Kommen soziale Bewegungen zu Wort?

Allgemein wird angenommen, dass das Internet auch für den Bereich der Politik eine mediale Revolution darstellt. In der Debatte um die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft stellt es sich...

GID, 184 - Oktober 2007, S. 30 - 32 Allgemein wird angenommen, dass das Internet auch für den Bereich der Politik eine mediale Revolution darstellt. In der Debatte um die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft stellt es sich bisher als eine Art Hinterbühne zu den klassischen Printmedien dar, auf der zwar mehr Akteure zu Wort kommen, diese allerdings nicht selten unter sich bleiben. Die Kritik sozialer Bewegungen an "Genfood" hat sich in den letzten Jahren stark ausdifferenziert. Nunmehr kulminieren verschiedene Stränge: Da war schon immer die ökologische Kritik an einer gegenüber Mensch und Natur rücksichtslosen technizistischen Moderne, die vor einem "gentechnischen Tschernobyl" warnte. Die daraus entstandene Suche nach gelebter Alternative wirkte später zum Beispiel in Form von Biomärkten und Ökolandbau zurück. Das Leitbild qualitätsbewusster Esskultur statt industrie-effizienter Sattmache hat - spätestens nach BSE - den Mainstream erreicht. Unter dem Stichwort "political consumerism" (Konsumerismus) begründen mehr und mehr Konsumenten ihr Streben nach Mitbestimmung der sozialen und ökologischen Bedingungen. In der Folge sortierte sich auch die Wirtschaft neu: Innovation, Produktqualität, Profit und Arbeitsplätze werden nicht durch Genfood, sondern gerade ohne Genfood möglich. Neben dem hiesigen Protest wurde aber gerade auch im Süden die Kritik lauter. Gegen internationale Institutionen und multinationale Konzerne wurde Widerstand mobilisiert und weltweit im Rahmen der globalisierungskritischen Bewegungen vernetzt. Beim Unterfangen, diese Kritik öffentlich sichtbar zu machen, stellt sich allerdings die Frage, welche unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten verschiedene Medien bieten. Als empirische Grundlage dient mir eine von Dieter Rucht, Ann Zimmermann und mir verfasste Studie, die demnächst erscheint(1). In dieser werden Texte, Artikel und Webauftritte zum Thema Genfood sowie Hyperlinkstrukturen, das heißt Verweise zwischen Internet-Seiten, ausgewertet. 119 Internet-Texte, gefunden über die Treffer in der mit Abstand am häufigsten verwendeten Suchmaschine Google, sowie 148 Artikel aus den Tageszeitungen Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung und Die Welt und den Wochenzeitschriften Der Spiegel und Die Zeit waren die Basis der Untersuchung. Die Beiträge wurden zwischen Ende Mai und Anfang August 2004 gesammelt.

Relative Diskurshoheit für die Kritiker im Internet

Insgesamt waren Beiträge im Internet (knapp 51 Prozent) etwas häufiger gegen Genfood gerichtet als in den Zeitungen (42 Prozent). Es machte sich hier also die viel gepriesene Eigenschaft des Internet, durch Eliten aus Staat und Wirtschaft dominierte Zeitungs-Berichterstattung umgehen zu können, bemerkbar. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass selbst durch massiven Ressourceneinsatz unterstützte gentechnikfreundliche Webseiten nicht die Suchergebnislisten von Google dominierten. In dieser Hinsicht kann also die Kritik an der Markthörigkeit von Suchmaschinen nicht geteilt werden. Es scheint also, dass die ressourcenschwache und gentechnikkritische Zivilgesellschaft nicht den Umweg über die Redaktionen der Zeitungen nehmen muss, sondern im Internet selbst zum Medium werden kann. Die Diskurshoheit wird dabei nicht nur durch den eigenen Webauftritt erreicht, genuine Online-Medien wie das Magazin Telepolis tendieren sehr viel stärker als Zeitungsredaktionen dazu, gentechnikkritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Dabei äußert sich die Diskurshoheit der Gentechnikkritiker im Internet auf vielerlei Art. Hier lassen sich zum Beispiel Themen und Problemkonstruktionen veröffentlichen, die es vermutlich niemals auf die Agenda der Printmedien schaffen würden. In den Zeitungen gilt: Genfood hat keine erwiesenen gesundheitsschädigenden Folgen. Im Internet wird unverblümt davor gewarnt, dass Allergien ausgelöst werden könnten. Spricht man in den Zeitungen stark von Risikobedenken und Koexistenz, wird im Internet Ausbeutung und irreparabler Flurschaden angeprangert. Diskurshoheit heißt aber auch, dass man sich von der tagesaktuell voranschreitenden Medienagenda unabhängig machen kann. Am besten lässt sich dies am internationalen Problemkontext kenntlich machen, der von der Printmedien-Berichterstattung vernachlässigt wird. Während man im Internet durchaus darüber aufgeklärt wird, dass Genfood hauptsächlich auf EU-Ebene reguliert wird oder wie der Konzern Monsanto in Indien agiert, stellten die Printmedien die aktuellen Streitfragen nationaler Gesetzgebung und die laufenden lokalen Konflikte zwischen Bauern, Saatgutherstellern und Protestierern dar.

Man muss auch gelesen werden

Allerdings müssen zwei gewichtige Einschränkungen gemacht werden. Zum einen bedeutet Informationen zu übermitteln noch lange nicht Öffentlichkeit herzustellen. Es gilt auch, rezipiert und verstanden zu werden. Dass Internet-Texte nur sehr selten in Zeitungsartikeln Erwähnung finden, während dies umgekehrt sehr häufig der Fall ist, legt die Vermutung nahe, dass die Bedeutung des Internets nicht überschätzt werden sollte. Auch an jeden einzelnen Nutzer stellt die Suche im Internet - trotz Verwendung einer Suchmaschine - besondere Anforderungen. Die in unserer Untersuchung durch Google aufgefundenen Texte können nur schwerlich als zusammenhängende Debatte verstanden werden. Suchergebnislisten bieten dem Nutzer ein vielfältigeres aber dennoch wenig zusammenhängendes Bild. Hoffnungslos veraltete Informationen stehen neben tagesaktuellen Nachrichten. Es ist schwer, unter all dem die zeitunabhängigen, grundsätzlichen Argumente herauszufiltern. Aus der Lektüre der Internet-Texte ergab sich auch - ganz anders als bei den Zeitungen - keine Orientierung darüber, wie und wo man sich als Bürger in der laufenden Debatte positionieren, gegebenenfalls engagieren könnte. Zum anderen sind die Befunde eher ernüchternd, weil nur wenige einschlägige Akteure aus sozialen Bewegungen auf vorderen Google-Rängen anzutreffen waren. Insgesamt nutzen Texte der Zivilgesellschaft die Möglichkeit, eine Ansprache an die Allgemeinheit zu halten, relativ selten. Es mangelt nicht an gentechnikkritischen Beiträgen, sondern die angebotenen Texte richten sich eher an ein Publikum im eigenen Umfeld. Da die Studie auf Befunden von 2004 basiert, muss allerdings angemerkt werden, dass sich die gentechnikkritische Zivilgesellschaft seitdem deutlich bemüht hat, Abhilfe zu schaffen. Exemplarisch stehen hierfür die beiden Webauftritte "www.keine-gentechnik.de" sowie "www.genfoodneindanke.de", die jeweils auf einem breiten Trägerkreis von Gruppen, Umweltorganisationen, Biolebensmittel- und -landbauverbänden beruhen und bemüht sind, ein breites Publikum mit allgemeinverständlichen Informationen zu versorgen. Einem interessierten Laien wird es über beide Webseiten ermöglicht, inhaltliche Urheberschaft klar zuzuordnen, Orientierung über das politische Geschehen zu erlangen und sich politisch zu engagieren. Dies revidiert jedoch den früheren Gesamtbefund nicht, sondern relativiert die Gesamteinschätzung lediglich. Die gentechnikkritische Zivilgesellschaft ist im Begriff das Potential des Internets als breitenwirksames Medium zu nutzen.

Kritik an Genfood in Zeitungen

Die ungenutzten Möglichkeiten des Internet erscheinen jedoch weniger tragisch, wenn man auf die Berichterstattung der Zeitungen schaut. Über gentechnikkritische Zivilgesellschaft wird relativ häufig berichtet. Am häufigsten geben zwar Regierungen und Behörden Meinungen zum Thema ab. Die zumeist gentechnikkritische Zivilgesellschaft ist allerdings in den von uns untersuchten Beiträgen mit mehr als einem Viertel an allen enthaltenen politischen Stellungnahmen deutlich stärker vertreten als andere Akteure, wie Parteien, Gewerkschaften und Unternehmen oder Genforscher. Die Berichterstattung erfolgt dabei in den Zeitungen im Gegensatz zum Internet nach einem strengen und einheitlichen Schema. Kritik an Gentechnik wird in den Kontext des laufenden politischen Prozesses gestellt. Zeitungen teilen dabei einen gemeinsamen Realitätshorizont. Durch Leitmedien, Nachrichtenagenturen, aber auch die gegenseitige Beobachtung oszillieren die jeweiligen Berichterstattungen um eine gemeinsame Agenda. In dem von uns untersuchten Zeitraum bezogen sich diese miteinander verflochtenen Nachrichtenereignisse vor allem auf Fragen der Anbaubedingungen von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen einerseits und andererseits auf die Kennzeichnung von Genfood. Nur um die Bedeutung dieser Ereignisse für die Berichterstattung zu verdeutlichen: Von den 148 erfassten Artikeln aus dieser Zeit titelten allein schon 48 mit Bezug auf drei Ereignisverläufe: die Geheimhaltung von Feldern mit gv-Pflanzen, die Diskussionen um ein neues Gentechnikgesetz und die Greenpeace-Kampagne zu Müller-Milch. Die Struktur der Berichterstattung lässt sich mit der gängigen Nachrichtenwert-Theorie erklären, der zu Folge nur solche Geschichten veröffentlicht werden, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Scharfe Kontroversen oder direkte Konfrontation ist beispielsweise ein Nachrichtenwert, der alle drei Ereignisverläufe prägt. Müller gegen Greenpeace, Greenpeace und andere gegen das Land Sachsen-Anhalt, Renate Künast gegen die Opposition. Ebenso ist etwas berichtenswert, das in private Lebensbereiche eindringt: Die nicht gekennzeichnete Müller-Milch im Supermarkt nebenan, das Gesetz, das diese Kennzeichnung eigentlich regeln sollte, geheim gehaltener Genmais, der in der Nachbarschaft des Lesers stehen könnte. Dies bedeutet umgekehrt aber auch, dass nur bestimmte Themenfelder in Szene gesetzt werden können. Viele andere, ebenso gewichtige Anliegen bleiben medial im Hintergrund. Dies betraf in unserem Falle zum Beispiel langfristige Schäden und Risiken sowie Ausbeutungsverhältnisse in Ländern des Südens. Als Konsequenz stellt sich für ressourcenschwache Akteure aus der Zivilgesellschaft eine altbekannte Problemsituation dar: Entweder man bedient die Medienlogik oder es wird nicht berichtet. Nur wer sich wie zum Beispiel Greenpeace an die medialen Gegebenheiten anpasst, kommt zu Wort. Die Umweltorganisation war während des Untersuchungszeitraumes in den Printmedien fast alleiniger Wortführer der kritischen Zivilgesellschaft. Ihre erfolgreiche Medienstrategie ist allerdings nicht ohne weiteres zu verallgemeinern. Sie erfordert hohe Professionalität, eine Organisationsstruktur, die auf einen kleinen Kreis öffentlichkeitswirksam agierender Experten ausgerichtet ist und einen vergleichsweise hohen Ressourceneinsatz. Dies legen zumindest unsere Untersuchungsergebnisse nahe.

Internet als offene Hinterbühne

Mit der Möglichkeit, über das Internet Texte zu veröffentlichen, haben sich also neue Einflussmöglichkeiten eröffnet, ohne dass dabei alte unbedeutend geworden wären. Zumindest aus Sicht gentechnikkritischer sozialer Bewegungen stellt das Internet keine umfassende Alternative zu herkömmlichen Massenmedien dar. Es bietet aber dennoch Möglichkeiten für eine neuartige Ergänzung. Bei der Erörterung der Bedeutung unserer Untersuchungsergebnisse für soziale Bewegungen kristallisiert sich statt einer Konkurrenz zwischen Internet und herkömmlichen Medien (wie sie häufig in der wissenschaftlichen Debatte angenommen wird) eher eine spezifische Arbeitsteilung heraus. Um dies zu erläutern, verwende ich eine Theater-Analogie. Die klassischen Medien bleiben als Vorderbühne der entscheidende Ort für öffentlichkeitswirksame Inszenierungen, zum Beispiel in Form von Protest. Denn hier spielt auch weiterhin die Musik, das heißt hier bleibt die öffentliche Verhandlung aktueller politischer Entscheidungsfindung verortet. Auch weichen sich die starren Bedingungen für Inszenierungen nicht auf. Wer ein Stück zur Aufführung bringen - sprich, in der politischen Öffentlichkeit zu Wort kommen - möchte, muss sich auch weiterhin den Bedingungen des Medientheaters unterwerfen. Das Internet als Hinterbühne ändert dies nicht in direkter Weise. Der Unterschied zwischen Hinter- und Vorderbühne ist, dass Erstere nur von wenigen betrachtet, dafür aber von zusätzlichen Akteuren betreten werden kann. Letztere steht demgegenüber nur Einzelnen offen, ist dafür aber für einen potentiell großen Zuschauerkreis gleichzeitig und direkt sichtbar. Von den Bedingungen herkömmlicher Berichterstattung befreit, lässt sich hier ungezwungener und breiter diskutieren. Der Druck zur Professionalisierung ist geringer und somit kommt ein breiterer Kreis von Aktiven zum Zuge und kann, ohne jemals auf die Vorderbühne zu gelangen, hinter den Kulissen Einfluss auf kommende Inszenierungen ausüben. Dementsprechend dient das Internet als Raum für die grundsätzliche politische Bildung zum Thema Genfood. Dabei ist das Neue des Internet gar nicht, dass es als eine Art Hinterbühne fungiert. Schließlich tritt es hier nur in Konkurrenz zur Verbandszeitschrift oder der Flugschrift. Neu ist lediglich, dass es den Zugang zur Hinterbühne weiter verbreitert. War die Verbandszeitschrift nur von wenigen erstellt und an einen kleinen Kreis adressiert, stellen Internettexte eine Art Flaschenpost von vielen an alle dar.
Fußnoten: 1. Dieter Rucht, Mundo Yang und Ann Zimmermann (erscheint 2007): Politische Diskurse im Internet und in Zeitungen: das Beispiel Genfood. VS-Verlag, Wiesbaden. Mundo Yang ist Politikwissenschaftler und arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).