Zu Thomas Franks Kritik des Tea-Party-Rechtspopulismus
1. Darstellungsprobleme und unfreiwillige Apologetik in der Tea-Party-Sekundärliteratur
Der Aufstieg der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung im Kontext von Obamas Krisenmanagement und der Umsetzung der im Wahlkampf versprochenen Gesundheitsreform hat zu einer kaum mehr überschaubaren Fülle an Literatur geführt [Zu Gesundheitsreform und Obama-Krisenmanagement vgl. die entsprechenden Kapitel in Solty 2013]. Die große Mehrzahl ist journalistischer Natur und von dem Widerspruch gekennzeichnet zwischen normativer Ablehnung des Tea-Party-Rechtspopulismus und unkritischer Affirmation des Alltagsverstands breiter Bevölkerungsteile, in dem Argumente und soziale Deutungsmuster der Tea Party verankert sind [Als Beispiele seien genannt Bunch 2010, Wolraich 2010 und Zernike 2010 sowie im deutschsprachigen Raum der kenntnisreiche, aber stark historistische Schläger 2012]. Diesen Deutungsmustern ist nicht durch verleumderische Schmähschriften oder moralische Appelle an die ›Anständigen‹ in der ›Mitte‹ beizukommen, sondern nur durch Behebung der ökonomischen Missstände, die zu den legitimen Ohnmachts- und Ungerechtigkeitsgefühlen ihrer Anhänger geführt haben. Darüber darf auch die einstweilige Schwächung des Rechtspopulismus in den US-Wahlen 2012 nicht hinwegtäuschen. Die Fokussierung auf die Entlarvung der Verschwörungstheorien, Lügen und rhetorischen Strategien der rechtspopulistischen Intellektuellen und der Funktionsweise der von ihnen propagierten rassistischen und klassistischen Ressentiments kann angesichts der Tiefe der Krise und des Grades der Prekarisierung der Mittelklassen, die dem Rechtspopulismus Auftrieb verleihen, nur ein Kampf gegen Windmühlen sein. Erst die Erfahrung von Gegenmacht kann der Entsolidarisierung entlang von Klassen- und ethnischen Grenzen Einhalt gebieten und der sozialdarwinistischen Barbarisierung entgegenwirken. Dafür ist es jedoch entscheidend, zu einem klaren Verständnis des Rechtspopulismus und seiner Widersprüche zu gelangen, um in diese politisch mit solidarischen Alternativen intervenieren zu können.
Zu den wenigen Ausnahmen, die sich an einer politisch-soziologischen Erklärung des Rechtspopulismus versuchen, gehört das neue Werk von Thomas Frank. Der brillante Stilist ist nicht nur ein langjähriger Beobachter und angesehener Kritiker der US-Rechten, sondern hat mit seinen Thesen auch mehrere Debatten hervorgerufen.
2. Von der schlichten Kritik zur Theorisierung des Ideologischen und seiner Materialität
Mit Pity the Billionaire (»Arme Milliardäre«) legt Frank ein Buch vor, das der »unerwarteten Rückkehr der Rechten« auf den Grund gehen will. Ihn beschäftigt die Hartnäckigkeit des ›neoliberalen Denkens‹, das der Krise trotzt, und er will das Rätsel lösen, wie es mit der Tea Party zu einem »einzigartigen Phänomen in der Geschichte der sozialen Bewegungen in den USA« (3) kommen konnte: einem »hard-times conservatism« (11), der eine »Massenkonvertierung zum Marktradikalismus« (3) bewirkt und den Republikanern 2010 die anderthalb Jahre zuvor noch für unmöglich gehaltene Rückkehr zur Macht ermöglicht habe. Frank kehrt damit zu seiner Analyse des »Marktpopulismus« (2000) zurück. Der Unterschied sei, dass dieser »fast ausschließlich eine Überzeugung der Reichen« (71) gewesen sei, heute aber über eine Massenbewegung verfüge.
Frank distanziert sich von simplen Erklärungsmustern hinsichtlich der Konstitutionsbedingungen der Tea Party wie der allgemeinen Bestrafung von Regierungen jeglicher Couleur in Krisenzeiten, schlichtem, residual-weißem Rassismus (in Reaktion auf den ersten afroamerikanischen Präsidenten) und ›Internet‹ (8f). Der politisch gefährlichen ›Astroturfing‹-These, der zufolge die Tea Party aufgrund der Finanzierung und medialen Lancierung von oben (FreedomWorks, Americans for Prosperity, Koch Brothers, Fox News Network, Sheldon Adelson, etc.) ein Kunstprodukt und keine Graswurzelbewegung sei, neigt er – aus noch auszuführenden Gründen – im Zweifelsfall zu (50, 60).
Die Entstehung der Tea Party konfrontiert Frank mit einem Widerspruch in einer früheren Arbeit. In What’s the Matter With Kansas? (2005) vertrat er die These, dass die republikanischen Kapitaleliten zum Zwecke der Durchsetzung ihrer marktradikalen Ziele die ›Subalternen‹ durch ›Wertedebatten‹ und ›Kulturkämpfe‹ (Abtreibung, Homo-Ehe, Waffengesetze, Evolutionstheorie, Schulgebete) von der Erkenntnis und Wahrnehmung ihrer eigentlichen materiellen Interessen ablenkten. Dies sei ihnen, so Franks zweite zentrale These, durch die Neoliberalisierung der Demokraten und deren Abkehr vom Linkspopulismus erleichtert worden.
Als sei Frank nicht selbst Urheber dieser vieldiskutierten These, konstatiert er jetzt:
Old ways of thinking about conservatism have proved equally unsatisfactory in the new situation. For years, it was possible to understand the laissez-faire revival of recent decades by noting the various forms of mystification in which the debate was always cloaked – namely the culture wars […]. But the conservative flowering that has taken place since early 2009 is different. For the first time in decades, the Right wants to have the grand economic debate out in the open (9).
Franks Buch ist also als Weiterentwicklung seines eigenen Verständnisses der Rechten zu lesen. Im »Kansas«-Buch fungierten die Wertedebatten noch als Ablenkungsmanöver. Anstatt die rechten Deutungsmuster anhand der historisch-konkreten Erfahrungen ihrer Träger-Subjekte zu rekonstruieren, bemühte Frank implizit die Kategorien ›Verblendung‹ (Ablenkung durch Wertedebatten) und ›Verrat‹ (neoliberale Rechtswende der Demokraten), die immer auftauchen, wenn Ratlosigkeit herrscht. Gerechtfertigt war deshalb auch Richard Sennetts Kritik, Frank sehne sich »wie der pensionierte Gewerkschafter […] nach der Arbeiterklassenpolitik im New York nach der Großen Depression zurück« (2004) und strahle in seinem Unverständnis der subalternen Rechtsorientierung jene linksliberal-urbane Arroganz aus, die die weißen Subalternen in die Arme der Rechten triebe. Franks Ansatz blieb damit Priestertrugstheorien verhaftet und scheiterte an dem Anspruch einer Ideologiekritik, die auf der Grundlage einer an Althusser und Gramsci anschließenden Ideologietheorieoperiert (vgl. Rehmann 2008, 12-18).
3. Priestertrugstheoretische Hilflosigkeit
Franks Hauptproblem in What’s the Matter With Kansas? war epistemologischer Natur. Insofern er auf den Überbau fokussierte und es ihm sowohl an einer Hegemonietheorie als auch einem theoretischen Verständnis dafür mangelte, wie sich ökonomische Zusammenhänge und materielle Erfahrungen in kulturelle Diskurse übersetzen, konnte er sich die Unterstützung der Republikanischen Partei durch Teile der weißen, unorganisierten Arbeiterklasse im Süden und in den angrenzenden (spät-)industrialisierten Staaten des Mittleren Westens – i.d.R. überdeterminiert durch die Zugehörigkeit zu einer evangelikalen Kirche – nicht anders erklären als durch ›falsches Bewusstsein‹. So entging ihm, dass diese politische Loyalität im Kontext der in der Krise des Fordismus entstandenen binnenökonomischen Kapitalverlagerungen zu sehen ist. Der Süden und einige Staaten im Mittleren Westen eigneten sich auf Grund der Profitklemme der Industrieunternehmen in den »RustBelt«- und »Great-Lakes«-Staaten als Zielorte räumlicher Kapitalverlagerungen und damit als Antwort auf die im Fordismus gewachsene Arbeitermacht und sinkende Profitraten – was David Harvey als »spatial fix« bezeichnet hat (1999, 413-45). Als gewerkschaftsfeindliche »Right-to-Work«-Staaten profitierten diese von der Proletarisierung Hunderttausender weißer Kleinbauern in den 1950er und 1960er Jahren, die in den in diese Staaten verlagerten oder von transnationalem Kapital neu errichteten Industriebetrieben ohne Gewerkschaftsvertretung und ohne die Vorzüge des fordistischen Klassenkompromisses Lohnarbeit fanden. Faktisch dienten sie als innere Peripherie dazu, diesen Klassenkompromiss in den Neuengland- und den nördlichen Staaten des Mittleren Westens zu untergraben. Heute befindet sich die Mehrzahl der Bundesstaaten mit der niedrigsten Gewerkschaftsdichte in den Südstaaten, obschon etwa ein Drittel der gesamten US-Industrieproduktion mittlerweile hier ihren Standort hat. Die dem Rechtspopulismus zugeneigte, unorganisierte weiße Arbeiterklasse in den Südstaaten versteht man am besten, wenn man sich vor Augen führt, dass sie im Grunde zu keinem Zeitpunkt Teil eines historischen Klassenkompromisses gewesen ist, weder des fordistischen mitsamt den korporatistisch aufgewerteten Gewerkschaften noch des neoliberalen. Insofern aber sich die Neuen Sozialen Bewegungen in Gestalt von Antidiskriminierungsgesetzen (Frauenförderung,Affirmative Action, etc.) Teil des historischen Blocks im Neoliberalismus geworden sind, bezieht sich die Wut dieser Klientel auf die eigene ökonomische Benachteiligung und die sozialliberale Außerkraftsetzung des marktradikalen »Jeder-ist-seines-eigenen-Glückes-Schmied«-Prinzips. Denn, wie Joe Bageant schreibt, der den proletarischen Südstaaten-Autoritarismus wie kaum ein anderer verstanden hat, weil er selber aus diesem Milieu stammt: als armer Weißer konnte man in den 1950er und frühen 1960er Jahren wenigstens noch stolz darauf sein, »nicht schwarz zu sein« (127f). Die Wut entsteht daraus, dass diese von Hollywood bis Washington aufgewerteten sozialen Gruppen (Frauen, Schwarze, Homosexuelle, Behinderte etc.) jetzt an diesen Weißen vorbeiziehen, während sie selbst als kulturell rückständig und zugleich privilegiert gescholten und institutionell diskriminiert werden. Der weiße proletarische Rechtspopulismus und die Sehnsucht nach dem ›Goldenen Zeitalter‹ indirekt bezogener fordistischer Löhne plus traditioneller Rasse- und Geschlechterbeziehungen ist somit auch als kulturelle Reaktion auf diese Erfahrungen und die im Zuge des Neoliberalismus wachsende soziale Unsicherheit zu verstehen.
Franks Schwierigkeiten, dieses Problem zu erkennen, beruhte nicht nur darauf, dass er in seinem Kansas-Buch nicht kapitalismustheoretisch und klassenanalytisch vorging, sondern auch auf einem klassischen »ökologischen Fehlschluss«: Aus statistischen Aggregatdaten über das (republikanische) Wahlverhalten der im Durchschnitt ärmeren Bundesstaaten und ärmstenWahlkreise wie dem Lincoln County in Kansas schlussfolgerte er, dass die marktradikalen Republikaner die Partei der Armen seien, die damit gegen ihre eigenen Interessen votierten (und entsprechend nur ›verblendet‹ sein könnten). Dies ist jedoch insofern empirisch falsch, als die Demokraten sowohl in den Wahlen 2000 und 2004 als auch 2008 und 2012 bei den Einkommensschwachen und Lohnabhängigen die Nase vorne hatten (vgl. Solty 2012) und die wiedergeboren-christliche, weiße, unorganisierte Arbeiterklasse in den Südstaaten und Teilen des Mittleren Westens nur einen Teil derpolitischsoziologischen Basis der Republikaner ausmacht (vgl. Gelman 2008).
4. Franks Beitrag zu einer Ideologietheorie des Tea-Party-Rechtspopulismus
In Pity the Billionaire bemüht sich Frank um eine stärkere Verknüpfung der Tea-Party-Ideologie mit ihren gesellschaftlichen Akteuren. Schwebte die ›wertkonservative‹ Ideologie im Kansas-Buch oft im luftleeren Raum, widmet sich Frank jetzt stärker der Frage, welche konkreten materiellen Erfahrungen die rechten sozialen Deutungsmuster ihren Anhängern plausibel erscheinen lassen. Das macht seine Analyse für eine genuine materialistische Ideologietheorie gehaltvoll.
Angesichts der bürgerlich-liberalen Verleumdungspraxis fordert auch Frank, die Tea Party ernst zu nehmen und nicht im Blick auf ihre paranoiden Ränder als »Know-Nothings«, »lunatic fringe«, »wingnuts« u.Ä. abzutun (11). In den Kapiteln, in denen Frank soziologisch und klassenanalytisch vorgeht und die durch zahlreiche Umfragen bestätigte, (alt-)kleinbürgerliche Klassenbasis der Tea-Party-Sympathisanten und Aktivisten herausarbeitet, kommt er zu einer materialistisch fundierten Erklärung der Plausibilität des Marktradikalismus für die (Schein-)Selbständigen und Kleineigentümer (75-112). Besonders erhellend ist die Analyse der sozialen Zusammensetzung der neuen Tea-Party-Abgeordneten im Kongress. So machte sich Frank die Mühe, die von der National Federation of Independent Business(NFIB), dem wichtigsten Interessenverband der Kleinunternehmer, unterstützten, siegreichen Kandidaten zu zählen und gelangt zu dem Ergebnis, dass »74 % der neuen Republikaner im Kongress […]Verbündete des Kleineigentums« sind (93).
The embodiment of [the] populist spirit is the small-business person. Unlike the bureaucrat or the college professor […] the small business person is a purely Market-made creature, an individual who gets by on his initiative alone, an entrepreneur who works hard, who reaps what he sows, who receives no assistance from government, who even accepts failure uncomplainingly if that’s the way the Market wants it (92).
Dabei streicht er im impliziten Bezug auf die These über den Zusammenhang zwischen realem oder befürchtetem Statusverlust und Rechtsradikalismus von Richard Hofstadter (1965) sowie den »Extremismus der Mitte« (Lipset 1976), den bis heute gängigsten Rechtsradikalismuserklärungen in den USA, heraus, dass die soziale Lage der Tea-Party-Anhänger zwar prekär ist, aber nicht von Exklusion, sondern häufig von einem »downturn in their business« (92) gekennzeichnet ist. Dabei liege der Zielpunkt der rechtspopulistischen Utopie nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit: »The movement’s reverence for an imaginary past, for ›taking our country back‹, is merely a displaced longing for the distant days when small-business people were men of preeminence in their community« (98f). Der Fokus auf der Wiedergeburt des Landes gegen die ›verkommenen‹ und ›korrupten Eliten‹, der von Roger Griffin (1993, 32-39) als zentrales Merkmal generisch-faschistischer Bewegungen bezeichnet worden ist, bedient sich weit in die Vergangenheit zurückreichender Gesellschaftsordnungen. Mit Bezug auf C. Wright Mills berühmte Studie über die Angestelltenklasse (2002) verweist Frank darauf, dass die Tea-Party-Sehnsucht letzten Endes auf die Wiederherstellung eines Konkurrenzkapitalismus unabhängiger, kleiner Warenproduzenten zielt, in der die persönliche Freiheit im Besitz der Produktionsmittel verkörpert ist und die ›freie Konkurrenz‹ weder durch staatliche Rettungspakete für die Großen noch durch Gewerkschaften für die Kleinen gestört wird. Diese reaktionäre Marktzivilisation muss freilich utopisch bleiben, weil Konzentration und Zentralisation des Kapitals sich nicht zurückdrehen lassen.
Franks Ausführungen ist hinzuzufügen, dass die politische Romantik der Tea Party sich nicht ohne den Gründungsmythos der USA denken lässt, dessen Wurzeln selbst wieder in den spezifischen Konstitutionsbedingungen des US-Kapitalismus zu suchen sind. Der US-amerikanische Exzeptionalismus (»City-on-the-Hill«,»New Canaan«, »Manifest Destiny«) und der von Tocqueville bis Frederick Jackson Turner konzipierte radikal-individualistische Nationalmythos speisten sich stets aus dem besonderen Weg der USA in den Kapitalismus als ständig landnehmendem Siedlerkolonialismus mit parallel existierenden vorkapitalistischen und kapitalistischen Produktionsweisen, die in zunehmendem, im Amerikanischen Bürgerkrieg gipfelnden Antagonismus zueinander standen (Panitch/Gindin 2012, 25-44). Die »Neue Welt« stand schließlich für jeden in Westeuropa und Ostelbien gelegten Bauern für die Hoffnung, die überholte Lebensweise des kleinen agrarischen Warenproduzenten hier wiederbeleben zu können, wenigstens solange, bis 1890 die »Open Frontier« geschlossen wurde. Die Entdeckung des Mittelklassencharakters der Tea Party ist sicherlich nicht Franks alleiniges Verdienst und andernorts systematischer untersucht worden (vgl. Skocpol/Williamson 2012). Sein originärer Beitrag besteht in der Identifizierung der subjektiv verschiedenen Wirkungsweisen kapitalistischer Regulationsformen für das kleine und große Bürgertum. Hierleistet er – für die Zwecke einer Ideologietheorie des Rechtspopulismus –Entscheidendes.
One reason the bogeyman of the Invasive Regulator can still mobilize the troops […] is that small businesses actually experience the regulatory presence, such as it is, far more acutely than do their big-business colleagues. When we talk about […]›neoliberalism‹, we are referring to the gradual rollback of certain banking rules, the rise of a certain school of economic thought, and the privatizing of certain government functions. These are important developments […], but to a struggling small-business owner they might seem completely irrelevant. It’s hard to convince a man sweating over a fifty-page income-tax return that the state has gone away or that markets are now in charge (101).
Dabei verweist Frank auch auf die unmittelbare Interessenlage der Opposition gegen Obamas Gesundheitsreform, d.h. die Sorge der mittelständischen Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten, durch die gesetzliche Einführung der Krankenversicherungspflicht »einen ihrer größten Wettbewerbsvorteile […]zu verlieren« (101f). Er identifiziert so den zentralen Widerspruch innerhalb der Tea Party, der in ihrer Klassenheterogenität besteht. Dabei suggeriert er, dass der Rechtspopulismus von den Kapital-Eliten durchaus bewusst gefördert wird, um die Mittelklasse-Wut über die Krise qua Mobilisierung existierender Vorurteile auf die unteren Schichten abzulenken (102f). Tatsächlich traf die Kreditklemme von 2008/09 insbesondere die kleinen Unternehmen, während die großen mittlerweile auf einem riesigen Geldreservoir sitzen, das angesichts der kapitalistischen Überakkumulationstendenzen nicht zurück in den Akkumulationskreislauf fließt. Zudem war auch dieser Sektor besonders hart von krisenbedingt »unfreiwilliger Kurzarbeit« betroffen (Hipple 2010). Dass unter diesen Bedingungen Obamas Gesundheitsreform ernsthafte Insolvenzsorgen hervorgerufen hat, belegen auch die Statistiken. Laut CNBC waren die wahlentscheidenden Aspekte 2012 bei den Klein- und mittelständischen Unternehmern die Gesundheitspolitik (21 %), die Steuergesetzgebung (20 %) und staatliche Regulierung (16 %).
Franks Ausführungen lassen sich als Beitrag zu einem klassischen Problem der Arbeiterbewegung lesen, das sich an die Agrarfrage knüpfte. In dem Maße, wie der Arbeiterbewegung in den 1880er/90er Jahren bewusst wurde, dass der Kapitalismus die Gesellschaft eben nicht bloß in Bourgeoisie und Proletariat spaltete, wie es Marx und Engels noch im Kommunistischen Manifest angenommen hatten, sondern trotz der konkurrenzgetriebenen Konzentration und Monopolisierung des Kapitals das kleine Eigentum tendenziell überlebte bzw. immer wieder neu entstand, stellte sich eine strategische Frage: wie verhalten sich die »Zwischenklassen« politisch? Kommen sie als Bündnispartner der Arbeiterbewegung infrage und, wenn ja, unter welchen Bedingungen?
Die Agrarfragendebatte mündete in der historischen Sozialdemokratie nicht nur in den bernsteinschen Revisionismus (vgl. Lehmann 1970), sondern führte auch zu einer Verkennung der präfaschistischen Tendenz der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reaktionär gewendeten Zwischenklassen, namentlich des alten Kleinbürgertums (Puhle 1972 u. 1975). An die Stelle der früheren freien Bauern, Handwerker und Intellektuellen als »Zwischenklassen« traten im Zuge der zunehmenden Spezialisierung und wachsenden Komplexität der Wirtschaftsabläufe zunächst die Facharbeiter (»Arbeiteraristokratie«) und später die untere und mittlere Managerklasse, die als Lohnabhängige zugleich Kontrolle über andere Lohnabhängige ausüben. In den 1940er Jahren wurde dieses neue Kleinbürgertum im Zusammenhang des wachsenden öffentlichen Sektors durch die administrativen Staatsbeamten erweitert. Im Neoliberalismus treten dazu die neuen prekären und (Schein-)Selbständigen (selbständige Mietfahrer im Transportsektor, Projektarbeiter, Werkvertragsarbeiter und andere Freiberufler). Franks Analyse ist für die Frage relevant: Wie verhalten sich diese stark individualisierten, konkurrenz- und leistungsfixierten, kulturell meist an der Bourgeoisie orientierten sozialen Gruppen insbesondere unter Bedingungen drohenden Statusverlusts?
5. Erklärungsnotstand und Rückfall in die Priestertrugstheorie
Mit seiner einseitigen Fokussierung auf das alte Kleinbürgertum handelt sich Frank die erste große Schwachstelle ein. Diese ist nicht bloß ideologie- und hegemonietheoretischer, sondern schlicht empirischer Natur.
In den ersten anderthalb Jahren der Tea Party bekundete etwa ein Drittel aller Amerikaner Sympathien. Bei den Zwischenwahlen gaben sich sogar vier von zehn Wählern als Anhänger zu erkennen (vgl. Solty 2010). Selbst bei Anwendung eines nichtmarxistischen Begriffs vom Kleinbürgertum, der dieses als die ›Selbständigen‹ definiert, stehen diese Zahlen in schroffem Kontrast zur Tatsache, dass deren Bevölkerungsanteil bei weitem geringer ist. Laut Current Population Surveysank er von 9,6 % im Jahre 1967 kontinuierlich auf 7,0 % im Jahre 2009, eine Tatsache, die nicht zuletzt mit der zunehmenden Proletarisierung vieler Familienhofbesitzer zusammenhängt. Aufgefangen wurde dieser im Zuge des von Frank angesprochenen Outsourcings und des Anstiegs (schein-)selbständiger Tätigkeiten nicht zuletzt im krisengebeutelten Baugewerbe und in der Logistik. Aus diesem Grund blieb der Anteil der Selbständigen zwischen 1990 und 2010 bei knapp über 10 % stabil. Das typische Profil des Selbständigen trifft nicht zufällig auf das typische Profil der Tea Party zu: alt, weiß und männlich. Zehn sind jedoch nicht 40 %; einem Selbständigen stehen neun im weitesten Sinne Lohnabhängige gegenüber. Es stellt sich also die Frage: Selbst wenn alle Selbständigen sich mit der Tea Party identifizierten, aus welchen gesellschaftlichen Klassen müssten dann die übrigen 30 % stammen, und wie ließen sich ihre Sympathien ideologietheoretisch erklären? Wie lassen sich die sozialen Deutungsmuster einer relativ kleinen Minderheit hegemonial so verallgemeinern, dass sie Wahlen für sich entscheiden können?
Nicht genug damit. Frank bezieht die Tea Party im engeren Sinne auf das alte Kleinbürgertum bzw. sogar ausschließlich auf die – zumeist als vom transnationalen Kapital abhängige Zulieferer produzierenden – mittelständischen Unternehmen. Der Anteil der Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten an allen 5,7 Mio. Lohnabhängige beschäftigenden Unternehmen lag 2009 jedoch bei lediglich 3,8 %. Das entspricht gut 200 000 Unternehmen, von denen wiederum der größere Teil unter dem Limit von 50 Beschäftigten rangiert, ab dem die neue Versicherungspflicht gilt. Kurzum, die Zahl der als Kleineigentümer von Obamas Gesundheitsreform unmittelbar Betroffenen, denen die von Frank rekonstruierte Perspektive nachgesagt werden kann, ist verschwindend gering. Sie dürfte bei mehr als 200 Mio. Wahlberechtigten kaum mehr als ein paar Zehntausend betreffen. Eine Revolte der mittelständischen Unternehmer allein hätte als Zwergenaufstand enden müssen. Die Attraktivität der Tea-Party-Ideologie geht weit über die Mittelständler und das alte Kleinbürgertum hinaus und erfasst neben dem neuen auch Teile der Arbeiterklasse im engeren Sinne. Zu untersuchen wäre die Tea-Party-Ideologie z.B. im Hinblick auf jenen Bevölkerungsteil, der Überwachungsfunktionen des Kapitals ausübt, durch Aktienoptionen ein objektives Interesse am Unternehmenserfolg entwickelt und schließlich über Immobilienbesitz oder kapitalgedeckte Renten – die »401ks« – in die neoliberale Finanzialisierung verstrickt ist. Denn seine Mitglieder tragen alle mit ihren Handlungsweisen zur Reproduktion des neoliberalen Kapitalismus bei. Ausgehend von seinen Erkenntnissen über die Plausibilität des Marktradikalismus im alten Kleinbürgertum und die Wahrnehmungsdivergenzen zwischen ihm und der transnationalisierten kapitalistischen Klasse könnte Frank seine Untersuchungen auf hegemonietheoretische Fragen ausweiten und die Divergenzen auf politische Interventionspotenziale für die Linke untersuchen. Diese gelten für die altkleinbürgerliche Minderheit zwar allenfalls punktuell, aber mit Sicherheit für Arbeiterklasse und neues Kleinbürgertum.
Frank mangelt es an einer Theorie des Faschismus, Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus. Die aufgeschütteten Gräben zwischen Bourgeoisie und (Alt-)Kleinbürgertum schüttet Frank gleich im nächsten Schritt wieder zu und fällt in die »Verblendungszusammenhang«-Rhetorik zurück. Da er aus gutgemeintem Antifaschismus die radikale Rechte letztlich doch als bloße Erfüllungsgehilfin der verhassten Kapital-Eliten entlarven will, greift er auf die »Astroturfing«-These zurück. Entgegen seinem Anspruch nimmt er die Tea Party nicht ernst und übergeht ihre Eigenständigkeit und ihr Getrenntsein vom historischen Block im Neoliberalismus. Er sieht nicht, dass die Tea Party zwar – analog zum Verhältnis von Fritz Thyssen und anderen Großkapitalisten zur NSDAP– von einzelnen Vertretern der Bourgeoisie als antigewerkschaftliches Rollkommando und Anti-Umweltauflagen Putztruppe finanziert wird, der Großteil der ökonomisch und politisch Herrschenden der Tea Party jedoch schon aufgrund ihres plebejischen und vulgären Charakters mit Skepsis begegnet. Dies gilt insbesondere für den reformorientierten Teil der transnationalisierten Bourgeoisie und seine organischen Intellektuellen. Diese wissen, dass der Kapitalismus in den USA auf neue stabile Akkumulations- und hegemoniale Grundlagen zu stellen ist und bekämpft die Tea Party, weil sie einer Reform des Kapitalismus im Weg steht.
Frank ignoriert, dass die radikale Rechte spätestens mit Mussolinis »Marsch auf Rom« von feudal-gegenrevolutionären Entscheidungsschlachtkonzepten à la Donoso Cortés oder Joseph de Maistre gegen die Demokratie und die Arbeiterbewegung abließ und sich stattdessen faschistischen, nationalen Mythos-Konzeptionen und der Mobilisierung der Massen zur »Revolution von rechts« zuwendete. In den USA hatten feudal-reaktionäre Konzepte ohnehin nie eine Erfolgsaussicht, da die US-Eliten 1776 nach dem demokratischen Moment im Unabhängigkeitskrieg begriffen, dass die Einschränkung der Demokratie nicht auf dem Wege des autoritären Staates erfolgen könne, sondern die Vermeidung permanenter demokratischer Revolutionsversuche nur durch die Gewährung des allgemeinen Wahlrechtes (auch für Eigentumslose, allerdings nicht für Frauen oder Sklaven) bei gleichzeitiger Dislokation der Entscheidungsbefugnisse zu erreichen sei (vgl. Bouton 2007). Der rechtsrevolutionäre Gestus der Tea-Party-Bewegung erscheint bei Frank jedoch nicht nur fälschlicherweise als neu, sondern gerät bei ihm zum lediglich instrumentell eingesetzten Schein der (Kapital-)Eliten: »During times of economic collapse, no one loves a defender of orthodoxy or a self-appointed spokesman for society’s rightful rulers« (112). Damit übergeht Frank, wie ernst es der radikalen Rechten mit der ›Revolution‹ wirklich ist, die sich in einem Defensivkampf gegen zwei übermächtige Gegner – die Arbeiterbewegung von unten und das Großkapital von oben – sieht. Sie erlebt sich als so ohnmächtig, dass die militante Belagerungszustand Rhetorik – von Jared Lee Loughner bis Breivik – in die phantasierte und ausgelebte Gewalt umschlagen kann.
Da Frank die Tea Party letzten Endes den Herrschenden zuschlagen will, kann er sich nur darüber belustigen, dass die Tea Party sich verfolgt wähnt (119ff; vgl. auch Frank 2005, 5f u. 157ff). Das ist unredlich, da ihr zugestanden werden muss, dass sie von den herrschenden (und auch Teilen der linken) Medien oft genauso verunglimpft wird wie die radikale Linke, und dabei auch von den repressiven Staatsapparaten zunehmend ins Visier genommen wird, weil sich der liberale Flügel der herrschenden Klasse durchaus über das Gefahrenpotenzial der Tea Party nicht zuletzt im Hinblick auf die technokratische Steuerbarkeit des us-politischen Systems bewusst ist.
Bezeichnend ist Franks Beobachtung im herablassend betitelten Unterkapitel »The Political Economy of Self-Pity«, dass die erste von ihm besuchte Tea-Party Demonstration »largely devoid of self-pity« gewesen sei. Ein Jahr später aber hätten die Tea Party-Leute »protested not only to advertise their views on a given issue but out of resentment at the insults heaped upon protesters« (123). Warum fällt es Frank so schwer, zuzugestehen, dass die häufig einem naiven Antifaschismus entspringende, verleumderische Praxis in den längst nicht mehr hegemonialen bürgerlichen Medien zu Solidarisierungseffekten führt? Das Problem ist schließlich, dass sich die Tea Party in der Tat als Sprecherin einer ›schweigenden Mehrheit‹ begreifen kann, diese ›schweigende Mehrheit‹ aber zugleich jene ist, die um autoritäre Projekte zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung gegen linke Occupy-Demonstranten, ›illegale Einwanderer‹, streikende Lehrer und parlamentsflüchtige Demokraten in Wisconsin herumgruppiert werden kann. Das Ziel einer kritischen Auseinandersetzung mit der Tea Party müsste sein, den Faschismus aus der gesellschaftlichen Mitte zu entlarven, anstatt auf Ausgrenzungsdiskurse zu setzen. Diese sind zum Scheitern verurteilt, weil die Hegemonie der herrschenden Klasse erodiert, während die Vorurteile der Tea Party lediglich Radikalisierungen von breit in der Gesellschaft verankerten Wahrnehmungen und Normen sind. Die Gefahr der Tea Party und ihr verwandter Bewegungen geht schließlich nicht von ihrer Unnormalität aus, sondern gerade von ihrer Normalität und der Banalität des Bösen.
Die zentrale Schwäche im Kansas-Buch war die künstliche Trennung zwischen vermeintlich immateriellen Werte- und materiellen ökonomischen Diskursen. Damit brachte sich Frank um ein Verständnis für die Materialität der christlich-rechten Ideologie. Den Zusammenhang zwischen dem Armutsrisiko Singlehaushalt, der institutionellen Bedeutung der (Mega-)Kirchen als Sozialkapital (im Hinblick auf Beschäftigungsmöglichkeiten und -Netzwerke) und Institution sozialer Unterstützung (Kinderbetreuungs- und kostenlose psychologische Therapieangebote, etc.) übersah er ebenso wie die ideologische Festigung der Ehe und anderer starrer Familienwerte als Selbstschutzreaktion auf die psychischen Belastungen der Ehe im Kontext feminisierter Arbeitsmärkte, der Zunahme flexibilisierter und prekärer Beschäftigungsverhältnisse und des Anstiegs der durchschnittlichen Wochen- und Jahresarbeitszeit zwischen den 1970er und 2000er Jahren (vgl. Solty 2008). In Pity the Billionaire rächt sich dieses Defizit, indem er etwa die Tatsache ausblendet, dass die Tea Party sich kaum merklich von der Christlichen Rechten unterscheidet. Tatsächlich artikuliert sich in ihr lediglich der Widerspruch zwischen kulturell liberalem, marktradikalem Großbürgertum und den autoritären, christlich-rechten, prekarisierten Mittelklassen unter den Bedingungen der globalen Krise. Da Frank sich offensichtlich in den ›materiellen‹ Diskursen wohler fühlt, übernimmt er unbewusst die Selbstsicht der parteinahen, großbürgerlichen Tea-Party-Eliten, die die Bewegung auf die ›ökonomischen‹ Themen einschwören, weil sie eine Spaltung der Bewegung befürchten, sollten sich die Autoritären mit den klassischen Themen der Christlichen Rechten noch stärker Gehör verschaffen. Da er die Einheit der ›ökonomischen‹ und ›kulturellen‹ Debatten nicht begreift, kann er auch kein Verständnis der klassenübergreifenden hegemonialen Anziehungskraft des Rechtspopulismus entwickeln.
6. Politisch-praktische Konsequenzen der theoretischen Defizite
Die transnationalisierte kapitalistische Klasse ist für die Durchsetzung und das imperiale Management ihres Projektes bis auf weiteres auf die Apparate des Nationalstaats angewiesen, auf dessen Terrain Hegemonie organisiert wird. Sie selbst ist jedoch eine kleine gesellschaftliche Minderheit und bedarf für ihre Herrschaft einer Massenbasis. Insofern sich diese besonders aus den Mittelklassen rekrutiert, strebt sie die Konstruktion eines Mitte-Oben-Projektes an. Diese Allianz ist jedoch brüchig, denn das Projekt eines globalen Kapitalismus ist selbst die Ursache für die Wut der Rechtspopulisten. Schließlich bedrängt der globalisierte Kapitalismus nicht nur das international nicht konkurrenzfähige Binnenkapital und die dem transnationalisierten Kapital untergeordneten mittelständischen Zuliefererbetriebe, die Frank als den sozioökonomischen und ideologischen Bodensatz des Rechtspopulismus ausmacht, sondern auch die von Outsourcing und Offshoring betroffenen Mittelklasse-Lohnabhängigen. Damit wird die Hegemoniefähigkeit des Mitte Oben-Projekte tendenziell untergraben. Der Rechtspopulismus verfügt über eine relative ideelle und politische Eigenständigkeit. Er würde sich auch nicht in Opposition zu den Eliten begeben und müsste von ihnen nicht bekämpft werden, wenn deren pragmatischer Neoliberalismus identisch wäre mit dem autoritär und sozialdarwinistisch radikalisierten Neoliberalismus der Massen. Die Vorbehalte des Blocks an der Macht gegenüber der Tea Party haben viele Ursachen. Zum Teil mögen sie einem ehrlichen liberalen oder konservativen Antifaschismus geschuldet sein oder der schlichten Angst vor einer Weimarisierung der USA(mit in Keimformen schon vorhandenen, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen der Tea Party einerseits und den (Öffentlicher-Sektor-) Gewerkschaften und Occupy andererseits). Der Hauptgrund ist jedoch ein anderer. Der Kampf der Rechtspopulisten ist ökonomisch, politisch und kulturell defensiv ausgerichtet. Gerade dieser Umstand macht die radikale Rechte so gefährlich, da die ›goldene Vergangenheit‹ und die ›klassenübergreifende Harmonie‹ sich nie verwirklichen lassen und jeder Versuch in diese Richtung nur barbarisch enden kann. Die ökonomisch subalterne Mittelklasse-Position und politisch reaktionäre Haltung des Rechtspopulismus bildet den Hintergrund für seine Projektlosigkeit. Sie ist auch die Ursache für seine intellektuelle Schwäche und Widersprüchlichkeit: So ist Ron Paul ein vehementer Befürworter des Freihandels, aber zugleich ein ebenso vehementer Gegner der ihn erst ermöglichenden US-Imperialpolitik, während Michael Savage einer der rabiatesten Imperialisten ist, aber zugleich starke protektionistische Züge aufweist. Das Friktionspotenzial des Rechtspopulismus ist enorm. Sollten sich die protektionistischen und antiimperialen Tendenzen durchsetzen, würden sie dem Projekt globaler Kapitalismus und American Empire erheblichen Schaden zufügen. Wie die Beispiele des mangelhaften Konjunkturprogramms oder der Auseinandersetzung um die Erhöhung der Schuldenobergrenze des US-Staates zeigen, gefährdet der ideologische Marktradikalismus schon jetzt die pragmatisch-staatsinterventionistische Politik zur Rekonstruktion des neoliberalen Kapitalismus.
Indem Frank die Unterschiede zwischen Oben und Mitte verwischt, bringt er sich um die Chance, die von ihm zuvor identifizierten zweierlei Neoliberalismen als Interventions-Chance für die Linke zu begreifen. Für die von Frank ins Zentrum gerückten, mittelständischen Unternehmen gilt, dass sich gegenhegemoniale Bündnispolitiken wie taktische Allianzen grundsätzlich ausschließen. Für das alte Kleinbürgertum, das nicht selbst Lohnabhängige beschäftigt und ausbeutet, gilt das jedoch nicht unbedingt. Ebenso wenig gilt es für das neue Kleinbürgertum oder für denjenigen Teil der weißen Arbeiterklasse, der sich aus ähnlichen gesellschaftlichen Ohnmachtsgefühlen und einem Mangel an linken Alternativen zu Entsolidarisierung und Ressentiment hingezogen fühlt. Hier sind die ideologischen Prozesse als relativ kontingent anzusehen und politisch auch so zu behandeln. Dabei wäre es für die Linke zentral, auf die hegemoniale Schwäche der transnationalisierten Bourgeoisie hinzuweisen. Während die großbürgerlichen Financiers der Tea Party, die die Bewegung auf den Marktradikalismus einschwören, sich eine »innere Landnahme« in Form einer durch die Krise erleichterten Privatisierung der Renten- und Krankenversicherung erhoffen, lehnt die christlich-rechte Basis bei aller abstrakten anti-etatistischen Rhetorik eine solche »Schockdoktrin USA« im Konkreten ab, weil sie aufgrund ihrer sozialen und demographischen Zusammensetzung von diesen Sicherungssystemen überdurchschnittlich abhängig ist.
Franks Alternativprogramm ist dagegen zwangsläufig schwammig. Immer wieder zieht er sich auf einen deterministischen Idealtypus zurück: Der Statusverlust der Mittelklassen müsse – gemäß dem historischen Vorbild der 1930er Jahre – zu einer linken Radikalisierung führen (17f u. 34). Nicht reflektiert wird, dass die Radikalisierung des Kleinbürgertums in der Krise der 1930er Jahre in den meisten Teilen der Welt trotz einer starken Arbeiterbewegung nicht nach links, sondern nach rechts ging, und es auch in den USA eine relevante faschistische Bewegung gab. Frank reflektiert auch nicht, dass die politische Artikulation der Krise in den 1930er Jahren nur bedingt mit der heutigen Konstellation zu vergleichen ist, weil die wohlfahrtsstaatliche Organisation des Kapitalismus einschließlich des umkämpften öffentlichen Sektors und des Niedergangs des alten und Aufstiegs des neuen Kleinbürgertums erst in Folge von Roosevelts Krisenmanagement und des Umbaus des Kapitalismus zum Fordismus entstanden. Die vergleichende Analyse der politischen Artikulation der Krise müsste nicht nur von der Widersprüchlichkeit und der Kontingenz der Subjektivierung im Neoliberalismus ausgehen, sondern hätte diese Veränderungen in der Klassenzusammensetzung zu berücksichtigen. Hinzu käme neben einer Theorie der Erosion (links-)politischer Massenintegration eine Theorie der mit dem Begriff der Prekarisierung bezeichneten Veränderungen in den Produktionsverhältnissen. Jenseits der einseitigen Fokussierung auf die exkludierten Unterklassen oder die abstiegsbedrohten Mittelklassen hat diese den Rechtspopulismus als einen dynamischen Prozess kommunikativer Röhren zu begreifen, der die entkoppelten und integrierten (Mittelklasse-) Lohnabhängigen, die typisch und atypisch Beschäftigten gleichermaßen erfasst (Dörre 2008; Lühr 2011).
Dazu würde auch ein Verständnis des Autoritarismus als Triebkraft rechtspopulistischer Entsolidarisierung gehören. Diesen beobachtet Frank zwar, wenn er schreibt: »What burns these modern-day populists is that anyone has the arrogance to think that human affairs might be arranged any other way; that government might allow our neighbor to evade his part of the common disaster; that some mortgage remediation scheme or farm bill might let him out of the hard-times punishment that he clearly deserves« (25 u. 54), verfolgt ihn als entscheidenden sozialpsychologischen Aspekt des Rechtspopulismus aber nicht systematisch weiter.
Die Folge von Franks gesellschaftstheoretischen Defiziten im Allgemeinen und seines mangelndes Verständnisses der Transnationalisierung der kapitalistischen Sozialverhältnisse im Neoliberalismus im Besonderen ist eine liberal-institutionalistische ›Erklärung‹ der Krise: »In 2008, the country’s financial system suffered an epic breakdown, largely the result […]of the decades-long effort to roll back bank supervision and encourage financial experimentation« (3). Frank spricht von einer »practice of ›desupervision‹« (27). Die Finanzialisierung wird zu keinem Zeitpunkt mit der Entwicklung der High-Tech-Akkumulationsbasis, ihrer Dynamik und Krisentendenzen in den letzten 35 Jahren in Verbindung gebracht. Entsprechend rückt auch die Subsumtion der Arbeit unter das Finanzkapital aus dem Blickfeld. Franks Wut resultiert aus seiner fordistisch-konservativen Grundtendenz. Als populärer Schriftsteller sieht er sich in der Rolle des Linkspopulisten: »If ever a financial order deserved a thirties-style repudiation, this one did« (31). Er greift die Bankenrettung an und bietet sogar Beispiele für die von ihm ignorierte ideologische Umkämpftheit solcher Maßnahmen. Tatsächlich berühren sich in der Kritik der Sozialisierung der Bankschulden Linkspopulismus und der kleinbürgerliche Marktradikalismus eines Glenn Becks oder Ron Pauls, die zwischen dem »freien Markt« und »corporatism« unterscheiden. So könnten viele seiner Sätze auch aus Tea-Party-Literatur stammen: »Wall Street had gambled with the world’s prosperity; Wall Street had brought about a financial catastrophe; and yet Wall Street was now to get the kind of government help that you and I would never receive« (33). An dieser ideologischen Ambivalenz insbesondere der Mittelklassensubjekte könnte eigentlich eine hegemonietheoretische Analyse ansetzen, die erklärt, wie es der kapitalistischen Klasse gelingen konnte, die Wut nach unten abzulenken und im Bewusstsein der Bevölkerung aus einer Banken- eine Staatsschuldenkrise zu machen.
Aus seiner defizitären Krisenanalyse resultiert, dass Frank auch politischals Tiger springt und als Bettvorleger landet. In völligem Kontrast zur Vehemenz seiner Polemik gegen die Bankenrettung macht er sich (links-)liberale (Markt-)Ansätze zu eigen: statt der Verstaatlichung der ›systemrelevanten‹ Banken nach dem Prinzip »too big to fail: too big to be private« ahmt er die romantische Rückwärtsgewandtheit der Tea Party auf seine Weise nach und schlägt ihre – angesichts des kapitalistischen Konkurrenzgesetzes – notwendig utopische Zerschlagung vor (33). Pikanterweise mokiert Frank sich anschließend über die in der Krise beschleunigte Konzentration im Finanzsektor, die teilweise sogar mit Geldern aus dem Rettungsfond TARP erfolgte. Auch hier bleibt er Moralist und nähert sich der problematischen Trennung von ›Realökonomie‹ und ›Finanzwirtschaft‹ an, die auch für die »producerist ideology« (Berlet/Lyons 2000) der radikalen Rechten zentral ist.
So steht der 1965 geborene Frank symptomatisch für die »Absenkung unserer Erwartungen« (Sam Gindin, in: Lilley 2010) in einer Linken, die in der größten Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren keinen kühneren Traum hat, als dass bürgerliche Reformeliten die Gesellschaft durch ›strikte Regulierung‹ zu jenem keynesianisch-fordistischen Kapitalismus zurückführen, der aus vielerlei Gründen in den 1970er Jahren irreversibel unterging. Die Arbeiterbewegung taucht bei ihm nur als Reminiszenz auf; impliziter Hauptbezugspunkt bleiben die Demokraten. Damit unterscheidet Frank sich kaum von anderen gemäßigten Linken wie Bob Moser (2008), der den Südstaaten-Rechtspopulismus nicht durch Klassenformierung, sondern durch einen linkspopulistischen Rhetorikwechsel zu überwinden gedenkt. Bezeichnenderweise geht Frank auf die konkreten Klassenkämpfe der Gewerkschaftsbewegung von Wisconsin oder die Occupy-Bewegung nicht ein. Wundern muss sich Frank dann jedoch nicht, dass in Ermangelung einer linken Alternative der Tea-Party-Radikalismus heute die »einzige Utopie des erzürnten Amerikaners« (71) ist. Zu ihrem Mangel trägt Frank selbst bei.
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