„Der Vorfall lässt uns sprachlos zurück“

Rassistischer Polizeiüberfall auf vier Klimaaktivisten

Und noch ein angeblicher Einzelfall in der langen Reihe rassistischer Polizeigewalt: Ein brutaler SEK-Einsatz am 27. April 2023 gegen vier westafrikanische Klimaaktivisten schockierte die Schwarze Community in Mannheim. Sie gehörten zu einer Jugenddelegation, die im Rahmen eines offiziell geförderten dreiwöchigen Austauschprojekts vor Ort war. Der Vorfall lässt die Diskussion um polizeilichen Rassismus in der Stadt erneut aufflammen.

 

Für die meisten der acht jungen Männer und Frauen aus Westafrika war es der erste Auslandsaufenthalt: Die Klima-aktivist*innen waren von der Black Academy – Schwarze Akademie Mannheim mit Unterstützung des Goethe-Instituts eingeladen worden, um afrikanische Perspektiven sichtbar zu machen und Bewegungen für Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit international zu vernetzen. Bei offiziellen Empfängen, Workshops und Besuchen bei verschiedenen Organisationen vermittelten die acht Jugendlichen im April drei Wochen lang ihre Erfahrungen und suchten die Diskussion mit hiesigen Aktivist*innen und Projekten.

 

Traumatisierende Gewalterfahrung

 

„Am 27. April haben viele von uns mit großer Vorfreude auf unsere Veranstaltung zur Vorstellung Schwarzer Persönlichkeiten im antirassistischen und antikolonialen Widerstand gewartet. Wir waren sehr begeistert von der Idee, einige afrikanische Held*innen vorzustellen“, berichtete Nicole Amoussou von Black Academy. Doch der morgendliche Überfall durch die Staatsgewalt zwang die Organisator*innen, die Veranstaltung abzusagen und ein anderes Thema in den Mittelpunkt zu stellen: staatlichen Rassismus und vor allem rassistische Polizeigewalt.

Die vier jungen Aktivisten lagen noch im Bett, als ein vermummtes und martialisch bewaffnetes Sondereinsatzkommando (SEK) am 27. April 2023 um 6 Uhr früh ihre Unterkunft im Stadtteil Käfertal stürmte. Ihnen blieb kaum die Zeit, ihre Pässe an sich zu raffen, um sich ausweisen zu können, geschweige denn sich anzuziehen. Die 15 Beamt*innen schleppten sie brutal vor die Haustür und fesselten sie mit Kabelbindern, sodass sie teilweise an den Handgelenken bluteten. Barfuß und nur spärlich bekleidet mussten sie dort stundenlang in der morgendlichen Kälte ausharren, neugierig beäugt von Passant*innen und Anwohner*innen. Obwohl sie gegenüber den Einsatzkräften wiederholt den Grund ihres Aufenthalts nannten und darum baten, ihre Ansprechpartnerin bei der Black Academy, Nicole Amoussou, anrufen zu dürfen, blieb das SEK uneinsichtig. Erst nach zwei Stunden wurden die jungen Westafrikaner freigelassen. Sie sind durch den Einsatz massiv traumatisiert und benötigten psychologische Betreuung.

„Wir wurden in der Öffentlichkeit dehumanisiert und entwürdigt, während wir eingeladen waren, als Aktivisten für Vielfalt und Diversität aufzutreten“, erklärten die Betroffenen. „Wir fordern eine öffentliche Erklärung und Entschuldigung der Polizei“. Diese lässt aber auf sich warten.

 

Verdächtige vegane Lebensmittel

 

Die örtliche Polizeispitze hält weiter an ihrer grotesken Darstellung fest: Sie habe in einem Drogenverfahren ermittelt und einen bewaffneten, gefährlichen Verdächtigen sowie möglicherweise explosive Stoffe in der Wohnung vermutet. Im Zimmer der vier Westafrikaner seien „betäubungsmittel- und sprengstoffverdächtige Gegenstände aufgefunden“ worden.

Schon diese Wortwahl bestätigt das offen rassistische Weltbild: Schwarze Menschen sind pauschal tatverdächtig, klassischerweise Dealer*innen, Waf-
fenhändler*innen oder gar Ter-rorist*innen. Die mutmaßlichen Sprengsätze entpuppten sich als „sehr ungewöhnlich verpackte Lebensmittel“, wie die Polizeivizepräsidentin einräumen musste – die Klimaaktivist*innen hatten die veganen Esswaren aus ihrem Herkunftsland mitgebracht, um sie bei einem Workshop zu nachhaltiger Ernährung bei der Bundesgartenschau in Mannheim zu zeigen.

Auch ansonsten klaffen die Darstellungen der Behörde und der Betroffenen meilenweit auseinander. So beharrt die Polizei weiter auf den Behauptungen, die vier Jugendlichen hätten versucht zu flüchten, was den Gedächtnisprotokollen diametral widerspricht, denn die vier Westafrikaner blieben in der Wohnung, um ihre Pässe zu suchen. Zudem verbreitet die Einsatzleitung weiter die Behauptung, die Wohnung habe einem Verdächtigen gehört, obwohl die Räumlichkeiten bereits seit rund einem Jahr von der Black Academy als Büro angemietet und mangels Alternativen als Übernachtungsmöglichkeit für die vier männlichen Gäste genutzt wurden.

Selbstverständlich dominierte in der Berichterstattung in den örtlichen Medien die polizeiliche Version.

 

Wohlfeile Betroffenheit ohne Konsequenzen

 

Dem Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz war der Vorfall sichtlich unangenehm, denn schließlich gibt sich die Stadt gerne antirassistisch und kolonialismuskritisch. Deshalb beteiligt sie sich auch mit verschiedenen Projekten an der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft, in deren Rahmen auch der von Black Academy organisierte Jugendaustausch stattfand. Noch wenige Tage zuvor hatte Kurz persönlich die acht Delegierten im Rathaus empfangen. Dabei war unter anderem die Frage angesprochen worden, ob Mannheim ein sicherer Aufenthaltsort für People of Colour sei. Diese Frage war den jungen Menschen nun auf drastische Weise beantwortet worden.

Der Oberbürgermeister bemühte sich um Schadensbegrenzung, traf sich umgehend mit den acht Aktivist*innen und entschuldigte sich dafür, dass sie derart schockierende Erlebnisse machen mussten. In einer am 2. Mai 2023 im Innenausschuss des Gemeinderats verlesenen Erklärung erkannte Kurz zwar an, dass die Betroffenen den Vorfall als rassistisch wahrgenommen hatten, äußerte aber keine offene Kritik an der Polizei. Auch der Integrationsbeauftragte der Stadt wollte den strukturellen Rassismus bei den Einsatzkräften nicht klar benennen, sondern forderte stattdessen zum verstärkten Dialog auf, auch zwischen der Polizei und den von solchen Einsätzen Betroffenen – ein Hohn für alle Opfer rassistischer Polizeigewalt.

 

Druck von der Straße

 

Dass es überhaupt breiter diskutiert wird, liegt wohl vor allem an der prominenten Förderung des Austauschprojekts, in dessen Rahmen die Betroffenen ins Land gekommen waren. Dennoch dauerte es mehrere Tage, bis der Einsatz überhaupt in den Medien landete. Für stärkere Wahrnehmung sorgte auch, dass Nicole Amoussou bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt am 2. Mai 2023 ihre Empörung in einem Redebeitrag nochmals öffentlich machte. Anlass der Demo war ein tödlicher Polizeieinsatz am 2. Mai 2022, bei dem ein Mann von Polizeibeamten am Mannheimer Marktplatz misshandelt und erstickt worden war; auch dieser Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

Amoussou zweifelte in ihrer Rede an, dass das SEK genauso vorgegangen wäre, wenn es sich bei den Menschen in der Wohnung um weiße Deutsche gehandelt hätte – das nämlich behaupten die Polizeioberen hartnäckig. Und sie stellte die Frage, wie wohl die Reaktionen gewesen wären, wenn Mannheimer Jugendliche in einem afrikanischen Staat von Spezialeinheiten angegriffen und misshandelt worden wären. Die einfache Antwort kann sich jede*r zusammenreimen: Mit Sicherheit hätte es einen internationalen Proteststurm und massive diplomatische Verwicklungen gegeben; mit halböffentlich geäußertem Bedauern des lokalen Bürgermeisters wäre es wohl kaum getan gewesen.

Auf Nachfrage erklärte die Black Academy: „Wir betrachten den Vorfall als rassistischen Vorfall. Als Entwürdigung und Entmenschlichung von Schwarzen Menschen, was keinen Einzelfall darstellt, sondern sich seit Jahren wiederholt. Dass die Polizei dies abstreitet und klar sagt, dass sie keine rassistischen Strukturen hätte, lässt uns sprachlos zurück.“

Es bleibt zu hoffen, dass die antirassistischen Initiativen und die Gruppen gegen Polizeigewalt diesen SEK-Überfall weiterhin zum Thema machen und dafür sorgen, dass er nicht unter den Teppich gekehrt werden kann.

 

Silke

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 480, Sommer 2023, www.graswurzel.net