Über den alltäglichen Rassismus
In das „Museum of Tolerance", einem beeindruckenden Museum über die Shoah und über die Dynamiken von Rassismus und Vorurteilen in Los Angeles, führen zwei Türen: Eine für „Menschen mit Vorurteilen" und eine für „Menschen ohne Vorurteile". Wer allerdings durch letztere gehen will, wird böse überrascht: Er läuft gegen eine Wand, da diese Tür nur aufgemalt ist. So steht schon am Anfang des Museumsbesuches eine wichtige Erkenntnis: Kein Mensch ist ganz frei von Vorurteilen. Viele Menschen denken dennoch bei den Worten „Rassismus" und „Vorurteile" sofort an Rechtsextremismus und Neonazis. Doch Nazis und ihre Gewalt bilden nur die Spitze des Eisbergs eines alltäglichen Rassismus. Sozialisiert in einer Gesellschaft, in der wir im Kindergarten „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann" spielten und in den Medien lernen, dass Schwarze Menschen „exotisch", „fremd" und einfach „anders" sind, schleppen wir alle einige Stereotypen mit uns herum. Die Frage, die wir uns stellen müssen, wenn wir Rassismus bekämpfen wollen, lautet also nicht, ob wir selbst Vorurteile haben oder nicht, sondern wie wir mit diesen umgehen und wie wir sie wieder loswerden können.
Schwarze Menschen sind als „äußerlich erkennbare Minderheit" in
Deutschland besonders häufig und in besonderem Ausmaß mit Rassismus
konfrontiert. Das fängt schon damit an, dass viele Schwarze ständig von
Wildfremden gefragt werden, wo sie denn herkommen würden. Ist die
Antwort dann etwa „Hannover" wird immer weiter gefragt: „Nein, ich
meine, woher kommst du wirklich? Anscheinend können sich viele weiße
Deutsche einfach nicht vorstellen, dass es auch Schwarze Deutsche gibt.
Die Vorstellung, dass jedeR Schwarze einE „AusländerIn" oder gar einE
„AfrikanerIn" sein muss, ist eindeutig rassistisch. In Deutschland
leben mehrere hunderttausende Schwarze und das nicht erst seit gestern.
Während viele Weiße stolz sagen, für sie spiele die Hautfarbe überhaupt
keine Rolle, werden Schwarze in Deutschland alltäglich und ständig
damit konfrontiert, dass sie eine andere Hautfarbe als die
Mehrheitsgesellschaft haben. Es ist also schon ein Privileg von Weißen
in der weißen Mehrheitsgesellschaft, die eigene Hautfarbe einfach
vergessen zu können. Das fällt einem Schwarzen Menschen nicht so
leicht, weil sich die unzähligen undifferenzierten und
stigmatisierenden Bilder der deutschen Mehrheitsgesellschaft auf sein
tägliches Leben auswirken. Sei es in der Schule, bei der Job- oder
Wohnungssuche. Die Polizeikontrollen haben in Deutschland eine
besondere Qualität. „Racial Profiling" nennt man die polizeiliche
Fahndungstechnik, die der Polizei erlaubt, „verdachtsunabhängige
Personenkontrollen" durchzuführen. Jeder kennt die Szenen, in denen am
Hauptbahnhof Schwarze ins Visier der Polizei geraten, während Weiße,
die ja ebenso VerbrecherInnen aus dem In- und Ausland sein könnten, in
der Regel unbehelligt bleiben. Auf der ganzen Welt wird „Racial
Profiling" bekämpft und abgeschafft, aber in Deutschland werden damit
weiter jeder Person, die nicht weiß ist, grundsätzliche
BürgerInnenrechte aberkannt.
Es kommt immer wieder vor, dass PolitikerInnen demokratischer Parteien
die in der Bevölkerung weit verbreiteten rassistischen Vorbehalte
nutzen wollen, um Stimmen zu gewinnen. Beispiele aus der jüngsten
Vergangenheit sind die rassistischen Äußerungen des CDU-Politikers
Roland Koch in Hessen zum Thema Jugendkriminalität oder die Aussage von
Klaus Eckhard Walker, Kandidat der Linkspartei für das Amt des
Saarbrücker Regionalverbandsdirektors, der meinte: „Die Bewohner des
Asylbewerberheims sollen sich an die Gepflogenheiten des Gastlandes
halten oder wieder zurück in den Kongo gehen, wo sie ums Feuer tanzen
können, bis sie schwarz werden, was sie aber schon sind." Erschreckend,
dass so oftmals gerade diejenigen rassistische Vorurteile in der
Gesellschaft schüren, die politische Verantwortung übernehmen wollen.
Die Situation macht klar, dass antirassistisches Engagement nicht beim
Kampf gegen Neonazis - so wichtig dieser ist - aufhören darf. Die
Strukturen des alltäglichen Rassismus müssen reflektiert, aufgezeigt
und aufgelöst werden. Fangen wir bei uns selbst an!
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