Bereits eine Woche vor dem Parteitag am 2. November zeigten prominente Mitglieder der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), was sie von dem „Schmusekurs“ des damaligen Pressesprechers und mittlerweile gewählten neuen Parteivorsitzenden Frank Franz halten: Inmitten des Aufmarsches von 4500 Hooligans und Rechtsextremen in Köln, die Parolen gegen „Salafisten“ und „Überfremdung“ skandierten und gewaltsam gegen Polizisten und Passanten vorgingen, fanden sich der Landesvorsitzende aus Thüringen und Funktionäre aus Brandenburg. Deren demonstratives Auftreten machte einmal mehr deutlich, wie tief zerstritten die Partei über die Frage ist, ob sie mit Militanz oder mit einem verbal abgerüsteten und gewaltfreien Auftreten den „Kampf um die Köpfe“ gewinnen kann.
Die innerparteilichen Kontroversen konnte auch der Parteitag nicht überdecken, bei dem die Feier zum 50. Jahrestag der Parteigründung bescheiden ausfiel und selbst die vollmundig angekündigte Festschrift unter dem Titel „Deutschland muss leben“ nicht vorlag. Nach dem gescheiterten Versuch, bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen die parlamentarische Präsenz auszubauen, heizen die nun fehlenden Finanzen und der drohende Verbotsantrag die Debatten um die strategische Ausrichtung weiter an. Grund zur Zuversicht besteht in der NPD derzeit kaum.
Da denkt man in der Partei gerne an die späten 1960er Jahre zurück. Maßgeblich von Kadern der Deutschen Reichspartei (DRP) betrieben, konkretisierte sich 1964 das Vorhaben der Gründung einer „nationalen Sammlungspartei“. Diese sollte die parlamentarische Marginalisierung und organisatorische Zersplitterung beenden. Noch im Zuge der Gründungsversammlung am 28. November 1964 in Hannover traten zwei Drittel der 708 namentlich eingeladenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der neuen Partei bei.
Rasch erfolgte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre der Einzug in sieben Landesparlamente mit insgesamt 61 Abgeordneten. Der von Kadern der DRP dominierten Partei gehörten 1968 etwa 28 000 Mitglieder an, darunter nicht wenige aus vorher verbotenen Vereinigungen. Zwar bemühte sich die Partei um ein seriöses Image, um von der Großen Koalition enttäuschte CDU-Wähler anzusprechen und von der Debatte um die Grenzanerkennungsverträge zu profitieren, doch der allgemein erwartete Einzug in den Bundestag 1969 wurde verfehlt.
Daraufhin verlor die Partei nach und nach wieder ihre Landtagsmandate. Die Bundestagsniederlage stellte zudem die Idee der „Sammlungspartei“ in Frage. In der Folge bildeten sich in Abgrenzung von der NPD Gruppierungen, die sich offen zum Nationalsozialismus bekannten, außerdem Wehrsportgruppen sowie Netzwerke, die eine weltanschauliche Modernisierung anstrebten. Zwar versuchte die NPD mit der „Aktion Widerstand“ noch einmal, die Opposition gegen die Ostverträge zu sammeln, dies konnte jedoch den weiteren Niedergang der Partei nicht verhindern. Auch wenn die NPD nicht, wie aus ihren Reihen vereinzelt gefordert, aufgelöst wurde, so führte sie doch bis in die frühen 80er Jahre ein Schattendasein und verlor den Großteil ihrer Mitglieder. Programmatisch erneuerte sie sich in dieser Zeit durch die Aufnahme ethnopluralistischer Perspektiven.
Aufschwung in den 90ern
Neue Erfolge auf kommunaler Ebene konnten Anfang der 80er Jahre NPD-Tarnlisten erzielen; vom Bedeutungszuwachs des „Ausländerthemas“ profitierte jedoch vor allem die 1983 neu gegründete Partei Die Republikaner (REP). In Berlin, wo das öffentliche Auftreten der NPD seit den 70er Jahren durch die Alliierten nachhaltig eingeschränkt war, zogen die REP 1989 mit Hilfe einer rassistischen Kampagne ins Abgeordnetenhaus ein.
Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, für die die NPD mit dem Ziel einer Wiedererrichtung des „Reiches“ immer eingetreten war, bescherte der Partei keine unmittelbaren parlamentarischen Erfolge. In mehreren Bundesländern, darunter Sachsen-Anhalt und Brandenburg, eroberte vielmehr die Deutsche Volksunion (DVU) in den 90er Jahren Sitze in den Landesparlamenten. Dennoch wurden in den 90er Jahren die Grundlagen für den Aufschwung der NPD gelegt. Die Partei öffnete sich insbesondere unter dem 1996 inthronisierten NPD-Vorsitzenden Udo Voigt der entstehenden breiten extrem rechten Jugendszene sowie den zahlreichen neonazistischen Vereinigungen. Letzteren entstammten viele Neumitglieder, die nach mehreren Organisationsverboten in der Partei ihre Aktivitäten fortsetzten. Personal und Infrastruktur wurden in ostdeutsche Bundesländer transferiert. Zugleich wiederbelebte die Partei die Idee eines „Sammlungsprojekts“: mit dem 3-Säulen-Konzept – „Kampf um die Straße“, „Kampf um die Köpfe“, „Kampf um die Parlamente“[1] –, der mühsamen Fusion mit der DVU sowie tragfähigen Absprachen mit neonazistischen Netzwerken außerhalb der NPD. Schließlich setzte die NPD, zunächst in Sachsen, später auch in Mecklenburg-Vorpommern, ganz gezielt auf eine soziale Verankerung in den kommunalen Nahräumen.[2]
Auf dieser Grundlage hat die NPD in den beiden Bundesländern zweimal hintereinander den Einzug in das Landesparlament geschafft; im Saarland (2004: 4,0 Prozent), in Thüringen (2009: 4,3 Prozent) und in Sachsen-Anhalt (2011: 4,6 Prozent) ist die Partei in den vergangenen Jahren nur knapp gescheitert. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist sie zum zentralen parlamentarischen Akteur der extremen Rechten geworden – nach dem Verlust der DVU-Landtagsmandate und dem Absinken der REP in die Bedeutungslosigkeit. Mit den Ressourcen der Landtagsfraktionen konnte auch die schwache finanzielle Basis abgefedert werden; das Verhältnis zu den neonazistischen „Kameradschaften“ war von Phasen der Kooperation und des Konfliktes geprägt, insgesamt hat sich die Partei jedoch programmatisch weiter radikalisiert.
In das Wahljahr 2014 startete die Partei daher mit hohen Erwartungen: Die Parteiführung hoffte, die Kritiker ihres Konzepts der „seriösen Radikalität“ mit Wahlerfolgen zu besänftigen. Nach schlechten Prognosen zu Jahresbeginn konnte sich die Partei kurz vor der Wahl in Sachsen reale Hoffnungen auf einen erneuten Einzug in den dortigen Landtag machen. Schließlich fehlten am 31. August jedoch 824 Stimmen, was die NPD zunächst an eine Wahlanfechtungsklage denken ließ; aufgrund der Aussichtslosigkeit wurde davon aber rasch Abstand genommen. Kurz darauf scheiterte die Partei auch in Brandenburg und Thüringen an der Fünfprozenthürde. Vorrangig macht sie die Stimmenwanderung zur AfD für den Misserfolg verantwortlich – bislang hat die NPD aber noch keine Idee, wie diese in Zukunft verhindert werden kann.
Der gescheiterte Einzug in die ostdeutschen Landtage ist ein herber Schlag für die Partei, verschärft doch der Verlust der Landtagsressourcen die finanziell ohnehin angespannte Lage. Daran ändert auch der eher symbolische Einzug des ehemaligen Parteichefs Voigt in das Europaparlament im Mai 2014 nichts. Inzwischen hat die Partei schon Immobilien abstoßen und Personal entlassen müssen.
Doch die finanziellen Nöte der Bundespartei sollten nicht dazu verleiten, die Bedeutung der Partei vor Ort zu unterschätzen. Insbesondere in Thüringen inszeniert sie sich systematisch als „Kümmerer“ für die Sorgen und Nöte der deutschen Bevölkerung. Von der festen sozialen Verankerung der Partei in den Gemeinden und Kleinstädten zeugen die teilweise zweistelligen Kommunalwahlergebnisse. Sie ist in zahlreichen Gemeinderäten vertreten und verbreitet dort nach wie vor ihr rassistisches Weltbild. Auf die lokale Arbeit setzt die Partei nun ihre Hoffnung: So wurde gleich nach den verlorenen Wahlen die Parole ausgegeben, in Brandenburg den Ausbau der Strukturen in der Fläche zu betreiben und in Thüringen und Sachsen die Marke NPD durch die kommunalen Mandate am Leben zu halten. Um sich gegenüber der AfD in Szene zu setzen, wird die NPD insbesondere die Organisation und Zuspitzung von Protesten gegen die Unterbringung von Flüchtlingen auch in Zukunft als zentrales Handlungsfeld bearbeiten.
Doch wie die Marke NPD darüber hinaus in Zukunft akzentuiert werden soll, ist umstritten: Der neue Bundesvorsitzende Frank Franz warb vor seiner Wahl in einem Interview in der Parteizeitung für ein Auftreten „ohne NS-Firlefanz und Sektierertum“ und wird nun die unter Holger Apfel entwickelte Linie fortsetzen. Der 35jährige Franz hat dabei jedoch die NS-Traditionalisten in der Partei gegen sich, von denen allerdings kein einflussreicher Vertreter kandidierte. Die Richtungsdebatte, die zusätzlich durch weitere Personalfragen – etwa um den Hamburger NPD-Vorsitzenden Thomas Wulff, der sich offen als Nationalsozialist bezeichnet – begleitet wird, schwächt die Partei in einer Phase, in der geschlossenes Handeln angesichts des Verbotsverfahrens gegen die Partei notwendig wäre.
Die Partei vor dem Verbot?
Der für die NPD desillusionierende Ausgang der jüngsten Landtagswahlen hat erste Stimmen laut werden lassen, die ein vorzeitiges Ende des vom Bundesrat betriebenen Verbotsverfahrens gegen die NPD erwarten. Tatsächlich ist der Ausgang des Verfahrens, bei dem die formale Zulassung noch nicht erfolgt und die mündliche Verhandlung noch nicht terminiert ist, ungewiss.
Der erste Verbotsprozess gegen die NPD wurde vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 2003 aufgrund eines „unaufhebbaren Verfahrenshindernisses“ abgebrochen: Führende Mitglieder der NPD waren zugleich Informanten deutscher Nachrichtendienste. Zwar haben die Innenministerien nun versichert, dass die aktuellen Belege für den verfassungswidrigen und demokratiefeindlichen Charakter der NPD nicht von V-Leuten stammen. Doch die Tragfähigkeit dieser Erklärungen wird sich erst noch erweisen müssen. Zweifel sind angesichts des intransparenten Umgangs der Nachrichtendienste mit diesen Personen allerdings durchaus angebracht – wie sich zuletzt am NSU-Komplex vielfach gezeigt hat.[3]
Im Rahmen der Verbotsverfahren gegen die Sozialistische Reichspartei und die KPD in den 50er Jahren hat das Bundesverfassungsgericht klare Kriterien für die Verfassungsfeindlichkeit entwickelt. Offen ist aber nun, ob diese auch sechs Jahrzehnte später Richtschnur einer Entscheidung sein werden. Nicht ausgeschlossen ist, dass der mit dem Verfahren befasste Zweite Senat beschließt, den Kriterienkatalog zunächst weiterzuentwickeln. Auch ist ungeklärt, ob nach einem Verbot neben den Mandaten in Landtagen auch das Mandat im Europäischen Parlament entzogen werden kann.
Zudem stellt eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine weitere Hürde auf: Dieser hatte entschieden, dass eine Verbotsmaßnahme gegen eine Partei auch an der Chance zur Durchsetzung ihrer Ziele gemessen werden müsse. Insofern mag das jüngste Ausscheiden der NPD aus dem Sächsischen Landtag die Verbotsaussicht reduzieren.
Schließlich ist längst nicht klar, ob das dem Verbotsantrag beigefügte Beweismaterial tatsächlich ausreichend ist: Es müsste eindeutig belegen, dass die NPD ihr Sprechen von der „Beseitigung des Systems“ auch durch eine entsprechend aggressive politische Praxis unterfüttert. Ob das tatsächlich gelingt, ist umstritten.
Neben dem Zweckoptimismus, den die NPD zeitweise vor sich herträgt („Endlich können wir den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit entkräften“), verfolgt die Partei seit einiger Zeit eine ausdifferenzierte Strategie. Mit zahlreichen Klagen – unter anderem gegen den Bundespräsidenten oder Minister und Ministerinnen, die sich kritisch und ablehnend zur NPD äußerten – und der damit verbundenen Berichterstattung will sie ein breites Publikum für ihre Erzählung von der ungerecht behandelten Partei erschließen. Zugleich entwickelt sie – nicht zuletzt an der Frage des Europäischen Rettungsschirms – einen Rechtfertigungsdiskurs für ein Widerstandsrecht: Demnach sei gegen die Maßnahmen zur Kontrolle der Finanzmarktkrise Widerstand im Sinne des Art. 20 Abs. 4 GG möglich und notwendig. Entsprechend dieser Perspektive sieht die NPD die „tatsächlichen Verfassungsfeinde“ in der Bundesregierung und den Regierungsparteien.
Die NPD hat bereits angekündigt, auch die Frage der Geheimdienstzuträger erneut aufzuwerfen. So fordert sie, die Identität dieser Personen offenzulegen, um den Wahrheitsgehalt der Testate der Innenministerien überprüfen zu können. Diesem Anliegen ist zwar wenig Aussicht auf Erfolg beschieden, dennoch könnte sie mit der Selbstenttarnung von NPD-Mitgliedern, die für Nachrichtendienste tätig sind, Aufmerksamkeit produzieren.
Schließlich bemüht sich die Partei um internationale Aufmerksamkeit. Wie Udo Voigt als Mitglied des Europäischen Parlaments jüngst an einer Solidaritätskundgebung mit den Angeklagten der griechischen Neonazi-Organisation „Goldene Morgenröte“ teilnahm, so sind Kundgebungen extrem rechter Gruppen vor den Botschaften Deutschlands in zahlreichen Ländern zu erwarten. Einfluss auf den Gang des Verfahrens wird dies jedoch nicht haben.
Das Verbotsverfahren bindet allerdings die ohnehin knappen Ressourcen der NPD und entscheidet zunächst darüber, ob sie weiterhin Teil der politischen Arena sein wird. Die noch beim ersten Verbotsverfahren erkennbare Solidarisierung seitens der neonazistischen Szene ist bisher ausgeblieben. Stattdessen haben sich mit Parteien wie Die Rechte und Der Dritte Weg bereits Auffangorganisationen in Stellung gebracht.
Ob mit oder ohne Verbot: Der NPD stehen schwierige Zeiten bevor. Sie schon jetzt für gescheitert zu erklären, wäre allerdings voreilig – und politisch gefährlich.
[1] Das später um eine vierte Säule ergänzt wurde, vgl. Marc Brandstetter, Die vier Säulen der NPD, in: „Blätter“, 9/2006, S. 1029-1031.
[2] Vgl. Stella Hindemith, Rechtsextreme Frauen: Verharmlost und verkannt, in: „Blätter“, 10/2014, S. 33-36.
[3] Vgl. Thomas Moser, Der NSU-Komplex: Wer ermittelt gegen den Verfassungsschutz?, in: „Blätter“, 1/2014, Seite 77-84.
(aus: »Blätter« 12/2014, Seite 15-18)