Gewiss, kurz darauf korrigierte sich der große Fidel – es war natürlich alles viel dialektischer gemeint gewesen –, doch nur, um alsbald mit seinem Bruder und jugendlichen Nachfolger Raúl, 79, in eine ganz andere Richtung zu konvertieren. Tatsächlich nahm Letzterer höchstpersönlich an der Einweihung des katholischen Priesterseminars „San Carlos y San Ambrosio“ teil, des ersten in Kuba seit 50 Jahren. Wenn schon nicht Kapitalismus, dann doch wenigstens Katholizismus, mögen sich die klugen Greise gedacht haben, die einst selbst im Jesuiten-Kolleg in Havanna erzogen wurden. Schließlich will man wenigstens nach dem Tode auf der sicheren Seite sein.
Korrigieren musste sich jüngst auch das glorreiche Nicaragua. Anfang November marschierten dessen Streitkräfte völlig überraschend im Nachbarland Costa Rica ein, nämlich auf der Insel Calero am Fluss San José – ein „eklatanter Bruch“ des Grenzabkommens aus dem 19. Jahrhundert, wie Präsidentin Laura Chinchilla zu Recht beklagte. Das daraus nicht mehr wurde, ist allein dem Umstand geschuldet, dass Costa Rica bereits 1948 sein Militär abgeschafft hat. Wie es überhaupt zu dem Vorfall hatte kommen können, wurde alsbald ruchbar: Offenbar verlässt sich die ruhmreiche sandinistische Armee schon lange nicht mehr auf ihr eigenes Kartenmaterial aus sozialistischer Produktion, sondern vertraut stattdessen dem Inbegriff des kapitalistischen global player – dem Kartendienst Google Maps. Google hatte sich jedoch, wie der firmeneigene Blog kleinlaut eingestehen musste, auf fehlerhaftes Kartenmaterial des US-Außenministeriums verlassen. Dadurch wurden kurzerhand etwa 2,7 Kilometer costa-ricanisches Land Nicaragua zugeschlagen, woraufhin sich der bewährte Revolutionsführer Daniel Ortega mit seinen blutjungen 65 Jahren nicht lange bitten ließ. Immer getreu der historisch-materialistischen Devise: Was man hat, das hat man.
Laut „Sydney Morning Herald“ bat Nicaraguas Außenminister Samuel Santos Google sogar hochoffiziell darum, die Grenzziehung nicht wieder zu verändern. Erst eine Vermittlungsmission der Organisation Amerikanischer Staaten samt beider Staatsoberhäupter, bei der das umstrittene Gebiet kurzerhand überflogen wurde, konnte den Grenzstreit schließlich beilegen. Dabei hätte er sich so einfach vermeiden lassen. Dafür hätten die Sandinisten nicht einmal eigene Karten drucken, sondern sich bloß auf die kapitalistische Konkurrenz von Google verlassen müssen: Denn bei Bing Maps von Microsoft sind die Grenzlinien völlig richtig gezogen. Und zwar genau so, wie es die beiden Staaten schon 1858 ausgehandelt und 1888 hatten bestätigen lassen. Von wem? Natürlich vom damaligen US-Präsidenten Grover Cleveland – dem wahren Master of the Universe. Woran sich bis heute nichts geändert hat: Nach Beilegung des Streits lieferte das US-Außenministerium umgehend einen korrigierten Datensatz an Google, der dann in die Datenbanken von Google Maps und Google Earth eingearbeitet wurde. Womit auf Erden, welch ein Segen, wieder alles seine rechte Ordnung hat.
(aus: »Blätter« 12/2010, Seite 108-108)