Wider den Stereotypen

Frauen nehmen in bewaffneten Konflikten vielfältige Rollen ein

Weiblich gelesene Kämpferinnen üben eine gewisse Faszination aus – in linken Kontexten wie in internationalen Medien. Doch wie sehen sich diese Kämpfer*innen selbst? Und wie prägen ihre Konflikterfahrungen ihr Leben nach dem Krieg? Das Wissen darüber ist begrenzt. Die Beteiligung von Frauen an bewaffneten Konflikten wird oft abgetan und entpolitisiert.

Eine Frau mit geschultertem Gewehr, die in die Kamera lächelt, darunter der Slogan: »Solidarität mit Rojava«. Bilder wie diese fanden sich seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs zuhauf auf T-Shirts, Taschen und Solidaritätspostern. Die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPJ faszinieren viele westliche Linke. Ikonographische Bilder sind bekannt aus zahlreichen, vor allem linken Kampfeinheiten, etwa aus Kolumbien, Nepal und Nicaragua. Vielleicht auch, weil die Bilder, mit denen Weiblichkeit in bewaffneten Konflikten sonst assoziiert wird, häufig ganz andere sind: Eine Mutter, die ihr Baby in einem Flüchtlingslager nahe der sudanesischen Grenze im Tschad stillt, trauernde Frauen und ihre Familien bei einer Beerdigung im Gazastreifen, eine Frau, die in einem zerbombten Wohnblock in der Ukraine die Reste ihrer Habe zusammensucht.

Die Vorstellungen von Frauen in Konflikten sind noch immer von sehr traditionellen Geschlechterrollen geprägt. Betont wird meist eine passive Opferrolle oder die angeblich angeborene Friedfertigkeit von Frauen. Es stimmt zwar: Frauen tragen oft die Hauptlast von Konflikten und es ist wichtig, geschlechtsspezifischen Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf die Zivilbevölkerung oder den Friedensaktivismus von Frauen zu berücksichtigen. Im Verlauf eines Konflikts nehmen Frauen jedoch mehr als eine Rolle ein und haben mehr als eine Identität. Die von Medien, internationalen Akteur*innen, NGOs und Wissenschaftler*innen gleichermaßen erschaffenen und verstärkten Narrative können problematisch sein, weil sie die vielfältigen Erfahrungen von Frauen vereinfachen und damit auch unsichtbar machen.1 Dadurch wird einem Rückgriff auf traditionelle geschlechtsspezifische Strukturen nach Konflikten Vorschub geleistet und ihre Rückkehr legitimiert.

Keine Friedensengel

Oft wird übersehen, dass Frauen auch als Kämpferinnen an Konflikten beteiligt sind und etablierte Geschlechterrollen durchbrechen, indem sie zu den Waffen greifen und für einen Regimewechsel, die Unabhängigkeit, religiöse Überzeugungen oder gegen Unterdrückung kämpfen. Deshalb gilt die Beteiligung von Frauen an Gewalttaten immer noch als Ausnahmeerscheinung und wird als außergewöhnlich angesehen. Das erklärt die Faszination, die beispielsweise die YPJ in Syrien hervorgerufen haben. In der Realität sind Kämpferinnen keineswegs die Ausnahme, vielmehr sind und waren Frauen Teil der meisten nichtstaatlichen Gruppen. Rund ein Drittel dieser Gruppen haben weibliche Mitglieder (auch im bewaffneten Kampf und in Führungspositionen) und ihre Perspektive muss ernst genommen werden. Trotzdem ist das vorherrschende Verständnis von weiblichen Kämpferinnen auch 2023 noch immer auf traditionell gegenderte Annahmen verengt und stellt das etablierte Narrativ von Friedfertigkeit und Opferstatus nicht wirklich in Frage.

Wenn es um die Beweggründe von Frauen geht, die sich bewaffneten Gruppen anschließen, werden häufig ihre emotionalen Motive wie Trauer oder Missbrauch anstelle ihrer politischen Motive wie Auflehnung gegen Ungerechtigkeit oder Unterdrückung in den Vordergrund gestellt. Während des Konflikts werden die Beiträge von Frauen, wenn sie überhaupt anerkannt werden, oft in geschlechtsspezifischer Weise formuliert. So werden hauptsächlich die Unterstützungsfunktionen, die sie ausüben, oder die Gewalt, die sie als Mitglieder der Gruppe erleiden betont, etwa sexualisierte Gewalt.

Nach Beendigung eines Konflikts werden die Beträge der Frauen während des Krieges dann oft marginalisiert oder komplett ausgeblendet. Themen und Gründe, die Frauen gerade dazu motiviert hatten, sich bewaffneten Gruppen anzuschließen, werden häufig ignoriert. Dies kann wiederum dazu führen, dass viele Bedürfnisse und Forderungen von Frauen weiterhin unberücksichtigt bleiben, wie zum Beispiel aus Nicaragua berichtet wird (Seite 25).

Ein Grund für dieses reduzierte Verständnis ist die fehlende direkte Auseinandersetzung mit Frauen, die sich an politisch motivierter Gewalt beteiligen. Werden Erfahrungen von Frauen vernachlässigt, die nicht Opfer, sondern aktive Teilnehmerinnen an Konflikten sind, so wird auch ihr Handeln in Konflikten unsichtbar. Diese selektive Wahrnehmung kann wiederum zur Rechtfertigung internationaler Interventionen zur ‚Rettung von Frauen und Mädchen’ verwendet werden, wie etwa im Fall von Boko Haram in Nigeria. Die islamistische Terrorgruppe geriet vor allem durch Entführungen junger Mädchen und Frauen in die Schlagzeilen. Ausgeblendet blieb, dass sich immer wieder Frauen freiwillig der Miliz anschließen, die ihnen bessere Lebensumstände zu bieten scheint.2 Dabei geht es nicht um die Glorifizierung von gewalttätigen Kämpferinnen, sondern gerade um die Ignoranz der strukturellen Gewalt (kolonial, ökonomisch und patriarchal), die eben solche Lebensumstände hervorbringt. Frauen sind dabei oft anders und schlimmer betroffen als Männer. Aufgrund geringerer formaler Bildung und somit weniger Möglichkeiten zur Einkommensgenerierung sind Frauen oft stärker auf den Zugang zu Land und Ressourcen angewiesen. Gleichzeitig haben sie jedoch nur begrenzten Zugang zu eigenem Landbesitz. Die Entscheidung, zu den Waffen zu greifen, und der Ausbruch aus traditionellen Rollenteilungen sind so selbstbestimmte Schritte.

Gefährliche Ignoranz

Durch die Imagination von Frauen ausschließlich als ‚Friedensvermittlerinnen‘ wird die Vorstellung vermeintlich angeborener Friedfertigkeit (und im Gegenzug dazu die angeblich angeborene Gewalttätigkeit von Männern) weiter verstärkt und gleichzeitig der Aktivismus der Frauen entpolitisiert. Von Frauen direkt zu erfahren, warum sie sich bewaffneten Gruppen anschließen, wie sie sich beteiligen, wie sie sich demobilisieren und was sie von ihrem Leben nach dem Konflikt erwarten, ist der Schlüssel zu einem realistischeren Verständnis der Rollen, die sie bei den Bemühungen um Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau spielen könnten.

Die Gründe, die Frauen nennen, um sich bewaffneten Gruppen anzuschließen, decken sich weitgehend mit denen ihrer männlichen Kameraden. Viele Frauen erhoffen sich ein besseres Leben, sowohl im Hinblick auf wirtschaftliche Möglichkeiten als auch auf den Zugang zu Ressourcen. Zu den politischen Beweggründen gehört der Kampf für einen Regimewechsel oder für die Unabhängigkeit, aber auch gegen Diskriminierung, strukturelle Gewalt, Enteignung und patriarchalische Strukturen. Schließlich – und das wird oft überbetont – gibt es persönliche Gründe, wie den Wunsch, die Ermordung eines Familienmitglieds zu rächen oder einem Verwandten oder Partner zu folgen, der sich der Rebellion angeschlossen hat. Oft sind mehrere Beweggründe miteinander verknüpft, etwa, wenn sich die Familie einer Frau in wirtschaftlicher Not befindet, nachdem der Vater und Haupternährer im Konflikt getötet wurde.

Wenn sich Frauen bewaffneten Einheiten anschließen, sind ihre ersten Wochen durch die militärische Ausbildung oft ähnlich strukturiert wie die der männlichen Rekruten. Danach variieren die Rollen je nach Kontext. In einigen Fällen wie Nepal, Kurdistan oder Kolumbien nehmen Frauen fast gleichberechtigte Kampfpositionen ein. In anderen Fällen, wie auf der philippinischen Insel Mindanao, übernehmen sie häufig so genannte Unterstützungsfunktionen, einschließlich Logistik und Nachrichtendienst. Die verschiedenen bewaffneten Gruppen verfolgen auch sehr unterschiedliche Politiken in Bezug auf die Möglichkeit, während des Krieges Kinder zu bekommen. Einige, wie die kurdische PKK und die kolumbianische FARC, lehnen dies strikt ab. Manchmal werden Kinder gewaltsam ihren Müttern weggenommen oder Abtreibungen erzwungen. Bei anderen, wie den Maoist*innen in Nepal oder der Bewegung Freies Aceh wurden Schwangerschaft akzeptiert. Die Frauen ließen ihr Kind bei einem Familienmitglied, während sie sich wieder dem Kampf anschlossen. Andere bewaffnete Gruppen wie die Lord‘s Resistance Army in Uganda und Boko Haram in Nigeria praktizieren die Entführung junger Frauen und Mädchen und zwingen ihnen Eheschließungen und Schwangerschaften auf.

Der Ausschluss von Frauen von Friedensverhandlungen wurde vielfach mit dem allgemeinen Verweis auf die Genderperspektive auch medial bemängelt. Der Ausschluss von Ex-Kombattantinnen hat zudem spezifische Auswirkungen:3 Ihre Abwesenheit in der Verhandlungsphase, oft schon bei Waffenstillstandsvereinbarungen, führt häufig dazu, dass ihre Bedürfnisse und Anliegen im Friedensabkommen nicht berücksichtigt werden oder zumindest unterbelichtet bleiben. Der Konflikt in Aceh in Indonesien ist dafür ein gutes Beispiel: Auf keiner der beiden Seiten gehörte eine Frau zu den offiziellen Verhandlungsdelegationen; das 2005 geschlossene Friedensabkommen von Helsinki enthält keinerlei Bestimmungen für Kämpferinnen oder Frauen im Allgemeinen. Das führte dazu, dass ihnen, im Gegensatz zu ihren männlichen Kameraden, nach der Unterzeichnung des Abkommens keine Leistungen wie Trauma-Beratung oder Unterstützung bei der Wohnungssuche zur Verfügung standen. Mittlerweile bestehen sowohl internationale Mediator*innen als auch feministische und Frauenrechtsorganisationen auf die Beteiligung von Frauen in Friedensprozessen und die meisten Delegationen, sowohl von Regierungs- als auch nichtstaatlicher Seite haben weibliche Mitglieder (mit prominenten Ausnahmen, wie etwa die Taliban-Delegation in den gescheiterten Gesprächen in Doha). Das FARC-EP Abkommen von 2016 wird oft als positives Beispiel dafür genannt, wie weibliche Kämpferinnen und ihre Anliegen, unter anderem zu Landreform, berücksichtigt werden können. Auf dem Papier gibt es dort viele geschlechtsspezifische Regelung, leider hapert es aber oft bei der Umsetzung. 

Ein Ehemann zur Demobilisierung?

Weibliche Kämpferinnen nehmen zudem seltener an offiziellen Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsprogrammen (DDR) teil. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einige sind technischer Art: Etwa die Anforderung, eine Waffe vorzulegen, um den Status als Kämpfer*in überhaupt beweisen zu können. Dies kann nicht von allen Frauen erfüllt werden. Oder auch schlicht das Fehlen von getrennten Schlafräumen und Sanitäranlagen während des Prozesses. Andere sind gesellschaftlicher Art. Für Frauen ist eine sogenannte ‚spontane Demobilisierung‘ oft einfacher, sprich die Rückkehr und informelle Wiedereingliederung in ihre Herkunftsgemeinde oder Familie. Im Gegensatz zu männlichen Kämpfern werden sie seltener als Sicherheitsrisiko wahrgenommen und werden daher manchmal von ihren Familien akzeptiert ohne die Angst, dass sie gewaltsam sind. Andererseits erzählen manche Kämpferinnen ihren Familien und Gemeinden, dass sie die letzten Monate im Ausland gearbeitet haben und versuchen so, ihre eigentliche Tätigkeit zu verschweigen – was natürlich nur funktioniert, wenn sie keine Kinder mit sich bringen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass das Stigma, gekämpft zu haben, für Frauen häufig stärker ist als für Männer. Frauen, die ‚spontan demobilisieren‘ haben außerdem weit weniger Zugang zu Leistungen wie Trainings, psychologischer oder finanzieller Unterstützung.

Nehmen Kämpferinnen an DDR-Programmen teil, sind sie häufig mit Strategien konfrontiert, die scheinbar darauf abzielen, die traditionellen Geschlechterrollen wiederherzustellen4, etwa indem Ehemänner für sie gesucht oder ihnen Nähkenntnisse vermittelt werden. Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration dienen somit manchmal als Einfallstor für die ‚Normalisierung‘ und Wiederdurchsetzung traditioneller Geschlechterbeziehungen. Wenn die DDR-Prozesse jedoch eine kollektive Reintegration vorsehen, eröffnen sich Optionen auf Veränderung: Frauen, die kollektiv reintegriert werden, sind sozial und politisch aktiver und übernehmen eher Führungspositionen. Das war beispielsweise in Guatemala, Nepal und Kolumbien der Fall. Die kollektive Wiedereingliederung bot einen Schutzschirm für die Aufrechterhaltung fortschrittlicher Geschlechterbeziehungen innerhalb dieser Gruppen, etwa eine gleichmäßigere Aufteilung der häuslichen Aufgaben, Kinderbetreuungsregelungen und weniger häusliche Gewalt.

Doch auch in Gruppen wie der FARC, in denen Frauen weitgehend die gleichen Rollen wie ihre männlichen Kameraden übernahmen und sich Koch-, Putz- und Kampfaufgaben gleichermaßen teilten, macht sich der Eindruck breit, dass dieser Fortschritt in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter seit dem Friedensabkommen von 2016 wieder verloren geht, insbesondere bei denjenigen, die individuell reintegriert wurden. Der Kontrast zur Rollenverteilung in der kolumbianischen Gesellschaft ist stark und die Erwartung, die die meisten ehemaligen FARC-Kämpferinnen beschreiben ist, dass sie nach der Demobilisierung zu den traditionellen Geschlechterrollen zurückkehren sollen – einschließlich Care Arbeit und Kindererziehung. Viele Kämpferinnen verlassen auch die kollektiven Wiedereingliederungszonen aufgrund miserabler Lebensbedingungen, was weiter den positiven Effekt von kollektiver Reintegration schmälert.

Die Hoffnung einiger weiblicher Kämpferinnen, die Geschlechterverhältnisse in der Zivilgesellschaft zu verändern und für sich selbst eine alternative Zukunft schaffen zu können, hält leider oft nur so lange an, bis die Realität des Friedensabkommens eintritt. Zeitgleich schwindet das Gefühl der Ermächtigung, das sie während des Konflikts empfanden. Nur weil die Geschlechternormen während des Konflikts in Frage gestellt wurden, bedeutet dies nicht, dass es zu dauerhaften Veränderungen kommt. Ohne die Verankerung von konkreten Maßnahmen in Friedensabkommen, die dann konsequent implementiert werden müssen; ohne kontinuierlichen Druck von feministischen Organisationen, die sowohl Interessen von Kämpferinnen als auch anderer marginalisierter Gruppen, etwa indigener Gruppen und LGBTQI-Personen, vertreten; und schließlich ohne Veränderungen in den ökonomischen, neokolonialen und patriarchalen Gesellschaftsstrukturen verlaufen Hoffnungen auf nachhaltige gesellschaftliche Veränderung im Sand. In Nachkriegsgesellschaften erstickt der Friedensengel die Krieger*innen allzu oft.

Anmerkungen

1  https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/14616742.2020.1844031

2  https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/jan/14/woman-boko-haram-nigeria-militant-group

3  https://academic.oup.com/jogss/article-abstract/5/1/63/5682788

4  https://link.springer.com/chapter/10.1057/9781137516565_2
 

Evelyn Pauls ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Berghof Foundation in Berlin und im Gender, Justice and Security Hub am LSE Centre for Women, Peace and Security in London.

Übersetzung aus dem Englischen: Larissa Schober.