Der Kampf wird zäher

Gedämpfte Euphorie bei den Aktivistinnen in Ägypten: Das Fest zum 8. März endete in Gewalt, im April schoss die Armee auf DemonstrantInnen, die reformierte Verfassung ist sexistisch. Hinter das neue Selbstverständnis, das viele Frauen errungen haben, gibt es dennoch kein Zurück mehr.

Am Anfang war alles ein großes Volksfest. Der Tahrir-Platz, ein großer, unübersichtlicher Platz im Zentrum Kairos, war über Wochen hinweg der Ort, an dem um die Zukunft Ägypten gekämpft wurde. Seit Präsident Hosni Mubarak am 11. Februar zurücktrat, ist das der Ort, an dem um die weitere Zukunft Ägyptens gerungen wird – und für Feiern aller Art. Am 8. März waren es die Frauen, die feierten, und ihr Fest passte zur allgemeinen Stimmung der Euphorie über die erfolgreiche Revolution. Und zugleich kann der Verlauf dieses Frauentags als Beispiel dienen, wie die Revolution die Situation der Frau seither verändert hat und welche Probleme sich daraus ergeben.

„Das gab es noch nie.“ „Fantastisch!“, ruft am Frauentag Leila Emam, eine junge Frau mit offenem Haar und Sonnenbrille, und deutet auf die zahlreichen Männer, die zwischen den Frauen stehen, mit ihnen gemeinsam Plakate halten. „Ich freu mich sehr, dass so viele Männer gekommen sind! Sie demonstrieren mit uns zusammen! Das gab es noch nie!“ Um sie drängen sich an die tausend Frauen und Männer, manche halten Transparente, singen, skandieren Parolen. Busse und Taxis schieben sich hupend durch die Menge, Kinder malen den Menschen die ägyptische Flagge auf die Haut. „Während der Proteste ist ein neues Bewusstsein in den Menschen gewachsen“, sagt Emam.
Doch nicht alle Männer – und Frauen – auf dem Platz unterstützen die Forderungen, die auf den Plakaten stehen. Insbesondere die Forderung, die Verfassung so zu verändern, dass auch Frauen fürs Präsidentenamt kandidieren können, ruft Unmut hervor – nicht nur bei Männern, die sich gegen die Demonstrant_innen stellen, sondern auch bei umstehenden Frauen. „Das sind keine Ägypterinnen!“, heißt es zum Beispiel, „die sind von Ausländerinnen angestachelt!“ „Die wollen die Revolutionsbewegung spalten“, kritisieren andere. „Männer und Frauen müssen jetzt zusammenarbeiten, wir sollten keine solchen Trennungen aufmachen.“ Um Partikularinteressen könne man sich kümmern, wenn die Demokratie aufgebaut sei. Zeitweise sind Slogans wie „Nicht jetzt, nicht jetzt!“ zu hören.
Am späten Nachmittag kippt die Stimmung: Die Diskussionen werden zunehmend lauter, schließlich gewalttätig, diejenigen, die versuchen, die aufgebrachte Stimmung zu beruhigen, scheitern. Es kommt zu Handgreiflichkeiten und sexuellen Übergriffen, Frauen und ihre Unterstützer werden ins Gesicht geschlagen, müssen fliehen. Das ausgelassene Fest zum Frauentag endet in Chaos und Gewalt. Die Frauen und Männer, die den Tag organisiert und miterlebt haben, sind schockiert. Einen solchen Widerstand hätten sie nicht erwartet. Schließlich habe man wochenlang zusammen gekämpft, nebeneinander. „Ich schäme mich dafür, dass das in unserem neuen Ägypten passiert ist“, sagt der Aktivist Ahmed Madiya.

„Total verändert.“ Der Frauentag markiert einen Wandel in Ägypten: Genau bis zum 8. März reicht die Zeit der ersten Euphorie. Einen Tag später räumt das jetzt herrschende Militär gewaltsam das Protestcamp auf dem Tahrir-Platz, nimmt über 200 Protestierende fest und foltert Männer und Frauen brutal. Ein Schock für die junge Protestbewegung. Während auf offizieller Ebene die juristische Aufarbeitung des alten Regimes vorangeht, zwar keine großen Erfolge zu vermelden sind, was Frauenrechte angeht, große NGOs aber dennoch von den neuen finanziellen Bedingungen schwärmen, macht sich in der jungen Demokratiebewegung die Erkenntnis breit, dass der Alltag im neuen Ägypten nicht so rosig sein wird, wie es zunächst schien – sondern dass jetzt ein zäher und gefährlicher Kampf gegen die Alleinherrschaft des Militärs beginnt. Der Kampf um „Partikularinteressen“ tritt in den Hintergrund.
Spätestens seit die Armee am 9. April scharf auf Protestierende schoss, empfinden viele Aktivistinnen es als ihre vorrangige Aufgabe, die Revolution zu verteidigen. Nein, mit Frauenrechten habe sie nicht viel am Hut, sagt Alia, eine junge Aktivistin, die breites amerikanisches Englisch spricht und deren Nase mehrere Piercings zieren. „Das Thema interessiert mich nicht. Wir kämpfen alle zusammen!“ Und doch gehört sie zu genau jenen Frauen, die das Bild der Frau während der Proteste nachhaltig verändert haben – sie ist eine der radikalsten AktivistInnen ihrer Gruppe, führt wie viele andere Frauen oft die Sprechchöre an, und als das Militär am 9. April zu schießen begann, stand sie vor den Soldaten und schrie gegen sie an. Oder Fatima, die als Lehrerin an einer internationalen Schule arbeitet und, anders als Alia, zwar nicht religiös ist, aber dennoch Kopftuch trägt. Sie war zweimal verheiratet, ist zweimal geschieden, während der Revolution hatte sie mit einem Aktivisten eine Beziehung und hat mit ihm für drei Monate auch unverheiratet zusammengelebt, Sex gehabt. Mit ihren Eltern, bei denen sie noch lebt, ist sie seit der Revolution zerstritten, sie hat den Entschluss gefasst, sich jetzt eine eigene Wohnung zu suchen, allein zu leben.
Was für die beiden gilt, gilt für viele der jungen Aktivistinnen: Frauenrechte, Gleichberechtigung, das sind zwar keine Themen, über die gesprochen wird – aber Themen, um die praktisch gekämpft wird. Die 18 Tage auf dem Platz waren für alle, die dabei waren, eine Erfahrung, die sie nachhaltig geprägt hat. Es war die Erfahrung, dass ein anderes Zusammenleben möglich ist: vollkommen gleichberechtigt, solidarisch, sei es zwischen Mann und Frau, Religiösen und Nicht-Religiösen, arm und reich. „Die Revolution hat alles verändert für uns Frauen“, sagt Fatima. „Davor waren wir als Frauen einfach nicht da, wir wurden nicht wahrgenommen, oft hatte ich das Gefühl gegen eine Wand zu sprechen, gar kein Mensch zu sein.“ Jetzt, erzählt sie, begegne man ihr mit Achtung, mit Respekt, sie habe das Gefühl, ernst genommen zu werden. „Wir waren fast die Hälfte auf dem Platz. Wir waren wer, wir waren wichtig.“ Hinter diese Erfahrung gibt es kein Zurück, auch nicht, was Fatimas privates Leben angeht. „Ich habe mich total verändert“, sagt sie. „Komplett. Ich war auch früher schon relativ unabhängig. Jetzt aber fühle ich mich frei, vollkommen frei. Ich mache, ich bekomme, was ich will. Ich habe solche heftigen Sachen erlebt und überlebt, ich lasse mir von niemandem mehr etwas sagen.“

Sexismus und Gewalt. Für viele der jungen ÄgypterInnen beginnt nun der Kampf um die kulturellen Errungenschaften, um den Alltag nach der Revolution. Und der ist von einer allgemeinen Rebellion gegen die herrschenden Rollenmuster geprägt. Die jungen Männer lassen sich die Haare wachsen, Männer und Frauen stechen sich Ohrringe und Piercings, auf dem Platz sind viele Pärchen zusammengekommen, die jetzt unverheiratet zusammenleben. Die Szene, in der dies passiert, ist klein und, wie so oft, auf das Zentrum der großen Städte konzentriert, aber ihre Strahlkraft ist groß. Und die allgemeine Offenheit gegenüber neuen, veränderten Rollenmustern bietet die Chance, auch für Frauen vieles zum Besseren zu ändern.
Auf offizieller Ebene hingegen ist die Bilanz drei Monate nach der Revolution ernüchternd, um nicht zu sagen, entmutigend. In der Kommission, die die neue Verfassung ausgearbeitet hat – genau genommen nur die alte reformiert hat – saßen ausschließlich Männer. „Und die neue Verfassung ist sehr sexistisch“, sagte Caroline Brac vom Mediterranean Women’s Fund. „Zum Beispiel legt sie fest, dass der Präsident mit einer ägyptischen Frau verheiratet sein muss. Somit ist es verfassungsgemäß verboten, dass eine Frau Präsidentin werden kann!“ Gesetze, die formell eine Besserstellung der Frauen bedeuten würden, wurden bisher keine beschlossen. Als im April für viele Distrikte neue Gouverneure ernannt wurden, war keine einzige Frau dabei – eine Tatsache, die das Egyptian Center for Women’s Research (ECHR) scharf kritisierte. Und auch in einem anderen Bereich sehen viele AktivistInnen, die sich mit Frauenrechten beschäftigen, keinen Fortschritt: bei der häuslichen, aber auch der staatlichen Gewalt gegen Frauen. Die Frauen unter den Protestierenden, die am 9. März von der Armee festgenommen wurden, wurden nicht nur geschlagen und mit Elektroschocks gequält. „Wir saßen nackt vor den Soldaten, in einem Raum, dessen Türen und Fenster offenstanden, und wurden von Kameras gefilmt“, erzählt Salwa Hosseini Gouda, eine junge Aktivistin. „Die Soldaten klagten uns wegen Prostitution an. Und wenn eine von uns sagte, ich bin doch noch Jungfrau, kam ein Mann, den wir nicht kannten und ‚checkte‘ das.“ Die Vorfälle erregten auch international Aufmerksamkeit, Human Rights Watch und Amnesty International verurteilten diese „Jungfräulichkeitstests“. Doch zu einer Verurteilung der Verantwortlichen oder zu einer Aufarbeitung der Vorfälle kam es nicht. Und ein weiterer Fakt macht Aktivist_innen, ob sie zu Frauenrechten arbeiten oder nicht, Sorgen. Für September sind Parlamentswahlen angesetzt. Bis dahin kann noch vieles geschehen. Gewinnt jedoch tatsächlich, wie bisherige Prognosen vorhersagen, die radikal-islamische Muslimbrüderschaft einen Großteil der Stimmen, sieht es für eine Verbesserung der Lage der Frauen in Ägypten nicht gut aus.