und Nutzenkalkül
Durch die Beschränkung des Autonomiebegriffs wird eine vernünftige Überlegung ins Gegenteil verkehrt. Denn es ist ja durchaus vernünftig, zu überprüfen, wie effizient die Hochschulen eigentlich sind und ob sie das Ziel, wissenschaftliche Lehre und Forschung auf dem gegebenen gesellschaftlichen Niveau, erreichen können. Wenn man die Situation kennt, wird man schnell feststellen, dass vieles nicht gut funktioniert: zu viel Zeitverlust durch Selbstverwaltung, zu große Seminare, zu viele Prüfungen, zu viel Betreuungsaufgaben der einzelnen HochschullehrerInnen, zu wenig Betreuung für die Studierenden insgesamt und folglich viele StudienabbrecherInnen, Rationierung bei Telefon und Fotokopien, teilweise dramatische Einschränkungen bei Büchern und Zeitschriften. Die Ausstattung mit Schreibkräften zählt in Bruchteilen (25 % Sekretariat) oder muß zeitaufwendig über Drittmittel eingeworben werden. Der hohe Zeitaufwand für extrafunktionale Tätigkeiten in der Universität senkt das Niveau der Lehre und wissenschaftlichen Diskussion und produziert, auch geschuldet den umfangreichen Jobverpflichtungen der Studierenden, bei diesen eher diffuse Lerneffekte als eine klare, generalisierte Wissenschaftskompetenz. Um den Studierenden angeblich den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, werden Berufspraktika durchgeführt und damit die wissenschaftliche Sozialisation zugunsten externer Wissens- und berufsnaher Verhaltensmaßstäbe ausgesetzt. Gleichzeitig werden die Hochschulen per Verwaltungsakt angewiesen, die Zahl der Doktoranden zu erhöhen, als sei das kein wissenschaftliches, sondern ein organisatorisches Problem. So wenig interessiert ist die Wissenschaftsverwaltung an der Wissenschaft, dass sie in manchen Bundesländern die Anwesenheitspflicht für HochschullehrerInnen einführt, vollends ein Zeichen für das Maß an Unterwerfung der Spielräume selbstbestimmter Kreativität der WissenschaftlerInnen unter die Logik der Universitäts- und Wissenschaftsbürokratie.
Nicht der Neoliberalismus als solcher, sondern gerade die Koalition von Verwaltungsgeist und privatwirtschaftlichem Nutzenkalkül durch die Übernahme betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente in die Hochschule ist das Verheerende in der gegenwärtigen Reformdiskussion. Es werden deswegen auch nur einige Aspekte der neoliberalen Managementphilosophie übernommen, die das autoritäre Moment direkt stärken: Stärkung von Rektoren und Dekanen, Senkung der Mittel, Rückverlagerung der Entscheidungen in die Verwaltung, Kontrolle der HochschullehrerInnen und MitarbeiterInnen, noch stärkere Regulierung und Bürokratisierung der Wissenschaftsinhalte , während in den Unternehmen vor allem der neuen Ökonomie diese Instrumente - wenigstens der Rhetorik nach - mit Kreativität, Partizipation, Kooperation, Diskursivität, flachen Hierarchien, Beteiligung bei Verbesserungen und Selbstbestimmung der Arbeit und Arbeitszeit verbunden sind.
Das Projekt ist das eines moderierten Neoliberalismus, der die Sphären von Wirtschaft und Wissenschaft getrennt hält und sich auf eine indirekte Kontextsteuerung beschränkt: für die Hochschulen wird ein politischer Rahmen erzeugt, in dem sie in einen Leistungswettbewerb geraten und dadurch intern Performancemaßstäbe ausbilden sollen. Von einem solchen Wettbewerb sollen Anreize ausgehen, die Organisation der Hochschulen und ihre Leistungen zu verbessern. Von weniger HochschullehrerInnen sollen mehr Studierende besser betreut werden, die Lehrveranstaltungen sollen anspruchsvoller, die Zahl der Abschlüsse größer, die Studiendauer kürzer, die Veröffentlichungen zahlreicher, die Patentanmeldungen häufiger, die eingeworbenen Drittmittel umfangreicher und der Weg zur Marktverwertung von Erkenntnissen kürzer werden. Schneller, größer, höher - vielleicht geschieht dieses Wunder des Wachstums und des Fortschritts. Aber werden die Wissenschaften auch wissenschaftlicher? Wettbewerb, wie immer in die Hochschulen eingepflanzt, widerspricht der Handlungslogik der Wissenschaft und wird gerade auf dem Mikroniveau der wissenschaftlichen Ausbildung und Forschung zahlreiche negative Folgen haben. Wettbewerb gilt als sportliches und ökonomisches Prinzip, das die Leistungsbereitschaft anregen und Erfolg erzeugen soll. Doch dieses Prinzip verlangt ein schnelles, antizipierendes, zur Aggression bereites Verhalten und damit auch ein zeitliches Muster, das sich mit den häufig langen Rhythmen wissenschaftlicher Arbeit, Kooperation und Ausbildung nicht gut verträgt.
Schwächung der Vernunft
Wissenschaften entwickeln sich zumeist nicht schnell, ihre Planung und Einrichtung als universitäre Disziplin sind ein langer Prozeß, der sich in der Regel über mehrere Generationen hinzieht. Für diese Entwicklung läßt Wettbewerb keine Zeit. Dieser setzt eine Logik des "Trittbrettfahrens" in Gang. Der Wettbewerb soll eine Konzentration der Kompetenzen und der Ressourcen, deren Effizienz und Effektivität, schaffen. Dies geschieht durch Einsparungen und Umverteilungen. In der Bundesrepublik machen das jeweils die einzelnen Bundesländer. Sie sparen und halten es für die Aufgabe der anderen, bestimmte Fachgebiete "vorzuhalten" und zu pflegen. Doch diese werden es im Zweifelsfall auch nicht tun. Nicht allein auf föderaler Ebene lässt sich diese Dynamik der Externalisierung beobachten. Die Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik eines ganzen Staates kann im Wettbewerb von dieser Dynamik erfaßt werden. Wissenschaft ist teuer. Wenn das Wissen frei zugänglich ist, läßt es sich auch aus anderen Ländern holen. Wenn man schnell genug ist, die Forschungen in der Industrie und in den Labors, die neuesten oder noch zu erwartenden Veröffentlichungen kennt, dann entstehen daraus nicht einmal Wettbewerbsnachteile, im Gegenteil spart man die Kosten und hat den Nutzen unmittelbar - also ohne das Risiko hoher Investitionen mit der Ungewißheit, ob die WissenschaftlerInnen wirklich kreativ sind. Was in der Logik der Wissenschaften universeller Austausch von neuestem Wissen ist, nimmt unter Wettbewerbsgesichtspunkten die Form von Wissenschaftsspionage an. Ein herausragendes Beispiel hierfür gaben die USA mit dem Abhören von Emails, Fax und Telefon. Die Ergebnisse dieser Lauschaktionen wurden von den entsprechenden Behörden den US-amerikanischen Wirtschaftsunternehmen zur Verfügung gestellt.
Eine weitere Möglichkeit des Zugriffs auf die Ressourcen anderer Länder ist die Anregung zum "brain drain". Hochqualifizierte TechnikerInnen, MedizinerInnen oder WissenschaftlerInnen werden angeworben, man spart die gesamten Ausbildungskosten. Auf niedrigerem Niveau greift dieser Mechanismus aber auch schon bei der Ausbildung von Studierenden, die für sehr viel Geld ein Studium in den westlichen Metropolen absolvieren und im Fall der Rückkehr zu wichtigen KulturvermittlerInnen werden, im Fall aber, dass sie im Studienland bleiben, diesem wiederum erhebliche Ausbildungskosten gespart haben. Wettbewerb führt dazu, dass Wissen und Wissenschaft auf einem höheren Niveau in Privateigentum transformiert werden. Dem Gedanken der Wissenschaft als einer Sphäre des freien Zugangs zu und Austauschs von Erkenntnissen ist diese Entwicklung gegenläufig. Wissen wird monopolisiert, dem Eigentumstitel unterworfen und verwertet. Dies widerspricht dem gleichsam anonymen und universellen Prozeß der wissenschaftlichen Diskussion und trägt auf erweiterter Stufenleiter dazu bei, die sozialen Bedingungen von Vernunft zu schwächen. Wissen wird zur Ware, was keinen Gewinn bringt, wird nicht gemacht; und so entscheidet der Markt und nicht die Wissenschaft. Die Logik ist für kapitalistische Gesellschaften bekannt: es wird erkannt, dass Kreativität und Wissen kosten und die Ausgaben riskant sind; deswegen wird betrieblich rationalisiert und auf gesamtgesellschaftliche Steuerung verzichtet.
Die Hochschulen werden versuchen, sich dort als wettbewerbsstark zu präsentieren, wo sie bereits Stärken haben. Sie konzentrieren sich auf Kernkompetenzen, andere Wissenschaftsbereiche werden sie nicht oder nur noch in geringem Maße pflegen. Eine attraktive Idee, die mit Begriffen der Inter- oder Transdisziplinarität, der Synergie etc. immer noch einmal beschworen wird, wird damit preisgegeben, die Idee des in einer Universität zusammengefassten breiten Spektrums von wissenschaftlichen Disziplinen, die es ermöglichen, dass es zu den manchmal zufälligen und gleichwohl überraschend anregenden, manchmal geplanten Kontakten und Kooperationen zwischen KollegInnen verschiedener Wissensgebiete kommt; preisgegeben werden die Möglichkeiten für die Studierenden, ungewöhnliche Fächer zu kombinieren. Im Profilierungswettbewerb um Geld und Studierende werden die großen, dem Markterfolg nahen Fächer noch wichtiger, also Jurisprudenz und Wirtschaftswissenschaften, Fächer, die sich ohnehin hart an der Grenze der Wissenschaftlichkeit befinden. Kleinen und randständigen Fächer hingegen droht die Gefahr, verdrängt zu werden, sie können von vornherein nicht konkurrieren, da die Mittel, die Studierenden, die Veröffentlichungen in ihrem Fall jeweils nur ein kleines Volumen erreichen und für die Profilbildung der Hochschulen unwichtig werden. Neue Fächer werden es schwer haben, sich zu bilden - es sei denn, sie erweisen sich als bedeutsam für das Profil. Sie werden auf Probe eingerichtet und evaluiert; für innovative WissenschaftlerInnen ist dieser Prozeß mit erheblichen Risiken verbunden, weil er sich von vornherein den Gesichtspunkten der Evaluierung unterwerfen muß, ein Scheitern kann rufschädigend wirken und die weiteren Arbeitsmöglichkeiten erheblich verringern.
Die fürs Profil als unwichtig erachteten Fächer werden sich auf wenige Hochschulen konzentrieren. Dies bedeutet ingesamt eine Ausdünnung des Lehrpersonals, des Zeitschriften- und Buchbestands, der Nachwuchsförderung und der Verminderung wissenschaftlicher Stellen, die einer Disziplin zur Verfügung stehen. Nur noch wenige Institute bestellen Fachzeitschriften, nur hier gibt es Nachwuchsförderung, nur hier werden Inhalte, Wissenschaftsstil, Maßstäbe tradiert. Die wissenschaftliche Diskussion wird geringer, da Außenkontakte fehlen. Die verbleibenden einzelnen HochschullehrerInnen werden mächtiger, weil sie als FachvertreterInnen übrig bleiben. Sie müssen glauben, dass allein diese Tatsache schon für ihre Qualität spricht. Ohne Kontrolle einer weitläufigen wissenschaftlichen Diskussion und umgeben von jüngeren und abhängigen MitarbeiterInnenn kommen sie in die Lage, jeden Satz mit dem Selbstgefühl letzter Kathederweisheit von sich zu geben. Gleichsam ohne Maßstab, gehen die Kriterien für neue, produktive Einsichten verloren. DieseFachvertreterInnen bekommen aufgrund ihrer Monopolstellung ohne größeren Wettbewerb Forschungsmittel, entscheiden über die MitarbeiterInnen und damit über die Nachfolge, über Veröffentlichungen und über Forschungsergebnisse. Das Ergebnis ist eine Konzentration der wissenschaftlichen Produktionsmittel, also die schleichende Wiedererrichtung des Ordinariats und eine neue Duodezherrlichkeit sowie eine Steigerung der berufsständischen Reputation. Wer wollte da als Jüngere(r) noch WissenschaftlerIn werden? Das können im Prinzip nur die wollen, die folgsam sind und gut im Widerkäuen und Nachbeten. Dies gilt um so mehr, als gleichzeitig außerhalb der Hochschulen von den Individuen für ihre zukünftige Arbeit und für ihr gesellschaftliches Leben Selbständigkeit und Kritikfähigkeit verlangt wird; und außerdem läßt sich in vielen Bereichen kreativ und relativ gut ähnlich viel oder mehr Geld verdienen. Intellektuell wagemutig, aufgeschlossen und innovativ wird es dann also in der nächsten Wissenschaftlergeneration nicht mehr zugehen.
Handwerkliches Niveau
Die zu dieser Entwicklung gelegentlich diskutierte Alternative ist keine: die Cyber- und Teleuniversität, die auf der interaktiven Nutzung der neuen Medien und der Übertragung von Lehrveranstaltungen beruht und es ermöglicht, weiterhin an allen Hochschulen alle Fächer zu studieren. Auch in diesem Fall verringert sich ja die Zahl der FachvertreterInnen. Es kommt zu dem hypothetisch interessanten Grenzfall, dass ein einziger Fachvertreter ausreichen würde, weltweit alle Studierenden zu unterrichten. Von diesem Grenzfall ausgehend stellt sich die Frage nach dem Grenzwert, von dem ab eine Wissenschaftsdisziplin in der Tat von Stagnation oder Zerfall bedroht ist, weil es keinen Austausch und keine Diskussion mehr gibt. Auch der bedeutendste Wissenschaftler ist nur dadurch bedeutend, dass er in einem umfassenden, vielleicht internationalen Netzwerk arbeitet, in dem er sich bewährt, mit dem er kooperiert, auf dessen Konsens er vertrauen und dessen Argumente er verwerfen kann. Das Wissenschaftsverständnis wird ästhetisiert und nimmt den Charakter von Geniekult an. Es verhält sich so, wie Herr Keuner feststellt: Wenn die Wissenschaftler keine Zeit mehr haben, Bücher zu schreiben, die zu neun Zehnteln aus Zitaten bestehen, sie vielmehr nun gezwungen sind, alle ihre Gedanken in der eigenen Werkstatt selbst zu entwickeln, dann werden sie arm an Geist, ihre Produktivität geht auf handwerkliches Niveau zurück.
Die Konkurrenz mag den WissenschaftlerInnen den Anreiz geben, mehr zu arbeiten, schneller und häufiger zu veröffentlichen. Gleichzeitig jedoch entsteht Schaden für die wissenschaftliche Diskussion. Vielfach schaffen die AutorInnen es nicht mehr, neue Texte zu verfassen und noch einmal gründlich nachzudenken. Es werden Textbausteine zusammengestellt - denn, so zeigen die Erfahrungen aus den Niederlande und Großbritannien, es zählen die Bewertungspunkte, nicht die Qualität der jeweiligen Veröffentlichung ist für die betriebswirtschaftlich orientierte Universitätsleitung wichtig.
Gleichzeitig kommt es zur Einschränkung des wissenschaftlichen Austauschs, bzw. dieser formalisiert sich und nimmt die Gestalt konventionellen Verhaltens an. Denn in der Konkurrenz und durch sie gefördert, müssen die einzelnen WissenschaftlerInnen befürchten, dass jeder einmal gesprächsweise geäußerte Gedanke schon zum Thema einer Veröffentlichung der KollegInnen wird. Also wird das inhaltliche Gespräch eher vermieden. MitarbeiterInnen und selbst Studierende können das Gefühl bekommen, dass eine Diskussion nur dazu dient, ihre Ideen abzuschöpfen, ohne dass daraus irgendeine Verpflichtung resultiert. Dies gilt umso mehr, wenn es um die Anmeldung von Forschungsergebnissen bei Patentämtern geht. In diesem Fall wird mit Verwertung und Amortisierung der Forschungskosten gerechnet; das freie Gespräch, der Austausch über Ergebnisse kann zu ökonomischem Schaden führen. Wissen muß wie Eigentum behandelt und monopolisiert werden - es muß mit dem eigenen Namen als Eigentumstitel versehen werden. Das aber macht gleichzeitig auch die Diskussion mit anderen in gewisser Weise uninteressant, denn diese äussern nur noch, was schon als ihr Eigentum bekannt ist, alles andere werden sie zurückhalten.
Die Gemeinsamkeit der Forschung, der Diskussion tritt hinter Karrierestrategien und die Profilierungsnotwendigkeit von Instituten, HochschullehrerInnen und MitarbeiterInnen zurück. In einem Markt, in dem die Anerkennung gerade und zuallererst von den KollegInnen erwartet werden muß, die gleichzeitig die KonkurrentInnen sind, wird es immer wieder zu strategischer Ignoranz und Nichtanerkennung kommen. WissenschaftlerInnen schwanken psychisch deswegen so häufig zwischen genialem Größenwahn und dem Gefühl absoluter Unfähigkeit und Versagens. Studierende in Großveranstaltungen geben vielleicht denjenigen noch ein positives Gefühl, die in sich Entertainementkompetenzen vermuten und deswegen zu Showmastern auflaufen, aber als sachlich befriedigend kann auch das nicht empfunden werden, weil es kaum zu Dialogen und inhaltlichen Kontroversen kommt. Der Professor als Einzeldarsteller ermächtigt sich - wie die Beobachtung zeigt - schließlich auch dazu, die Studierenden als dumme Untertanen zu betrachten und ihnen deswegen in Lehrveranstaltungen selbst noch das Nachfragen zu verbieten. Auf geringste inhaltliche Schwächen der Studierenden, die die Lehrenden nicht bei sich suchen, reagieren diese mit einer weiteren Regulierung und Rigidisierung der Studieninhalte. In der Forschung gehen ProfessorInnen dazu über, ihre MitarbeiterInnen als SachbearbeiterInnen zu betrachten, die bestimmte, festgelegte Leistungen zu erbringen haben. Für eine eigenständige wissenschaftliche Arbeit, für Autonomie, Kreativität und Innovation bleibt da kaum Zeit.
Die Strenge vieler ProfessorInnen ist nicht überraschend. Denn die durch Wettbewerb herbeigeführte inhaltliche Isolierung macht sie schließlich auch fachlich unsicher. Sie selbst besinnen sich auf Kernkompetenzen und werden immer enger. Da sie sich aufgrund der Logik der Sache aber nicht beschränken können, orientieren sie sich in ihrer Unsicherheit über ihr eigenes Feld wie über benachbarte Bereiche immer stärker am Definitionsmonopol der wissenschaftlichen Fachverbände und Vereinigungen. Es entsteht insgesamt eine klamme Situation, in der es kaum einer der Älteren, aber noch weniger die Jüngeren wagen, gegen den Strich zu denken. Alle orientieren sich an einem fiktiven Common sense in der (weitgehend konservativen) Mitte der Disziplin, halten thematisch das für wichtig, was alle für wichtig halten, halten die WissenschaftlerInnen für gut, die alle für gut halten. Die Fiktion wird schließlich so real wie die Kleider des nackten Kaisers: am Ende wird schon der kleinste Gedanke, die geringfügig abweichende Reproduktion des Bekannten zu einer intellektuellen Sensation hochgejubelt.
Faßt man die Folgen zusammen, die der in die Hochschulorganisation eingebaute Wettbewerb jetzt schon hat, dann läßt sich die Entfaltung einer paradoxen Konstellation feststellen: es kommt zu Monopolisierung und Autoritarismus, Isolierung, Feudalisierung der Arbeitssituation, zur Handwerkerei - es bilden sich also Elemente aus, die der Logik der Wissenschaft und der an sie geknüpften modernen Erwartung auf die Freiheit des kritischen Geistes entschieden widersprechen. Eine kritische Diskussion müßte das Problem aufnehmen, das so verschiedene Autoren wie Horkheimer, Foucault und Bourdieu beschäftigt hat: wie können die materiellen Voraussetzungen der Vernunft und der Wahrheit reproduziert werden und wie wäre die Rolle der Hochschulen in diesem Reproduktionsprozeß neu zu bestimmen?
PD Dr. Alex Demirovic, vertritt z.Z. eine Professur für Soziologie an der Bergischen Universität Gesamthochschule Wuppertal und ist Gastwissenschaftler am Institut für Sozialforschung, Frankfurt/M.
(Forum Wissenschaft 4/00)