Chauvinismus, neoliberaler Autoritarismus und ‚Femonationalismus‘ in der Sozialpolitik der Regierung Meloni

 

1. Der Melonismus: eine dreißigjährige politische Geschichte

 

Der Melonismus, verstanden als die Form von Politik, die von der von Giorgia Meloni geführten extremen Rechten Italiens übernommen worden ist, seit sie 2022 an der Regierung ist, ist politisch ein konservativer, in Teilen reaktionärer Neoliberalismus. Ökonomisch stellt er einen kapitalistischen Paternalismus im Dienst der Unternehmen dar. Subjektiv erweist er sich als ein ‚Femonationalismus‘. Diese Definition des Melonismus als reaktionärer Neoliberalismus ist nützlich, um die Sozialpolitik zu verstehen, die von der Regierung Meloni praktiziert wird.

Der Kontext dieser Regierung ist eine politische Geschichte, die vor dreißig Jahren ihren Anfang genommen hat. Zum genaueren Verständnis des Melonismus ist es außerdem sinnvoll, sich ein Bild der aktuellen Ministerpräsidentin selbst zu machen.

Giorgia Meloni ist aus der Geschichte des Movimento sociale italiano (MSI) und seiner Entwicklungen seit Mitte der 1990er Jahre hervorgegangen. Der MSI war als Partei die Erbin der Faschisten der Republik von Salò, die mit den deutschen Nationalsozialisten von 1943 bis 1945 kollaborierten. Politisch und kulturell in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geächtet wurden diese Faschisten durch Silvio Berlusconi ‚rehabilitiert‘ als 1994 aus den Überresten der MSI eine neue Partei unter dem Namen Alleanza Nationale gebildet wurde. Diese Partei war Teil eines Machtblocks, der dauerhaft unter verschiedenen Namen die italienische Politik beeinflusste. In seinem Inneren fanden Brüche statt, die seine führende Klasse verändert haben. Der so entstandene politische Block ist programmatisch das Ergebnis einer politischen Vermittlung zwischen dem ethnopopulistischen Rassismus der Lega unter Matteo Salvini, der opportunistischen und unternehmerfreundlichen gemäßigten Politik von Forza Italia und dem Postfaschismus, der sich heute in der Partei Melonis namens Fratelli d' Italia wiederfindet. Heute hat die letztere Partei die Dominanz in diesem Machtblock übernommen. In diesem Block hat sich nun eine Verschiebung der Wählerstimmen ereignet, die von der Forza Italia, die den Tod Berlusconis im Jahre 2023 überlebt hat, und der in eine militant xenophobe Partei transformierten Lega zur Partei Melonis geflossen sind. Wahrscheinlich wird dies nicht die letzte derartige Verschiebung von Wählerstimmen im rechten Block Italiens gewesen sein.

Meloni und ihre Führungsgruppe, die das Ergebnis sowohl familiärer Beziehungen als auch dreißigjähriger politischer Beziehungen sind, traten zu Berlusconis Zeiten in die Politik ein. Ab 2008 hatte Meloni drei Jahre hintereinander ein Ministeramt, allerdings eher in der zweiten Reihe des Kabinetts, inne. Auch damals hat diese ‚Normalisierung‘ rechter politischer Positionen keine besondere Beunruhigung ausgelöst. Meloni hat sich in diesem Entwicklungsprozess heimisch gefühlt, der ihr erlaubt hat, die Imperative der herrschenden neoliberalen Politik zu verinnerlichen und ihre Ankunft im Zentrum der Macht als völlig normale Fortsetzung eines längeren Prozesses auszugeben. Als Meloni 2022 die Wahlen mit der Forza Italia und der Lega – mehr wegen des von der Opposition begangenen Wahnsinns, sich zu spalten als aus eigenem Verdienst heraus – gewonnen hatte, wunderten sich nur wenige in Italien über das Vorgefallene. Im Unterschied zu Frankreich und Deutschland hat es schließlich der Berlusconismus in den letzten dreißig Jahren geschafft, den Postfaschismus zu normalisieren und seine Transformation in eine andere Rechte zu strukturieren: konservativ, auf unterschiedliche Weise rassistisch und den herrschenden ökonomischen Mächten wie der europäischen politischen Technokratie untergeben, von der dieses politische Gefüge in dramatischer Weise abhängig ist.

Das Italien, das diese Rechte gerade regiert, ist ein desillusioniertes und verarmtes Land. Es hat die bedeutsamsten Teile seiner Schwerindustrie verloren und sich auf Zulieferung, Lohnunternehmertum und Kleinunternehmertum spezialisiert, das traditionell auch zum produktiven wirtschaftlichen Netz des Landes gehört. Heute hat dieses Land im Verhältnis zum Pro-Kopf-Einkommen die niedrigsten Löhne in Europa. Das ist Ergebnis einer Ökonomie des Niedriglohns im Dienstleistungsbereich – vor allem im Bereich des Tourismus und der Gastronomie – und der langwierigen Folgen der Auswirkungen einer kritiklosen Zustimmung zur neoliberalen Politik der EU. Das sozioökonomische Leben Italiens ist charakterisiert durch Proletarisierung, Plebejismus und Populismus, verschlimmert durch einen ungerechten und ineffizienten Sozialstaat, der seit Beginn unzulänglich ist und in Europa zu denjenigen gehört, in denen die Notwendigkeit von Familienstrukturen zur Erfüllung sozialer Funktionen bei gleichzeitiger Unterfinanzierung am stärksten ausgeprägt ist. Die Gesellschaft versackt in einer Welt aus Ohnmacht, Subalternität und struktureller Prekarisierung, in der korporatistische und individualistische Interessen vorherrschend sind und in der Formen der politischen Beteiligung eher als archäologische Fundstücke denn als Träger einer Transformation gedeutet werden.

All dies hat sich angesichts des Chaos und der Verwirrung in der Opposition ereignet, die nicht auf historische Charakteristika der ‚Linken‘ reduzierbar ist, auch nicht der reformistischen ‚Linken‘. Intern gespalten zwischen den Überresten der jüngeren neoliberalen und populistischen Vergangenheit, wird in diesem politischen Gefüge vielmehr die Implosion der letzten fünfzehn Jahre gemanagt und hat noch keinen Weg gefunden, sich der verbreiteten Missachtung zu entziehen, die in der Folge der über 30 Jahre währenden Beteiligung an der Vermittlung und Durchsetzung der neoliberalen Transformation der Gesellschaft entstanden ist.

Meloni hat aus den sozial wie ökonomisch desaströsen Ergebnissen der Regierung der ‚centrosinistra‘, also der Mitte-Links-Regierung, während der COVID 19-Pandemie und der nachfolgenden „Regierung der nationalen Einheit“, die vom führenden Technokraten Europas, Mario Draghi, angeführt wurde, Kapital geschlagen. Im Grunde sind dies die idealen Bedingungen für eine Regierung der extremen Rechten gewesen, wie wir sie von 2022 bis 2024 gesehen haben: unsicher, chaotisch, fadenscheinig, streckenweise peinlich.

 

2. Die zentralen sozialpolitischen (Schlüssel)Positionen der Regierung Meloni

 

Die Sozialpolitik der Regierung Meloni ist in folgender Weise zu verstehen: Erstens stellt sie einen auf den Sozialstaat angewendeten Neoliberalismus dar, ausgedrückt in konservativen und unternehmerischen Konzepten (workfare). Zweitens etabliert sich ein Rassismus, der sich in der Gesellschaft der Besitzindividualist:innen und einem Subjektivierungsprogramm im Sinne des so genannten unternehmerischen Selbst verbreitet hat. Drittens haben sich diese Linien mit der auf Sicherheit ausgerichteten Entwicklung der neoliberalen Politiken verdichtet. Und diese Entwicklung ist wiederum verbunden mit regressiven fiskalischen Regimen, die das Überhandnehmen der Ungleichheiten seit den 1980er Jahren vorangetrieben haben. Diese Entwicklung ist auch verbunden mit monetaristischen, angebotsorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitiken und mit der fortgesetzten Ausrufung von Ausnahmezuständen, die den Gebrauch von Polizeigewalt im Rahmen einer law and order-Politik und die Kontrolle der Bevölkerung erlaubt haben.

Diese Sozialpolitik der Regierung Meloni zeigt sich in folgenden Feldern:

  1. Die massenhafte Inhaftierung von Minderheiten ist eine über 40 Jahre anhaltende Tendenz, die auch von der neoliberalen Linken in Europa wie in den USA mitgetragen wird. Die populistische Politik strafrechtlicher Sanktionierungen, der von der Regierung betrieben wird, trägt dazu bei, diese Ausschließungen und Segregationen auszuweiten.
  2. Der Gebrauch von Notstandsverordnungen gegen soziale Bewegungen ist in Italien seit 1975 mit dem Legge Reale in einem in Europa bisher nie dagewesenen Ausmaß versucht worden (zur Geschichte der Notstandsgesetzgebung gegen italienische soziale Bewegungen vgl. Ferrajoli 1989). Meloni hat diese Tradition fortgeführt und dabei die Aktivisten für Klimagerechtigkeit getroffen, was ja auch in anderen europäischen Ländern von Regierungen unterschiedlicher Art praktiziert wurde.
  3. Die auf Sicherheit ausgerichtete Politik und der Bau von Lagern für Migranten in Drittländern (Lybien) fand unter den Mitte-Links-Regierungen in Italien statt. Meloni setzt diese Politik fort und hat mit der Deportation einer kleineren Anzahl von Migranten nach Albanien begonnen, so wie die Konservativen in Großbritannien es sich mit Ruanda erträumten und wie Trump es wieder in seiner Präsidentschaftskampagne 2024 versprochen hat.
  4. Ein weiteres Feld stellt der Nativismus dar, d.h. ein Nationalismus der kulturellen Identität, verbunden mit der Idee einer „italienischen“ Ethnie (der so genannte ‚Identitarismus‘). Der Nativismus, angewandt auf die Sozialpolitik und Migrationspolitik, stellt eine widersprüchliche Antwort dar. Auf der einen Seite verfolgt er Migrant:innen, die dem Kapitalismus neue Arbeitskraft und neue Nachkommen zuführen. Auf der anderen Seite verkündigt er ein ‚Zuerst-die-Italiener‘, was ein niederträchtiger Ausdruck für die Absicht ist, zuerst die Autochthonen auszubeuten, die ihrerseits, quasi als Subunternehmer:innen, die Aufgabe erhalten, diejenigen auszubeuten, die nicht die italienische Staatsbürgerschaft besitzen und für niedriger und unterlegen gehalten werden.
  5. Workfare stellt aus Sicht der Arbeitsmarkt- und Fürsorgepolitik die drastische Reduzierung einer Unterstützung gegen extreme Armut dar, die vorher in propagandistischer Weise reddito di cittadinanza (‚Bürgergeld‘) hieß. Die Regierung Meloni hat zwei neue Maßnahmen eingeführt. Das „Eingliederungsgeld“ richtet sich an die ‚absolut Armen‘1, während der „Ausbildungs- und Arbeitszuschuss“ auf die beschäftigungsfähigen Armen ausgerichtet ist. Diese Vorgehensweise hat Hunderttausende von Personen von der vorher erhaltenen Leistung ausgeschlossen und hat in keiner Weise das System von workfare verändert, das 2019 von einer populistischen und sicherheitspolitisch orientierten Regierungskoalition aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega eingeführt worden war und von den beiden nachfolgenden Regierungen von ‚Mitte-Links‘ und Draghi verschlechtert wurde.
  6. Ein weiteres Feld stellt die Erziehungs- und Bildungspolitik wie auch die Politik der beruflichen Bildung dar, in denen man die Kontinuität der vor Jahrzehnten eingeführten neoliberalen Politiken sieht und einer Akzentuierung des Autoritarismus, des Produktivismus und des Anti-Kommunismus beiwohnt.
  7. Hinzu kommt die instrumentelle Konzeption des weiblichen Körpers zur Wiederbevölkerung der Nation und zur Unterstützung der Produktion, die unter der Überalterung der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft und dem Geburtenrückgang leidet. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, finanzieren die Rechten die Hilfen zur Erhöhung der Geburtenziffern weiter, die schon vorher angewendet worden sind. Das sind unnütze, wirkungslose Hilfen, die eingeführt wurden, um den Geburtenrückgang umzukehren. Dieser hängt jedoch von der weitverbreiteten Verarmung, den fehlenden Perspektiven und der Abwesenheit von sozialem Schutz – insbesondere für Frauen – ab.


Der Melonismus ist Ausdruck einer Kontinuität in der Diskontinuität mit den in Europa und Italien ausgeübten neoliberalen politischen Praktiken. Er zeichnet sich durch die Widersprüchlichkeit der Vorschläge aus, die ihre Ursachen zum einen in der rigiden Kontrolle der öffentlichen Finanzen zur Blockade der sozialen Ausgaben hat, und zum anderen im Versuch einer politischen Vereinbarkeit zwischen einer autoritären Ausrichtung und der Mahnung zum Respekt vor Menschenrechten und sozialen Rechten innerhalb des Neoliberalismus.
Von einer ‚diskontinuierlichen Kontinuität‘ zu sprechen, hilft dabei, sich von der Gleichsetzung zwischen Neofaschismus und Neoliberalismus zu entfernen. Diese ist sowohl aus historischer Perspektive als auch aus analytischer nicht überzeugend, aber in einem Teil der aktuellen Debatte über den Neoliberalismus sehr verbreitet. Die Kontinuität des Melonismus besteht in der Verstärkung der autoritären Wendung des Neoliberalismus, die auch bereits von anderen politischen Akteuren praktiziert wurde, die nicht zur Neuen Rechten gehören. Die Diskontinuität besteht darin, dass dem systemischen Rassismus, der im Neoliberalismus am Werk ist, eine andere Tönung hinzugefügt wird. Der Melonismus hat hier einen ethnopluralistischen Rassismus eingebaut. Das ist typisch für die Neue Rechte im Rahmen einer Politik, deren Ziel es ist, eine Inklusion zu garantieren, die untertänig und differenziert ist und die Autochthonen und die Fremdstämmigen in flexible und changierende Hierarchien einbaut. Aus dieser Perspektive postuliert der Melonismus nicht die biologische Überlegenheit eines Volkes gegenüber einem anderen, sondern beschränkt sich darauf, eine Schädlichkeit von unterschiedlichen Kulturen zu betonen. Aus diesen Gründen lässt sich mittels der Xenophobie ein Rassismus des Staates rechtfertigen, ohne das Risiko einzugehen, eines Rassismus im Sinne des historischen Nazi-Faschismus angeklagt zu werden (Mezzadra/Nielson 2014).

Der Melonismus reiht sich damit in eine Politik ein, deren Ziel die Inklusion mittels Ausschließung ist. Das gilt schon für die Nicht-EU-Bürger, aber auch für die Sozialpolitik für Menschen mit italienischer Staatsbürgerschaft im Rahmen von workfare. Workfare ist wesentlicher Baustein in der neoliberalen und konservativen Transformation des Sozialstaats, der aus dem sozial-liberalen Pakt keynesianisch-fordistischer Prägung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden war (Balibar/Wallerstein 2020). 

 

3. Der Fall des redito di cittadinanza

 

Der Fall, an dem sich die politische Positionierung des Melonismus gezeigt hat, war eine Sozialpolitik, die in den letzten fünf Jahren eine gewisse Bedeutung in Italien erlangt hatte: das redito di cittadinanza („Bürgergeld“). Mit diesem Begriff ist eine Politik der Fürsorge für die ‚absolut Armen‘ bezeichnet worden, mit der nur noch eine Nothilfe vorgesehen wurde und eine Inklusion der Leistungsbezieher:innen in eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Der irreführende Begriff des redito di cittadinanza war 2019 von der populistisch-xenophoben Regierung der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega eingeführt worden. Die propagandistische Intention diente dazu, die Einführung eines der zumindest in der Theorie bösartigsten Systeme von workfare in Europa zu verschleiern.

Das im Gesetz von 2019 vorgesehene höllische System wurde aufgrund der enormen strukturellen und verfassungsrechtlichen Probleme, die die Einführung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik in Italien verhindern, nicht angewandt. Dennoch hat die Beschwörung eines redito di cittadinanza den Leistungsbeziehenden (2021 waren es über drei Millionen) Hasskampagnen eingebracht, die dazu benutzt wurden, ihre soziale Stigmatisierung zu verstärken. Meloni und ihre Partei zeichneten sich dabei besonders durch eine verbale Gewalttätigkeit aus, als sie das so genannte redito di cittadinanza als „Methadon des Staates“ bezeichneten. Eine Wortwahl, die den Armen das Stigma der Drogenabhängigkeit anheftete.

Eine der ersten Amtshandlungen Melonis nach ihrem Amtsantritt war die Umbenennung und Aufspaltung dieser Leistung in ein „Eingliederungsgeld“ auf der einen Seite. Dieses richtet sich nun an die absolut Armen, die als beschäftigungsunfähig gelten. Auf der anderen Seite findet sich nun der „Ausbildungs- und Arbeitszuschuss“ für die beschäftigungsfähigen Armen. Diese Entscheidung wurde von der Streichung von Mitteln in Höhe von einer Milliarde Euro und dem Ausschluss von mindestens einer halben Million Familien aus dem Kreise der Leistungsbezieher:innen begleitet. Auf dem Papier ist aber das workfare-System, das die Regierung von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega geschaffen hatte, intakt geblieben.

Unter der Regierung Meloni ist die absolute Armut wieder auf 5,7 Millionen Menschen angestiegen, also auf das gleiche Niveau wie im Jahre 2019. Gegen diese Entwicklung hat man versucht, mit dem inkonsistenten Instrument einer „Karte für die Armen“, überschrieben mit: „Dir gewidmet“, vorzugehen. Mittels dieser Karte können in der Form einer Einmalzahlung Waren in Form eines, von der Regierung festgelegten, Grundbedarfs eingekauft werden. Hierbei handelt es sich um einen ‚Klassiker‘ der italienischen Pauperismus-Politik. Eine gleichartige Maßnahme, beschränkt auf arme Rentner, war 2009 von der Regierung Berlusconi bereits verabschiedet worden.

Die Entscheidung Melonis war inspiriert von der Idee der neoliberalen workfare, die das Gegenteil der paternalistischen Idee des Staats als ‚guter Vater‘ darstellt. Meloni hat die Idee der workfare aufgenommen und in konsequenterer Weise umgesetzt als die Vorgängerregierungen. Im Fall von Meloni dominiert also die unternehmerische Idee von Armut, nicht nur eine stigmatisierende. Damit wurden insbesondere diejenigen Personen getroffen, die keinen Zugang zum formalen Arbeitsmarkt finden können, und die daher gezwungen sind, mit Einkommen aus der informellen Ökonomie zu überleben. Diese weist in Italien einen Umsatz von nahezu 100 Milliarden Euro im Jahr auf (Ciccarelli 2003). 
 

4. Der Wohlfahrts-Chauvinismus

 

Der Melonismus hat eine weitere Dimension der nationalistischen Transformation der sozialen Sicherungssysteme verschärft: den Chauvinismus der Wohlfahrtsstaatlichkeit (Gargiulo/Morlicchio/Tuorto 2024). Auch dieses Phänomen hängt nicht von der Wiedererscheinung eines ‚ewigen Faschismus‘ in der Geschichte ab, sondern steht in der Tradition der ethno-nationalistischen Herkunft von sozialen Sicherungssystemen, wie sie Kennzeichen verfassungsmäßiger Rechtsstaaten waren, die tendenziell universalistisch und begrenzt korporatistisch sind.

Diese Veränderung hat sich nicht ereignet, weil es einen Faschisten gab, der sich unter dem Bett versteckt hatte, sondern weil der politische Pakt zur Gestaltung der Wohlfahrtsstaatlichkeit einen grundsätzlichen Widerspruch produziert hat: den zwischen Lohnarbeit und Bürgerrechten. Seit die Verfügung über einen Arbeitsplatz weder einen anständigen Lohn noch eine ausreichend hohe Rente sicherstellt, ist das ganze System gekippt.

Die von der Rechten nun vorgeschlagene Lösung ist populär: Sie soll die Verantwortung für die entstandene Situation den Migrant:innen zuschieben. Diese würden den Preis der entfremdeten und miserabel bezahlten Arbeit, so die Behauptung, noch weiter herabsenken. Die Verantwortung sollte jedoch klar und deutlich beim System der Produktion, bei den Unternehmen und der Wirtschafts- und Fiskalpolitik gesucht werden. Diese Verkehrung der Ursachen historischer Prozesse ist ein wiederkehrendes Phänomen in der zeitgenössischen Politik und nährt die reaktionäre Offensive auch in Teilen der arbeitenden Klassen, die nicht frei von Chauvinismus sind.

Der Chauvinismus der Wohlfahrtsstaatlichkeit ist nicht immer derselbe gewesen. Heute ist er eine Form des Nationalismus, der versucht, die sozialen Dienste und Leistungen für die autochthone Mehrheit zu reservieren. Das grundlegende Kriterium ist, ob man eine Unterstützung ‚verdient‘ hat, ob man ihrer ‚würdig‘ ist. Diese ‚Würdigkeit‘ bedeutet, die staatliche Anerkennung eines Rechtes auf eine Dienstleistung, eine zeitlich begrenzte und abnehmende finanzielle Unterstützung auf Basis der nationalen Zugehörigkeit zu erhalten. Der ‚Verdienst‘ ist also nicht nur ein Kriterium, das die Produktivität und die Qualität der Leistungen eines Individuums misst, sondern er hängt auch davon ab, wo dieses Individuum geboren ist. Die Politik des workfare erzeugt auch Diskriminierungen zwischen den nationalen Staatsbürger:innen und benutzt die Ideologie des Verdienstes und der Würdigkeit um den Zugang zu Arbeit und zu Rechten beliebig festzuschreiben, was den Wettbewerb um knappe Ressourcen weiter anfeuert.

Der Chauvinismus der Wohlfahrtsstaatlichkeit ist nun kein exklusives Merkmal der Regierung Meloni. Schon vorher war er von der Regierungkoalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega genutzt worden, als diese versuchte, Nicht-Italiener:innen , die weniger als zehn Jahre in Italien lebten, vom redito di cittadinanza auszuschließen. Diese Regelung wurde in einem Urteil des Europäischen Gerichtshof angefochten, das enthüllt hat, wie der italienische Staat die Ärmsten der Armen betrogen hatte, indem er eine Reihe von repressiven Maßnahmen mit existenzbedrohenden Folgen gegen sie eingeleitet hatte. Ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission hat auch die Regierung Meloni dazu gezwungen, die Ausschlusszeit der Nicht-EU-Bürger von den neuen Hilfen des „Eingliederungsgeldes“ und des „Ausbildungs- und Arbeitszuschusses“ auf fünf Jahre zu reduzieren.

 

5. Die Konstruktion der fiskalischen Indikatoren für sozialpolitische Regelungen

 

Sozialpolitik beruht auf der politischen Nutzung von Steuer-, Vermögens- und Einkommensindikatoren, die den Zugang zu den Unterstützungsleistungen für Gruppen von Leistungsempfänger:innen festlegen. Diese Indikatoren und die Art und Weise ihrer Nutzung werden als objektive Tatsachen präsentiert. In Wirklichkeit hängen sie von den Regierungen, den parlamentarischen Mehrheiten und dominierenden soziokulturellen Normen zu bestimmten historischen Zeitpunkten ab. Sozialpolitische Regelungen sind also das Ergebnis von politischen Konstruktionen des Wissens. Die Gestaltung dieser „technischen“ Indikatoren reflektiert sich sowohl im Management der öffentlichen Haushaltsmittel, die in größerer oder kleiner Menge zur Verfügung stehen, als auch in Einsparungen auf dem Rücken derjenigen, die am vulnerabelsten sind.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, die Unterschiede zwischen dem Leistungszugang zum „Eingliederungsgeld“, das auf die als nicht arbeitsfähig eingeschätzten Armen ausgerichtet ist, und zum „Ausbildungs- und Arbeitszuschuss“ für die als beschäftigungsfähig geltenden Armen, in den Blick zu nehmen. Bei ersterem ist eine Einkommenshöhe entsprechend der Indikatoren zur wirtschaftlichen Situation (ISEE – „Indicatore della Situazione Economica Equivalente“) von bis zu 9.360 Euro im Jahr für das Recht auf einen Zugang zur Leistung zu Grunde gelegt worden; bei den letzteren ein Einkommen in Höhe von bis zu 6.000 Euro. Das sind äußerst niedrige Einkommen. Die Ungleichbehandlung ist schlagend deutlich. Im Falle des „Ausbildungs- und Arbeitszuschusses“ soll der Zugang zu einer Maßnahme die außerdem inkonsistent und auf zwölf Monate begrenzt ist, verunmöglicht werden. Wer dennoch den Zugang zu einer solchen Maßnahme schafft, von dem werden Opfer verlangt – zumindest auf dem Papier. Um monatlich 350 Euro zu erhalten, also 200 Euro weniger als bei dem „Eingliederungsgeld“, muss man eine persönliche Vereinbarung unterschreiben, Fortbildungsmaßnahmen für die Dauer von mindestens sechs Monaten besuchen und sich an mindestens drei private Arbeitsvermittlungsagenturen oder andere Einrichtungen wenden. Zusätzlich ist eine unterwürfige Arbeit in Projekten der gemeinnützigen Arbeit oder einem zivilen Ersatzdienst für sechzehn Stunden in der Woche abzuleisten.

Da in Italien kein institutionelles System der aktiven Arbeitsmarktpolitik existiert, das auch nur entfernt mit dem auch schon problematischen in Deutschland oder in Frankreich vergleichbar wäre, sind alle diese Regelungen komplett unnütz. Und genau aus diesem Grunde können sie gegen die Leistungsempfänger eingesetzt werden, die keine Arbeit finden. Die Verantwortlichkeit zur sozialen Sicherung wird auf den Schultern der Vulnerabelsten abgeladen.

Der politische Gebrauch der fiskalischen Indikatoren und der repressive Gebrauch der Konditionalität zielt darauf ab, die Nachfrage nach sozialen Hilfen zu verringern. Auf diesen Zweideutigkeiten wird die Idee einer Arbeitsmarktpolitik konstruiert, die „fortwährende Ausbildung“ für Subjekte verspricht, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben und denen tatsächlich verunmöglicht ist, in würdiger Weise an eine Arbeit zu kommen. Währenddessen fehlen in Italien nicht nur die institutionellen Instrumente, um entsprechende Strukturen zu schaffen, sondern auch die Möglichkeit, das Personal auszubilden, das in der Lage wäre, das propagierte workfare-Programm umzusetzen. Diese Widersprüchlichkeiten sind funktional und dienen der Aufrechterhaltung der Unterordnung in die Subalternität derjenigen, die einen Rechtsanspruch auf Hilfen hätten, aber entmutigt sind durch die Androhung von Strafen.

 

6. Der ‚Femonationalismus‘ von Meloni

 

Das originäre Element des Melonismus ist die Macht, die daraus erwächst, dass sie als erste Frau das Amt der Ministerpräsidentin übernommen hat. Das ist ohne Zweifel eine Neuigkeit, die allerdings nicht – zumindest nicht in der offiziellen Debatte – beabsichtigt war in der Perspektive des Neoliberalismus, insbesondere nicht in seiner ureigenen nationalistischen, rassistischen, unternehmerfreundlichen und antifeministischen Variante (Farris 2019). Meloni verkörpert diese Merkmale, die schon in anderen westlichen Ländern zu Tage getreten sind – und nicht nur dort.

Sie hat an ihrem öffentlichen Profil als Mutter gearbeitet und hat es ideologisiert, als sie sich bei einer turbulenten Versammlung in Spanien als „Mutter, Frau, Christin“ definiert hat. Diese Definition wurde in einem jingle verbreitet, das in naiver Weise von Gegnern kreiert worden war. Es wurde auch in einer „linken“ Fernsehsendung gezeigt. Das alles hat ihr erlaubt, die Satire, der sie entronnen ist, umzukehren und den Stolz einer persönlichen und politischen Identität zu beanspruchen, die den religiösen Traditionalismus, die Rolle für die Fortpflanzung und den Anspruch des Geschlechts miteinander vereint.

Dieser ‚Femonationalismus‘ ist ein entscheidendes Moment, um die „passive Revolution“ zu begreifen, die Meloni gegenüber dem Feminismus als eine Politik der Befreiung durchgeführt hat (zum Verhältnis zwischen „passiver Revolution“ und Neoliberalismus im Sinne einer Reaktualisierung der von Antonio Gramsci verwendeten Kategorie vgl. Ciccarelli 2022). Meloni nutzt die Forderungen nach Autonomie und Freiheit, um die subalterne Rolle der Frau in einer sexistischen und patriarchalen Gesellschaft zu festigen, die von einer erschreckenden Welle von Femiziden überwältigt wird, und die einen sozialen Notstand darstellt, wie er bisher selten in der gewaltvollen italienischen Geschichte zu sehen war, auf instrumentelle Weise und stellt diese auf den Kopf. So ist es Meloni gelungen, sich als Modell des persönlichen Erfolgs zu präsentieren, der sie Jahre der Aufopferung und der politischen Stigmatisierungen gekostet habe. Und sie kann sich damit in Bezug zu den Frauen setzen, die unter großen Anstrengungen arbeiten, um eine berufliche Laufbahn, Rechte und ein Einkommen zu erlangen. 
Was Meloni nicht erzählt, ist, dass diese Karriere mit der Kooptierung durch den ehemaligen Führer der Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, begann, und später dann durch Berlusconi fortgesetzt wurde. Darüber hinaus ist ihre Antwort eine rein individualistische. Doch solche Gelegenheiten werden wahrlich nicht allen Frauen geboten. Melonis Antwort ist eine individuelle und neoliberale in einem unverändert beibehaltenen System. Hinzu kommen die Widersprüche in den für Frauen vorgesehenen Funktionen als reproduktive Subjekte, also Gebärmaschinen für das ‚Vaterland‘, einerseits und als Unternehmerinnen ihrer selbst andererseits. Die zwei Dimensionen – die gebärfähige Frau und die beruflich erfolgreiche Frau – halten sich im Grunde in der Waage und heben sich zugleich gegenseitig auf.
Das Management der Elternschaft durch Meloni – Elternschaft ist ein anderes schwarzes Loch in der italienischen Wohlfahrtsstaatlichkeit – ist sehr bedeutsam. Meloni ist selbst alleinerziehende Mutter, unverheiratet, und kommt aus der Geschichte einer schwierigen Paarbeziehung. In einer Sendung in Berlusconis TV-Sendern berichtete sie über den Sexismus ihres Partners. Sie brach die Beziehung zu ihm ab und inszenierte sich als selbstständig und moralisch überlegen, als sie in sozialen Netzwerken darüber informierte. Zur gleichen Zeit ließ sie keine Gelegenheit aus, sich mit ihrer Tochter auf Dienstreisen als Ministerpräsidentin zu zeigen, die ja eigentlich nicht geeignet sind, um Zeit mit einem Kind zu verbringen. Dieser Umgang mit der Mutterschaft zeigt die originäre Art Melonis, Politik zu machen. Dabei vermeidet sie zugleich, über die dramatischen Mängel in den sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Angeboten für Kinder in Italien zu sprechen.

Wie unterschiedlich Meloni Maßstäbe anlegt, illustriert ein konkreter Fall: Die Liebesbeziehung zwischen Maria Rosaria Boccia und dem Kulturminister Gennaro Sangiuliano hat zu dessen Rücktritt geführt. In der Auseinandersetzung zwischen der Ministerpräsidentin und einer Staatsbürgerin konnte man Meloni erleben, wie sie nicht ihren Minister kritisiert, sondern bissig eine Frau angreift, indem sie ihr die Art und Weise vorwirft, dass „sie sich Raum in der Gesellschaft geschaffen“ habe. Meloni stellt Boccia als eine Karrieristin dar, während sie ihre eigene Geschichte als die einer erfolgreichen selfmade-Person herausstellt.

Ein anderer Aspekt des von Meloni verkörperten ‚Femonationalismus‘ hat sich gezeigt, als die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Gegenstand war die Vorgabe hinsichtlich eines Zugangs zur „universellen Kinderzulage“ auch für migrierte Beschäftigte, die in Italien leben, deren Kinder aber im Herkunftsland geblieben sind. Die EU kritisierte die formulierte Anforderung eines zweijährigen Aufenthalts in Italien auch für die genannten Familienkonstellationen.

Meloni hat die EU-Kommission daraufhin heftig kritisiert und behauptet, dass es „surreal sei, wenn ich den Motiven der EU folgen müsste: Die EU möge mir erklären, wie ich den ISEE (Indikatoren zur wirtschaftlichen Situation) eines Arbeiters aus Bangladesch errechnen soll“.2
Dies war ein rassistischer Angriff auf eine fleißig arbeitende Community, die seit Jahrzehnten in Italien lebt. Und dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass – anders als Meloni es dargestellt hat –, die genannte Regelung Arbeitnehmer:innen aus anderen EU-Staaten noch stärker bestraft. Das Ausblenden eines Problems, das nicht von der Regierung der Rechten, sondern von der vorherigen unter Draghi geführten Regierung verursacht wurde, hat Meloni dazu gebracht, den Umstand zu ignorieren, dass das Kindergeld mehr den Frauen als den Männern dient, ob sie nun in Italien leben oder nicht. Die autochthone Herkunft zum Kriterium zu machen, führt auch zu einer Hierarchie unter den Frauen.

 

7. Nationalismus, Neoliberalismus und Antikommunismus in der Bildungspolitik

 

Die Kontinuität des Melonismus zum Neoliberalismus zeigt sich auch in der italienischen Bildungspolitik. Exemplarisch ist der Fall des Bildungsministers Giuseppe Valditara, Angehöriger der Lega Salvinis, und seit 2022 in der Regierung Meloni im Amt. Die von ihm verantwortete Politik steht in beispielhafter Weise für den Melonismus und erlaubt uns so zu verstehen, dass dieser die Politik aller regierenden Rechtsparteien beschreibt und nicht allein mit der Person Giorgia Melonis verbunden ist.

Im Jahr 2024 hat Valditara „Leitlinien zur Staatsbürgerkunde“ vorgestellt. Diese Leitlinien feiern die „neue Vorrangstellung der Person vor jeder Ideologie“, die Notwendigkeit einer „Bildung im Bewusstsein einer gemeinsamen italienischen Identität“ und die „Verbindung von staatsbürgerlichem Sinn und dem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft definiert als Vaterland“. Diese Ideologie des Vaterlandes sollte nach Meinung Valditaras in den Schulen zusammen mit einer „unternehmerischen Kultur“ gefördert werden. Wenn der Berlusconismus die Priorität auf die ‚unternehmerische Kultur‘ gelegt hatte, so hat der Melonimus diese in die nationalistische Idee des Vaterlandes integriert.

Diese gezielte strategische Operation sollte nicht als Element des Überbaus, also als eine bloße Ideologie missverstanden werden, wie sie typisch für eine paternalistische und konservative Rechte ist. Im Gegenteil drückt sich darin eine disziplinierende und lenkende Variante einer stärker artikulierten neoliberalen Kultur aus. Abwechselnd und widersprüchlich kommen in ihr ‚progressive‘ Bezüge zum Tragen, inspiriert von der Idee der „sozialen Inklusion“, und andere, eher produktivistischen Bezügen, die das italienische Schulwesen in eine gigantische Zeitarbeitsagentur und Agentur für berufliche Bildung verwandelt haben, die anderthalb Millionen Schülerinnen jedes Jahr ‚auf die Arbeit‘ vorbereitet (vgl. Ciccarelli 2018). Eine gleichartige Transformation war 2015 von der Regierung Matteo Renzi ausgegangen, einem Ultraneoliberalen aus den Reihen der Partito Democratico, die als eine der Parteien aus der aufgelösten Kommunistischen Partei Italiens hervorgegangen ist. Der Melonismus ist organischer Bestandteil dieser Transformation. Er trägt sie gemeinsam mit seiner Opposition und beabsichtigt nicht, sie infrage stellen.

Kurz nach seiner Amtseinführung hat Valditara das Element, das die Bildungspolitik mit der Politik der Fürsorge und der Arbeitsmarktpolitik verbindet, in exemplarischer Weise ausgeführt. Die finanziellen Unterstützungen, die die 18- bis 29-jährigen Prekären und Erwerbslosen, die keine Arbeit haben und keine Schule besuchen, (die so genannten „NEETs“ [„Not in employment, education or training“]) erhalten, sollten an die Bedingung geknüpft werden, dass sie Berufsbildungs- oder Studienkurse besuchen, die zu einem zertifizierten beruflichen Abschluss führten. Das hätte die Familien dieser jungen Menschen getroffen. Die Fälle, in denen ein Transfereinkommen direkt an diese Personen gezahlt wurden, sind statistisch marginal. Im Regelfall sind diese jungen Menschen Teil einer Familie, die als solche finanzielle Unterstützungen erhalten. So hat sich nun die Möglichkeit einer kollektiven Bestrafung ergeben: Wenn die jungen „NEETs“ keinen Studiengang oder Berufsvorbereitungskurs besuchten, übt der Staat gegenüber allen Familienmitgliedern quasi Vergeltung aus. Dieser Vorschlag ist in der Geschichte des workfare nicht unbekannt und zeigt, wie diese Regierung der Bevölkerung Anreize zur Schaffung von autoritären Beziehungen innerhalb von Familien und – ganz allgemein – in sozialen Beziehungen setzt.

Die Analyse der Bildungs- und Kulturpolitik des Melonismus erlaubt es schließlich, zu verstehen, wie seine Programme letztendlich von einem Antikommunismus inspiriert sind. Aus Sicht der postfaschistischen und xenophoben extremen Rechten ist das normal. Mehr noch als der Kommunismus, der heute eine marginale Option in der politischen Landschaft Italiens darstellt, ist der ideologische Feind allerdings die Idee der Gleichheit und der Autonomie.

Dennoch ist der Antikommunismus ein sehr wesentliches Element, das einmal mehr die Zugehörigkeit des Melonismus zum Neoliberalismus zeigt. Es war wiederum der Bildungsminister Valditara, der 2022 einen Brief an Lehrende und Schüler:innen geschrieben hat, in dem er dazu auffordert, über den Fall der Mauer in Berlin nachzudenken. In diesem Text, der Polemiken hervorgerufen hat, hat er eine Gleichsetzung von liberaler Demokratie und Antikommunismus vorgenommen. „Dieser Diskurs ist eine tragende Säule der zweiten Republik Italiens“, so hat es der Historiker Enzo Traverso gesagt:

 

„Berlusconi hat dieses Mantra zwanzig Jahre lang von sich gegeben angesichts der Leere, die die Selbstauflösung der Kommunistischen Partei Italiens hinterlassen hatte. Gegen diese ideologische Offensive gab es keine Antwort, keinen Versuch, den Kommunismus kritisch zu historisieren – außer die Aussage, dass das eine abgeschlossene Erfahrung sei, die es zu überwinden gelte und die nicht auszuwerten, aber mit Scham zu verbergen sei. Diese Verdrängung hat eine kulturelle Leere erzeugt, die der Postfaschismus besetzt hat, indem er sich als Verteidiger der Demokratie präsentiert hat und diese mit dem Neokonservatismus identifiziert hat.“ (Interview mit Enzo Traverso in Il Manifesto vom 10.11.2022)

 

8. Die autoritäre Wende

 

Das Problem, mit dem ich mich in diesem Beitrag auseinandergesetzt habe, ist nicht die Kontinuität des Melonismus mit dem historischen Faschismus, sondern seine organische politische, kulturelle und ideologische Zugehörigkeit zur aktuellen autoritären Wendung des Neoliberalismus, die – je nachdem, wie sich die gegenwärtigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen entwickeln – in neue Form des Cäsarismus führen kann (vgl. Laval/Guéguen/Dardot/Sauvêtre 2023). Diese Entwicklung scheint eher von einer inneren Dynamik in der Beziehung zwischen den Formen des Kapitals und der Krise der Demokratie, die der Neoliberalismus repräsentiert, abzuhängen, als von der Reinkarnation einer faschistischen Konterrevolution, die in den 1920er und 1930er Jahren auf den Sozial-Kommunismus reagiert, wie er von der Oktoberrevolution angestoßen worden war. 
Die neuen Rechten, deren Teil der Melonismus und sein Postfaschismus ist, sind mit der neoliberalen Agenda organisch verbunden. Diese interpretieren sie in konservativer und reaktionärer Weise, nicht anders als dies in den USA geschieht, wo es jedoch andersgeartete Akzentuierungen gibt, die mehr vom Besitzindividualismus als vom Kommunitarismus oder einem fassadenhaften Etatismus beeinflusst sind, wie dies in Italien zu beobachten ist (vgl. Audier 2012).

Mit „neue Rechte“ beschreibe ich dabei jene politischen Gruppierungen, die nicht explizit und exklusiv mit der Geschichte der Nazi-Faschisten und den Gruppen, die ihr Erbe weitergetragen haben, verbunden sind, sondern besonders jene Erfahrungen, die ausgehend von den 1980er Jahren entstanden sind und sich in den letzten zehn Jahren so entwickelt haben, dass sie sich mit dem Konservatismus, dem Rassismus, der Xenophobie und der neoliberalen Politik in ganz Europa und den USA verschränkt haben.

Es handelt sich dabei nicht um eine politische Welt, die einträchtig verbunden voranschreitet. Der Melonismus befindet sich in Konkurrenz mit dem Lepenismus in Frankreich und hat noch keinen Anknüpfungspunkt in der AfD gefunden, einer sinnverwandten Partei in Deutschland. Die Franzosen und Deutschen unterhalten politische Beziehungen mit dem Ethnopopulismus von Salvini, aber nicht mit Meloni, die stattdessen die Distanz zu ihnen hält und mit kleineren konservativen Gruppierungen in diesen Ländern zusammenarbeitet. Man könnte behaupten, dass Meloni und Salvini aber faktisch – jenseits der ritualisierten Rivalitäten – in Italien Bündnispartner sind. Aber der Melonismus versucht sich außerhalb der Grenzen zu positionieren, die diesen politischen Erfahrungen auferlegt sind.

Das Grundproblem der neuen Rechten ist die Bestätigung ihrer politischen Programmatik im Umfeld der neoliberalen Politik. Von Italien aus gesehen ist dieser Schritt bereits vom Berlusconismus vollzogen worden. Die von Giorgia Meloni geführte Koalition hat die Wahl gewonnen. In Frankreich und noch mehr in Deutschland dominiert noch die Ächtung rechter Parteien. Gleichzeitig wohnen wir, wie im Falle autoritärer Neoliberaler in der Gestalt Emmanuel Macrons, einer kontinuierlichen Verschiebung in Richtung zur extremen Rechten bei. Das zeigt sich in kontroversen politischen Fragen, beginnend mit dem Konflikt um Staatsbürgerschaft. Der Sieg des Melonismus in Italien ist dagegen der Beweis der Integration der neuen Rechten in das bestehende politische und gesellschaftliche System. Das haben die zahllosen Bezeugungen der „Seriosität“ Melonis bestätigt. „Seriosität“ bedeutet, dass ihre glaubwürdigen Auftritte als Interpretin des dominierenden Neoliberalismus, im Einklang mit den wesentlichen Medien des Landes, allen voran mit dem Corriere della Sera, stehen. Aus struktureller Sicht zeigt sich das an der veränderten Sozialpolitik in den ersten 24 Monaten Regierungszeit unter Meloni.

Die Unterscheidung zwischen dem „historischen Faschismus“ und der autoritären Wendung des Neoliberalismus, dessen Ausdruck der Melonismus ist, schließt nicht aus, dass man bei der Bildung von politischen Regimen landen kann, wie sie in dystopischen Fernsehserien imaginiert werden. Das viel Wichtigere an der Unterscheidung ist jedoch, dass sie es erlaubt, unsere Gegenwart aus einer anderen Perspektive einzuordnen als der, die von der Rede des „ewigen Faschismus“ inspiriert ist. So lässt sich nachweisen, dass der Erfolg des Neoliberalismus nicht in der Errichtung einer faschistischen Diktatur besteht, sondern einen Ausgang in eine andere Richtung weist. Inwiefern dieser Ausgang offengehalten werden kann für andere Entwicklungswege, hängt davon ab, ob eine organisierte Antwort auf ein Phänomen gefunden wird, das alles andere als lokal begrenzt ist oder eine Ausnahme darstellt. 
Die These scheint mir die Grenzen des Neoliberalismus belegen zu können, beginnend mit seiner Feindlichkeit gegenüber einer sozialen Demokratie und gegenüber Politiken der Befreiung. Es gibt die Tendenz, diese Grenzen zu verdrängen und so werden sie wieder von denjenigen als Lösung hervorgebracht, die vorgeben sich ihren Fehlentwicklungen zu widersetzen. Und in der Auseinandersetzung um diese Grenzen spielt sich der politische Konflikt sowohl mit den Rechten als auch mit den Neoliberalen ab. Daher ist ihre Kenntnis unverzichtbar, um den Neoliberalismus als scheinbar alternativloses und einziges Instrument zu überwinden und entsprechende Alternativen auf die Tagesordnung zu setzen. Damit ist allerdings ein Problem benannt, das muss hier gesagt werden, das weit davon entfernt ist, angegangen zu werden – zumindest in Italien.

 

Übersetzung: Wolfgang Völker und Lars Stubbe

 

Literatur

 

Audier, S. 2012: Neolibéralisme(s). Une archéologie intellectuelle. Paris

Ciccarelli, R. (2018): Capitale disumano. La vita in alternanza scuola-lavoro, Rom

Balibar, E./Wallerstein, I. 2020: Razza, nazione, classe. Le identità ambigue. Trieste

Ciccarelli, R. 2022: Una vita liberata. Oltre l'apocalisse capitalista. Bologna

- 2023: L'odio dei poveri. Mailand

Farris, X. 2019: Femonazionalismo. Il razzismo nel nome delle donne. Rome

Ferrajoli, L. 1989: Diritto e ragione. Teoria del garantismo penale. Roma-Bari

Gargiulo, E/Morlicchio, E./Tuorto, A. 2024: Prima gli italiani. Welfare, sciovinismo, risentimento. Bologna

Laval, C./Guéguen, H./Dardot, P./Sauvêtre, P. 2023: La scelta della guerra civile. Un'altra storia del neoliberalismo. Mailand

Mezzadra, S./ Nielson, B. 2014: Confini e frontiere. La moltiplicazione del lavoro nel mondo globale. Bologna

Traverso, Enzo im Interview mit Roberto Ciccarelli 2022: Il ministro Valditara, l’anticomunismo come ideologia di Stato. In: Il Manifesto vom 10.11.2022 Online unter [https://ilmanifesto.it/enzo-traverso-la-lettera-di-valditara-lanticomunismo-come-ideologia-di-stato]

 

Roberto Ciccarelli, Philosoph und Journalist, schreibt für die Tageszeitung „Il Manifesto“. Er hat unter anderem die Bücher „L'odio dei poveri“ („Der Hass auf die Armen“) (erschienen bei Ponte alle Grazie, 2023) und „Una vita liberata. Oltre l´apocalisse capitalista“ („Ein befreites Leben. Jenseits der kapitalistischen Apokalypse“) (erschienen bei DeriveApprodi, 2022) geschrieben.

 

1 Der Begriff „absolute Armut“ bezeichnet in Italien eine Situation in der Alleinstehende oder Familien mit eigenen Mitteln kein menschenwürdiges Leben führen können. Für das Nationale Institut für Statistik (Istat) ist „absolute Armut“ ein Indikator, der einen Haushalt als „arm“ definiert, dessen Konsumausgaben unter oder gleich dem Geldwert eines Warenkorbs von Gütern und Dienstleistungen liegen, die als wesentlich gelten, um schwerwiegende Formen der sozialen Ausgrenzung zu vermeiden. (Anmerkung der Übersetzer)

2 Der ISEE ist der Equivalent Economic Situation Indicator, eines der in Italien verwendeten Instrumente zur Berechnung der Höhe der Sozialsubventionen.