„Bauliche Fremdkörper lassen Grenzen entstehen“

Simon Takasaki über „Architektur der Abschreckung“ und „Willkommensarchitektur“

Turnhallen, Wohncontainer, leerstehende Supermärkte —die Unterbringung von Flüchtlingen ist oft nur schwer mit dem Attribut menschenwürdig zu beschreiben. Auch in der Vergangenheit dominierten Blechcontainer und Dauerprovisorien. Wegen der plötzlichen Nachfrage sind die Containerpreise in die Höhe geschossen und pro Quadratmeter mittlerweile fast so teuer wie ein Neubau-Loft. Somit ist die vermeintliche „Flüchtlingskrise“ auch die Chance eines Neuanfangs. Vorreiter könnten Ideen sein, wie Sie einem Entwurfsprojekt an der Fakultät für Architektur der Universität Hannover entwickelt und jüngst in dem Buch „Refugees Welcome - Konzepte für eine menschenwürdige Architektur“ veröffentlicht wurden.

Prager frühling sprach mit Simon Takasaki, Mitherausgeber des Bandes und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwerfen und Gebäudelehre. Das Interview erschien in Ausgabe #23 es prager frühling.

 

prager frühling: Was sind die zentralen Merkmale einer Willkommensarchitektur?

Simon Takasaki: Menschenwürdiges Wohnen beginnt mit einfachen Dingen wie klimatischem Schutz. Aber eine menschenwürdige Architektur muss über dieses bloße Schutzbedürfnis hinausgehen. Das Wohnen als Individuum oder Familie und nicht als anonyme Masse ist Teil eines menschenwürdigen Wohnverständnisses. Es wäre ein sinnvoller städtebaulicher Ansatz, die Schutzsuchenden innerhalb eines funktionierenden Stadtgefüges mit einer Vielzahl von kleineren Gruppen zu integrieren. NebenVersorgung und Mobilitätmüsste auch gesellschaftliche Kontaktmöglichkeit gewährleistet sein. Gesellschaftlicher Integration geht räumliche Integration voraus.

Die meisten Flüchtlingsunterkünfte wirken dagegen überfordernd groß, liegen am Rande von Städten und werden daher als Fremdkörper wahrgenommen. Diese baulichen Fremdkörper lassenGrenzen und Ängste in der Bevölkerung entstehen. Als einen ebenso wichtigen Punkt empfinde ich aber die Selbstbestimmung der Menschen. Vorbildhaft könnte hier zum Beispiel die Siedlung Walter`s Way in Lewisham sein.

pf: Dazu musst Du ein paar mehr Worte sagen …

ST: Interessant ist an dieser vom deutsch-rumänischen Architekten Walter Segal geplanten Siedlung die Beteiligung der BewohnerInnen. Geplant werden Wege, Parzellenzuschnitt, Bauvolumen, Grenzverläufe — am Bau der Häuser selbst sind allerdings die Bewohner beteiligt. Das fördert die Identifikation mit den Gebäuden und mindert Konflikte. Es wäre durchaus denkbar, Neuankommende mit Rat, Tat und Material zu unterstützen, um dann selbstbestimmt Ihre Räume auf Basis eines vorgegeben Grundkonzeptes weiterzuentwickeln.

pf: Das Seminar fand im Wintersemester 2014/15 statt. Die Flüchtlingszahlen steigen seitdem. Stoßen die von Euch erarbeiteten Konzepte unterderzeitigen Bedingungen an ihre Grenzen?

ST: Auch jetzt gibt es noch unglaublich viel Leerstand. Eine Vielzahl leerer Gebäude könnte effizient in bewohnbare Strukturen transformiert werden, ohne gleich Massenunterkünfte zu schaffen. Wir müssen zwischen Lösungen, die besonders schnell realisierbar sind und solchen, die einer längeren Vorlaufzeit bedürfen, unterscheiden. Aber auch temporäre Lösung können in einem weiteren Prozess schrittweise zu langfristiger Architektur weiterentwickelt werden. Dies muss aber vorher konzeptionell und planerisch vorbereitet werden. Zeltlager und andere Unterbringungen sind in dieser Hinsicht nicht längerfristig durchdacht. In unserem Buch werden Konzepte überwiegend zu längerfristigen, aber eben auch für kurzfristige Lösungen vorgeschlagen. Die meisten dieser Konzepte wären mittels maschineller Vorfertigung schnell zu realisieren. Hier zählt allein der Wille.

pf: Siehst Du diesen?

Generell verfolgt Politik besonders im Wohnungsbau schon lange keine nachhaltigen Konzepte in deutschen Großstädten. Der Wohnungsbau sollte entweder wieder stärker von öffentlicher Hand mit gesellschaftlich relevantem Anspruch betrieben werden oder anhand von Parametern und Anreizen für Investoren so entwickelt werden, dass eine heterogene Stadtgemeinschaft entsteht.

Wir brauchen besonders in Großstädten hybride Wohnbauten, in denen sowohl Privilegierte, als auch weniger Privilegierte friedlich miteinander leben können. Solche hybriden Wohnformensind im Übrigen nichts Neues, sondern das Fundament der europäischen Stadt. Diese war horizontal und vertikal integrativ geplant. Europa und auch die Architekten und Städteplaner haben es aber schlichtweg verpasst sich auf die neue Situation mit zuziehenden Geflüchteten, die ja früher oder später absehbar war, vorzubereiten.

pf: Wie kamt Ihr als Fakultät denn auf das Thema, bevor Geflüchtete die Nachrichten dominierten?

ST: Auch damals waren der Krieg in Syrien und der IS-Terror in den Nachrichten. Die Eltern eines syrischen Freundes von mir, sind damals nach Deutschland gezogen — aus Angst. Es hat sich schon abgezeichnet, dass Menschen aus dieser Region nach Deutschland kommen werden. Wir haben, als wir die Seminare fürs Wintersemesterplanten, überrascht festgestellt, dass es so gut wie keine Diskussion zur Flüchtlingsunterbringung in der Architektur gibt. Da war klar, wenn man an Architektur glaubt und sich bewusst macht, welche politischen und sozialen Auswirkungen gebaute Wirklichkeit hat, können wir uns unserer Verantwortung nicht entziehen. Die Wahrnehmung von Architektur besteht in der Außenwahrnehmung häufig nur aus Prestigeprojekten – fancy Museen, Villen für Superreiche. Architektur beginnt aber woanders, beim Verhältnis von Mensch und Raum.

pf: Ihr habt Eure Vorschläge öffentlich präsentiert, zumindest die mediale Aufmerksamkeit war sehr groß. Was ist mit den Ideen geschehen? Nur schöne Skizze oder gibt es konkrete Umsetzungen?

ST: Wir sind in Gesprächen mit verschiedenen Vertretern von Städten und Gemeinden, kooperieren mit der TU Wien,  der TU Berlin und der Jade Hochschule. In diesem Semester wollen wir mit den Studierenden und Geflüchteten konkrete Projekte realisieren.

pf: Welche denn?

ST: Ich muss etwas vorsichtig sein, weil spruchreif sind diese noch nicht. Bei drei Projekten gibt es eine gewisse Chance auf Realisierung. Das ist zum einen der Umbau eines alten Parkhauses. Dann gibt es das Angebot von Privatpersonen, die einen Teil ihres Grundstücks für Flüchtlinge zur Verfügung stellen wollen. Das ist besonders spannend, weil die sich dann auch später sozial für die Flüchtlinge engagieren wollen. Schließlich gibt es die Überlegung ein zusätzliches Stockwerk auf einem Universitätsgebäude zu bauen. Mit Arbeitsräumen für Studierende und mit Wohnräumen für Flüchtlinge. Die Räume können, wenn sie nicht mehr gebraucht werden sollten, als Studierendenwohnheim weitergenutzt werden. Ich denke es ist genau diese hybride Nutzung, die Zukunft hat.

pf: Gerade in den Innenstädten ist Platz knapp, wo soll gebaut werden?

ST: Ein schon lange wichtiges städtebauliches, architektonisches Thema für uns ist die Nachverdichtung unserer Städte. Hier steckt ein unglaubliches Potenzial für unseren Stadtraum und unsere Gesellschaft .Eine Lockerung der „Traufhöhenbegrenzung“ zum Beispiel, was ja in manchen Städten, vorneweg in Berlin, geradezu zwanghaft betrieben wird, würde unendlich viele neue Möglichkeiten der Nachverdichtung bieten und unsere Städte fit für die Zukunft machen. Man kann das Prinzip ja auch umdrehen: Stocken wir unsere Flachdächer mit tollen Aufbauten auf, wird unten wieder Raum frei. Oder das im Buch beschriebene Beispiel mit den Schrebergärten: Auch hier kann eine Lockerung des Gesetzes, welches verbietet in Schrebergärten zu wohnen, einiges bewirken. Entweder, wie in unserem Buch vorgeschlagen, integrieren wir hier Mikrohäuser für geflüchtete Familien oder Gartenliebhaber ziehen längerfristig in ihr Häuschen und bieten ihre Wohnungen Neuankömmlingen an. Die Stadt bietet zahlreiche Potenziale die nur darauf warten, entdeckt zu werden!

pf: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Buch„Refugees Welcome - Konzepte für eine menschenwürdige Architektur“ ist im Jovis-Verlag schienen, 256 Seiten kosten 28.00 Euro. Die Fragen stellte Stefan Gerbing.