Es ist schon wieder passiert. Österreich hat zum wiederholten Mal eine rechtsextreme Regierung aus ÖVP und FPÖ. Die aktuelle politische Lage stimmt Viele ratlos: Fortschrittliche parlamentarische Mehrheiten werden sich auf längere Zeit nicht bilden lassen. Seit vielen Jahren klafft eine riesige Lücke auf der linken Seite des Parteienspektrums. Soziale Bewegung gibt es in Österreich bekanntlich nicht so oft und die gesellschaftliche Linke ist mehr oder weniger handlungsunfähig. Was also tun?
In einem ersten Schritt sollten wir uns gleich eine andere Frage stellen. Denn bevor die Taxlerin weiß, welche Route die beste ist, muss sie wissen, wo es überhaupt hingehen soll. Um also die Frage zu beantworten, was angesichts von Schwarz-Blau zu tun ist, müssen wir uns fragen: Wo wollen wir als Linke überhaupt hin? Wie soll die Welt in 20 Jahren aussehen? Was ist uns und späteren Generationen wichtig? Und wer ist dieses „Wir“? Probieren wir es doch einfach einmal aus...
Wir schreiben das Jahr 2038. Wir stellen uns vor, es ist Frühling wie jetzt. Die Vögel zwitschern, die ersten Lokale haben ihre Schanigärten geöffnet und es ist endlich wieder auch abends noch hell. Vergangenen Herbst bildeten die Linkspartei, zusammen mit den Neuen Grünen und der Antirassistischen Plattform für Frauen zum zweiten Mal in Folge eine Regierung. Diesmal sind die Hälfte der neuen MinisterInnen Frauen und ein Großteil der Regierungsmitglieder ist das, was Medien vor zehn Jahren noch „QuereinsteigerInnen“ nannten. Denn die meisten von ihnen waren nicht schon immer BerufspolitikerInnen, sondern können unterschiedliche berufliche Erfahrungen vorweisen. Viele waren und sind auch in sozialen Bewegungen aktiv. Einige haben sich vor etwa 15 Jahren bei den lang andauernden und zähen Protesten gegen die 3. Piste des Flughafens Schwechat besser kennengelernt, die letztlich doch erfolgreich waren. Seither ist Grammatneusiedl als das „gallische Dorf“ in ganz Österreich bekannt und Bruck an der Leitha und Malinovo in der Slowakei sind Partnerstädte. Dem „Linksrutsch“ bei den Nationalratswahlen gingen Ende der 2020er Jahre wichtige Erfolge bei Gemeinderats- und Landtagswahlen voraus.
Nicht ganz einverstanden? Auch gut. Es lässt sich selbstverständlich darüber streiten. Das sollten wir auch. Fest steht: Nur von einer solchen Vision aus können wir rückwärts zu planen beginnen. Und das sollten wir, wenn wir erfolgreich sein wollen. Es geht um eine realistische Einschätzung der Lage, nicht um die 99%. Es geht darum, einen solidarischen Bezugsrahmen aufzubauen, der ein breites Spektrum politischer AkteurInnen, Betroffenheiten und Positionen zulässt. Das ist möglicherweise unbequem und garantiert sehr anstrengend. Aber dazu gibt es keine Alternative. Es geht darum herauszufinden, wer für politische Auseinandersetzung Gemeinsamkeiten ausloten und benennen möchte. Als Linke wissen wir, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Nur der Umstand, dass wir zusammenleben, verbindet uns noch nicht. Es ist die Politik, die uns verbindet, und das, was wir uns über unser Zusammenleben erzählen. Dass wir im selben Betrieb arbeiten oder in derselben Stadt leben, heißt noch nicht, dass wir viel gemeinsam haben, geschweige denn miteinander tun. Solidarität ist nicht automatisch vorhanden, sondern muss organisiert werden.
Selbstorganisierung braucht eine Vision. Doch haben wir damit schon gewonnen? Eine Vision alleine reicht dafür sicher nicht. Wir müssen Druck aufbauen. Deshalb macht es einen riesen Unterschied, wiewir uns organisieren. Agieren wir planvoll und gezielt? Oder verpulvern wir unsere Ressourcen gleich zu Beginn und brennen dabei selbst aus? Was gehen wir als erstes an? Wen müssen wir noch ins Boot holen? Wer macht was? Wie kommunizieren wir? Wer entscheidet was, und wie? Sind wir gut vorbereitet? Was sollten wir vorab noch gemeinsam üben? Taugt es uns auf die Straße zu gehen? Oder suchen wir nach Aktionsformen, die uns dabei helfen mehr zu werden und Druck zu erzeugen?
Zum Glück fangen wir nicht bei Null an. Weltweit gibt es viele Beispiele für erfolgreiche Organisierung, wie etwa die „Justice for Janitors“-Kampagne der US-amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU. Mit dieser Kampagne haben sich mittlerweile hunderttausende überwiegend lateinamerikanische und afroamerikanische Putzfrauen und Putzmänner gewerkschaftlich organisiert. Seither setzt die SEIU nicht nur Reinigungsfirmen, sondern auch ImmobilienbesitzerInnen unter Druck. Da die ArbeiterInnen die Konfrontation tragen, spielen direkte Kommunikation und Beteiligung eine zentrale Rolle. „Justice for Janitors“ wäre wohl außerdem kaum dermaßen erfolgreich gewesen ohne das brutale Vorgehen der Polizei von Los Angeles gegenüber Putzkräften, die eine Straßenkreuzung blockierten. Eine breite Solidarisierungswelle war die Folge. Ein Moment, das sich nicht planen, aber jedenfalls nutzen lässt.
Methoden und Skills sind keine Erfolgsgarantie für politisches Handeln. Nichts desto trotz ermöglichen sie uns gemeinsame Bilder und damit Reflexion über das, was wir tun. Wenn wir auch nur ansatzweise aus der politischen Defensive kommen wollen, macht es Sinn darauf zurück zu greifen. Vielleicht sollten wir es einfach ausprobieren. Die gute Nachricht ist, wir haben nichts zu verlieren.
Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 46, Sommer 2018, „Aus dem utopischen Halbdunkel“.
Sandra Stern ist Mitgründerin der UNDOK Anlaufstelle, selbständige Trainerin und Redakteurin des Mosaik-Blogs. Aktuell gründet sie gemeinsam mit anderen das Bureau für Selbstorganisierung.