Politically Incorrect: Die Allianz der Islamhasser

Geert Wilders ganz global und auf allen Kanälen: Eben noch agierte der niederländische Rechtspopulist als Stargast auf den New Yorker Gedenkfeiern für die Opfer von 9/11, dann zog er im Hintergrund die Strippen bei der Duldungsvereinbarung der neuen holländischen Mitte-Rechts-Koalition und schließlich präsentierte er sich am 2. Oktober 2010 erstmalig einem größeren Kreis seiner Verehrer in Deutschland. Das Publikum seiner Rede in Berlin-Charlottenburg war ein erstaunlicher sozialer Querschnitt durch die deutsche Gesellschaft: Jung und Alt, Lässig und Korrekt, Betucht und Hartz IV, Gebildet und Schlicht – einträchtig beieinander.

Geert Wilders Grundgedanken lassen sich knapp zusammenfassen. Sie lauten: Europa droht die Islamisierung. Die politische Ideologie des Islam beabsichtigt, der ganzen Welt das islamische Gesetz, die Scharia, aufzuzwingen. Vor dieser Gefahr eines globalen Dschihad verschließen die etablierten Parteien die Augen. Mehr noch: Sie befördern sogar die Islamisierung. Und die Medien lassen sich einen Maulkorb umhängen, indem sie das Problem nicht thematisieren.

Die Heilsbotschaft des Niederländers lautet dagegen: Die einzig wahren Hüter von Freiheits- und Menschenrechten sind er selbst und seine Freunde. Und damit die Welt von dieser Wahrheit erleuchtet wird, haben sich Wilders und Co. inzwischen international vernetzt. So entsteht allmählich aus einer bloß virtuellen Bewegung eine politische Kraft im realen Leben.

In Deutschland hat diese Szene längst ein Leitmedium gefunden: Sein Name lautet „Politically Incorrect“, kurz „PI“.

PI ist eindeutig das wichtigste islamfeindliche Webblog im deutschen Internet. Auf seiner Seite „pi-news“ stellt es Artikel, Termine, Plakate und Filme für Islamfeinde bereit. 2004 von dem Sportlehrer Stefan Herre aus Bergisch Gladbach gegründet, zählt das Blog heute nach eigenen Abgaben täglich 50 bis 60 000 Zugriffe. Vor allem mit dem Abdruck der Mohammed-Karikaturen stiegen laut Yasemin Shooman, Antisemitismusforscherin an der TU Berlin, die Besucherzahlen explosionsartig an. Während der Sarrazin-Debatte hatte PI mehr als 70 000 Besucher am Tag.

Die im Blog veröffentlichten Artikel vermeiden direkte islamfeindliche Hetze. Die Kommentare der User hingegen werden nur selten redigiert. Damit sind die Kommentarspalten von „pi-news“ das propagandistische Herzstück des Blogs. Ungehemmt brechen sich hier islamfeindliche Ressentiments Bahn. Nach dem Mord an der schwangeren Ägypterin Marwa el-Sherbini stand in dem Kommentarforum von „pi-news“ zum Beispiel der Eintrag: „Mir tut es überhaupt nicht leid um diese verschleierte Kopftuchschlampe. Und noch dazu ein Moslem im Bauch weniger!“

Am Rand der Webseite findet sich eine Zeichnung, die den Kontinent Europa als weibliche Comic-Figur darstellt. Die Figur trägt blonde Zöpfe, Germanenhelm und Kreuzritter-Schild. Diese Europafigur versetzt einem Muslim einen Tritt. Genauer gesagt: der Karikatur eines Muslims. Das Bild zeigt ein Wesen mit Turban, Kaftan und Propheten-Bart – sowie einer Schweineschnauze. Angsterfüllt reißt das getretene Geschöpf seine Schnauze auf: Während ihm vor Schreck der Koran aus den Schweinepfoten fällt, wird es über den halben Globus in hohem Bogen in die Türkei expediert. Dazu passt der Kommentar eines Users: „Alle Moslems werden in ihre Herkunftsländer abgeschoben bzw. in die ihrer Eltern oder Großeltern. Der Islam wird in Deutschland verboten. Deutsche, die zum Islam konvertieren, werden ins Arbeitslager eingewiesen, lebenslänglich.“

Angesichts derartiger Hetze verwundert es nicht, dass die User auf „Politically Incorrect“ auch den Bundespräsidenten wegen seiner Rede zum 3. Oktober („Auch der Islam gehört zu Deutschland“) scharf angriffen: „Wulff ist der schlimmste Bundespräsident, den wir je hatten. [...] Er ist intellektuell scheinbar nicht in der Lage, die Gefahren durch die Islamisierung zu erkennen. [...] Dieser Mann gehört ausgewiesen!“

Die Webseite „pi-news“ gibt vor, über Themen zu sprechen, die von den etablierten Medien entweder gar nicht oder nur zensiert aufgegriffen werden. Diese Medien sieht PI in den Händen von sogenannten Gutmenschen, die nicht merken wollen, dass sie ferngesteuert werden. Neben dem Islam sind diese „Gutmenschen“ die wichtigsten Feinde von „Politically Incorrect“. Und in der Logik von PI muss man sich diesen Feinden entgegenstellen. Die Folge: Fernsehsendungen, in denen Muslime auftreten, Diskussionsrunden zum Thema Islam, Dialog-Veranstaltungen in Kirchen und sogar wissenschaftliche Vorträge werden von PI planvoll und konsequent skandalisiert. Dazu durchforstet nach Erkenntnis von Yasemin Shooman ein Team von sogenannten Spürnasen systematisch die virtuelle Welt und sucht nach Fehlverhalten von Muslimen sowie nach Menschen, die mit Muslimen zu nachsichtig sind. Häufig wird anschließend die E-Mail-Adresse der jeweiligen Person gepostet. So fungiert „pi-news“ wie ein virtueller Pranger. Aiman Mazyek etwa, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, kann sich inzwischen darauf verlassen, dass ihm nach jeder öffentlichen Äußerung im Fernsehen unzählige Hass-Mails zugesandt werden. Darunter befinden sich auch Mord- und Anschlagsdrohungen.

Hetze im Internet

Die Tätigkeit der PI-Szene geht aber inzwischen über das Virtuelle weit hinaus. PI-Gruppen, die es in verschiedenen deutschen Städten gibt, schicken ihre Vertreter ganz gezielt auf Veranstaltungen, etwa mit liberalen Muslimen oder Islamwissenschaftlern, um die Diskussionen zu stören und um im Anschluss auf dem PI-Weblog die Ereignisse völlig verzerrt wiederzugeben.

Als es etwa die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan unlängst wagte, in einer Fernseh-Talkshow (Maybrit Illner) die Statistiken von Thilo Sarrazin zu hinterfragen, erreichte sie ein Schwall von Hass-Mails, darunter eine ganz Woche lang jeden Tag folgende Mitteilung, die mit vollem Namen und Adresse unterschrieben war: „Pfui, pfui, Sie wollen eine Deutsche sein, Sie sollten sich schämen, ich würde nicht mit Ihnen verheiratet sein wollen, Ihnen müsste man wie im Iran Peitschenhiebe auf den Hintern geben, dann wüssten Sie, wie Sie sich das nächste Mal benehmen.“ Andere warfen ihr, die in Boppard am Rhein geboren wurde und auch dort aufwuchs, vor, dass sie hier nichts zu suchen hätte und ihre Bildung nur auf Kosten des Sozialsystems hätte genießen können.

Auf der Webseite von „Politically Incorrect“ wurde die attraktive Forscherin herabwürdigend das „iranische Barbie-Püppchen“ getauft und wegen eines kleinen Fehlers in ihren Zahlen – sie hatte in einem Fall bei der Anzahl der türkischstämmigen Hochschulzugänge die Absolventen von Fachoberschulen nicht mitgerechnet – als „Dumm-Tussi“ und „Abgesandte aus dem Iran“ beleidigt. E-Mail-Schreiber forderten ihre Abschiebung. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Foroutan das Gefühl, nicht dazuzugehören – und zwar ausschließlich deshalb, weil man sie als Muslimin wahrnimmt. Oder genauer: sie als Muslimin etikettiert.

Tatsächlich ist Naika Foroutan in der Vorstellungswelt der Islamfeinde weder Bopparderin, noch Deutsche. Sie ist ebenso keine Wissenschaftlerin und auch kein verletzliches Individuum, sondern nur noch eine Muslimin. Und sämtlichen Muslimen schreibt die islamfeindliche Szene identische Wesenszüge zu: Danach sind alle Muslime frauenverachtend, homophob und antisemitisch. Eine derartige Zuschreibung von Charaktereigenschaften für Angehörige einer Religion bezeichnet Antisemitismus- und Vorurteilsforscherin Yasemin Shooman mit einigem Recht als „rassistische Markierung“. Wenn man jedoch Vertreter des ideologischen Weltbildes von PI oder Wilders mit dem Rassismus-Vorwurf konfrontiere, so Shooman, laute die Antwort stets: „Wir sind keine Rassisten. Wir lehnen den Islam ab, weil seine Anhänger ihre Frauen schlecht behandeln, weil sie Homosexuelle verfolgen, judenfeindlich sind und die Menschenrechte missachten.“ Nach Shoomans Ansicht lenken die Islamfeinde mit derartigen Argumentationsstrategien von ihren menschenverachtenden Methoden ab. Die hassgetränkten Internetkampagnen und die mutwilligen Stör-Aktionen gegen muslimische Individuen erfolgen demnach unter dem Deckmantel der Verteidigung von Menschenrechten. Damit fühle sich die PI-Szene immun gegen die Anschuldigung, rassistisch zu sein.

Die „ewige Heuchelei“ der Muslime

Ein anderer zentraler Vorwurf der Islamfeinde gegenüber den Muslimen lautet „Heuchelei“. Mag ein Muslim oder eine Muslimin noch so säkular oder gar islamkritisch auftreten: Muslime sind – nach der Feindbildkonstruktion von PI – qua Religion unaufrichtige Wesen. Denn PI ist überzeugt: Jeder Muslim folgt innerlich dem Koran. Und der verlangt von den Gläubigen, „Taqiyya“ zu begehen. „Taqiyya“ aber heißt: Es ist geboten, den Ungläubigen zu täuschen, zu belügen und zu hintergehen – das zentrales Stereotyp der Islamfeinde. Auf diese Weise wird nach Ansicht von Shooman ein Kollektiv-Charakter von Muslimen konstruiert, der allein darauf abzielt, diese Gesellschaft mit verschiedensten Mitteln zu zersetzen. Wer aber von dieser Vorstellung abweicht, dem wird unterstellt, dass er seine Haltung nur vortäusche, um noch effektiver an den wahren Islamisierungsplänen arbeiten zu können.

Taqiyya als die religiöse Erlaubnis, in Bedrängnis seinen Gott zu verleugnen, mag im Lauf der islamischen Geschichte zu Fällen von Unaufrichtigkeit geführt haben. Und es mag auch islamistische Organisationen geben, die ihre eigene Unredlichkeit Nicht-Muslimen gegenüber religiös legitimieren. Daraus eine Art Kernsubstanz muslimischen Wesens zu konstruieren, ist jedoch ein klassisches Totschlagargument, um jede Erklärung eines Muslims von Anfang an als unehrlich zu denunzieren. Damit erübrigt sich für PI jede Diskussion; die gewaltsame Ausgrenzung der Muslime wird zur logischen Konsequenz.

PI macht Schule

„Politically Incorrect“ ist heute längst nicht mehr das einzige islamfeindliche Weblog. Aber das erfolgreichste. Zudem sind fast alle Internetseiten dieses Spektrums miteinander verlinkt. So werden über das PI-Forum Kontakte hergestellt zu islamfeindlichen Bürgerinitiativen und Bürgerbewegungen in aller Welt. Stefan Herre, der PI-Gründer, arbeitet beispielsweise eng mit dem Ex-CDU-Politiker René Stadtkewitz zusammen. Beide gemeinsam haben Geert Wilders nach Berlin eingeladen, woraufhin Stadtkewitz aus der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ausgeschlossen wurde. Anschließend beschloss er, nach dem Vorbild von Geert Wilders eine deutsche islamkritische Partei zu gründen, die sich „Die Freiheit“ nennt. Gleichzeitig ist Stadtkewitz der Berliner Vorsitzende der islamfeindlichen Bürgerbewegung „Pax Europa“.

Sowohl „pi-news“ als auch „Pax Europa“ gehören zu einem Netzwerk, das sich selber „Liberty’s Alliance“ oder auch „Freedom Alliance“ nennt. Dieser Zusammenschluss findet derzeit (noch) relativ virtuell statt. Er wird von Gruppierungen in verschiedenen europäischen Ländern getragen, die eine ähnliche politische Agenda haben wie PI und „Die Freiheit“ von René Stadtkewitz. Auf diese Weise tauscht man sich aus, um sich anschließend zu treffen und gemeinsame Veranstaltungen zu planen.

In den Vereinigten Staaten steht ein Weblog namens „Stop Islamization of America“, kurz: „SIOA“, hinter dieser Bewegung. Es waren die Initiatoren dieses Blogs, die Wilders am 11. September nach New York eingeladen hatten, wo er unter großem Beifall am Ground Zero eine Rede hielt. Geert Wilders schwebt vor, aus all den islamfeindlichen Initiativen einen internationalen Verband zu gründen. Sein Ziel besteht darin, die virtuelle „International Freedom Alliance“ aus dem Internet in die reale Welt zu verlegen.

In Deutschland hat der Niederländer mit René Stadtkewitz und seinen Gesinnungsgenossen von PI und „Die Freiheit“ überzeugte Unterstützer gewonnen. Deren Kalkül liegt auf der Hand: Mit einem derartigen Dachverband, ausgestattet mit eigenen Finanzen, Büro und Personal, lässt sich der Kampf gegen den Islam noch wesentlich effektiver koordinieren als lediglich im Internet. Unabhängig davon, ob diese konkrete Initiative Erfolg haben wird, zeigt sich deshalb: Die Erregungszustände infolge der Debatte über Thilo Sarrazins Buch dürften bloß der Anfang gewesen sein.

Auf der Strecke bleibt auch eine präzise Islamismuskritik. Die spricht dem Islam nicht die Fähigkeit ab, sich zu verändern, sondern interessiert sich gerade für dieses Veränderungspotential. Sie richtet ihre Vorwürfe deswegen nicht gegen den Islam und die Muslime an sich, sondern prüft genau nach, welche muslimischen Gruppierungen tatsächlich eine Islamisierung anstreben. Eine solche Kritik trennt zwischen sozialen, kulturellen und religiösen Ursachen für Integrationsprobleme. Kurz: Eine derartige Kritik interessiert sich für Differenzierung, Individuen und Zwischentöne. Sie hat es zurzeit nicht leicht, ist aber nötiger denn je.

 

(aus: »Blätter« 11/2010, Seite 13-16)