Nazikollaborateure in der Dritten Welt

Themenschwerpunkteditorial

Auf dem Atoll Hikueru in der französischen Kolonie Polynesien ereignete sich im Oktober 1939 Bemerkenswertes. Der traditionelle Chef der Insel, Nohorai Sue, rief zum aktiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten auf.

Seine Begründung: »Deutschland hat sich vor aller Welt als eine Nation offenbart, die man ächten muss (...) Kaum zwei Jahrzehnte, nachdem die deutsche Nation, die anderen immer nur Übles wollte, niedergerungen war, ist sie schon wieder über andere Länder hergefallen, um sich die Reichtümer ihrer Bewohner und die Früchte ihrer Arbeit anzueignen.«

Einen solchen Scharfsinn wiesen bei weitem nicht alle AkteurInnen in den Ländern der Dritten Welt auf. Im Gegenteil, auch außerhalb Europas gab es massenhafte Kollaboration mit den Nazis, den italienischen Faschisten und den japanischen Aggressoren. Nicht selten kamen die Sympathisanten der faschistischen Achsenmächte aus antikolonialen Bewegungen, die Deutschlands Angriff gegen die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien begrüßten. Indem antikoloniale AkteurInnen mit den faschistischen Mächten sympathisierten, in Nazi-Deutschland, Italien und Japan Exil suchten und fanden, Freiwillige für die Wehrmacht und die Waffen-SS rekrutierten und an der Seite der deutschen, italienischen und japanischen Truppen kämpften, wurden sie von Opfern zu Tätern. Einige beteiligten sich sogar an der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden.

Es waren keineswegs nur unbedeutende Mitläufer, die mit den Nazis gemeinsame Sache machten, sondern oft einflussreiche Politiker: in Palästina der höchste religiöse und politische Repräsentant der AraberInnen (Hadj Amin el-Husseini), in Indien der zeitweilige Präsident des Indischen Nationalkongresses (Subhas Chandra Bose) und in Argentinien der Staatspräsident (Juan Domingo Perón). Obwohl deren Kollaboration mit den Achsenmächten bekannt und vielfach belegt ist, werden sie in den jeweiligen Ländern bis heute von vielen als »Helden« verehrt.

Die Beschäftigung mit diesem Aspekt der Geschichte ist um so dringlicher, da es eine wachsende Tendenz unter deutschen WissenschaftlerInnen und PublizistInnen gibt, die Kollaboration von Nazisympathisanten aus anderen Kontinenten zu verharmlosen, zu verleugnen oder umzudeuten. Dieser Themenschwerpunkt erinnert daher nicht nur an wenig bekannte historische Fakten, sondern fordert auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Geschichtsrevisionismus auf. Schließlich findet dieser auch in Teilen der Linken ihren Widerhall, wie zahllose geschichtsblinde Kommentare etwa zum Nahostkonflikt belegen.

 

Der vorliegende Themenschwerpunkt ist für die iz3w ein Novum, denn sämtliche Beiträge wurden von einem einzigen Autor geschrieben: Karl Rössel. Er ist Mitarbeiter des Rheinischen JournalistInnenbüros in Köln, von dem das Buch »Unsere Opfer zählen nicht« (Hamburg/ Berlin 2005) sowie die Unterrichtsmaterialien über »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« (Köln 2008) publiziert wurden. Die beiden Veröffentlichungen thematisieren ein weitgehend verdrängtes Kapitel der Geschichte: die Ausbeutung von millionen Menschen aus Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika als Kolonialsoldaten, Zwangsarbeiter und Zwangsprostituierte durch die kriegführenden Mächte im Zweiten Weltkrieg.

Die hier veröffentlichten Texte über Palästina, Indien und Argentinien beruhen auf einer dreiteiligen Sendereihe von Karl Rössel, die im November 2008 vom Radiosender SWR2 ausgestrahlt wurde. Nach der Sendung über »Deutsche Islamwissenschaftler und arabische Kriegsverbrecher« verlangte das von Rössel kritisierte Zentrum Moderner Orient (ZMO) eine Gegendarstellung sowie die Entfernung von Manuskript und Podcast von der Webseite des SWR. Das Justitiariat des Senders sah für eine Gegendarstellung keine Grundlage.

Trotzdem kürzte der SWR Manuskript und Audiofassung dieser Sendung um sechs Minuten, um Konflikten mit dem ZMO aus dem Weg zu gehen. Es hätten sich »hinsichtlich einiger Behauptungen des Autors nachträglich Zweifel an deren Belegbarkeit« ergeben. Karl Rössel wurde nicht konsultiert. Er verlangte daraufhin vom SWR, die zensierte Fassung der Sendung aus dem Netz zu nehmen, und erstellte für das iz3w eine ungekürzte und mit Quellenverweisen versehene Printfassung der Sendereihe. Die Diskussion über Nazikollaborateure ist nun mit der vorliegenden Artikelreihe eröffnet. Weiteren Beiträgen sehen wir gespannt entgegen.

Uns bleibt an dieser Stelle ein herzlicher Dank an Karl Rössel – nicht allein für die aufwändig recherchierten Beiträge, sondern auch dafür, dass sie exklusiv in der iz3w erscheinen.

 

die redaktion

 

PS:

Karl Rössel bietet beim BUKO-Kongress vom 21. bis 24. Mai in Lüneburg zwei Veranstaltungen an: einen Vortrag zum Thema »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« und einen Workshop über »Nazikollaborateure und ihre deutschen Apologeten«.