Warum die Linke strukturellen Rassismus auch in den eigenen Strukturen bekämpfen muss
Wie stand es um die Sichtbarkeit von BPoCs und Migrant*innen vor der auch in Deutschland Raum einnehmenden Black Lives Matter Bewegung? Und wo wird sie danach stehen? Noch wirken die aktuellen Aufhänger der linken Twitterblase sehr gut. Sei es bei der Podienbesetzung von Maischberger oder Dietmar Bartschs Forderungen nach mehr Anerkennung für die Polizei inmitten einer Rassismus-Debatte. Dabei wurden die zugrundeliegenden Strukturen von Rassismus innerhalb der deutschen Medien sowie der Polizei als staatlicher Institution immer wieder in all ihrer Differenziertheit dargelegt. Wenig Licht fällt hingegen auf all diejenigen, die mittwittern, die sich als links oder zur LINKEN zugehörig einordnen. Denn so relevant diese Auseinandersetzungen auch sind, sie verbleiben im Außen.
Der Rassismus im Außen ist leichter zu erkennen, anzuprangern und zu bekämpfen als der Rassismus im Innern. Wir als Linke, als Parteimitglieder, als Funktionär*innen, als Mandatsträger*innen werden neben diesen Kämpfen damit konfrontiert uns mit dem inneren Rassismus ebenso schonungslos zu beschäftigen. Das beginnt mit der Frage, wer sich überhaupt in linken Kontexten organisiert, wer in Parteien allgemein und DIE LINKE im Konkreten eintritt. Die weitergehenden Hürden bestehen dann darin in einer auf weiße Biodeutsche ausgelegten Struktur nicht nur zu bleiben, sondern zusätzlich noch in ihr an relevante Posten zu kommen. Struktureller Rassismus ist eben auch Machtpolitik und darum geht es auch in Parteiensystemen, wenn über Funktionen, Status und Ressourcen entschieden wird. Und wir sind hier noch lange nicht bei der Frage, für wen und wie eigentlich von Funktionsträger*innen Politik gemacht wird.
Doch es lohnt sich zunächst den Fokus auf das Bleiben in Strukturen zu legen, denn hier zeigt sich die gelebte Kultur. Der Umgang mit Diskriminierungen, die im Parteikontext genauso fallen, wie außerhalb, verweisen auf das linke Normverständnis als weiße Biodeutsche, mit dem eine alltägliche Deutungshoheit von Normen, Werten und Erfahrungen im politischen Raum einhergeht. Die gelebte Kultur manifestiert sich bei jeder Parteiveranstaltung im Ressourcenkampf am Buffett und der Suche nach Essen, das halal, koscher oder einfach nur tierfrei ist.
Da kann man sich noch so viele vermeintlich bunte und weltoffene Slogans auf seine Wahlplakate und in die Programme schreiben- solange eben diese Werte nicht gelebt werden, ist die Authentizität eine Makulatur. Vom schwelenden Vorwurf des Tokenismus mal abgesehen.
Und spätestens an diesem Punkt ist der linke Unwille zum Kampf nach innen geweckt. Ja, in anderen Ländern, Parteien oder sonstigen argumentativ gerade hilfreichen Strukturen ist es noch viel schlimmer! Und nein, das macht die Kämpfe für BPoCs und Migrant*innen bei uns als Linken und LINKEN nicht weniger hart. Das Bedürfnis einen eigenen Raum für diese Themen zu haben und für Vernetzung sowie damit mehr Durchschlagskraft zu sorgen, bringt Zusammenschlüsse wie Links*kanax in der LINKEN hervor.
In ihrem Selbstverständnis kann heißt es:
„Schon seit einiger Zeit vernetzen sich in unserer Partei vielerorts rassistisch Diskriminierte, Menschen mit Migrationsgeschichte, Schwarze Deutsche und Black and People of Colour. Wir möchten dem Struktur und Beständigkeit geben! Wir sind ein bundesweites Netzwerk mit dem Ziel, die migrantisch-progressive Stimme innerhalb und außerhalb der Partei DIE LINKE hörbarer und sichtbarer zu machen.“
Der Vorwurf der Parallelstruktur ist zwar absurd, aber schnell formuliert. Wenn es um Macht geht und rassistische Strukturen die etablierten Machtverhältnisse absichern, dann braucht es fast zwingend parallele Strukturen, um überhaupt eine Gegenmacht bilden zu können. Das heißt konkret Themen und Personen durchzusetzen, die sicht- und hörbar die bestehenden weißen und biodeutschen Verhältnisse nicht nur in Frage stellen, sondern angreifen können. Dieser Anspruch in die Linke und LINKE hineinzuwirken ist hoch. Denn — jetzt wird’s spannend — auch in der Linken gibt es eine vielfach ungebrochene Logik: Nach der Analyse, dem Laut werden, dem Sichtbarmachen von strukturellen Rassismen stehen auch noch ebenjene Personen, die von ihnen betroffenen sind, in der Pflicht Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Revolutionär!
Ergo sind es sehr viel mehr emotionale, zeitliche und kognitive Ressourcen, die BPocs und Migrant*innen für einen Systemwechsel innerhalb der Struktur aufbringen sollen als weiße, biodeutsche Genoss*innen. Das Alles ist anstrengend, nervig, und aufreibend. Es kann frustrierend sein, resigniert und einsam machen. Nicht zuletzt ist es ist ungerecht. Das kann niemand fair finden, der*die sich als links bezeichnet. Bzw. der*die erkannt hat, dass struktureller Rassismus ein strukturelles Problem von uns allen und nicht von einer vermeintlichen Minderheit ist.
Deshalb liebe Linke und liebe LINKE, was willst du eigentlich ändern? Wie können deine Strukturen, deine Kultur, deine Ressourcen rassismuskritisch gestaltet werden?
Es ist ja schön, dass du schon so sehr mit Rassismus in der Polizei und in den Medien beschäftigst, aber was hindert dich daran an den Stellen, so sichtbar zu sein, an denen es um Dich selbst geht? Auch darüber ließe sich hervorragend twittern.
Lena Saniye Güngör ist Abgeordnete des Thüringer Landtages und Sprecherin für Arbeits- und Gewerkschaftspolitik der LINKEN sowie Vorsitzende der Rosa-Luxemburg Stiftung Thüringen. Sie studierte in Jena Psychologie sowie Angewande Ethik. Mehr Infos unter www.ls-guengoer.de.
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