Was tun gegen "Islamophobie"?

Feindschaft gegenüber Muslimen und die Schwierigkeiten emanzipatorischer Antworten

Die öffentliche Debatte um die Feindschaft gegenüber Muslimen in Deutschland hat seit der Auseinandersetzung um die Vergleichbarkeit zwischen Antisemitismus und Islamophobie an Intensität zugenommen. Während bis dahin in der Öffentlichkeit die Feindschaft gegenüber Muslimen entweder als Teil einer allgemeinen Xenophobie eingeordnet wurde oder sich als Teil der „Islamkritik“ legitimierte, wird inzwischen nach Besonderheiten der antimuslimischen Diskurse gesucht. Dabei tauchen konkurrierende Interpretationsansätze auf. So wird etwa von „antimuslimischem Rassismus“ oder „Islamophobie“ gesprochen und ältere Konzepte wie etwa das des Orientalismus werden aktualisiert. Während sich die Diskussion gegenwärtig auf die Vergleichbarkeit von Antisemitismus und Islamophobie konzentriert, wobei zunehmend aus dem Streit um Inhalte ein Streit um einzelne Personen wird, soll hier ein Schritt zurückgegangen werden. Es sollen zwei Tendenzen in der Analyse der Feindschaft gegenüber Muslimen skizziert werden um dann die Frage zu stellen, welche Ansätze sich eher für eine emanzipatorische Perspektive eignen.

Postkoloniale Analyse und Kritik orientalistischer Islam-Bilder

Die gegenwärtigen Vorurteile und Klischees über Muslime und den Islam sind nicht geschichtslos. Sie lassen sich zurückverfolgen auf koloniale Diskurse, die sich unter dem Stichwort "Orientalismus" zusammenfassen lassen. Diese Diskurse wurden durch postkoloniale Autoren analysiert und kritisiert, nicht zuletzt durch Edward Said. Bei Orientalismus handelt es sich um die Konstruktion von Orient-Bildern als Negativfolie, von denen sich der Westen positiv absetzen konnte. Der Orientalismus arbeitet mit Zuschreibungen wie etwa „westlich“ gleich „aufgeklärt“ versus „orientalisch“ gleich „rückständig“. Dabei wurde der Islam ebenfalls als Teil einer rückständigen Kultur definiert und politische und ökonomische Prozesse wurden kulturalistisch umgedeutet.
Zwar konzentrierte sich die Kritik am Orientalismus auf frühere geschichtliche Phasen, allerdings gibt es auch heute AutorInnen, die die antimuslimischen Diskurse der Gegenwart aus dieser Perspektive entschlüsseln. Einen sehr guten Einstieg in die aktuellen postkolonialen Ansätze bietet das Sammelband „Orient- und Islambilder“ (2007). Hier werden erstens die Debatten um Orientalismus und orientalistische Diskurse der Vergangenheit, wie etwa das Islam-Bild im christlichen Mittelalter, skizziert. In diesem ersten Schritt werden in dem interdisziplinär angelegten Sammelband unterschiedliche Aspekte von Orientalismus, die sich von Sprach- und Literaturwissenschaft über Geographie bis zur Sozialgeschichte erstrecken, angesprochen. Anschließend werden ausgewählte Diskurse der Gegenwart angesprochen, so etwa die Debatten um die deutsche Islamkonferenz und die behaupteten Zusammenhänge zwischen Jugendgewalt und einer „muslimischen Kultur“. Die Publikation macht die Bandbreite postkolonialer Ansätze deutlich, wobei allerdings auf eine Zusammenführung und politische Bewertung weitgehend verzichtet wird. Diese Ausdifferenzierung und Akademisierung postkolonialer Ansätze führt zur einer genaueren Analyse, allerdings nicht zu einer Stärkung der politischen Kritik und Praxis. Insofern kommt es hier darauf an, eine politische Praxis zu entwickeln, die sich auf die postkolonialen Ansätze bezieht.

Islamophobie aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft

Während die oben erwähnten postkolonialen Ansätze marginalisiert blieben, kam es zu einer breiteren Debatte um die Feindschaft gegenüber Muslimen, als deutsche WissenschaftlerInnen sich dem Thema annahmen. Eine bis dahin unbekannte öffentliche Debatte begann, als im Dezember 2008 vom Zentrum für Antisemitismusforschung die Konferenz „Feindbild Muslim — Feindbild Jude“ organisiert wurde. Die Konferenz löste eine Flut von Publikationen aus (vgl. analyse&kritik Nr. 547). Es ist zu begrüßen, dass es so zu einer breiteren Auseinandersetzung kam und die Feindschaft gegenüber Muslimen sich immer weniger hinter "Islamkritik" verstecken kann. Allerdings kam es dabei auch zu einigen Verschiebungen, die zu diskutieren sind. Zum Ersten findet die gegenwärtige Debatte aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft statt und sie wird von etablierten Akteuren aus dem politischen und akademischen Mainstream geführt. So werden die Erfahrungen der von antimuslimischem Rassismus betroffenen Menschen überhört. Ebenso bleiben postkoloniale und radikal emanzipatorische Autoren und Ansätze marginalisiert. Zum Zweiten werden aus der Debatte politische Vorschläge und Forderungen abgeleitet, die daraufhin zielen, die gesellschaftlichen Konflikte zu kanalisieren und durch staatliche Maßnahmen zu managen. Die Analyse und Überwindung gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen werden so ausgeschlossen. Zum Dritten führt der forcierte Vergleich zwischen Antisemitismus und Islamophobie nicht dazu, dass der antimuslimische Rassismus genauer analysiert wird, sondern vielmehr dazu, dass eine Opferkonkurrenz entsteht und der Fokus der Debatte sich von konkreten Diskriminierungen und der Feindschaft gegenüber Muslimen wegbewegt hin zu der Frage der Legitimität des Vergleichs zum Antisemitismus. Wesentlich sinnvoller wäre es jedoch, grundlegende Merkmale des Rassismus zu ordnen und diese mit der gegenwärtigen Form der Feindschaft gegenüber Muslimen zu vergleichen.

Emanzipatorische Kritik an antimuslimischem Rassismus und Islamismus?

Aus einer emanzipatorischen Perspektive (die die Überwindung von Herrschaft und Ausbeutung einfordert) ist die Analyse und Kritik des antimuslimischen Rassismus eine Notwendigkeit. Allerdings macht die Erkenntnis, dass „Islamkritik“ oft zur Legitimation von Rassismus eingesetzt wird, die Analyse und Kritik des Islamismus als reaktionärer politischer Bewegung nicht überflüssig. Auch ohne antimuslimische Ressentiments lässt sich die Existenz von islamistischen Bewegungen und Akteuren feststellen. Diese haben einige Gemeinsamkeiten, die es berechtigt erscheinen lässt, sie zusammengehörig zu kategorisieren.
Islamisten fordern, dass der Islam als umfassendes Regelwerk für alle Lebensbereiche, einschließlich der Politik und der Gesellschaft, gelten soll. Sie verstehen unter „Islam“ weniger die politische und religiöse Wirklichkeit der Muslime, die sehr vielfältig ist, sondern vielmehr einen begrenzten Textkorpus, nämlich den Koran und die Hadithe (Prophetensprüche und Geschichten), und eine idealisierte Vorstellung der frühislamischen Phase. Die aus diesem Korpus abgeleiteten Rechtsvorschriften sollen alle Lebensbereiche regeln. Das islamistische Ideal ist eine organische Gesellschaft mit festen Rollen für die Geschlechter.
Hieraus erwachsen Probleme und Bedrohungen für zahlreiche Gruppen wie z.B. Atheisten, andere „Ungläubige“ und Muslime mit abweichenden Vorstellungen – etwa wenn sie die Geltung des islamischen Rechts für alle Lebensbereiche nicht akzeptieren. Ebenso ist im islamistischen Weltbild kein Platz für Menschen, die ihre Sexualität außerhalb einer heterosexuellen Ehe ausleben wollen. Frauen hätten in einer solchen Gesellschaft noch weniger Rechte und sie wären weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Es sollte betont werden, dass in einem islamistischen Staat jeglicher Protest gegen konkrete staatliche Politiken und Gesetze als Angriff gegen den Islam gelten würde, mit entsprechen Folgen für politische und soziale Oppositionsbewegungen. Dies alles ist aus einer emanzipatorischen Perspektive nicht hinnehmbar.
Dieses mögliche Bedrohungsszenario muss jedoch insofern relativiert werden, da Islamisten in vielen Ländern politisch weitgehend gescheitert sind und es nur wenige Staaten (etwa den Sudan der 1980er Jahre) gab, in denen Islamisten die Politik bestimmt haben. Auch für Deutschland ist die Gefahr nicht die Einführung der Scharia, sondern vielmehr die Durchsetzung einer konservativen Islamvorstellung unter den in Deutschland lebenden Muslimen, womit der soziale Druck innerhalb einiger Migrantencommunities z.B. auf Atheisten, Frauen und Homosexuelle einhergeht. Des Weiteren werden soziale Konflikte kulturalistisch und ethnisch umgedeutet und so gemeinsame soziale Bewegungen durch kulturell und ethnisch gesetzte Grenzen erschwert. Dies führt zu einer Unterminierung emanzipatorischer Ansätze.
Die Schwierigkeit, eine emanzipatorische Kritik zu formulieren, ohne von hegemonialen Diskursen absorbiert zu werden, ist offensichtlich. Vielfach wird berechtigte Kritik an konkreten islamistischen Inhalten und Praxen verwendet, um Feindbilder zu konstruieren und den Rassismus in Deutschland zu legitimieren. So hält eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Islam für eine intolerante Religion und wirft den Muslimen die Unterdrückung der Frauen vor. Gleichzeitig stimmen „dieselben Befragten – in ihrer großen Mehrheit einer der christlichen Konfessionen angehörig – [...] jedoch selbst rassistischen, antisemitischen, sexistischen und homophoben Aussagen überzufällig häufig zu“, vertreten „die Ansicht, Frauen sollten ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ernster nehmen“ und halten Homosexualität für unmoralisch (Zick/Küpper 2009: 3). Hieraus wird deutlich, dass eine emanzipatorische Kritik am Islamismus zur Legitimierung von Rassismus instrumentalisiert werden kann.

Was tun?

Angesichts dessen, dass die Feindschaft gegenüber Muslimen eher zu- als abnehmen wird und dass sie als eine Ideologie zur Legitimation von Rassismus und sozialer Ausgrenzung zunehmend relevanter wird, ist die Entwicklung einer emanzipatorischen Perspektive so notwendig wie schwierig.
Dies wurde bei den Auseinandersetzungen um rechte Aufmärsche in Duisburg deutlich, wo Pro NRW und NPD Ende März gegen „Islamisierung“ aufmarschierten. So hat zwar das Bündnis linksradikaler und anarchistischer Gruppen „Rechtes Märchenland zerlegen“ versucht, erste Ansätze einer emanzipatorischen Positionierung jenseits von antimuslimischem Rassismus und Islamismus zu etablieren. Allerdings wurden diese Ansätze von den linken und bürgerlichen Bündnissen gegen Pro NRW und NPD nicht beachtet und blieben innerhalb der Proteste marginalisiert. Am zentralen Tag der Proteste, dem 28. März, kam es dann am Rande der zentralen Kundgebung zu einem Aufmarsch türkischer Faschisten und Islamisten, die durch Fahnen, Symbolik und antisemitische Parolen („Tod den Juden“, „Juden raus“) eindeutig erkennbar waren. Auf diesen Aufmarsch gab es weder vom linken noch vom bürgerlichen Bündnis eine angemessene Reaktion. Es waren migrantische Linke, die sich den türkischen Faschisten und Islamisten entgegenstellten und hierbei weitgehend allein gelassen wurden. Das alles wird in den öffentlichen Verlautbarungen der linken und bürgerlichen Bündnisse bis heute verschwiegen. Dies lässt sich wohl darauf zurückführen, dass der Erfolg der Massenmobilisierungen und die Schaffung breiter Bündnisse betont werden soll. Die Erwähnung von Konflikten innerhalb der Proteste und eine Distanzierung von einzelnen Gruppen und Akteuren würden diese Erfolgsgeschichten schmälern. Allerdings wird so eine politisch sinnvolle Analyse und Kritik der Feindschaft gegen Muslime unterminiert und die Beschäftigung mit dem Islamismus als politische Bewegung bleibt so aus. Insofern müssen linksradikale Akteure emanzipatorische Ansätze eigenständig weiterentwickeln, auch wenn sie vorerst marginalisiert bleiben und von der deutschen Mehrheitsgesellschaft, einschließlich der Mehrheit der Linken, unbeachtet bleiben.

Literatur:
- Iman Attia (Hg.) (2007): Orient- und IslamBilder – Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus. Unrast Verlag, Münster.
- Wolfgang Benz (Hg.) (2009): Islamfeindschaft und ihr Kontext. Dokumentation der Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“. Metropol Verlag, Berlin.
- Achim Bühl (2010): Islamfeindlichkeit und Antisemitismus - ein schwieriger Vergleich. Ein Versuch, die "Benz-Broder-Debatte" zu versachlichen. In: analyse&kritik Nr. 547 / 19.2.2010
- Bündnis „Rechtes Märchenland zerlegen – Für ein selbstbestimmtes Leben“
- Andreas Zick / Beate Küpper (2009): Meinungen zum Islam und Muslimen in Deutschland und Europa. Ausgewählte Ergebnisse der Umfrage Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Europe (GFE-Europe).
Dieser Artikel ist erschienen in der analyse&kritik (Nr. 549 vom 16.4.2010, S.19).