Wie organisierst du dich?

Keine Spur von Klassen- und Geschichtsbewusstsein am Tag der Arbeit. Ein Kommentar.

Der 1. Mai ist so ein schöner Feiertag. Bei meist gutem Wanderwetter latsche ich mit FreundInnen vom 20. Wiener Gemeindebezirk beim Mai-Aufmarsch der SPÖ mit, biege vorm Burgtheater auf den Rathausplatz ein, wo sich die Bezirksgruppen zu einer riesigen Menge vereinen, und lausche den Reden der Granden der Sozialdemokratie, die am Ende gemeinsam mit der „Basis“ routiniert die „Internationale“ singt. Anschließend begeben wir uns zum Parlament, wo der Demonstrationszug der KPÖ gerade ankommt und weitere FreundInnen anzutreffen sind. Nun beginnt aber der Magen zu knurren und fordert sein Recht auf ein Feiertagsschnitzel im Schutzhaus „Zur Zukunft“. Danach ein paar Biere, und wer dann noch die Kraft dazu hat, fährt in den Prater. Den Rest zieht es zu den heimatlichen Sofas oder maximal zu noch ein paar Bieren bei der KPÖ-Party im „Siebenstern“.

Seit dem 1. Mai 1999, als Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung starb, weil ihn die Begleitpolizisten dermaßen stark gefesselt und ihm den Mund verklebt hatten, dass er erstickte, fühlt sich dieser Feiertag anders an. Viele Jahre lang standen nun an jedem 1. Mai AntirassistInnen vor dem Burgtheater Mahnwache und „störten“ die Feierlichkeiten mit der Erinnerung an diesen Tod, den ein SPÖ-Innenminister zu verantworten hatte, der ihn aber nicht besonders berührte. Am „Tag der Arbeit“ hatten die Fremdenpolizisten auch nur ihre Arbeit getan …

Die Initiative „Euro Mayday“, die 2005 erstmals auch in Wien eine Parade organisierte, reklamiert seither prekäre, atypische, undokumentierte und illegalisierte Arbeit in diesen 1. Mai hinein, der zwar nicht überall so kuschelig gefeiert wird wie in Wien, der aber allerorts als jener Tag gelten kann, an dem „die Arbeiterbewegung“ sich selbst und ihre Errungenschaften feiert – die nicht zuletzt aus Frauensicht unbestritten sind. Aber irgendwann in den Jahrzehnten des Wirtschaftswunders sind die Sozialdemokratien Europas dabei stehen geblieben und wurden staatstragend. Was für den Prototyp des Vertreters der Arbeiterklasse erreicht wurde – dass also der inländische, männliche Vollzeit-Arbeiter mit seiner Kleinfamilie im Schlepptau den Aufstieg schaffte und die neue Kleinbürgerschicht bildete –, ist großartig genug und muss offenbar für die nächsten Jahrhunderte reichen. Siehe die Frage der Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen und wie egal das Gewerkschaften und sozialdemokratischen Funktionären ist – vor 100 Jahren schon stand diese Forderung auf den Plakaten des ersten Frauentags. Siehe die atypisch Beschäftigten, die lange Jahre von allem ausgeschlossen waren, angefangen von der Arbeitslosenversicherung bis hin zur Vertretung durch eine Gewerkschaft. Siehe die anhaltend schlechte Situation der migrantischen ArbeiterInnen. Hier hat die Sozialdemokratie ihren „goldenen Mittelweg“ gefunden: Rassismus à la FPÖ ist pfui, aber „integrieren“ müssen sich schon alle, Deutsch lernen sowieso, und einen Arbeitsplatz besetzen, den ein/e MehrheitsösterreicherIn haben will, geht gar nicht. Aber da sei eh das Ausländerbeschäftigungsgesetz vor.

In der Realität also keine Spur von jenem Klassen- und Geschichtsbewusstsein, das am 1. Mai so gerne zelebriert wird. Und da heuer die Übergangsfrist für die Bewegungsfreiheit von Arbeitskräften aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten in Osteuropa endet – eine Übergangsfrist, für die die hiesigen Gewerkschaften wie die Löwen gekämpft haben, um die „inländischen“ ArbeitnehmerInnen vor Lohndumping und weiteren Übeln zu schützen –, kann ich mir die populistischen Inhalte der heurigen 1. Mai-Reden schon lebhaft vorstellen. Solidarisch ist man(n) hier nur mit sich selbst.
Nach einer zweijährigen Pause, in der an der Wirksamkeit der MayDay-Parade in Wien gezweifelt wurde, in der sich aber mit dem „Prekärcafé“ eine beständige Struktur entwickelt hat, findet heuer wieder eine Parade statt, die fragt: „Musst du arbeiten? Willst du arbeiten? Hast du bezahlte Arbeit? Darfst du arbeiten? Darfst du hier leben? Wovon lebst du? Hast du freie Zeit? Was machst du, wenn du krank bist? Was machst du im Alter? Was wünschst du dir? Wie wehrst du dich? Wie organisierst du dich?“

Infos und Vorbereitungstreffen: http://mayday.prekaer.at