Wie Deutschland sich an der griechischen Krise bereichert
Was 2007 als Immobilienkrise begann, sich 2008 als Banken- und Finanzkrise global ausbreitete, erfasste 2009 die Finanzen der Staatenwelt. Island, Ungarn und Litauen standen vor dem Bankrott. Mit Griechenland hat die Krise nun die EU und den Euro erfasst.
Für diese Krise ist Deutschland in besonderer Weise verantwortlich. Das Exportmodell Deutschland hat Griechenland (und andere) in die Enge getrieben. Durch die Euro-Einführung war die griechische Wirtschaft der deutschen Konkurrenz unmittelbar ausgesetzt. Die Möglichkeit, die eigene Währung abzuwerten und so einen Ausgleich zu schaffen, entfiel. Dazu trat die extreme Lohnzurückhaltung in Deutschland. Selbst in der Financial Times Deutschland wurde "die Bereitschaft der Arbeitnehmer, Nullrunden über mehrere Jahre kampflos zu akzeptieren", als eine "zutiefst pathologische Entwicklung" bezeichnet. (FTD, 6.4.2010)
Für die deutsche Wirtschaft hat es sich gelohnt: Nicht nur Athens U-Bahn ist "made in Germany", sondern auch der neue Flughafen. Noch Anfang Februar versuchte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bei einem Besuch in Athen, deutsche Euro-Fighter zu verkaufen. Obwohl das Land bereits auf Sparkurs getrimmt wurde. Und obwohl Griechenlands Militärbudget das der Nachbarländer um ein Mehrfaches übersteigt.
Die deutschen Verhältnisse sind geprägt durch den Mangel an Bereitschaft, für ein besseres Leben zu kämpfen. Dies und die allgemeine Akzeptanz des Konkurrenzkampfs haben hässliche Folgen: Die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen wird auf "die Anderen" projiziert - sofern diese Anderen gesellschaftlich nicht über, sondern unter einem stehen. Die breite Zustimmung für die Hartz-IV-Hetze spricht in dieser Hinsicht Bände.
Dank eines Rassismus der Mitte wurde in der Krise dann ein weiteres Ressentiment aufgerufen und bedient: die faulen Griechen. Korrupt seien sie, so war zu hören. Natürlich nicht so erfolgreich und effizient, wie korrupte Deutsche (NS-Profiteur Friedrich K. Flick z.B. oder Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber oder dessen Kofferträger Wolfgang Schäuble). Nein, "richtig" korrupt.
Und außerdem: Wer "unser" Geld bekommt, darf nicht mit 50 in Rente gehen! Ganz abgesehen davon, dass die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für die Griechenlandhilfe eher Zinsen in Millionenhöhe kassieren wird, als dass die deutschen SteuerzahlerInnen blechen müssen, ist auch diese Forderung nichts anderes als eine feindselige, vorurteilsbeladene Lüge. Das reale Renteneintrittsalter in Griechenland liegt bei 61,4 Jahren, in Deutschland bei 61,7. Ein irrelevanter Unterschied.
Ein weiteres Thema, das gern ausgespart wird, ist Deutschlands historische Verantwortung: Zwischen 1941 und 1944 verübte die deutsche Wehrmacht schwere Kriegsverbrechen in Griechenland. Entschädigt wurde bisher niemand. Solche Reparationszahlungen würden einen zweistelligen Milliardenbetrag umfassen.
Die Krise des Euro-Systems ist auch in einem weiteren Sinn Deutschland anzulasten. Trotz seiner Rolle als europäische Hegemonialmacht war Deutschland nicht bereit, Verantwortung für das System als ganzes zu übernehmen. Zu borniert sind sie, die Deutschen. Diese erneute europäische Erfahrung könnte die Machtverhältnisse in der EU zuungunsten Deutschlands verändern.
In der Geschichte der europäischen Einigung hat Deutschland mehrfach gezeigt, dass ihm an einer verantwortlichen Haltung anderen gegenüber nicht gelegen ist. Die Bundesrepublik hat stets den Ausbau seiner ökonomischen Dominanz in Europa betrieben - auf Kosten anderer. Um jeden Preis wurden die strikten Spielregeln der Bundesbank in die EZB und den Euro verlängert. Verstöße gegen diese Prinzipien werden streng sanktioniert. Am deutschen Bankenwesen soll die EU genesen. Diese Politik hat die EU an den Abgrund geführt.
In diesen Abgrund blicken nach den Spardiktaten von IWF und EU zunächst die griechischen Lohnabhängigen. Ihr Verzicht soll garantieren, dass sich die Finanzmärkte beruhigen, dass die Gläubiger ihr Geld und vor allem ihre Rendite sehen. Hierzu gebe es keine Alternative, heißt es. Dass es auch anders geht, zeigte sich 2002 in Argentinien. Durch lautstarken Protest wurde das Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise" praktisch: 70% der Schulden wurden gestrichen. Die Gläubiger gingen leer aus.
Die Krise ist noch lange nicht vorbei. Wie es in Europa weitergeht, hängt auch davon ab, wie (und ob!) sich Kämpfe in Deutschland entwickeln. Der Perspektive einer verschärften wohlstandschauvinistischen Standortkonkurrenz muss eine solidarische Perspektive von unten entgegengesetzt werden. Den von allen EU-Staaten garantierten Ansprüchen der Gläubiger muss mit einem Kampf für ein besseres Leben geantwortet werden.
In einer Mail beschrieb ein griechischer Genosse vor einigen Tagen die Lage mit den Worten: "Argentinien liegt vor uns." Hoffen wir, dass damit nicht nur die Lage der Staatsfinanzen und vieler privater Finanzen gemeint ist - sondern dass auch der Weg aus der Krise sich am argentinischen Beispiel orientieren wird.
ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 550 / 21.5.2010