Ein Tempolimit soll es beim Börsengang der
Deutschen Bahn (DB) nicht geben, wenn es nach dem Management und der
Bundesregierung geht. Kanzlerin Angela Merkel sieht im Börsengang „eine
Chance", Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ist dafür und auch
Finanzminister Peer Steinbrück und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee
(beide SPD) befürworten ihn. In der Öffentlichkeit sorgt das für Unmut.
Denn eine weitere Privatisierung birgt Risiken: höhere Ticketpreise,
drastische Stilllegung von Strecken, Lohndumping, weiterer
Personalabbau und Einsparungen bei der Sicherheit.
Zwei Drittel der Bevölkerung lehnen einen Börsengang der Bahn ab. Beim
SPD-Parteitag im vergangenen Oktober hat das seinen Niederschlag
gefunden. Gegen den Willen der Parteiführung fassten die Delegierten
einen Beschluss, der das Aus für das bis dahin propagierte
Privatisierungsmodell bedeutete.
Die Schiene kommt unter die Räder
Doch die Privatisierungsbefürworter geben weiter Gas. Bahnchef Hartmut
Mehdorn und die SPD-Minister Steinbrück und Tiefensee legten kurz nach
dem Parteitag eine neue Variante vor: Sie sieht vor, die Infrastruktur
der Bahn (Schienen, Bahnhöfe etc.) vom Bereich Transport und Logistik
(Personen- und Güterverkehr) zu trennen. In staatlicher Hand soll nur
die Infrastruktur bleiben. Transport und Logistik hingegen sollen
schrittweise verkauft werden.
Im Kern läuft dieses "Holdingmodell" darauf hinaus, dass sich private
Investoren die Rosinen aus dem Unternehmen herauspicken können.
Bereiche, in denen vorwiegend Kosten anfallen, sollen beim Staat
bleiben.
Eine Privatisierung führt nicht zu einer besseren Bahn, wie die
Befürworter des Börsengangs behaupten. Dies lässt sich anhand der
Folgen von Bahnprivatisierungen in anderen Ländern wie Großbritannien,
Japan oder Schweden nachweisen. Viele Arbeitsplätze wurden vernichtet,
Belegschaften sind aufgespalten und dadurch die Gewerkschaften
geschwächt worden. Auch der Service hat gelitten: Bahnhöfe und Schalter
wurden geschlossen, Ticketpreise erhöht und Strecken stillgelegt.
Staatliche Subventionen sind zur Freude der privaten Investoren dennoch
weiter geflossen. Das Wachstum des Autoverkehrs wird durch solchen
Abbau der Bahn gefördert. Die Alternative zum Börsengang der Bahn,
einen preiswerten und flächendeckenden öffentlichen Verkehr, ziehen die
Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik nicht in Betracht.
Es mag Unbelehrbare in Parlamenten und Chefetagen geben. Doch fehlende
Kenntnisse oder Charakterschwächen sind nicht die Ursachen für die
globale Benachteiligung umweltfreundlicher Verkehrsmittel. Es sind auch
nicht die Menschen, die eine Republik auf vier Rädern fordern. Otto und
Emma Normalverbraucher werden die Verkehrswege vorgesetzt. Sie werden
nicht gefragt. Das heißt nicht, dass es keine Autofans gibt. Doch die
mit dem motorisierten Individualverkehr verbundene Ideologie von
"Mobilität" und "Freiheit" ist im vergangenen Jahrhundert in den
Industriestaaten von Autokonzernen produziert worden. Die Welt musste
erst "automobiltauglich" zugerichtet werden.
Los Angeles - von der Bahnstadt zur Abgashölle
Zimperlich waren die Autoindustrie und mit ihr verbundene Branchen
dabei nicht. In einer für den US-Senat verfassten Studie aus dem Jahr
1974 ist dokumentiert, wie General Motors (GM), Standard Oil und der
Reifenhersteller Firestone mehrere Jahrzehnte lang schienengebundene
Unternehmen in US-amerikanischen Großstädten aufgekauft und abgebaut
haben. Als ein drastisches Beispiel wird in der Studie Los Angeles
genannt. Laut Bradford C. Snell, Verfasser des Berichtes, war der
Großraum Los Angeles im Jahr 1939 "eine wunderschöne Gegend mit (...)
einer guten, von Ozeanbrisen angereicherten Luft. Sie wurde von dem
größten Straßenbahn- und S-Bahn-System der Welt versorgt".(1)
Dann sorgten GM und Standard Oil dafür, dass Straßenbahnwagen
verschrottet, elektrische Oberleitungen abgebaut und Schienen aus dem
Pflaster gerissen wurden. Der Snell-Bericht beschreibt, dass die
Konzerne Los Angeles auf PKW- und Busverkehr umgestellt haben. Die
Busse stellte General Motors her, den Diesel lieferte die Standard Oil
Company. Im Erscheinungsjahr der Studie, so Snell, sei "Los Angeles ein
ökologisch zerstörtes Gebiet (...) Die Luft ist vergiftet durch die
vier Millionen PKWs, von denen die Hälfte von GM stammt und die Tag für
Tag 13.000 Tonnen Schadstoffe ausstoßen."
Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die Stadt opfert die Hälfte
ihrer Fläche dem Autoverkehr. In der "City of Angels" müssen sich die
Engel Mund und Nase zuhalten. Laut einem Bericht der "American Lung
Association" aus dem vergangenen Jahr ist der Großraum L.A. das
städtische Gebiet mit der höchsten Luftverschmutzung in den USA.
Tiefensees "Masterplan"
Die deutsche Autoindustrie demontiert keine Schienen - nicht direkt.
Doch ab 1989 machte sich die Regierungskommission Bahn daran, eine
Privatisierung der Bundesbahn einzuleiten. "Der Kommission gehörte
nicht ein einziges Mitglied aus dem Bereich der Bahn an. Allerdings
waren in ihr führende Vertreter der Autoindustrie und der Ölbranche
vertreten" (2),
so der Verkehrsexperte Winfried Wolf. 1994 ist dann die Bahn in eine
Aktiengesellschaft umgewandelt worden, deren Anteile (noch) zu 100
Prozent der Staat hält. Seitdem sind mehr als 5500 Kilometer
Schienenstrecke stillgelegt und die Hälfte der Arbeitsplätze bei der
Bahn abgebaut worden.
Ende 2006 zog der Verkehrsclub Deutschland in seiner Analyse "Ein Jahr
Tiefensee: Verkehrspolitik zulasten von Klima und Gesundheit" Bilanz:
"Statt eine weitsichtige Mobilitätspolitik für Mensch und Umwelt
voranzubringen werden vorrangig Bedürfnisse der einflussreichen
Wirtschaftslobby bedient, sei es auf der Straße, dem Wasser oder in der
Luft."
Mitte März hat Verkehrsminister Tiefensee den Entwurf "Masterplan
Güterverkehr und Logistik" vorgestellt. In diesem wird prognostiziert,
dass bis zum Jahr 2025 die Verkehrsleistung im Straßengüterverkehr um
79 Prozent steigen wird. Der LKW-Verkehr über weite Strecken könnte
sogar um 84 Prozent zunehmen (3).
Die Antwort des Ministers auf diesen Asphalt-Alptraum: Ausbau des
Autobahnnetzes und mehr Parkplätze für LKWs an den Tankstellen und
Raststätten.
Dass es auch eine "Engpassbeseitigung bei der Schiene" geben soll,
beruhigt nicht. Statt schädlichen Verkehr abzubauen, setzt Tiefensee
auf mehr Transportwege - vor allem auf die Straße. Das nutzt global
produzierenden Konzernen, die Zeche zahlt der Steuerzahler.
Nordseekrabben aus Marokko
In so manchem Produkt stecken hunderte oder tausende
Transportkilometer, bevor es beim Verbraucher landet - Tendenz
steigend. Der Erfindungsreichtum weltweit agierender Konzerne auf der
Suche nach dem billigsten Produktionsverfahren kennt dabei im wahrsten
Sinne des Wortes keine Grenzen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz
(BUND) bringt in seiner Flugschrift "Wahnsinn Güterverkehr" ein
einprägsames Beispiel: "Woher kommen die Nordseekrabben? Niemand schält
frische Krabben so billig wie marokkanische Arbeiterinnen. Deshalb
lohnt sich der LKW-Transport von Husum nach Nordafrika und zurück."
Hierbei wächst die Zahl der zurückgelegten Kilometer schneller als die
transportierten Warenmengen. Denn die Transportpreise sind gesunken und
der härter werdende Konkurrenzkampf erhöht den Druck auf Unternehmer,
auch über Grenzen hinweg die profitabelste Produktionskette zu
organisieren.
Mittlerweile ist für Klimaschützer der PKW- und LKW-Verkehr nach der
Energiewirtschaft das größte Sorgenkind. Er ist für etwa 15 Prozent der
CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Nach Angaben der
Europäischen Umweltagentur wuchs in den Jahren 1994 bis 2004 das
Autobahnnetz in den neuen EU-Mitgliedstaaten zusammengenommen um 1000
Kilometer, in den alten Mitgliedstaaten sogar um 12.000. Die
Klimaschutzpläne der EU werden so zur Makulatur.
Fossiles Verkehrsregime
Dass durch die Adern des Kapitalismus das schwarze Blut Öl fließt, ist
unter Linken und Umweltschützern mittlerweile eine Binsenweisheit.
Energiekonzerne werden international dafür kritisiert, dass sie an
fossilen Energien festhalten und den Umstieg auf erneuerbare
blockieren. Diesem „fossilen Energieregime" entspricht ein „fossiles
Verkehrsregime". Es fördert jene Verkehrsmittel, mit denen Konzerne die
höchsten Profite machen - sei es durch deren Besitz, die Produktion
oder durch den Absatz von Kraftstoffen, die aus Erdöl gewonnen werden.
Das sind vor allem der motorisierte Individualverkehr, der
Straßengüterverkehr und die See- und Luftfracht. Öffentlicher und nicht
motorisierter Verkehr bleiben dabei auf der Strecke.
Jährlich gibt das US-amerikanische Wirtschaftmagazine Fortune die
"Fortune Global 500" heraus, eine Liste der 500 umsatzstärksten
Unternehmen der Welt. In seinem Buch "Verkehr.Umwelt.Klima" weist
Winfried Wolf darauf hin, dass die Branchengruppe "Öl, Auto, zivile
Luftfahrt" und die Gruppe "Energie, Versorger" am Umsatz der "Global
500" einen Anteil von 31 Prozent haben. Unter den 10 weltweit
umsatzstärksten Unternehmen befanden sich im vergangenen Jahr sechs
Erdöl- und drei Automobilkonzerne. Nur ein einziges Unternehmen gehört
nicht zum "fossilen Block".
Dass diese Unternehmen so mächtig sind, liegt nicht allein an der
historischen und technischen Entwicklung von Verkehr und Energie. Auch
die massive Unterstützung durch den Staat erklärt diese Macht nur zum
Teil.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass fossile Energien für das
Kapital Vorteile haben, die erneuerbare Energien nicht oder nicht in
diesem Maße besitzen. Der Politikprofessor Elmar Altvater nennt einige (4) :
"Erstens können fossile Energien anders als Wasserkraft oder
Windenergie fast ortsunabhängig eingesetzt werden." Die leichte
räumliche Trennung von Energiequelle und Energienutzung sei die
"Voraussetzung für eine ökonomische Geographie, die sich weniger an
natürlichen Gegebenheiten als an Rentabilitätsgesichtspunkten
orientiert." Zweitens sind fossile Energien zeitunabhängiger, weil sie
(noch) leichter zu speichern sind. Drittens eignen sie sich
hervorragend für „Konzentration und Zentralisation ökonomischer
Prozesse." Ihre Quellen befinden sich an geographisch eingrenzbaren
Orten und können dort leicht von Konzernen oder einem Staat
kontrolliert werden. Sie legen auch eine Nutzung in Großkraftwerken
nahe. Das ermöglicht Kontrolle durchs Kapital, genauer: die Kontrolle
über die Geldbeutel der Verbraucher. Denn diese sind von der
zentralisierten Energielieferung abhängig. In Deutschland beherrschen
nur vier Konzerne den Energiemarkt: E.on, RWE, EnBW und Vattenfall. Sie
besitzen rund 90 Prozent aller Kraftwerke und kontrollieren das
Stromnetz.
Auswirkungen und Protest
Auf die Masse der Menschen und ihre Umwelt hingegen hat der fossile
Kapitalismus gravierende Auswirkungen: Dürren, Fluten und andere
Wetterextreme nehmen durch die sich aufheizende Erdatmosphäre zu. Mehr
als 150.000 Menschen sterben weltweit pro Jahr an den Folgen des
Klimawandels, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. Kriege und
bewaffnete Auseinandersetzungen um den Zugang zu und die Kontrolle von
Öl und Gas verschärfen sich, je knapper diese Ressourcen werden.
Steigende Armut schließt zudem immer mehr Menschen von einer auf
fossilen Energien basierenden Lebensweise aus, ohne dass ihnen jedoch
eine Alternative angeboten würde. Je knapper Öl, Gas und Kohle werden,
desto höher klettern die Preise - nicht nur für Strom und Gas, sondern
auch für Lebensmittel. Jedes Jahr fordert der Verkehr in Deutschland
tausende Tote und weit mehr Verletzte. Gesundheitsschädigende
Verschmutzungen und Lärm kommen hinzu. Mit dieser Verkehrsstruktur sind
zudem enorme Kosten verbunden, die nicht von den verantwortlichen
Konzernen getragen werden, sondern zu Lasten der Allgemeinheit gehen.
"Mobilität" und "Freiheit" halten sich unter einem solchen
Verkehrsregime in Grenzen. Die Anzahl der von einer Person in einem
Jahr zurückgelegten Wege hat sich in Deutschland in den letzen
Jahrzehnten kaum verändert. Menschen bewegen sich wie eh und je zur
Arbeit und von dort nach Hause. Sie bringen ihre Kinder in die Kita
oder holen sie von der Schule ab. Man kauft ein, besucht Freunde oder
sucht einen anderen Ort auf, an dem man seine Freizeit verbringt. Was
sich allerdings stark verändert hat, ist die Anzahl der Kilometer, die
ein Mensch zwischen diesen Orten zurücklegen muss. Sie ist doppelt so
hoch wie jene, die vor 40 Jahren von einem Westdeutschen zurückgelegt
wurde. Das kostet Zeit und Nerven.
Der Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft, in der Menschen zählen
statt Profite, mag weit erscheinen. Doch erste Schritte sind bereits
getan. Denn der Protest gegen das kapitalistische Energie- und
Verkehrsregime ist international und vielfältig. In Deutschland besteht
er zum Beispiel aus den Aktionen des Antiprivatisierungsbündnisses
„Bahn für Alle", aus dem Widerstand von Bürgerinitiativen gegen
Kohlekraftwerke oder manifestiert sich im bundesweiten Klimaaktionstag.
Umweltschützer allein können allerdings die Macht der Konzerne nicht
brechen. Dazu bedarf es einer Massenbewegung, in der alle
zusammenfinden, die das Profitdiktat des Kapitals ablehnen.
Buchtipp:
- Winfried Wolf: Verkehr.Umwelt.Klima - Die Globalisierung des Tempowahns, Promedia Verlag 2007, 496 Seiten, 34,90 Euro.
- Bahn-Privatisierung: Becks Bahnbetrug
Anmerkungen:
1 Zitiert
nach Winfried Wolf: Verkehr.Umwelt.Klima - Die Globalisierung des
Tempowahns, Wien 2007, S. 126f. Den globalen „Aufstieg des Automobils"
beschreibt Wolf sehr detailliert.
2
Winfried Wolf: Die Privatisierung staatlicher Bahnen oder:
Nostalgiereisen zurück ins 19. Jahrhundert, in: Gila Altmann u.a.
(Hg.): Einmal Chaos und zurück - Wege aus der Verkehrsmisere, Karlsruhe
1998, S. 34
3
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Entwurf
„Masterplan Güterverkehr und Logistik", vorgestellt am 14.03.2008,
online unter: www.bmvbs.de
4 Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen, Münster 2006, S. 85ff.