Entwicklungsziel Gleichstellung

Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in der Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit

Im März 2011 überraschte Südafrika den UN-Menschenrechtsrat mit dem Entwurf einer Resolution zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität (SOGI). Unter SOGI werden lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und inter* Menschen (LGBTI) gefasst. Es bezieht sich also auf diejenigen, deren sexuelle, geschlechtliche und körperliche Vielfalt sich nicht in das heteronormative System von Mann und Frau einordnen lässt.

 

Die Unteilbarkeit von Menschenrechten sowie der Diskriminierungsschutz von LGBTI waren, unter dem Zusatz »sonstiger Stand« (»other status«), schon immer in den Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen (VN) garantiert. Bislang fehlte eine Resolution, die dies unmissverständlich erwähnte. Eingeführt hatten das SOGI-Konzept auf VN-Ebene agierende LGBTI-Bewegungsorganisationen und Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international oder Human Rights Watch. Sie machen auf die durch Trans- und Homophobie motivierte Diskriminierung und Gewalt aufmerksam, die von Staaten, Gesellschaften, Polizei- und Justizsystemen sowie Einzelnen ausgeübt werden. Deswegen forderten sie die explizite Inklusion von LGBTI-Menschenrechten in das VN-Vertragswerk - ein umstrittener Prozess. Drei Versuche (2003, 2006 und 2008) eine SOGI-Resolution herbeizuführen waren bereits gescheitert.

Auch der neue südafrikanische SOGI-Resolutionsentwurf von 2011 bildete diese Umstrittenheit ab. Die Erstversion war von LGBTI-Aktivist*innen noch als »nicht mit guten Absichten« verfasst eingestuft worden, sah sie doch die Gettoisierung aller SOGI-Themen in einer Arbeitsgruppe mit unbestimmtem Mandat und auf unbestimmte Zeit vor. Auf Druck von LGBTI-»freundlichen« Staaten und NGOs brachte Südafrika am 17. Juni 2011 eine völlig geänderte Endfassung der Resolution ein, die einer Revolution gleichkam. Sie wurde schließlich mit einer knappen Mehrheit im VN-Menschenrechtsrat angenommen. Ihr Inhalt bekräftigt die Universalgültigkeit der Menschenrechte von LGBTI. Außerdem ist in der Resolution das Konzept der Geschlechtsidentität eingeführt, womit die Sichtbarkeit und der Schutz von Trans* und Inter*Personen hervorgehoben ist. LGBTI scheinen endgültig in der Weltgemeinschaft angekommen zu sein. Der offizielle Auftrag an alle internationalen Akteure lautet nun unumgänglich, sich (pro-)aktiv für LGBTI einzusetzen.

 

Diskriminierung und Entwicklung

Die Resolution kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die deutsche Menschenrechtsarbeit und EZ erst seit kurzem mit dem Thema der sexuellen Identität auseinandersetzen. Der Inklusionsanspruch von LGBTI fand bis dato kaum Eingang in ihre Förderpraxen. LGBTI wurden vorwiegend als »sexuelle und geschlechtliche Minderheiten« marginal betrachtet. Außerhalb des etwas gesondert gelagerten Bereichs »HIV/Aids« und Gesundheitsförderung von Schwulen und MSM (Männern, die mit Männern Sex haben) wurde die EZ hier nicht aktiv. Dabei liegen viele Berichte über Menschenrechtsverletzungen an LGBTI weltweit vor. Beispiele reichen von den oft tödlich ausgehenden Hetzjagden gegen schwule Männer im Senegal über die Polizeigewalt gegen Transgender in Argentinien bis hin zu den Problemen von Trans*Jugendlichen in Litauen, denen nicht einmal der Status »einer Person« zuerkannt wird. Nach Angaben der Länderübersicht der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) waren im letzten Jahr homosexuelle Praktiken in 76 Staaten kriminalisiert. Auch Trans*Lebensweisen finden sich neuerdings im Zuge der stärkeren öffentlichen und politischen Sichtbarkeit von LGBTI und Frauen kriminalisiert. Beispielsweise steht in Kuwait seit 2007 das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechtes unter Strafe.

Die strafrechtliche Verfolgung zwingt einen großen Bevölkerungsteil zu Heimlichkeit, Selbstverleugnung und Lüge. LGBTI werden so an der Wahrnehmung ihrer grundlegenden Menschenrechte gehindert. Dabei überschneiden sich die Diskriminierungserfahrungen von Trans* und Inter*Menschen, die als zwischengeschlechtlich erkennbar sind, mit denen von nicht den Geschlechtserwartungen entsprechenden Schwulen, Lesben und Bisexuellen. Homo- und Transphobie sind kaum zu trennen. Den Preis bezahlen LGBTI mit Gewalterfahrungen, dem Ausschluss aus Familien und von der gesellschaftlichen Teilhabe, Isolation, mangelhaftem Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Behausung, mit Diskriminierung am Arbeitsmarkt, gesundheitlichen oder psychischen Problemen und mehr.

Die diskriminierten Menschen haben sich weltweit schon immer zur Wehr gesetzt. Je nach Kontext stehen die Entkriminalisierung von Homosexualität, der Kampf um die Versammlungsfreiheit oder gegen (Straßen-)Gewalt im Fokus einer »ersten Stufe« solcher Emanzipationsbestrebungen. Der Einsatz für die so genannte »Homo-Ehe« oder ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partner*innen, aber auch der Schutz vor homo- oder transphoben »Hassverbrechen«, sowie das Verbot von »Hassreden« gelten als die zweite beziehungsweise dritte Stufe. Das angestrebte Ziel ist, LGBTI-Lebensformen als gleichberechtigt anzuerkennen. Dieser angestrebte - und doch in kaum einem Land der Welt erreichte - Zustand der de facto Gleichstellung steht nun als Auftrag an die Menschenrechts- und EZ-Akteure im Raum.

Der internationale Politikdialog bietet eine Möglichkeit, sich für die Inklusion von LGBTI einzusetzen. Zusätzlich bedürfen vor allem die LGBTI-Gruppen vor Ort und besonders in »feindlichen« Umgebungen der direkten und sofortigen Hilfe von außen. Doch das Feld wird in der EZ als »schwierig« beschrieben, die Betroffenen seien oft nicht identifizierbar. Mangelndes Engagement wird mit dem Unwillen der jeweiligen Länder und Partnerorganisationen begründet. Die »hausgemachten« heteronormativen Strukturen der eigenen Organisation oder Förderrichtlinien werden kaum reflektiert. LGBTI-Organisationen, die bei der Identifizierung von internationalen Adressat*innen helfen könnten, sehen sich weitgehend ignoriert. LGBTI ist außerdem weder in den Gender- noch Diversity-Konzepten der EZ ausreichend angekommen.

 

Entwicklungen gegen Diskriminierung

Orientierungshilfe könnte hier der Bereich der sexuellen Gesundheit und HIV/AIDS-Prävention bieten. Die Träger der EZ erkannten hier schon Anfang der 1990er Jahre, dass nachhaltige Hilfe die Dimensionen Sexualität und Geschlecht berücksichtigen muss. 2009 haben UNAIDS und der Global Fund den Weg für menschenrechtsbasierte Ansätze bei der Bekämpfung von HIV/Aids frei gemacht. Sie rückten besonders marginalisierte Menschen wie MSM oder Trans*Sexarbeiter*innen ins Zentrum ihrer SOGI-Strategie. Als Pionierleistung seitens der staatlichen Träger hat die Swedish International Development Cooperation Agency (SIDA) 2005 eine erfolgreiche SOGI-Strategie erarbeitet, die im Rahmen eines inklusiven Gender Mainstreaming Ansatzes verhandelt wird. Heteronormative Geschlechtserwartungen werden dabei als Ausgangspunkt von Diskriminierung gesehen. SIDA arbeitet international mit der niederländischen HIVOS Hand in Hand, zum Beispiel an einem Konzept für SOGI-Mainstreaming und für ein globales LGBTI-Mapping.

Bei den Instrumenten sind die Yogyakarta-Prinzipien für die Entwicklung des SOGI-Ansatzes zentral: Ein Prinzipienkatalog des aktuellen Menschenrechtsstandards für LGBTI. Ein weiteres Instrument auf politischer Ebene stellt das Toolkit des Menschenrechtsschutzes für LSBT der Europäischen Union dar. Es wurde 2010 für die Auslandsdelegationen entworfen, um »auf die LSBT-Personen betreffenden Menschenrechtsverletzungen und die Strukturen, die ihnen zugrunde liegen, in proaktiver Weise zu reagieren.« Auch die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) erarbeitet ein EZ-spezifisches Instrument, das LGBTI-Menschenrechte in den Fokus rückt. Parallel dazu verfügt das Bundesministerium für internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seit 2010 erstmals über eine LGBTI-Linie zur Förderung von NGOs. Auch die aktuelle Menschenrechtsstrategie des BMZ ist sich mittlerweile der Notwendigkeit der LGBTI-Inklusion bewusst. Außerdem hat der Europarat die weltweit umfassendste Studie zur Diskriminierungssituation von LGBTI in den 47 Mitgliedsstaaten verfasst und daraus Standards für SOGI-Menschenrechte entwickelt. Solche Entwicklungen wurden noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten.

Es gilt aber auch aus Misserfolgen zu lernen. Beispielsweise verschärft sich im Bereich Katastrophenhilfe regelmäßig die prekäre Situation jener Gruppen, die von Beginn an marginalisiert waren. So wurden in Haiti LGBTI durch strukturelle Hindernisse von Hilfeleistungen ausgeschlossen. Sie erfuhren Re-Traumatisierungen durch Diskriminierungen seitens Vertreter*innen von Hilfsorganisationen oder der Polizei, die eigentlich für ihren Schutz sorgen sollten. Frauen, Lesben, Schwule, Trans* und allgemein Männer wie Frauen mit nicht geschlechtskonformem Erscheinungsbild wurden vergewaltigt und fielen Gewaltexzessen zum Opfer. LGBTI werden verhöhnt, geschlagen, getreten, ausgestoßen und ermordet, weil sie von Gesellschaften, Medien, Kirchenführern und Politiker*innen als Sündenböcke für die Naturkatastrophen hingestellt werden.

In Bezug auf LGBTI steht nicht weniger als die Legitimation, Effizienz und Effektivität der EZ selbst in Frage. Wenn Menschenrechtsakteure wichtige Identitätsmerkmale wie Sexualität und Geschlecht(sausdruck) und die darauf beruhenden Zugangsbarrieren zu Unterstützungsleistungen weiterhin ausblenden, werden sie ihrer universalistisch menschenrechtsbasierten Ausrichtung nicht gerecht. Dass Eile geboten ist, haben die VN in ihrer SOGI-Resolution unterstrichen. Sie hat klar gemacht, dass die Menschenrechte von LGBTI alle angehen.

 

 

Arn Sauer promoviert am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung an der Humboldt Universität zu Berlin. Er ist Autor der Studien Regenbogen-Philanthropie I und II (II zusammen mit Lucy Chebout), sowie (Trans-)Gender und Diversity Trainer.

 

Die ungekürzte Artikelversion mit Fußnoten und Literaturhinweisen findet sich unter

www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/326.