Keine Lösung in Sicht

Australien verweigert Asylsuchenden die Einreise und überlässt sie lieber den ärmeren Nachbarländern

Die australische Regierung hat das Asylrecht für Bootsflüchtlinge abgeschafft. Wurden Asylsuchende in der Vergangenheit in Auffanglagern weggesperrt, während ihre Asylanträge bearbeitet wurden, werden sie jetzt für immer ausgesperrt.

 

Die ‚Manus-Lösung‘              

Am 19. Juli 2013 gaben die Premierminister Australiens und Papua-Neuguineas, Kevin Rudd und Peter O’Neill, das ‚Regionale Umsiedlungsabkommen‘ zwischen beiden Ländern bekannt.

Ab sofort sollen sämtliche auf dem Seeweg in Australien ankommenden (oder auf dem Weg dahin abgefangenen) Asylsuchenden sofort nach Manus Island in Papua-Neuguinea transportiert werden.

Dort werden die Asylverfahren nach örtlichem Recht abgehandelt. Wer als Flüchtling anerkannt wird, darf in Papua-Neuguinea bleiben, aber die Einreise nach Australien wird den Menschen für immer verwehrt. Die anderen verbleiben auf unbestimmte Zeit im Auffanglager auf Manus oder kehren ‚freiwillig‘ in ihr Herkunftsland zurück – wenn sie denn eins haben, in das zurückgekehrt werden kann.

Das Abkommen wurde nur wenige Tage nach dem Scheitern einer Klage des papua-neugui­neischen  Oppositionspoliti­kers Belden Namah vor dem Obersten Gericht des Landes bekanntgegeben. Namah hatte argumentiert, dass die zwangs­weise Inhaftierung von Asylsuchenden auf Manus Island gegen die Verfassung verstößt. Die Klage wurde aus angeblich technischen Gründen abgewiesen, aber Namah hat angekündigt, sie erneut einreichen zu wollen.

 

Die ‚Nauru-Lösung‘

Nur zwei Wochen später wurde ein gleichlautendes Abkommen zwischen Australien und dem winzigen Inselstaat Nauru getroffen. Der Gedanke, dass ein armes Land wie Papua-Neuguinea dazu in der Lage sein sollte, eine größere Anzahl Flüchtlinge aufzunehmen, klingt schon zweifelhaft, aber die Vorstellung, dass Nauru das könnte, ist geradezu absurd.

Nauru ist etwa so groß wie die Nordseeinsel Amrum und hat knapp 10.000 Einwohner_in­nen. Die Insel war einmal reich an Phosphat, das aber von westlichen Firmen komplett abgebaut wurde. Jetzt sitzt die Be­völkerung ohne fruchtbaren Boden da und es gibt nicht ein­mal genügend Trinkwasser für Alle.

Wenige Tage nach Bekanntgabe des Nauru-Abkommens wurde auch schon von der dortigen Regierung dementiert, dass Flüchtlinge sich dauerhaft dort niederlassen könnten.

Allerdings kann Nauru die Menschen auch nicht ausweisen, weil das der UN-Flücht­lingskonvention widersprechen würde, die Nauru unterzeichnet hat. Es sieht also so aus, also ob die Menschen dann mit einer Art Duldung auf unbestimmte Zeit auf Nauru feststecken werden, immer unter dem Druck, sich doch bitte­schön um ein anderes Aufnah­meland zu bemühen.

Das dürfte schon praktisch schwierig werden: von Nauru gehen zwei Flüge pro Woche, und zwar nach Australien und Fiji.

 

Die ‚Pazifik-Lösung‘

Sowohl auf Manus als auch auf Nauru existieren bereits von Australien betriebene Auffanglager, die   als Teil der ‚Pazifik-Lösung‘ in Reaktion auf die Tampa-Affäre im Jahr 2001 eingerichtet wurden. Seit dem ist das Thema Asylpolitik wiederkehrendes Wahlkampfthema.

Der Kapitän des Frachters Tam­pa hatte 430 Schiffbrüchige im Indischen Ozean aufgesammelt und zum nächsten Hafen auf den zu Australien gehörenden Weihnachtsinseln bringen wollen. Die australische Regierung verweigerte der Tampa die Genehmigung zum Anlegen und drohte damit, den Kapitän wegen Menschenhandels anzuklagen. Die Situation spitzte sich zu, als sich die Tampa trotzdem auf den Weg machte, um die Menschen, für die auf der Tampa keine Versorgungsmög­lichkeit bestand, dort abzusetzen. Premierminister Howard schickte die Marine, um die Tampa aufzuhalten. Die politische Hetze gegen die fast Ertrunkenen erreichte ihren Höhepunkt, als der damalige Ver­teidigungsminister im Fernsehen log, das Flüchtlingsboot wäre gar nicht gesunken, sondern die Leute hätten absichtlich ihre Kinder über Bord geworfen. 

Als Reaktion wurde damals die sogenannte Pazifik-Lösung eingeführt, die beinhaltet, dass sämtliche Bootsflüchtlinge – einschließlich Familien mit Kleinkindern – für die Dauer ihrer Asylverfahren in Lagern außerhalb Australiens einge­knastet werden, was oft mehrere Jahre sein kann. 

Seitdem haben verschiedene australische Regierungen versucht, andere Länder einzubinden – erst wurde ein Abkommen mit Malaysia getroffen, das gerichtlich gestoppt wurde, dann sollte ein Lager in Ost­timor gebaut werden, was am dortigen Widerstand scheiterte. Immer wenn die Anzahl der Flüchtlingsboote stieg, wurde eine neue ‚Lösung‘ präsentiert.

Der letzte Versuch im August 2012 war die zynische „Kein-Vorteil-für-Vordrängler“-Doktrin, nach der Bootsflüchtlingen vorgeworfen wurde sich vorzudrängeln, anstatt geduldig in einem UN-Flüchtlingslager in einem anderen Land zu warten. Demzufolge sollten sie auch ge­nauso lange auf die Bearbeitung ihres Antrags warten, wie die Insassen der UN-Lager, die mitunter Jahrzehnte auf eine Umsiedlung warten müssen.

 

Abschreckung durch unhaltbare Zustände

Ziel aller dieser Maßnahmen war dabei immer die Abschreckung. Je ungewisser die Situation und je schlimmer die Zustände in den jeweiligen Lagern, so die Regierungslogik, desto weniger Anreiz gibt es für Flüchtlinge, sich auf den Weg zu machen. Die neueste Entscheidung, den Flüchtlingen über­haupt ganz den Weg nach Aus­tralien zu versperren, ist dabei nur die logische Fortsetzung dieser menschenfeindlichen Politik. Und da im September Wahlen anstehen, hat die Opposition noch eins draufgelegt und angekündigt, dass sie die Boote einfach zurückschicken will.

Zur Durchsetzung dieser Politik wurden auch immer Menschenleben riskiert. Während der Wartezeit werden die Asylsuchenden bewusst völlig im Dunkeln über den Stand ihrer Anträge gelassen. Einige werden relativ schnell entscheiden, bei anderen dauert es Jahre, ohne dass es dafür erkennbare Gründe gibt. 

Diese Willkür treibt viele zur Verzweiflung und hat auf Nauru schon mehrmals zu Aufständen und Hungerstreiks geführt. Der ‚große Hungerstreik‘ von 2003/2004, bei dem sich mehrere Männer den Mund zunähten, führte zu geringen Verbesserungen der Situation im Lager. Bei einem weiteren Hungerstreik Ende 2012 wurde ein Mann nach 50 Tagen ins Krankenhaus gebracht und zwangsernährt. Zuletzt haben Insassen im Juli 2013 einen Teil des Lagers angezündet und damit unbewohnbar gemacht.

Ein von Unterstützer_innen betriebener Blog, auf dem die wenigen aus dem Lager gelangenden Informationen zusammengetragen werden, ist seit dem nicht mehr aktualisiert worden. Mitte August gab es auch noch aus unbekannten Gründen einen Brand im Krankenhaus und seitdem herrscht medizinischer Notstand auf der Insel.

Menschenunwürdig

Die Zustände auf Manus sind auch nicht besser. Die UN schreibt in einem Bericht vom Juni, dass die Unterbringung im Lager menschenunwürdig sei und die Sicherheit der Insassen nicht gewährleistet werden könne, besonders die von Kindern und Familien. Außerdem bestehe ein hohes Malaria-Risiko. Die australische Regierung reagierte darauf, indem sie Kinder und schwangere Frauen von der Insel evakuierte.

Im australischen Fernsehen erzählte ein Arzt, dass selbst einfachste Medikamente, die je­derzeit im örtlichen Krankenhaus zu haben gewesen wären, erst nach Wochen vom australischen Militär geliefert werden. Ein ehemaliger Aufseher einer privaten Sicherheitsfirma berichtete von Folter und Misshandlung unter den Gefangenen und täglich vorkommenden Selbstmordversuchen.

Journalist_innen wird grundsätzlich der Zugang zum Lager verwehrt, was sowohl von der australischen als auch der pa­pua-neuguineischen Regierung dementiert wird.

 

Ausnutzung der Armut

Die australische Politik nutzt dabei die Situation der ärmeren Nachbarn aus, um diesen die Verantwortung für die eigenen Menschenrechtsverletzungen aufzudrücken. Nauru ist seit dem Ende des Phosphat-Abbaus komplett auf auswärtige Hilfe angewiesen. Fast alle Nahrungsmittel müssen importiert werden, die Trinkwasserversor­gung ist unzureichend und das Geld für den Betrieb des Flüchtlingslagers ist so ziemlich die einzige Einnahmequelle des Landes. Entsprechend ist die örtliche Bevölkerung von dem Flüchtlingslager gar nicht begeistert.

Als die Insassen im Juli das La­ger ansteckten, bildete sich ein Lynchmob, der die Flüchtlinge angreifen wollte. Ein neusee­ländischer Beobachter spricht von einer tiefgreifenden Krise der Gesellschaft auf Nauru.

Papua-Neuguinea ist ebenfalls bitterarm. Trotz erstaunlichen Wirtschaftswachstums in den letzten Jahren lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung immer noch von weniger als zwei Dollar pro Tag. Darüber hinaus ist Papua-Neuguineas Umgang mit Flüchtlingen nicht gerade mustergültig: tausende Flüchtlinge aus dem zu Indonesien gehörenden und seit Jahrzehnten um Unabhängigkeit kämpfenden West-Papua wurden nie anerkannt und leben als Menschen zweiter Klasse in dem Land. Die Nicht-Anerkennung dieser Flüchtlinge dürfte aller­dings auch auf den Druck Aus­traliens zurückzuführen sein, das es sich nicht mit Indonesien verderben will.

Was genau für Papua-Neugui­nea bei dem neuesten Abkommen mit Australien herausgesprungen ist, ist nicht bekannt. Die dortige Regierung schweigt und Australiens Premierminister Kevin Rudd spricht vage von einem Krankenhaus und ‚Beratung‘ bei der Reform des Bildungswesens und der Polizei. Es ist zu vermuten, dass die Beratung auf Privatisierung hinausläuft, von der natürlich australische Firmen profitieren würden.  Für Nauru sieht es noch dürftiger aus. Das Land soll bei dem Deal 30 Millionen Dollar pro Jahr erhalten (was nur wenig mehr ist als bisher), plus einmalig 17 Millionen für den Bau eines neuen Gefängnisses.

Das wird auch nötig sein, da zurzeit die Gerichtsverfahren gegen 30 Asylsuchende laufen, denen lebenslange Haftstrafen wegen der Brandstiftung im La­ger drohen.

Auf jeden Fall profitieren wird der multinationale Konzern Transfield, der 175 Millionen Dollar pro Jahr für den ‚Betrieb‘ der Lager erhält. Die minimale medizinische Versorgung wird von der Firma International Health and Medical Services (IHMS) geleistet, die dafür 22 Millionen pro Jahr einstreicht. Aber auch einige Nicht-Regierungs-Organisationen stehen nicht schlecht da. Die australische Heilsarmee hat den Vertrag, die Lager zu betreuen – für 75 Millionen Dollar jährlich.

Und die schweizerische International Organisation for Migration (IOM) betrieb während der Zeit des ‚großen Hungerstreiks‘ das Lager auf Nauru für eine unbekannte Summe.

 

Zahlenspiele und Abschreckung

Das Lager auf Manus hat zurzeit eine Kapazität von etwa 300 Plätzen und soll im Laufe des nächsten Jahres auf 3000 ausgebaut werden. Das Lager auf Nauru hatte vor dem Brand eine Kapazität von 500. Es ist zu vermuten, dass ein Neubau eine deutlich höhere Kapazität haben wird.

Dem steht die Zahl von 15.000 Menschen gegenüber, die be­reits dieses Jahr von der australischen Küstenwache aufgegriffen wurden. Die Hoffnung der australischen Regierung ist, dass die Anzahl der Flüchtlinge drastisch zurück gehen wird, wenn sich erst mal herumgesprochen hat, dass es keinen Zugang zu Australien mehr gibt. Wenn nicht, wird auch diese Maßnahme nicht die letzte sein. Wenn die Lager erst einmal voll sind, wird bald die Forderung nach ‚effektiveren‘ Ab­schreckungsmaßnahmen laut werden.

Und das wird passieren, denn in den ersten Wochen seit der Bekanntgabe des Abkommens mit Papua-Neuguinea sind be­reits 1300 neue Flüchtlinge auf den Weihnachtsinseln angekommen. 40 von ihnen wurden schon nach Manus gebracht.

Die Abschreckungslogik basiert auf der Annahme, dass flüchtende Menschen bewusst eine Reise nach Australien buchen und Kenntnis über die Asylgesetze dort haben.

Die Erfahrung zeigt, dass das nicht so ist. Viele, die von der australischen Küstenwache aufgegriffen werden, berichten, dass sie erst an Bord erfahren haben, wohin die Reise geht. Diesen Menschen die Einreise nach Australien zu verweigern, und sie stattdessen nach Papua-Neuguinea oder Nauru zu schicken, wird nichts ändern. Die Menschen werden nicht aufhören ins Ungewisse zu fliehen, nur weil das Ungewisse jetzt ein anderes ist.

Die Abkommen mit Manus und Nauru sind keine Lösungen – nicht für die Menschen dort, nicht für die Flüchtenden und noch nicht einmal für Austra­liens Regierung. Denn die Boote werden erst dann aufhören zu kommen, wenn Krieg und Elend in den Ursprungsländern aufhören.

 

No one is illegal, Wellington

 

Links:

Blog der Gefangenen auf Nauru: naururefugees .wordpress.com

Blog der Hazara-Flüchtlinge: hazaraasylumsee kers.wordpress.com

Website der australischen Refugee Action Coa­lition: www.refugeeaction.org.au

Australischer TV-Bericht über Manus vom 23.07.2013: www.sbs.com.au/dateline/story/about/id/601700/n/manus-whistleblower (Suchbegriff „Manus whistleblower“)

Australischer TV-Bericht über Flüchtlingslager vom 29.4.2013: www.abc.net.au/4corners (Suchbegriff „No Advantage“)

 

Artikel aus Graswurzelrevolution Nr. 381, September 2013, www.graswurzel.net