Die Schweiz als Steueroase

Anatomie eines Sonderfalls

in (11.04.2009)

Mit dem Fall der Lichtensteinischen Stiftungen des Postchefs Zumwinkel geriet auch die Schweiz in die Kritik. Zu Recht, denn hinter jeder Steueroase steht ein etablierter Finanzplatz. Im Falle von Lichtenstein ist dies Zürich. Schweizer Banken und Treuhänder richten Lichtensteinische Stiftungen ein, das Vermögen von solchen Vehikeln wird von der Schweiz aus geführt. Insgesamt ungefähr ein Drittel aller weltweit grenzüberschreitend angelegten Privatvermögen werden von der Schweiz aus verwaltet.

Auch wenn die Schweiz nicht mit einem Offshore-Finanzzentrum zu vergleichen ist, das sehr geringe oder gar keine Unternehmenssteuern erhebt, ein lasches Gesellschaftsrecht zur Förderung von Briefkastenfirmen hat, das Bankgeheimnis strickt anwendet und keine Rechtshilfe leistet, so trägt das Land dennoch Züge einer Steueroase. Einige Besonderheiten im Steuerrecht der Schweiz kommen ihre Nachbarländer und die Welt teuer zu stehen. Dies sind die Beihilfe zur Steuerhinterziehung für reiche AusländerInnen im „Offshore Private Banking", die Pauschalbesteuerung und kantonale Besonderheiten in der Unternehmensbesteuerung.


Vermögensverwaltung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung

Die Stärke des Schweizer Finanzplatzes ist das „Private Banking", das heisst die Vermögensverwaltung für sehr reiche Individuen. Im Slang der Finanzbranche spricht man über die angepeilte Kundschaft des Private Banking von HNWI's, High Net Worth Individuals („Individuen von hohem Nettowert"). Ein „HNWI" verfügt über ein frei anlegbares Vermögen von über einer Million Dollar. Dabei werden selbst genutzte Immobilien, Luxusgüter oder Kunstgegenstände nicht gezählt, sondern nur Immobilieninvestitionen und Finanzanlagen. Diese Superreichen gehören zu den grössten Profiteuren der Globalisierung, ihr Vermögen wuchs bis zum Krisenjahr 2008 deutlich schneller als die Weltwirtschaft. 1996 gab es weltweit 4,5 Millionen HNWI, 2007 waren es 10,1 Millionen. Deren Vermögen wuchs von 16.600 Milliarden US-Dollar auf 40.700 Milliarden US-Dollar (Capgemini/Merrill Lynch 2008: 2), das ist mehr als drei Viertel der Summe der Bruttoinlandprodukte aller Länder (2007: 51.000 Mrd. US-Dollar).

Die Grossbanken UBS und Credit Suisse dominieren mit etwa der Hälfte des Marktanteils das Private Banking in der Schweiz. Knapp ein Viertel entfällt auf die Filialen ausländischer Banken, die ihre Private Banking-Abteilungen in der Schweiz angesiedelt haben, um von der Schweizer Rechtslage zu profitieren. Die Deutsche Bank war gemessen an den verwalteten Kundengeldern Ende 2007 mit 55 Mrd. Schweizer Franken die Nummer 13 im Schweizer Private Bankiung. Die eigentlichen Privatbanken - die Bezeichnung „Privatbankier" ist gesetzlich geschützt - sind Personengesellschaften bei denen die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen haften. Sie kontrollieren noch 7 Prozent des Private Banking, der Rest entfällt auf mittelgrosse Banken und grössere Kantonalbanken.


Offshore Private Banking

Das eigentliche Spezialgebiet der Schweiz ist die Vermögensverwaltung für ausländische Kundinnen und Kunden. Wird das Vermögen ausserhalb des Herkunftslandes des Kunden verwaltet, spricht man von „Offshore Private Banking". Die Grossbanken sind in den letzten Jahren dazu übergegangen, auch „Onshore" zu wachsen, das heisst, sie bauten vor allem in den europäischen Ländern Private Banking-Filialen auf. Daneben spielt natürlich auch die Verwaltung von grossen Schweizer Vermögen eine Rolle. Beim Offshore Private Banking hat die Schweiz aber eine weltweit dominierende Stellung. Ungefähr ein Drittel der grenzüberschreitend angelegten Privatvermögen werden von der Schweiz aus verwaltet (Thielemann 2002: 113 - 132). Vermögen, das ausserhalb des Herkunftslandes verwaltet wird, befindet sich meist auch ausserhalb der Reichweite der Steuerbehörden.

Das Private Banking ist der lukrativste Geschäftsbereich der Schweizer Banken. Diese haben vergleichsweise hohe Gebühren für ihre Dienstleistungen, im Offshore Private Banking mit steuerhinterzogenen Geldern wird das durch den besonderen Schutz wett gemacht. Zudem können die Kund/innen in aller Regel nicht gegen die Bank vor Gericht gehen, weil sonst ja ihre schwarzen Konten auffliegen würden.


Ach wie gut, dass niemand weiss ...

Über die in der Schweiz angelegten ausländischen Privatvermögen gibt es keine genauen Zahlen. Die Nationalbank (Schweizerische Nationalbank 2007: A 105 - A 138) weist Wertschriftenbestände in Kundendepots von Privatkunden aus (1109 Mrd.Fr.), hinzu kommen die Verpflichtungen aus Treuhandgeschäften, die ebenfalls ausländische Privatkunden betreffen (364 Mrd. Fr.). Auch von den bilanzierten Verpflichtungen1 gegenüber ausländischen Kunden (725 Mrd. Fr.), dürfte ein grosser Teil Privatpersonen betreffen, total also 2198 Mrd. Fr.

Nimmt man aber Schätzungen über den Umfang des Offshore Private Banking, also die Vermögensverwaltung ausserhalb des Herkunftslandes und den postulierten Marktanteil der Schweiz von einem Drittel als Ausgangspunkt, erhält man höhere Werte, als die 2198 Mrd. der Nationalbank. Dies deshalb, weil Teile der ausländischen Privatvermögen in der Statistik der Nationalbank nicht als solche erscheinen. So werden beispielsweise Domizilgesellschaften („Briefkastenfirmen") von Ausländern als inländische Kunden erfasst (Cash 1.4.2004).

Der Weltreichtumsbericht (World Wealth Report) von Merrill Lynch/Cap Gemini von 1998 schätzte den Anteil des Offshore gehaltenen Vermögens der High Net Worth Individuals auf ein Drittel. Dieser Anteil wird auch in neueren Schätzungen verwendet (Tax Justice Network 2006: 10). Nach dem aktuellen World Wealth-Bericht beträgt das Vermögen der HNWI 40700 Mrd. US-Dollar (Capgemini/Merrill Lynch 2008: 2), ein Drittel davon wird Offshore verwaltet, also 13500 Mrd. US-$. Davon wiederum ein Drittel als Weltmarktanteil der Schweiz am Offshore Private Banking ergäbe eine Summe 4500 Mia. US-Dollar oder etwa 5000 Mrd. Franken.

Ein anderes Beratungsbüro, die Boston Consulting Group schätzte für 2007 den Offshore Private Banking Markt im engeren Sinn auf 7300 Mrd. US-Dollar (Boston Consulting Group 2008: 8). Nimmt man auch hiervon einen Drittel für den Marktanteil der Schweiz, so ergibt dies einen Betrag von 2740 Mrd. Franken. Es ist angesichts dieser Berechnungen sicher nicht zu hoch gegriffen, die ausländischen Privatvermögen, die von der Schweiz aus verwaltet werden, auf 2.500 - 4.000 Mrd. Franken anzusetzen.


Welcher Teil ist schwarz?

Der Bericht einer französischen Parlamentarierdelegation von 2001 (Assemblée National, 2001: 32) schätzt den Anteil des unversteuerten Vermögens unter Berufung auf Genfer Bankenkreise auf neunzig Prozent. Die deutsche Bank geht von siebzig Prozent aus (Financial Times 24.4.2003). Schweizer Quellen zu dieser Frage machen sich rar. Die bankenfreundliche Wirtschaftszeitung Cash schätzte den Anteil auf 30 bis 80 Prozent. Konrad Hummler, Teilhaber der St. Galler Privatbank Wegelin ist einer der wenigen Stimmen aus der Branche, die Klartext redet: „Die grosse Mehrheit der ausländischen Anleger, die ihr Geld in der Schweiz parkiert haben, umgehen die Steuerpflicht" (Cash 1.4.2004). Hummler schätzt die Zahl der Kunden mit Schwarzgeld in der Schweiz auf 3 bis 6 Millionen. Gegenüber den Grossbanken, die behaupten Steuerhinterziehung sei für sie kein wichtiges Geschäft mehr, antwortet Hummler: „Das ist Lug und Trug". Ein politisches, moralisches oder ethisches Problem sieht Hummler dabei nicht, denn der Bankier hat ein spezielles Demokratieverständnis. „Politökonomisch betrachtet, gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen der Mafia in Palermo, die Schutzgelder einsammelt und einem Staat, der unter Gewaltandrohung Steuern einzieht" (Weltwoche 19.3.2008). Aufgabe der Schweiz, so sehen es Hummler und viele seiner Bankierskollegen, ist es, den „fiskalisch Verfolgten" finanzielles Asyl zu gewähren.

50 bis 90 Prozent von 2.500 bis 4.000 Mrd. Franken ergibt eine plausible Bandbreite für das Schwarzgeld in der Schweiz: 1.250 bis 3.600 Mrd. Franken.


Geschädigte Nachbarn

Unter der Beihilfe zur Steuerflucht durch die Schweiz leiden zunächst einmal die Nachbarländer der Schweiz. Die Banca d'Italia schätzte die unversteuert aus Italien ins Ausland geschaffte Summe auf 500 Milliarden Euro. Als Italien 2003 eine Steueramnestie durchführte, kehrten gut 70 Milliarden nach Italien zurück, fast 60 Prozent davon kamen aus der Schweiz (Tages Anzeiger 25.10.03). Verteilen sich die nicht zurückgeführten Steuerfluchtgelder etwa gleich, dann dürften weiterhin um die 270 Milliarden Euro aus Italien auf Schweizer Bankkonten liegen. Das deutsche Bundesfinanzministerium stellte im Januar 2003 fest, dass in Bankenkreisen das in der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg angelegte deutsche Steuerfluchtkapital auf 450 bis 550 Milliarden Euro geschätzt wird (Giegold 2003: 33). 2006 titelte eine Schweizer Wirtschaftzeitung sogar „Rekord: Deutsche bunkern 800 Milliarden in der Schweiz - so viel wie nie" (Cash 9.11.2006).

Der EU entgehen nach Schätzungen der EU-Kommission von 2006 durch Steuerbetrug - die Definition der EU schliesst die einfache Steuerhinterziehung nach Schweizer Recht mit ein - jährlich Steuereinnahmen in der Höhe von 200 - 250 Milliarden Euro (Kovács 2006).

Für die Schweiz gibt es nur indirekte Schätzungen über die Steuerhinterziehung. Dafür werden die deklarierten Angaben mit den Wirtschaftsstatistiken verglichen, 1995 entsprachen die hinterzogenen Gelder 22,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes (Feld 2006: 13).


Entwicklungsländer als Opfer

Das Netzwerk Steuergerechtigkeit schätzt den Anteil der Entwicklungsländer an den Verlusten durch Steuerflucht von reichen Personen auf ein Fünftel der Gesamtverluste (Tax Justice Network 2006: 11). Dies entspricht dem Anteil der Entwicklungsländer an der Weltproduktion. Eine erste grobe Schätzung würde also den Anteil unversteuerter Gelder aus Entwicklungsländern auf 250 bis 720 Milliarden ansetzen.

Eine etwas feinere Berechnung nimmt die Länderstatistik der Nationalbank zum Ausgangspunkt. Im bankenstatistischen Jahrbuch „Die Banken in der Schweiz" werden die bilanzierten Guthaben und Verpflichtungen und die Treuhandgeschäfte nach Ländern aufgeschlüsselt. Treuhandgeschäfte macht die Bank in ihrem eigenen Namen, jedoch auf Rechnung und Risiko ihres Kunden. Der Kunde tritt nach aussen nicht in Erscheinung, sondern nur dessen Bank. Treuhandgelder sind also eine ideale Form steuerhinterzogene Gelder zu verwalten. Die englische Wirtschaftszeitung nennt sie denn auch eine „Geheimwaffe" der Schweiz, die reiche Personen anziehe, „welche im eigenen Land Steuern hinterziehen wollen" (Financial Times 4.12.2002).

Die Steuerfluchtgelder aus Entwicklungsländern lassen sich schätzen, indem für einzelne Länder und Regionen die Prozentsätze der „bilanzierten Verpflichtungen" und der „Treuhandgelder" verwendet werden. Demnach liegen aus Asien, Afrika und Lateinamerika zwischen 132 und 606 Milliarden Franken Steuerfluchtgelder auf Schweizer Banken.

Auffällig ist der grosse Anteil der Gelder in der Schweiz, der von Offshore-Finanzplätzen kommt. Und das obwohl die Nationalbank nicht alle Steueroasen in der Kategorie „Offshore Finanzplätze" erfasst. Diese sind nur Durchgangsstationen, das heisst, ein Teil der Gelder, die von dort kommend ausgewiesen werden, stammen ebenfalls aus Entwicklungsländern. Damit lassen sich zum Teil die relativ niedrigen Zahlen für Asien erklären. Der zweite Grund dafür ist, dass asiatische Steuerfluchtgeldern auch auf den spezialisierten Finanzplätzen von Singapur und Dubai verwaltet werden. Diese bieten ähnliche Vorzüge wie die Schweiz und die Schweizer Banken haben dort eine starke Präsenz, vor allem für die Verwaltung asiatischer Kundengelder.

Traditionellerweise verlassen Steuerfluchtgelder Lateinamerika über die karibischen Steueroasen. Der Anteil Lateinamerikas dürfte also ebenfalls beträchtlich höher sein. Nimmt man als plausible Schätzung an, dass die Hälfte der Gelder aus Offshore-Finanzplätzen ursprünglich aus Entwicklungsländern stammt, so betragen die Steuerfluchtgelder aus Entwicklungsländern in der Schweiz zwischen 362 und 1.467 Milliarden Franken.

Die Steuerverluste der Entwicklungsländer durch Steuerfluchtgelder in der Schweiz betragen gemäss unserer Rechnung jährlich zwischen 5,4 Milliarden und 22 Milliarden. In jedem Fall also sind die Steuerverluste ein Vielfaches der 1,26 Milliarden Entwicklungshilfe aus der Schweiz (Erklärung von Bern 2008: 19 - 22). Für Pakistan, Peru und Südafrika sind die Steuerverluste beinahe so gross, wie die Entwicklungshilfe der Schweiz, für Indien sind sie sogar grösser.


Keine Frage des Bankgeheimnisses

Artikel 47, Paragraf 1 des Schweizerischen Bankengesetzes lautet: „Wer als Bankangestellter oder Treuhänder Auskünfte über Kunden und deren Gelder erteilt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu 50 000 Franken bestraft" (Bundesgesetz über Banken und Sparkassen, Artikel 47.1). Dieses mit drakonischen Strafen versehene Berufsgeheimnis, ist das „Bankgeheimnis". Es war aber nie absolut, denn „vorbehalten bleiben die eidgenössischen und kantonalen Bestimmungen über die Zeugnispflicht und über die Auskunftspflicht gegenüber einer Behörde". Damit ist klar, dass die Rechtsentwicklung in anderen Bereichen entscheidend ist. Werden gewisse Delikte als Straftatbestände definiert, kann das Bankgeheimnis aufgehoben werden, um der Auskunfts- und Zeugnispflicht nachzukommen. Deswegen wird das Bankgeheimnis bei Verdacht auf Geldwäsche, bei der Suche nach Potentatengeldern, bei Insider- und Korruptionsdelikten und bei vermuteten Terroristenkonten aufgehoben, und die Schweiz leistet in diesen Fällen Rechts- und Amtshilfe. Die wichtigste Änderung, das Geldwäschereigesetz von 1998, kam allerdings nur deshalb zu Stande, weil die Schweiz nach der Verwicklung in zahllose Finanzskandale dringend etwas gegen ihr schlechtes Image im Ausland unternehmen musste. Die Schweizer Zivilgesellschaft, die 1992 eine Kampagne »Schweiz ohne Fluchtgelder« lancierte, sorgte für den nötigen innenpolitischen Druck. Die Finanzmarktlobby prophezeite damals unter Heulen und Zähneklappern den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Schweiz.

Der Schutz der ausländischen Steuerhinterzieher, in anderen Worten der Standortvorteil des Offshore Private Banking, ergibt sich dadurch, dass in der Schweiz einfache Steuerhinterziehung kein strafrechtlich relevantes Delikt ist. Steuerhinterziehung gilt als „Übertretung", sie wird allenfalls von den Steuerbehörden verfolgt und mit Bussen geahndet, dies bleibt aber ohne strafrechtliche Folgen. Strafbar ist nur der Steuerbetrug, bei dem aktiv Urkunden wie „Geschäftsbücher, Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Lohnausweise" (Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, Artikel 186.1) gefälscht werden. Nicht aber, wenn ein „Steuerpflichtiger vorsätzlich oder fahrlässig bewirkt, dass eine Veranlagung zu Unrecht unterbleibt, oder dass eine rechtskräftige Veranlagung unvollständig ist" (Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, Artikel 175.1). Wer also „vergisst", dass er noch ein Konto in Liechtenstein hat, bleibt ungestraft. In fast allen Ländern, darunter diejenigen der EU, die USA und Japan ist Steuerhinterziehung strafbar.

Diese Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug hat weitreichende Folgen. In der Schweiz gilt für die Rechtshilfe der Grundsatz der doppelten Strafbarkeit: Die Schweiz unterstützt andere Länder nur dann, wenn dasselbe Delikt auch in der Schweiz strafbar ist. Dieses im Fall von politisch Verfolgten sinnvolle Prinzip führt dazu, dass die Schweiz in Steuersachen keine Rechts- und Amtshilfe leistet.

Der Schutz vor Rechtshilfe für Steuerhinterzieher ist für den Finanzplatz so zentral, dass er im Rechtshilfegesetz noch einmal explizit formuliert wurde: „Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand eines Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint" (Bundesgesetz über die Rechtshilfe in Strafsachen, Artikel 3.3). Und wenn die Schweiz in einem Strafverfahren Rechtshilfe leistet und an ausländische Strafverfolgungsbehörden beispielsweise Bankunterlagen weiterreicht, so gilt das „Spezialitätenprinzip". Der ersuchende Staatsanwalt darf die Unterlagen nur genau für den Fall verwenden, für den er sie beantragt hat. Auch wenn daraus klar hervorgeht, dass jemand auch Steuern hinterzogen hat, dürfen diese Informationen nicht in einem Prozess wegen Steuerhinterziehung verwendet werden (Bernasconi 2000: 64).

Trotz diesem rechtlichen Abwehrdispositiv ging der Bankiervereinigung die Rechtshilfepraxis immer noch zu weit, im Herbst 2005 forderte Urs Roth, der Geschäftsleitungsvorsitzende der Bankiervereinigung, eine restriktivere Praxis in der Rechtshilfe in Strafsachen.

Natürlich ist Steuerhinterziehung auch keine „Vortat", für die das Geldwäschereigesetz zur Anwendung käme. Hier erstreckt sich der Schutz sogar auf Steuerbetrug. Das Geldwäschereigesetz kommt nämlich nur dann zur Anwendung, wenn die umstrittenen Vermögenswerte aus einer strafbaren Handlung stammen, die in der Schweiz als Verbrechen gilt, d.h. mit mehr als drei Jahren Freiheitsentzug bestraft wird. Der Steuerbetrug ist zwar strafbar, gilt jedoch nur als Vergehen. Deshalb ist auch das Geld von im Ausland rechtskräftig verurteilten Steuerbetrügern in der Schweiz sicher.


With a little help from your banker

Obwohl die Sorgfaltspflichtvereinbarung der Schweizerischen Bankiervereinigung die aktive Beihilfe zur Kapitalflucht und Steuerhinterziehung verbietet, können potentielle Kundinnen und Kunden von Schweizer Banken offen ansprechen, dass sie ihr Geld nicht versteuern, ohne befürchten zu müssen, abgewiesen zu werden. Die Banken und Vermögensverwalter planen für diese Kundinnen und Kunden Briefkastenfirmen, Stiftungen oder Lebensversicherungspolicen in Steueroasen wie Liechtenstein, um das Schwarzgeld dauerhaft vor dem Zugriff des Steueramtes zu schützen (Facts, 15.7.2004).

Manchmal geben sie auch Tipps für den Bargeldschmuggel. Eine Methode wird »Zebra« genannt, dazu wird ein kurzfristig ein weisses (deklariertes) Konto eröffnet, die Belege dieses Kontos werden dann gebraucht, um Schwarzgeld über die Grenze zu bringen (Südwestfunk 2005). Eine andere Praxis, das „Cash-Matching" kommt ohne Schmuggel aus. Das geht so: Will ein Deutscher von seinem Konto in der Schweiz Geld abheben, so sucht die Vertrauensperson der Bank jemand, der gerade in Deutschland einzahlen will. Das Geld wechselt innerhalb Deutschlands den Besitzer und die Schweizer Konten werden entsprechend ausgeglichen (Wirtschaftswoche 16.9.2008).


Sabotierte Verbrechensbekämpfung

Durch den Schutz der Steuerhinterziehung wird auch der Kampf gegen Geldwäscherei, organisiertes Verbrechen und internationalen Terrorismus erschwert. Der ehemalige Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa beklagte sich darüber, dass die Strafverfolgungsbehörden bei Ermittlungen zu Geldwäsche von Schweizer Bankangestellten oder Treuhändern immer dasselbe zu hören bekämen: „Ich war mir schon bewusst, dass ich an einer Operation teilnahm, die wirtschaftlich keinen Sinn hat, aber ich dachte es handle sich um Steuerhinterziehung" (NZZ, 16.5.2000).

Für Länder ausserhalb der OECD besteht schon das grosse Hindernis, dass die Schweiz ihnen bei für sie zentralen Delikten keine Rechtshilfe leistet. Neben der Steuerhinterziehung gibt es auch bei Verstössen gegen Devisenausfuhrbestimmungen zur Verhinderung der Kapitalflucht keine Rechtshilfe. Gelangt ein Staat aber mit einem rechtshilfefähigen Ersuchen, zum Beispiel wegen Korruption, an die Schweiz, so erlaubt die Straflosigkeit der Steuerhinterziehung die Störung des Verfahrens. Die Anwälte des Beschuldigten können einen Rekurs gegen das Rechtshilfebegehren erheben, bei dem sie argumentieren, das Delikt des Rechtshilfegesuchs sei nur vorgeschoben, tatsächlich gehe es um Steuerhinterziehung. Die Verzögerung, die durch den Rekurs eintritt, führt in vielen Fällen dazu, dass das gesamte Verfahren im Sande verläuft.


Pauschalbesteuerung

Die Schweiz hat noch eine weitere Spezialität: die Pauschalbesteuerung. Die Steuern von Ausländerinnen und Ausländern, die seit mindestens 10 Jahren nicht in der Schweiz erwerbstätig sind, aber hier ihren Wohnsitz haben, richtet sich nicht nach ihrem Einkommen oder Vermögen, sondern nach ihren Lebenshaltungskosten. Der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, macht davon ebenso Gebrauch wie Michael Schumacher, Theo Müller ( Eigentümer des gleichnamigen Milch-Konzerns), Tina Turner und weitere 3700 Schwerreiche. 90 Prozent der Pauschalbesteuerungen werden in den Kantonen Waadt, Wallis, Genf, Tessin und Graubünden gewährt (24 heures 5.4. 2006) Als Bemessungsgrundlage bei der Pauschalbesteuerung gilt normalerweise der fünffache Eigenmietwert bzw. die fünffache Jahresmiete des Schweizer Domizils. Michael Schumacher bezahlt nach Presseberichte knapp zwei Millionen Franken Steuern - bei einem Einkommen von 75 Millionen jährlich und einem Vermögen von 600 - 900 Millionen Franken (Manager Magazin, 16.10.2005). Kamprad, der einen für seine Verhältnisse bescheidenen Lebensstil pflegt, hat trotz einem Vermögen von 21 bis 36 Milliarden Franken noch nie mehr als 200 000 Franken Steuern bezahlt (24 heures, 5.4.2006).

Die fast vollständige Reduktion der Steuerzahlung, die mit der Pauschalbesteuerung gewährt wird, weckt auch hierzulande Begehrlichkeiten. So forderte der frühere Chef der UBS, Peter Wuffli, die Ausdehnung auf internationale Unternehmer, Experten und Manager. Der Schwerreiche Unternehmer und Ex-Bundesrat Christoph Blocher verlangte gar vor seiner Zeit als Bundesrat die Begünstigungen der Pauschalbesteuerung auch für reiche Schweizer (Facts, 2. Februar 2006).

Doch es gibt auch Widerstand. Die Sozialdemokratische Partei versuchte die Pauschalbesteuerung abzuschaffen. Eine entsprechende Parlamentarische Initiative wurde im Nationalrat 2005 mit 87 zu 67 Stimmen abgelehnt. Am 8. Februar haben die Stimmberechtigten des Kantons Zürich in einer Volksabstimmung die Abschaffung der Pauschalbesteuerung beschlossen. Dieses Resultat ist ein wichtiges Signal an die anderen Kantone und es wird nun erwartet, dass sich die Kantonsregierung für eine generelle Abschaffung einsetzt.


Paradiesische Zustände für Unternehmen

Hongkong (10,5), Obwalden (11,5) Zug (13,7), Dublin (14,1), Nidwalden (14,8), Singapur (15,7), St. Gallen (16,2), Bratislava (16,3), Luzern (16,3), Schwyz (17,0) Warschau (17,0), Zürich (18,3): Diese Auflistung ist kein Wetterbericht, sondern die Liste der Städte und Regionen weltweit mit der niedrigsten Besteuerung von Unternehmen (Steuersätze in Prozent). Die Schweiz dominiert auch hier. Sehr günstige Steuerregime führen zu Unternehmensverlagerung und setzten die übrigen Länder unter Druck. Dies zeigt ein Blick auf die effektiven Sätze in anderen Städten: Brüssel (24,7 %), Luxemburg (25,2 %), London (28,6 %), Boston (35,8 %) (BAK 2007: 5).

Heizt die Schweiz schon bei den regulären Steuersätzen die Steuerkonkurrenz an, so gilt dies erst recht, für die Sonderregeln. Der Klassiker ist hier Zug. In Zug gibt es sehr niedrige Sätze bei der Kapitalsteuer und vollständige Befreiung von der Gewinnsteuer für Holdings, Domizilgesellschaften und gemischte Gesellschaften. Holdinggesellschaften sind Unternehmen, die Beteiligungen an anderen Unternehmen verwalten und die in der Schweiz keine eigene Geschäftstätigkeit ausüben. Domizilgesellschaften sind Unternehmen, die in der Schweiz nur eine Verwaltungs-, aber keine Geschäftstätigkeit ausüben. Eine reine Domizilgesellschaft ist ein vornehmer Ausdruck für eine Briefkastenfirma. Gemischte Gesellschaften schliesslich sind Unternehmen oder Niederlassungen von ausländischen Konzernen, die vorwiegend im Ausland geschäftlich tätig sind und in der Schweiz nur eine untergeordnete Geschäftstätigkeit ausüben. Diese Unternehmenskonstruktionen müssen in Zug lediglich eine Kapitalsteuer von 0,075 ‰ (Promille) entrichten. Für die Holdinggesellschaften wurde dieser Satz 2007 sogar noch auf 0,02 ‰ gesenkt. Inzwischen hat Zug Konkurrenz erhalten von Kantonen wie Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden, Graubünden und Schwyz, die ähnliche Sonderregeln haben.

Das schmälert die Attraktivität von Zug allerdings nicht, seit dem Jahr 2000 hat die Zahl der in Zug registrierten Firmen um ein Viertel zugenommen und dank diesen Besonderheiten wurde Zug zum weltweit führenden Kaffeehandelsplatz. Auch beim Handel mit weiteren Rohstoffen wie Kupfer, Zink, Nickel und Kohle gehört Zug zur Weltspitze. Der Doyen des Rohstoffhandels ist der in den USA verurteilte Steuerhinterzieher und notorische Embargobrecher (Südafrika, Iran etc.) Marc Rich. Firmen aus Richs Umfeld wie Glencore, Crown Resources und Xstrata sind immer mal wieder für einen Skandal gut.

Aufsehen erregte auch die Gazprom-Tochter Northern European Gaspipeline Company mit Gerhard Schröder im Verwaltungsrat. In Zug sitzen aber auch Firmen wie die Metro-Holding, die viele Firmen im deutschen Einzelhandel besitzt oder der Luxusgüterriese Richemont mit den Marken wie Cartier, Montblanc oder Chloé (Die Welt 7.3.06).


Freier Parkplatz für Gewinne

Mit einer Holding in Zug lassen sich konzerninterne Gewinne steuergünstig parkieren. Dass den Entwicklungsländern durch „Transfer Pricing" grosse Beträge an Steuereinnahmen entgehen, ist ein offenes Geheimnis. Allerdings betreiben die Unternehmen einen grossen Aufwand, um solche Geschäfte zu verschleiern, so dass konkrete Beispiele selten sind.

Im August 2005 schloss der weltweit zweitgrösste Stahlkonzern Mittal Steel mit der Übergangsregierung von Liberia ein Abkommen über die Ausbeutung der liberianischen Eisenerzvorkommen. Dieses Abkommen gab Mittal die Möglichkeit, zukünftige Profite aus dem dortigen Erzabbau konzernintern so zu verschieben, dass die Einnahmen Liberias stark geschmälert worden wären. Mittal Steel Liberia Limited, die Firma die den Erzabbau in Liberia vorantreiben wird, ist Teil eines ausgedehnten Firmengeflechts. Mittal Steel (Liberia) Holding Limited ist in der Steueroase Zypern angesiedelt, diese gehört Mittal Steel Holdings AG in Zug. Das Hauptquartier von Mittal Steel ist Luxemburg. Mittal genoss nach dem Abkommen zwischen der Firma und der Übergangsregierung Liberias fünf Jahre völlige Steuerfreiheit. Danach aber hilft die Konstruktion mit den Steueroasen um durch Transfer Pricing Steuern zu sparen. Die Produktionsgesellschaft in Liberia kann so das Erz erst zu einem niedrigen Preis an eine konzerneigene Tochter in Zypern oder Zug verkaufen, von dort wird es zum höheren Weltmarktpreis an den Kunden weiterverkauft. Die Töchter in den Steueroasen machen so steuerfreie Gewinne, während die Produktionsgesellschaft scheinbar keinen Gewinn macht (Global Whitness 2006: 16 - 22).

Um diese Praxis zu bekämpfen, verlangen immer mehr Regierungen, dass auch konzernintern Marktpreise verrechnet werden. Im Abkommen zwischen Mittal und der Übergangsregierung Liberias stand davon nichts. Nachdem die englische Nicht-Regierungsorganisation „Global Whitness" dieses Abkommen öffentlich gemacht hat, versprach die inzwischen eingesetzte reguläre Regierung Liberias mit Mittal neu zu verhandeln (Global Whitness 2007).

Ein aktuelles Beispiel betrifft die in Baar angesiedelte Holzhandelsfirma Danzer. Nach Recherchen von Greenpeace hat Danzer mit Hilfe der ebenfalls in Baar registrierten Handelstochter Interholco die Regierungen der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und der Republik Kongo von 2000 bis 2006 um mindestens 12,5 Millionen Franken Steuereinnahmen gebracht. Dies entspricht über 80 Prozent der Investitionen der DRK in die öffentliche Gesundheitsversorgung im Jahr 2000 (Greenpeace 2008).

Zustimmung wankt

Es ist für die politische Debatte in der Schweiz absolut zentral, in der Frage über die Beihilfe der Schweiz zur Steuerhinterziehung sich nicht auf eine allgemeine Bankgeheimnisdiskussion einzulassen. Das Bankgeheimnis wäre als verstärktes Berufsgeheimnis zum Schutz der Privatsphäre in dem Moment kein Problem mehr, wo Steuerhinterziehung als strafrechtliches Vergehen eingestuft würde.

In der jährlichen Meinungsumfrage der Bankiervereinigung wurde im Jahr 2000 gefragt, ob das Bankgeheimnis bei Steuerhinterziehung aufgehoben werden soll. 72 Prozent der Antwortenden waren dafür. Im folgenden Jahr wurde deshalb die Frage in eine reine Wissensfrage umgewandelt, gefragt wurde, ob das Bankgeheimnis bei Steuerhinterziehung aufgehoben werden kann. Diese Frage Beantworteten immer noch 67 Prozent mit Ja und sie lagen damit falsch. Seither stellt die Bankiervereinigung gar keine Fragen im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung mehr.

Auch die Umfragen des Finanzdepartements zeigten, dass die Zustimmung zur Beihilfe der Steuerhinterziehung wankt. Von 2001 bis 2004 stieg der Prozentsatz derjenigen, welche die Aufhebung des Bankgeheimnisses im Falle von Steuerhinterziehung wünschen von 25 auf 32 Prozent. Gleichzeitig lehnten auch mehr Befragte das Bankgeheimnis grundsätzlich ab, ihre Zahl stieg von 10 auf 15 Prozent. 2004 waren nur noch 51 Prozent der Befragten für die Beibehaltung des Bankgeheimnisses in seiner heutigen Form (EFD Medienmitteilung 27.9.2004). Daraufhin wurde die seit 1997 jährlich durchgeführte Umfrage eingestellt.

Im Parlament aber haben die Bürgerlichen Parteien FDP (Freisinnig Demokratische Partei), CVP (Christlichdemokratische Volkspartei) und SVP (Schweizerische Volkspartei) eine solide Mehrheit, wenn sie wie in Steuerfragen zusammen halten. Die Linke wiederum ist auch nach Jahren noch von der vernichtenden Niederlage ihrer „Bankeninitiative" in der Volksabstimmung 1984 gelähmt. Deshalb wagt sich bisher niemand daran, die Veränderung durch eine Volksabstimmung zu versuchen. Eine Änderung der Schweizerischen Praxis wird daher vor allem durch internationalen Druck zu Stande kommen.


Mauern unter Druck:
Die Schweiz und die internationale Zusammenarbeit

Die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen sei grundsätzlich positiv zu bewerten, lassen offizielle schweizerische Stellen bisweilen verlauten. Doch in den meisten Verhandlungen und internationalen Gremien verteidigt die Schweiz mit Zähnen und Klauen ihre steuerlichen Sonderregelungen. Nur unter massivem Druck gibt sie zuweilen Terrain preis.

Die grosse Mehrzahl aller Regierungen der Welt sich einig, dass Steuerhinterziehung ein Problem ist, das nur durch verstärkte internationale Zusammenarbeit angegangen werden kann. Die OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development), in der die Industrieländer zusammenarbeiten, setzt sich seit mehr als zehn Jahren gegen schädliche Steuerpraktiken und für mehr Austausch von steuerlich relevanten Informationen ein (OECD 1998). Die Schweiz macht in der OECD auf passiven Widerstand und sie gilt hinter vorgehaltener Hand als das grösste Hindernis für Fortschritte in Richtung Informationsaustausch.

Zahlreiche Offshore-Finanzzentren haben nämlich mittlerweile auf Druck der OECD ihre eigene Gesetzgebung und Bankenaufsicht (etwas) verbessert und bilaterale Abkommen über den Informationsaustausch abgeschlossen. Nicht zu Unrecht werfen sie der OECD vor, gegenüber einzelnen ihrer Mitgliedsländer - gemeint ist vor allem die Schweiz - einen deutlich tieferen Standard anzuwenden, als sie von den Offshore-Zentren verlangt. In einem Bericht dokumentierte die OECD 2006 einerseits die erreichten Fortschritte und identifizierte anderseits auch jene Länder, welche zusätzliche Schritte einleiten müssen. Kein Wunder: die Schweiz gehört zu letzteren. Namentlich prangert der Bericht an, dass die Schweiz bei der Amts- und Rechtshilfe grundsätzlich das „Prinzip der doppelten Strafbarkeit" anwendet und bei Steuerhinterziehung nicht mit anderen Ländern kooperiert. Damit so die OECD befindet sich die Schweiz zusammen mit Luxemburg und Österreich im illustren Kreis von Offshore-Finanzzentren wie Andorra, den Cook Inseln, Samoa, San Marino, Santa Lucia, Saint Vincent und Grenada (OECD 2006).


Das Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU

Die Europäische Union verkündete im Juni 2000 in Portugal, sie plane einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Steuerverwaltungen zu etablieren. Damit sollte es möglich werden, die Erträge aus Guthaben von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten mit Wohnsitz in einem anderen Land zu besteuern. Ein Steuerrückbehalt als Ersatz für den Informationsaustausch war nur als Übergangsregelung gedacht. Ebenso war vorgesehen, dieses System erst dann in Kraft zu setzen, wenn Verträge mit Drittstaaten, insbesondere mit Andorra, Monaco, Liechtenstein, San Marino, den USA und der Schweiz garantieren würden, dass letztere „äquivalente Massnahmen" ergriffen. Die EU befürchtete zu Recht, dass sonst die Kapitalflucht verstärkt würde.

Von Anfang an - und begleitet vom Mantra „das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar" - unternahmen der damalige Finanzminister Kaspar Villiger und die Schweizer Unterhändler alles, um die EU zur Umkehr zu bewegen und ihr das Zugeständnis eines langfristigen Nebeneinander zweier Systeme abzuringen: des Informationsaustausches und des Steuerrückbehalts.

Das gelang der Schweiz. Am 21. Januar 2003 anerkannte der Ministerrat die Koexistenz beider Systeme „auf unbestimmte Zeit". So konnten auch Österreich, Belgien und Luxemburg oder die Kanalinseln einen Steuerrückbehalt einführen.

Das Abkommen zwischen der Schweiz und der EU sowie die zugehörige Richtlinie sehen eine Quellensteuer vor, die 2006 bei 15 Prozent lag und bis 2011 sukzessive auf 35 Prozent erhöht wird. 75 Prozent der erhobenen Steuer wird den Staaten, in denen die Kunden der Schweizer Banken wohnen, zurückerstattet. Dieser Rückbehalt betrifft die Zinsen auf Guthaben natürlicher Personen, die in einem EU-Mitgliedstaat Wohnsitz haben (Botschaft des Bundesrates vom 1.10.2004). Der Bundesrat gibt selber zu, dass sich diese Steuer leicht umgehen lässt (Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Leuenberger vom 14.12.2004). Diverse Schlupflöcher wurden in den EU-internen Verhandlungen eingebaut, um den Finanzplätzen der Mitgliedsstaaten entgegenzukommen. Für eine Umgehung genügt es, die Erträge statt einer natürlichen Person einer Briefkastenfirma auszuzahlen oder die Erträge als Kursgewinne und nicht als Zinsen erscheinen zu lassen. Auch Stiftungen und Trusts sind nicht erfasst.

Die Banken zögerten nicht, ihrer Kundschaft Anlageformen vorzuschlagen, die nicht unter die Zinsbesteuerungsrichtlinie fallen. Das Magazin Facts schätzte 2004, dass 200 Milliarden Franken umgeschichtet würden, wobei die Banken in der Schweiz allein daran 2 Milliarden Franken verdienten (Facts 15.7.2006).

Der Steuerrückbehalt ist nicht gleichwertig mit dem Informationsaustausch, wie Schweizer Behörden unermüdlich behaupten. Die Quellensteuer gibt keinen Aufschluss über die Höhe der in der Schweiz angelegten Vermögen. Und dass die Quellensteuer nicht greift, zeigt die Summe der Rückerstattungen: 2007 wurden an alle EU-Mitgliedsstaaten lediglich 490 Millionen Franken überwiesen, Deutschland erhielt 130 Millionen (EFD Medienmitteilung 8.5.2008).

Das Abkommen zur Zinsbesteuerung wurde auch von der Schweizer Bankiervereinigung akzeptiert. Obwohl die Vereinigung einige Konzessionen machen musste, hat sie doch das Wesentliche erreicht: Die Steuerflucht im Bereich der direkten Steuern bleibt durch das Schweizer Recht geschützt - besser noch: dieser Umstand wurde von der Europäischen Union anerkannt.


Gegen die steuerliche Sonderbehandlung der Holdings

Kaum waren diese Verhandlungen abgeschlossen, begann sich die EU erneut mit dem Schweizer Steuersystem zu befassen. Sie kritisierte die Sonderregeln für Holdings, Briefkastenfirmen und gemischte Gesellschaften in zahlreichen Kantonen. Die EU beurteilt diese Steuerregeln als unvereinbar mit dem Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz.

Der Schweiz antwortete rein legalistisch: Das Freihandelsabkommen von 1972 gelte für den Güteraustausch. Da die Firmen, die von den von der EU kritisierten Steuersystemen profitierten, keinen oder nur sehr wenig kommerzielle Aktivitäten in der Schweiz betrieben, könne das Abkommen von 1972 nicht zur Anwendung kommen. Deutlicher wurde ein Leitartikel der NZZ: Die „Botschaft an die EU muss glasklar sein, damit die Investoren nicht verunsichert werden: Die Schweiz wird dafür sorgen, dass unter dem Strich die fiskalische Belastung der Unternehmen hierzulande derart milde bleiben wird, dass sie sich auch in Zukunft erfolgreich im Standortwettbewerb schlagen kann" (Neue Zürcher Zeitung, 18.02.2006).

Auch für die EU ist die Frage von grosser politischer Bedeutung. Sie bemüht sich, schädlichen Steuerwettbewerb zu bekämpfen und kann deshalb nicht zulassen, „dass ein so enger Nachbar, der einen privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt geniesst (...), ein Steuerschema aufrechterhält, dessen einziges Ziel es ist, ausländische Holdings anzuziehen" (ec.europa.eu/comm/
external_relations/switzerland/intro/index.htm).

Es ist möglich, dass das von der Schweiz vorgebrachte juristische Argument zutrifft. Aber politisch ist die Situation kaum haltbar. Das Problem ist, dass die Schweiz und die Schweizer Kantone den ausschliesslich im Ausland aktiven Unternehmen Steuervorteile zugestehen, die sie den inländischen vorenthalten. Diese Diskriminierung (englisch: ring fencing) ist ein charakteristisches Merkmal einer Steueroase.

Im Dezember 2008 skizzierte Finanzminister Merz, wie die Schweiz im seit 2005 schwelenden Steuerstreit der EU einen Schritt entgegenkommen will. Die in- und ausländischen Erträge der Holding- und Verwaltungsgesellschaften sollen steuerlich gleich behandelt werden. Als mögliche Massnahme bezeichnete Merz ein Verbot der Geschäftstätigkeit von Holdings nicht nur im Inland, sondern neu auch im Ausland. Weiter erwähnte er die Abschaffung der rund 10 000 Domizilgesellschaften d.h. „Briefkastenfirmen" ohne Geschäftstätigkeit in der Schweiz (EFD Medienmitteilung 10.12.2008). Ein ursprünglich für Januar 2009 geplantes Treffen zwischen der Schweiz und der EU zum Steuerstreit wurde bis nach der Volksabstimmung vom 8. Februar vertagt. Da die Stimmberechtigten in der Schweiz der Weiterführung des freien Personenverkehrs mit der EU und dessen Ausdehnung auf die beiden neuen EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien zustimmten, ist der Weg für neue Verhandlungen im Steuerstreit nun frei.


Im Zangengriff der USA

Sehr viel effektiver als die EU setzte die USA die Schweiz unter Druck. In den USA sind Banken und Finanzinstitutionen verpflichtet Informationen über Zinsen, Dividenden und Handelserträge mit dem Formular 1099s direkt an die Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) zu liefern. Die USA haben weltweit direkt bei den Banken angesetzt, um ein bekanntes Steuerschlupfloch zu schliessen: Die USA erheben auf Dividenden und Zinserträgen von US-Wertschriften eine Quellensteuer von 30 Prozent. Bei Ländern mit denen Doppelbesteuerungsabkommen bestehen, liess sich diese grösstenteils umgehen. Das wurde von US-Steuerpflichtigen ausgenutzt, indem sie US-Wertschriften über ausländische Banken kauften. Die USA verlangten deshalb von ausländischen Banken, auch den Schweizer Banken, im Jahr 2000, dass diese mit dem IRS ein Abkommen unterzeichnen, das sie als «Qualified Intermediary» (QI) auszeichnet. Andernfalls hätten diese Banken nicht mehr mit US-Wertschriften handeln dürfen. Die QI-Banken müssen die US-Wertschriftenerträge von US-Steuerpflichtigen dem IRS melden. In der Schweiz müssen die US-Steuerpflichtigen deshalb der Bank gegenüber einwilligen, das Bankgeheimnis zu brechen. Wenn ein US-Steuerpflichtiger gegenüber dem IRS seine Identität nicht offen legen will, dann dürfen QI-Banken seit dem 1.1.2001 diesem keine US-Wertschriften mehr verkaufen und auf bestehende Depots wird eine Quellensteuer von 31 Prozent an den IRS abgeführt.

Auch gegenüber der Schweizer Regierung haben die USA mit ihrem Power Play mehr erreicht als alle anderen Ländern. Im Jahr 2003 unterzeichnete die Schweiz mit den USA eine „Verständigungsvereinbarung" welche einen offenen Punkt des Doppelbesteuerungsabkommens regelt. Dort heisst es nämlich, dass bei „Steuerbetrug und dergleichen" Informationen ausgetauscht werden sollen, d.h. Amtshilfe geleistet werden soll. Die Vereinbarung regelt, was unter „dergleichen" zu verstehen ist. Die USA haben damit erreicht, dass die Schweiz auch bei Delikten Amtshilfe leisten muss, bei denen „die beidseitige Strafbarkeit im formalen Sinne nicht gegeben ist" (Antwort des Bundesrates auf die Interpellation Studer, 19.3.2003). Das Schweizerische Finanzdepartement betonte zwar es brauche einen vergleichbaren Unrechtsgehalt: So reiche das Verschweigen von Einkünften (die US-Definition von Steuerbetrug) alleine noch nicht, es brauche zusätzlich noch eine Täuschung. Der Tatbestand der Täuschung wird aber in den USA viel extensiver ausgelegt als in der Schweiz, so dass dies kein grosses Hindernis darstellen sollte, um Informationen über Fälle von einfacher Steuerhinterziehung zu erhalten.


Der Fall UBS: Der Anfang vom Ende?

Die US-Behörden erhielten 2008 vom dem ehemaligen UBS-Manager Bradley Birkenfeld, der mit den Ermittlern kooperiert um eine Strafmilderung zu erhalten, detaillierte Informationen darüber, wie die UBS amerikanischen Bürgern bei der Steuerhinterziehung half. Konkret wurden Kundenvermögen in Offshore-Briefkastenunternehmen umgeschichtet, um das QI zu umgehen und eine Meldung an den IRS zu verhindern. Die UBS-Banker waren laut Birkenfeld teilweise direkt am Bargeldschmuggel beteiligt. Er selbst gab zu, für seinen wichtigsten Kunden, den US-Immobilienmagnaten Igor Olenicoff, Diamanten in einer Zahnpastatube versteckt, transportiert zu haben (Wirtschaftswoche 16.9.2008). Die US-Steuerbehörde verlangt von der UBS deshalb die Herausgabe von Kundendaten. Da die UBS bedroht von einer Milliardenbusse oder gar einem Lizenzentzug in der Kooperation das kleinere Übel sah, warnte Finanzminister Rudolf Merz die UBS noch im Sommer 2008, dass sie damit das Bankgeheimnis verletzen würde - ein Offizialdelikt. Inzwischen haben sich Bank und Regierung auf eine andere Strategie geeinigt, offensichtlich haben die USA die Daumenschrauben angezogen. Eindeutig entgegen der Rechtslage in der Schweiz, wurde das Vergehen der UBS (bzw. „einiger Mitarbeiter" wie die Bank behauptet) in Steuerbetrug umgedeutet. Dieser ist rechtshilfefähig und erlaubt eine Kooperation mit den US-Behörden.

Der Zuger Finanzspezialist Professor Maurice Pedergnana sieht in der Entschuldigung des UBS-Bankers Mark Branson vor dem US-Senat im Sommer 2008 einen Dammbruch: „Denn mit diesem Schritt bricht nun die Aufrechterhaltung des Unterschiedes zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung" (Der Bund 19.7.2008).

Schliesslich droht von Präsiden Barack Obama weiteres Ungemach. Dieser unterstützte als Senator einen Gesetzesvorstoss, den „Stopp Tax Havens Abuse Act". Die Schweiz wird in diesem Gesetzesentwurf ausdrücklich als Steueroase (Tax Haven) bezeichnet. Vielleicht ist es also schon bald an der Zeit, die abschliessende Autopsie eines Sonderfalls vorzunehmen.


Literatur

Assemblée National (2001): Rapport d'Information, Raporteur M. Arnaud Montebourg, Paris.
Bernasconi, Paolo (2000): Finanzplatz Schweiz und Kapitalflucht, in: Jahrbuch Schweiz - Dritte Welt, Genf.
Boston Consulting Group (2008): A Wealth of Opportunities in Turbulent Times.
Capgemini/Merrill Lynch (2008): World Wealth Report.
Erklärung von Bern (2008): Ein Elefant im Wohnzimmer, EvB-Dokumentation 4/2008.,
Feld, Lars P., Frey, Bruno S. (2006): Tax Evasion in Switzerland: the Roles of Deterrence and Tax Morale, Center for Research in Economics, Management and the Arts, Working Paper, Bâle.
Giegold, Sven (2003): Steueroasen:Trockenlegen! Hamburg.
Global Whitness (2006): Heavy Mittal? A State within a State: The inequitable Mineral Development Agreement between the Government of Liberia and Mittal Steel Holdings NV.
Global Whitness (August 2007): Update on the Renegotiation of the Mineral Development Agreement between Mittal Steel1 and the Government of Liberia.
Greenpeace (2008): Steuertricks im Kongo.
Kovács, László (31. Mai 2006): Introductory remarks of László Kovács, Press conference on the adoption of the communication on fraud, Bruxelles.
OECD (1998): Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue, Paris.
OECD (2006): The OECD's Project on Harmful Tax Practices: 2006 Update on Progress in Member Countries, Paris.
Schweizerische Nationalbank (2007): Die Banken in der Schweiz, Zürich.
Südwestfunk (28.5.2005), Report Mainz, Abschrift der Sendung Steuerflucht in die Schweiz, wie Reiche ihr Schwarzgeld waschen.
Tax Justice Network (2006): Tax us if you can, Wie sich Multis und Reiche der Besteuerung entziehen und was dagegen unternommen werden kann.
Thielemann, Ulrich (2002): Grundsätze fairen Steuerwettbewerbs - Ein wirtschaftsethisches Plädoyer für einen Steuerleistungswettbewerb, in: B. Britzelmaier et al. (Hg.), Regulierung oder Deregulierung der Finanzmärkte, Heidelberg.


Endnoten

1 Aus der Sicht der Bank ist ein Guthaben eines Kunden eine Verpflichtung der Bank gegenüber diesem Kunden.


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Dieser Aufsatz erschien zuerst in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 154, 39. Jg., 2009, Nr. 1
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