Zur Berliner Marxismus-Konferenz

Den Einberufern schwebte vor, ein Beispiel für eine systematische und interessante Verbreitung des Marxismus als Grundlage der politischen Arbeit der antikapitalistischen Linken zu geben.

Vor gut zehn Jahren fand in Hannover eine erste größere Marxismus-Konferenz statt. Ihr Motto war: „Marxismus vor dem XXI. Jahrhundert“. Etwa 700, in hohem Maße jüngere Teilnehmer hatten sich eingefunden, um die Beratungen in mehreren Plenarveranstaltungen, Einzelvorträgen und Arbeitsgemeinschaften zu verfolgen. Zu Beginn des Jahres 2006 gingen 17 Wissenschaftler, Publizisten und Politiker an die Öffentlichkeit, um zu einer neuen Marxismus-Konferenz aufzurufen, die dieses Mal unter dem Motto „Marxismus für das XXI. Jahrhundert“ stattfinden sollte. Der Aufruf fand ein breites Echo, so ziemlich alle linken Zeitungen/ Zeitschriften, Vereinigungen und eine größere Anzahl marxistischer Wissenschaftler und Politiker antikapitalistischer Orientierung meldeten ihre Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an der Konferenz an. Unter ihnen waren Uwe-Jens Heuer, Erich Hahn, André Leisewitz, Frank Deppe, Hermann Klenner, Arno Klönne, Thomas Metscher, Wolfgang Fritz Haug, Norman Paech, Peter Strutynski, Ekkehard Spoo, Ekkehard Lieberam. Für die „Marxistischen Blätter“ – sie gehörten, wie auch die „Marx-Engels-Stiftung“, dem Einberuferkreis an – waren Robert Steigerwald und Werner Seppmann aktiv an der Vorbereitung und Durchführung der Tagung beteiligt, die vom 20. bis 22. April dieses Jahres in Berlin stattfand.

In fünf Plenartagungen erörterten jeweils vier bis sechs Diskutanten solche Probleme: Sozialismus im 21. Jahrhundert; Mit Keynes aus der Krise?; Kampf um Demokratie und Menschenrechte; Für eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung; Widerstand gegen Krieg und Ausbeutung.Zusätzlich gab es noch eine Podiumsdiskussion zum Thema Einheit der Linken. Angesichts der über 700 Teilnehmer, der zumeist gut besuchten und interessanten 31 Plenarund Einzelveranstaltungen mit etwa 80 Moderatoren und Referenten, einer solidarischen Grundstimmung auf der Konferenz und viel Aufmerksamkeit in Kreisen der marxistischen Linken hinsichtlich der Konferenz ist von einem Erfolg zu sprechen.

Die Thematik entsprach den im Eröffnungsaufruf angesprochenen Fragen und diente den gegenwärtigen Erfordernissen, jedoch gelang es in den Plenarveranstaltungen kaum, zu theoretischen Verallgemeinerungen zu kommen. Ich sehe dafür folgende Gründe: Erstens: die nur zehnminütigen Beiträge machen gründlicheres und analytisches Herangehen nicht möglich. Zweitens: dies auch angesichts dessen, dass die Podiumsteilnehmer unterschiedliche Ansichten haben können.

Was die Initiatoren angeht, so sind unterschiedliche, nicht gegensätzliche Ausgangsüberlegungen zu beachten. Da es sich um das Gemeinschaftsunternehmen von Bündnispartnern handelte, wurde von Anfang an auf völlige Gleichberechtigung, solidarischen Umgang und Orientierung am Konsensprinzip bei der Auswahl der Themen und Referenten geachtet. Ausgeklammert wurden nur Kräfte, die sich im „Mitgestalten“ des Kapitalismus üben – dies ist ja kein Antikapitalismus, dem sich die Konferenz verschrieben hatte – und ausgeklammert blieben auch Kräfte, die, wie die MLPD,mit ihrem aggressiven Alleinvertretungsanspruch zu solcher Zusammenarbeit nicht fähig sind.Es ging also um ein weit gefasstes marxistisch-antikapitalistisches öffentliches Wirken im Rahmen der oben angedeuteten Grenzen.

Den Einberufern schwebte vor, ein Beispiel für eine systematische und interessante Verbreitung des Marxismus als Grundlage der politischen Arbeit der antikapitalistischen Linken zu geben, ein Forum zu bieten, in dem darüber beraten werden sollte, wie die Schwäche der Gegenkräfte in der Bundesrepublik überwunden werden kann. Sie wollten zur Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus beitragen, um davon ausgehend die politische Handlungsorientierung für den Kampf der arbeitenden Klasse gegen Neoliberalismus und Kapitaloffensive genauer zu bestimmen. Strategisch wollten wir einen weiteren Schritt machen hin zu einer vernetzten marxistischen Linken, um sie einen realen Faktor im politischen Leben der Bundesrepublik werden zu lassen.Mehr oder weniger sind wir hinsichtlich aller dieser Ziele vorangekommen. Nicht zu übersehen ist der Wille und der Drang, weiter zu machen.

Die Konferenz war hervorragend organisiert durch eine Org-Gruppe unter der Leitung der Genossen Mäde, Lieberam und Wiegel. Bekannte führende Genossen der DKP nahmen teil: Leo Mayer, Nina Hager, Georg Polikeit, Gerd Deumlich,Walter Listl, Lothar Geisler, die schon benannten Genossen Seppmann, Steigerwald und andere. Bedacht werden sollte, dass die Teilnahme teuer war. Ich sprach einen Genossen aus Frankfurt, für den Fahrt und Unterkunft allein 240 Euro kosteten. Dazu kamen Verpflegung, Buchkauf usw. Das möge bedacht werden, wenn der Ruf nach baldiger Fortsetzung ertönt. Dazu kommt ja noch, dass die Unkosten der Konferenz selbst auch aufzubringen waren und wir das Spendenvermögen unserer Freunde und Genossen nicht überstrapazieren können.

Natürlich waren Genossen der PDS und der WASG stark bestrebt, die Prozesse ihrer Parteien ins Zentrum zu rücken, also die Konferenz als Plattform für ihre Auseinandersetzungen zu sehen.

Die Teilnehmer kamen aus allen bekannten linken Bereichen.

Es gab einige, aber keineswegs prägende Konflikte um die Gründe für die Niederlage des Sozialismus, um die Einschätzung Chinas und Kubas, wobei das trotzkistische Potential in diesen Fragen selbst nicht einig war. Ein weiteres Konfliktfeld war die Einschätzung der gewerkschaftlichen Entwicklungen.

Vorbereitung und Auswertung erfolgten im wesentlichen durch „junge Welt“ und „UZ“. Es wird eine Broschüre mit den wesentlichen Materialien der Konferenz veröffentlicht, sodass man, statt sich in Vermutungen zu ergehen, dann sich selbst ein Bild vom Inhalt der Referate und Debatten machen kann.

Über die weitere Arbeit wird nachgedacht. Es gibt bereits einige Vorschläge bzw. Überlegungen, über die beraten werden soll. Die Website der Konferenz ist auszubauen, allerdings ohne Forum, da dessen Betreuung zu aufwändig wäre. Möglich ist die Planung und Abstimmung von kleineren Folgekonferenzen, die die Anliegen der Marxismuskonferenz weiter verfolgen. Eine erste derartige Folgekonferenz soll eine Podiumsveranstaltung in Berlin am 13. Oktober 2007 zum Thema „90 Jahre Staat und Revolution – Staat und Demokratie heute“ sein. Sie wird – nach gegenwärtigem Stand – von der MES, von SALZ und von dem Kreis um Thomas Wagner getragen werden. Ziel dieser Veranstaltung wäre nicht zuletzt auch eine Debatte zwischen unterschiedlichen Richtungen der marxistischen Staats- und Demokratietheorie. Eine weitere Folgekonferenz könnte das Thema Marxismus und Ökologie erörtern, selbstverständlich auch unter Teilnahme nicht explizit marxistischer Kräfte um attac, Ökologische Linke und Ökosoz. Als weitere Themen bieten sich an: Internationale Dimensionen der Antiglobalisierungsbewegung,Antifaschismus und Antirassisimus, Migration und kulturelle Vielfalt, Sozialismus des 21. Jahrhunderts (international), Parteienfrage und außerparlamentarischer Kampf. Wichtige Aufgaben im Zusammenhang mit weiteren solchen Konferenzen wären die Gewinnung jüngerer Wissenschaftler beispielsweise für Plenardebatten und die Auswahl solcher Themen, die attraktiv für junge Leute sind, an marxistisches Denken heranführen und diesem wieder mehr praktische Relevanz in den sozialen und politischen Bewegungen verschaffen.

Die April-Konferenz hat Folgen. So findet im November eine zweite Marxismus-Konferenz statt, an der Teilnehmer der April-Konferenz mitwirken. Wir meinen: Es kann gar nicht genug Marxismus-Konferenzen geben, sofern es eben um Marxismus und nicht nur um das Etikett geht. Einer Marxismus-Konferenz wünschen wir Erfolg.

Sodann hat die Konferenz zu einigem Geräusch im Blätterwald geführt. So meinte das „Neue Deutschland“, wegen der „klare(n) antikapitalistischen Grundhaltung“ der Konferenz: „dieser Sound“ habe an „frühere Zeiten erinnert“. Die „Z Zeitschrift Marxistische Erneuerung“ meint, in der Konferenz sei gefordert worden, die neue Linkspartei als Weltanschauungspartei zu bilden. Im Unterschied zu solchen Stimmen gab es von Nicht-teilnehmern die Vermutung, die Kommunisten, die dort aufgetreten seien, hätten sich nicht oder nicht genügend prinzipiell verhalten. Jemand bewertete die Konferenz als „Strömungstreffen“.Bei so vielen unterschiedlichen Bewertungen wäre es doch wohl das beste, man würde versuchen, sich an den Original-Materialien der Konferenz zu orientieren, und das ist, wenn dieser Bericht erscheint bereits möglich, weil dann die Broschüre mit den wesentlichen Texten der Konferenz vorliegen wird.

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