Wir kämpfen für kollektive Befreiung, gemeinsame Solidarität und universelle Menschenrechte

Redebeitrag von Swetlana Nowoshenowa, gehalten als Gastrednerin bei einer Aktion der Israelis for Peace am 12. Juli 2024 in Berlin

Swetlana Nowoshenowa ist Mitglied der „Palestinians and Jews for Peace“ (1), die in Köln nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 gegründet wurde. Die Initiative setzt sich aus jüdischen, palästinensischen und anderen solidarischen Freund*innen zusammen. Mit Demos und Veranstaltungen engagiert sie sich gegen Antisemitismus, Rassismus, für eine friedliche und gerechte Lösung des Israel-Palästina-Krieges und eine kritische Reflexion der Nahost-Debatte in Deutschland. Den folgenden Redebeitrag hat Swetlana als Gastrednerin bei einer Aktion der „Israelis for Peace“ am 12. Juli 2024 vor dem Bundesaußenministerium in Berlin gehalten. Wir haben ihn für die GWR übersetzt. (GWR-Red.)

 

Seit mehr als neun Monaten müssen wir unendliche Zerstörung und Massenmord in Israel und Palästina mit ansehen. So erschreckend, empörend und herzzerreißend diese Bilder und Berichte auch sind, wir haben immer noch das Glück, weit weg vom Krieg zu sein. Wenn wir wollen, können wir die Nachrichten abschalten, die „sozialen Medien“ ausschalten, eine Pause einlegen und unser Leben weiterführen. Obwohl....was auch immer wir tun, wir können nicht aufhören, uns um unsere Freund*in-
nen und Familien in Israel und Palästina zu sorgen. Die Menschen in Israel und Palästina können nicht einfach eine Pause vom Schmerz und der Angst einlegen. Die Menschen, die ihre Angehörigen im Krieg und durch Terroranschläge verloren haben. Die Geiseln, die sich noch immer in der Gefangenschaft der Hamas-Terroristen befinden. Die Menschen in Gaza, die obdachlos sind, hungern und um ihr Überleben kämpfen. Die Menschen im Westjordanland, die unter der Besatzung und der Gewalt der Siedler leiden. Die Menschen, die in der ständigen Angst leben, von der Hamas, von der Hisbollah oder vom iranischen Militär bombardiert zu werden. Die Friedensaktivist*innen, die ein Geiselabkommen und einen Waffenstillstand fordern und von rechten israelischen Aktivist*innen und der Polizei eingeschüchtert, bedroht und verprügelt werden.

Aus Gründen, die wir niemals vergessen werden, ist Deutschland einer der engsten Verbündeten Israels. Ich hoffe, dass die Bundesregierung auch uns Juden, die in Deutschland leben, nicht vergisst. Wir sind es leid, dass deutsche Politiker*innen unsere Identität benutzen, um Hass gegen Palästinenser*innen, Araber*innen, Muslime und Geflüchtete zu verbreiten. Sie helfen uns nicht, wenn Sie die Asylgesetze abschaffen, die Zuwanderung einschränken und uns gegen andere vulnerable Minderheiten ausspielen.

 

Aber zurück zu Israel: 
 

Was bedeutet es, ein Verbündeter eines Landes mit einer rechtsextremen, faschistischen und korrupten Regierung zu sein, die gegen die Interessen ihrer eigenen Bürger*innen handelt? Was bedeutet es, Israel zu unterstützen, wenn seine Armee so schreckliche Kriegsverbrechen begeht, dass derzeit gegen sie wegen eines möglichen Völkermordes ermittelt wird? Was bedeutet es, wenn Premierminister Netanjahu einen Waffenstillstand und ein Geiselabkommen blockiert, die Bitten der Geiselfamilien ignoriert und brutal gegen Kriegsgegner*innen vorgeht? Was bedeutet es, „an der Seite Israels zu stehen“, wenn Israels Regierung versucht, die demokratischen Grundsätze des Landes auszuhebeln – und damit auch unsere Hoffnung auf einen Wandel von innen? 

Versteht mich nicht falsch, Israel braucht deutsche Unterstützung. Aber nicht in Form von „Staatsräson“ und bedingungsloser politischer und militärischer Unterstützung. Israelische Friedensaktivist*innen bitten um unsere Hilfe. Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant Israels kann Druck auf die israelische Regierung ausüben, das Geiselabkommen zu unterzeichnen. Je autoritärer und repressiver die Regierung agiert, desto mehr ist Israel auf internationalen Druck angewiesen, um eine Eskalation des Krieges zu verhindern. Die deutsche Regierung wird ihrer Verantwortung für den Schutz der jüdischen Bevölkerung in Israel nicht gerecht, während sie gleichzeitig das Völkerrecht und humanitäre Werte für die Palästinenser missachtet.

Ob wir es wollen oder nicht, die Freiheit und Sicherheit der jüdischen, israelischen und palästinensischen Menschen sind miteinander verwoben. Die Sicherheit der Israelis hängt von einem Friedensabkommen mit den Palästinensern ab. Das Leben der israelischen Geiseln ist kein Vorwand, um eine menschenfeindliche und autoritäre Politik durchzusetzen, die politische Macht rechter Parteien zu sichern und weitere Siedlungen im Westjordanland zu bauen. Das Töten palästinensischer Zivilist*innen ist kein Kollateralschaden. Sie haben genau wie wir ein Recht auf Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Wir alle haben etwas Besseres verdient. Wir weigern uns, Feinde zu sein, und wir kämpfen für kollektive Befreiung, gemeinsame Solidarität und universelle Menschenrechte. Frieden ist nicht nur möglich, er ist unvermeidlich. Früher oder später wird dieser Krieg enden. Die Frage ist nicht ob, sondern wann – und wie viele Menschen noch sterben werden, bevor es soweit ist. Es gibt keine militärische Lösung.

Ich habe es schon gesagt und werde es wieder sagen: Waffenstillstand jetzt! Bringt die Geiseln nach Hause! Beendet die Besatzung! Keine und keiner von uns ist frei, bis wir alle frei sind.

 

Swetlana Nowoshenowa

 

Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Drücke

 

Anmerkung:

1) In den Ausgaben der Graswurzelrevolution Nr. 485 (Januar), 487 (März) und 489 (Mai) haben wir vier Beiträge der Palestinians and Jews for Peace veröffentlicht. In der GWR 490 (Sommer) findet Ihr Roya Sorayas Comic „Palestinians and Jews for Peace“. Nika Blumenthrat und Bernd Drücke haben mit Swetlana Nowoshenowa für die GWR 489 ein Interview geführt. Siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2024/04/es-ist-wichtig-die-kriegslogik-zu-durchbrechen-2/

Es ist jetzt auch – inklusive einiger Lieblingssongs von Swetlana – als 60minütige Radio Graswurzelrevolution-Sendung zu hören auf: https://www.nrwision.de/mediathek/radio-graswurzelrevolution-swetlana-nowoshenowa-palestinians-and-jews-for-peace-240425/

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 491, September 2024, www.graswurzel.net