Angesichts der ökologischen Katastrophe problematisieren auch bürgerliche Wissenschaftler*innen die destruktiven Folgen des Marktes
Es ist leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus - dieser Slogan ist in linken Kreisen zum geflügelten Wort geworden. Doch die Geschwindigkeit, mit der dieser Ausspruch bedrohliche Aktualität gewinnen sollte, dürfte selbst die meisten Pessimist*innen verblüfft haben. Denn das Zeitfenster, in welchem es theoretisch noch möglich ist, durch eine radikale Reduktion der Treibhausgase die irreversiblen Kipppunkte des Ökosystems zu vermeiden, ist klein geworden. Wird dies erreicht, wird die Welt sich zwar brav weiterdrehen; die Folgen für die Menschheit dagegen dürften dramatisch werden.
Der herrschende Diskurs, augenscheinlich dem Kapital mehr verpflichtet als der Welt, auf dem dieses spukt, hat nach wie vor eigentlich nur zwei mehr oder minder zusammenhängende Angebote auf die steigende Nachfrage zur Lösung des Problems zu bieten: marktbasierte Ansätze, die in irgendeiner Form immer auf eine Bepreisung hinauslaufen, sowie die Idee, alle Verantwortung auf die Konsument*innen abzuwälzen. Angesichts der Tatsache, dass die eigentliche Triebkraft hinter der ökologischen Katastrophe das Streben nach maximalem Profit ist, sind dies wenig Erfolg versprechende Ansätze. Denn der Zwang zur Kapitalakkumulation erfolgt nicht zufällig oder durch ein paar Bösewichte und Börsenspekulant*innen. Vielmehr ist der Zwang des Kapitals, sich auf dem Markt gegen andere durchzusetzen, also billiger und produktiver zu werden, in seinem Wesen begründet. Bei Strafe des eigenen Untergangs muss jedes Kapital sich verwerten, wachsen, die Produktion steigern und am Ende andere Kapitale verdrängen. Hier gibt es kein Entrinnen. Die Hoffnungen auf ökologisch bewusste Konsument*innen oder grünes Wachstum verkennen die Wirkmächtigkeit des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis und den ihm innewohnenden Zwang, zu minimalen Kosten ein immer größeres Maximum aus Mensch und Natur hinauszusaugen.
Vorbild englische Kriegswirtschaft?
Der Akkumulationszwang führt selbst die besten technischen Innovationen ad absurdum. Beim mit guten Vorsätzen staatlich geförderten Biogas konnte man dies bereits eindrücklich sehen: Monokulturen, Bodenerosionen, gerodeter Regenwald und über den Ozean verschiffter Mais - viel »Öko« ist beim »Bio« wie so oft nicht übrig geblieben. Der E-Mobilität dürfte demnächst ein ähnliches Schicksal beschieden sein. Wird ihr Einsatz nicht rational zum Wohle der Menschen geplant, sondern den Gesetzen der Gewinnmaximierung unterworfen, wird auch hier die Produktion in einem solchen Maße aus- und überdehnt, dass sie am Ende Schaden anrichtet. Technik ist nicht neutral, sondern in ihrem Wirken und ihren Auswirkungen eng verwoben mit der Gesellschaft, die sie anwendet. Ähnlich beim Konsum. Familien könnten Subventionen nutzen, um sich ein kleines E-Auto als Zweitwagen anzuschaffen, obwohl sie bisher nur eines besaßen. Oder Gelder, die durch Energiesparen gewonnen wurden, für einen zusätzlichen Flug in den Kurzurlaub umdisponieren (Rebound-Effekt). Ökologisch ein Desaster, doch im Geiste dieser Gesellschaftsordnung ein rationales Verhalten.
Umso erfreulicher, dass die destruktiven Auswirkungen des Marktes zumindest langsam in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer hat zum Beispiel in ihrem Buch »Vom Ende der Klimakrise« festgehalten, dass »der Weg in den Untergang mit gut gemeinten, marktbasierten Instrumenten gepflastert« sei. Obwohl die von der Süddeutschen Zeitung zur »deutschen Greta« geadelte Neubauer noch immer bei den Grünen organisiert ist, hält sie diese grundsätzliche Kritik in ihrem Buch im Wesentlichen durch und bringt dafür sogar Adorno in Anschlag: »Kein nachhaltiges Leben in einer nicht-nachhaltigen Gesellschaft«! Was ihr fehlt, ist eine grundsätzliche Idee, worauf eine nachhaltige Gesellschaft fußen könnte. Ein bisschen Ordnungspolitik, ansonsten findet sich wenig.
Weiter gegangen ist hingegen Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der tageszeitung und eigentlich bekennende Keynesianerin. In mehreren Kommentaren hat sie die aus der Not heraus geborene wirtschaftliche Lenkfunktion des englischen Staates während des Zweiten Weltkriegs zum Vorbild auserkoren. Diese Kriegswirtschaft war für sie »ein Kapitalismus ohne Markt. Die Fabriken blieben in privater Hand, aber die Produktionsziele wurden staatlich vorgegeben«. Da die »gesamtgesellschaftliche Aufgabe« heute »ähnlich groß« sei, könne oder müsse man den Staat wieder nutzen, wie seinerzeit die Regierung in London, so Herrmann. Positiv hervorheben muss man, dass mit einer solchen Verfügungsmacht des Staates bereits drastische Eingriffe ins eigentlich auch Keynesianern*innen heilige, bürgerliche Eigentumsrecht gefordert werden.
Aber nicht nur die Grüne Neubauer und die Keynesianerin Herrmann haben ernste Zweifel, dass man auf der Grundlage des »freien Marktes« die Klimakrise lösen kann. Auch zwei der namhaftesten deutschen Klimaforscher*innen, Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber, meldeten sich diesbezüglich bereits zu Wort. In ihrem kurzen wie lesenswerten Überblickswerk »Der Klimawandel« lassen sie die Leser*innen wissen, dass die Menschheit mit ihren Treibhausgasen drastisch umsteuern müsse. Ansonsten blieben als Alternative nur »Reduktionsmaßnahmen, die sich eigentlich nur im Rahmen einer (globalen!) Kriegswirtschaft realisieren lassen«. Auch wenn die beiden es bei diesem einen Satz belassen, so ist der Gedankengang offensichtlich: Die Menge an Treibhausgasen, die die Menschheit noch in die Atmosphäre pusten darf, ohne die Kipppunkte zu erreichen, ist eine fixe Größe. Diese Menge durch Planung so gering wie möglich zu halten, ist schwierig auf der Grundlage von Konkurrenz und Profitstreben.
So hoffnungsfroh es einen stimmen kann, dass im Angesicht der dramatischen Entwicklungen nun die ersten Bürgerlichen den Markt und die Anarchie in der Produktion ins Visier nehmen, so sehr müssten diese Gedanken noch geschärft werden. Fast möchte man hier die Hegelkritik des jungen Marx umkehren: Schließlich reicht es nicht, dass die Wirklichkeit sich selbst zum Gedanken drängt, es muss auch ein »vernünftiger« Gedanke zur Verwirklichung drängen. Die Frage, welche Rolle der bestehende Staat bei zweifelsfrei notwendigen Sofortmaßnahmen spielen könnte, einmal beiseite gelassen - der Ansatz von Hermann und den beiden Klimaforschern greift auf längere Sicht entschieden zu kurz. Denn sie lassen die Ware als Elementarform dieser Gesellschaft ebenso unberücksichtigt wie ihre konstituierenden Voraussetzungen.
Knackpunkt: die Verwertung von Wert
Hier geht es nicht um marxologische Besserwisserei, sondern um den Casus knacksus. Schließlich ist der mittlerweile mit den planetaren Grenzen unvereinbare Zwang zum Profitstreben nichts anderes als die »Verwertung des Werts«. Man kommt an dieser Stelle also nicht umhin, sich zu fragen, was Wert bedeutet. Der Wert aber liegt begründet in der Warenproduktion, also der selbstständigen und unabhängigen Produktion von Privateigentümer*innen für andere zum Austausch auf dem Markt. Die Waren, die auf dem Markt gehandelt werden, stellen als Werte die Arbeit der in ihnen vergegenständlichten, gesellschaftlich notwendigen Arbeit dar.
Der Kapitalismus ist die entfaltete Marktgesellschaft, in der die Produktion auf den Profit des Kapitals ausgerichtet ist. Die Bedürfnisse der Menschen dienen zwangsläufig nur als Mittel für einen anderen Zweck - dies übrigens auch bei vermeintlich nachhaltigen Bioprodukten. Ziel und Maß der Produktion bleibt einzig und alleine das Mehr an Kapital, der Profit. Genau hier liegen die Wurzeln für den Wachstumszwang und die Kommodifizierung, des Zur-Ware-Werdens, die in der Diskussion ins Zentrum zu rücken wären. Nehmen wir, um dies konkret zu machen, die von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie »2030 kohlefrei« des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik aus dem Herbst 2018. In dieser wurde gewissenhaft nachgerechnet, dass bereits 2035 der energiebedingte Ausstoß von Treibhausgasemissionen in Deutschland weitestgehend vermieden werden könnte. Der Kohleausstieg, der in der Studie als Leitinstrument dient, ist tatsächlich eine Frage des politischen Willens - auch wenn es schwer ist, Lobbyinteressen und Klientelpolitik etwas entgegenzusetzen. Die grundsätzliche Fehlkalkulation der Studie ist es aber, den Wachstumszwang auszublenden. So wird etwa unterstellt, dass sowohl das Verkehrsaufkommen im Güterverkehr als auch der herkömmliche Stromverbrauch nach 2020 nicht weiter anwachsen. Schön wär es! Auch das konstatierte »grundlegend geänderte Mobilitätsverhalten« dürfte nicht einfach vom Himmel fallen, schon gar nicht in der Gesellschaft des Leistungsterrors im Hamsterrad - die »Verwertung des Werts« lässt grüßen.
Rationale Planung der Produktion
Wenn man dem Einhalt gebieten will, muss zunächst grundsätzlich herausgearbeitet werden, dass Arbeit nicht zwangsläufig zu Wert fuhren muss. Vielmehr sind es erst bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse, unter denen Arbeit wertbildend wird. Es ist die arbeitsteilige Gesellschaft mit ihrer Privatproduktion fur den Markt, also Produktion fur andere, bei denen - wie bei Herrmann - die »Fabriken in privater Hand« sind. Unter diesen Verhältnissen bekommen Arbeitsprodukte Wert, weil sie sich als Waren auf dem Markt in Geld als dem Wertmaß darstellen mussen. Solange diese Verhältnisse nicht überwunden sind, bleibt der Zwang zur Profitmaximierung mindestens latent vorhanden und wird sich als »unsichtbare Hand« immer wieder - und sei es hinter dem Rücken der Gesetzgebung - Bahn brechen.
In letzter Instanz kann dieser Sachverhalt nur durch eine rationale Planung der Produktion auf gesellschaftlicher Grundlage aufgehoben werden. (siehe ak 653) Dazu haben wir, angelehnt an Marx, in unserem Buch »Goodbye Kapital« einen Entwurf vorgeschlagen. Würden die Produktionsmittel der Gesellschaft gehören, könnte man mit den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften sowie den natürlichen und menschengemachten Ressourcen rational planen. Die Produkte würden dann nicht mehr als Waren produziert und die geplante Arbeit wäre nicht mehr Quelle von Wert. Schließlich könnte eine allgemeine Arbeitszeitrechnung die geleistete Arbeitszeit direkt messen, anstatt den Umweg über den Markt und das Wertverhältnis zu gehen. Was in früheren Zeiten technisch schwer möglich gewesen wäre, ist heute, auf Grundlage der digitalen Revolution, eine praktikable Möglichkeit. (siehe ak 648) Schließlich sind fast alle Arbeitsschritte in jeder Abteilung haargenau erfasst. Durch die allumfassende Digitalisierung, durch Stempelkarten, Barcodes und Scanner kann fur fast jedes Produkt ein aktueller Durchschnittswert der benötigten Arbeitszeit angegeben werden. Auch heute schon werden diese Zahlen akribisch erfasst, um fur die Produktion zu kalkulieren. Allerdings geht es dabei immer um die Produktion für höchstmöglichen Profit. In einer künftigen Gesellschaft wäre die durchschnittliche Arbeitsstunde dagegen Basis der gesellschaftlichen Rechnungsführung. Jede*r produziert fur gesellschaftliche Bedurfnisse und kann in dem Umfang Produkte beziehen, wie er*sie an direkt gemessenen Arbeitsstunden zum gesellschaftlichen Reichtum beigetragen hat.
Erst in einer solchen Gesellschaft wäre es überhaupt möglich, über »Nachhaltigkeit« zu reden, weil die Erde kein Eigentum mehr wäre und der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur rational geregelt werden könnte. Der Teufelskreis des »immer schneller, immer mehr« könnte endlich durchbrochen werden. Alle würden arbeiten, dafür aber weniger. Etliche Tätigkeiten würden entfallen, denken wir etwa an die Heerscharen von Verkäufer*innen, Makler*innen, Vermögens- und Anlegeberater*iInnen. Qualität und Genuss wären die neuen Maximen und der wahre Reichtum die freie Zeit. Zugegeben, eine Veränderung des Bewusstseins bliebe notwendig und von so mancher Bequemlichkeit im Lebensstil müsste man sich zugunsten des Ökosystems verabschieden. Der Lebensstandard aber könnte durch freie Zeit und Muße deutlich gehoben werden. Eine solche Perspektive dürfte auf positivere Resonanz treffen als der Versuch, die Kosten der ökologischen Katastrophe auf die unteren Klassen abzuwälzen oder einer »Kriegswirtschaft« das Wort zu reden.
Erschienen in ak 658, März 2020
Philip Broistedt und Christian Hofmann schreiben auf assoziationinfo. Demnächst erscheint von ihnen »Goodbye Kapital« bei Papy Rossa.