Der Plan, der Staat, die Demokratie

Es ist an der Zeit, vom Sozialismus zu reden

Der Schiffbruch sämtlicher real existierenden Sozialismen hat vielen Linken den Mut genommen, ihre Kritik des Bestehenden im programmatischen Entwurf einer gesellschaftlichen Alternative auch zur ...

... Wahl zu stellen. Der teigigen Rede von der möglichen "anderen" Welt ebenso müde wie der Beschwörung einer Bewegung, die einfach nur fragend voran schreitet, kommt Boris Kagarlitzki auf die Dinge zurück, mit denen die Veränderung der herrschenden Verhältnisse zum Ernstfall wird: auf den Plan und den Staat. Bis 1917 wusste jeder Sozialdemokrat mehr oder weniger genau, was das ist - Sozialismus. Alles Nötige war in Karl Kautskys Buch Der Weg zur Macht (1909) ausführlich beschrieben. Nach 1917 kamen bei den Sozialdemokraten Zweifel auf, aber dafür wussten nun die Kommunisten genau, was Sozialismus sei - die Gesellschaftsordnung, die in der UdSSR vorherrscht (oder entwickelt wird). Wenn es also etwas in der UdSSR gab oder geben sollte, so war das eben ein Merkmal des Sozialismus. Gab es hier etwas nicht, so war klar, dass dies auch nicht zum Sozialismus zu zählen sei. In den 1960ern wurde dann endgültig alles durcheinandergeworfen. Die Sozialdemokraten sprachen vom demokratischen Sozialismus (dessen Konturen von Jahr zu Jahr immer undeutlicher wurden) - sie sprachen von gemischter Ökonomie, politischer Demokratie und einem "Streben zur Gleichheit." Bei den Kommunisten kamen Zweifel am sowjetischen "Modell" auf. Und die "Neue Linke", die damals die politische Arena betrat, erklärte gleich rundweg, dass es in der UdSSR überhaupt keinen Sozialismus gab, formierte aber auch kein eigenes positives Programm. Nach dem Krach des sowjetischen Systems 1989-1991 wurde es dann ganz übel. Denn nun galt es als guter Ton unter den Linken, den Kapitalismus zu kritisieren, ohne irgendwelche Alternativen vorzuschlagen. Oder gleich gar nicht über den Kapitalismus zu reden, indem man nur den Neoliberalismus angriff. Während sie die Laster und Verbrechen der Neoliberalen entlarvten, die den Sozialstaat zerstören, die im 20. Jahrhundert erkämpften Rechte der Werktätigen demontieren und den Staatssektor privatisierten, ließen die linken Ideologen die Frage unbeantwortet, durch was denn die gegenwärtige Ordnung zu ersetzen sei. Sollte man zum Sozialstaat der 1960er zurückkehren? Ein neues Modell der gemischten Wirtschaft entwickeln? Oder sollte man den Weg zu etwas ganz Neuem eröffnen? Wenn ja, wie sollte diese "neue Gesellschaft" aussehen? Ein klares Programm vorzulegen erschien völlig unanständig, zumal das ja utopisch sei und somit den Weg in den Totalitarismus eröffne. Auf einer der Diskussionen des 1. Europäischen Sozialforums in Florenz erklärte ein Vertreter der Rifondazione Comunista, man brauche kein Programm und irgendwelche Projekte des Umbaus zu diskutieren - die Bewegung fände schon selbst ihren Weg. Allerdings bleibt unklar, wie "die Bewegung" ihren Weg selbst finden soll, wenn ihre Teilnehmer nicht einmal die Richtung ihrer Schritte diskutieren dürfen? Nach dem Jahr 2000 wurde das programmatische Defizit der Linken so schreiend, dass dies schon für sich eine neue Diskussion unausweichlich machte. Dabei führte die krampfhafte Bemühung, sich um jeden Preis vom sowjetischen Modell abzugrenzen paradoxerweise dazu, dass aus seiner Niederlage keinerlei Lehren gezogen wurden. Um aus Fehlern zu lernen, muss man sie schließlich nicht tadeln, sondern analysieren. Natürlich hat in der Sowjetunion niemand irgendeinen Sozialismus errichtet. Doch wurde versucht, eine neue Gesellschaft zu gründen. Es hatte eine Revolution stattgefunden, die Arbeiter waren aufgebrochen, eine marxistische Partei war an die Macht gekommen. Und nicht zuletzt war, unabhängig vom Willen der Revolutionäre, die bürgerliche Ordnung zusammengebrochen, was letztlich ihren politischen Erfolg vorherbestimmte. Niemand - schon gleich nicht unter Linken - kann garantieren, dass wir es nicht erneut mit Krisen des bürgerlichen Systems zu tun bekommen werden, dass wir uns nicht erneut in einer Situation finden könnten, die der der Bolschewiki 1917 ähnelt, einer Situation, die nach unverzüglichen und radikalen Entscheidungen verlangt.

Beteiligung und Selbstverwaltung

In dieser Hinsicht ist es sehr lehrreich, die Resultate neuerer Meinungsumfragen in Russland zu analysieren. Die Mehrheit der Bevölkerung ist deutlich unzufrieden damit, wie der Kapitalismus funktioniert und würde sich eine Verstaatlichung der großen Konzerne wünschen. Ebenso wünscht die Bevölkerung den Erhalt der demokratischen Freiheiten, eine aktive Umverteilungspolitik von Seiten des Staates sowie kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung. Und schließlich sprechen sich dieselben Leute, die für eine breite Verstaatlichung der natürlichen Monopole und der Großindustrie sind, für eine Aufrechterhaltung des Privateigentums und der Marktverhältnisse aus. Insgesamt käme dabei so etwas wie eine radikale Version der Sozialdemokratie heraus, deren Prototyp die "Neue Ökonomische Politik" (NÖP) Lenins von 1921 darstellt. Nur, dass sie - im Unterschied zur wirklichen NÖP, die von einer Verschärfung der politischen Diktatur begleitet wurde - als demokratische Gesellschaft gesehen wird, mit Parteienpluralismus, freien Wahlen und einer offenen Diskussion in den Massenmedien. Ein solches Bild wäre in der Tat recht attraktiv. Nur darf eine Reihe von Umständen nicht übersehen werden. Die NÖP endete 1929 mit einer Niederlage und der Errichtung des stalinistischen Regimes. Diese Niederlage war in keiner Weise ein Zufall. Ebensowenig, wie die Stärkung autoritärer Tendenzen in Russland gerade in den Jahren der NÖP ein Zufall war. Das Bestreben, gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln mit demokratischen Institutionen zu vereinen drückt das Wesen des Sozialismus selbst aus. Wenn die Gesellschaft keine demokratischen Mechanismen der Kontrolle über "ihr" Eigentum hat, dann ist dieses Eigentum seinem Wesen nach auch nicht gesellschaftlich. Und selbst, wenn sie der offizielle Eigentümer ist, verliert die Gesellschaft unumgänglich dieses Eigentum - zunächst informell, durch die Aneignung der Macht durch die herrschende Bürokratie, und dann auch formell, durch eine von dieser Bürokratie durchgeführte Privatisierung. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob die unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft entwickelte parlamentarische Demokratie ideal zur Lösung dieser neuen Aufgaben geeignet ist? Ist es hinreichend, wenn Linke sich darauf beschränken, zu beteuern, dass in der sozialistischen Gesellschaft alle gegenwärtigen demokratischen Rechte beibehalten werden, sie gar vermehrt werden? Eine Änderung der gesellschaftlichen Organisation erfordert auch eine radikale Änderung der demokratischen Institutionen. Ebenso ist die bloße Gründung eines großen Staatssektors noch in keiner Weise als Sozialismus zu bezeichnen. Ende der 1990er Jahre wurde die Idee der "demokratischen Partizipation" populär, für die als Parade-Beispiel der kommunale Haushalt von Porto Alegre angeführt wurde. Allerdings hat eine derartige Beteiligung der Bevölkerung an der Entscheidungsfindung - ebenso wie alle anderen Modelle direkter Demokratie - keinerlei Zukunft, wenn die grundlegenden Ressourcen in der Hand privater Eigentümer liegen und entsprechend der Gesetze des Marktes verwaltet werden. Die Aufgabe der sozialistischen Demokratie besteht nicht bloß darin, für die Bürger einer Stadt oder eines Staates neue Kanäle der Beteiligung an der Entscheidungsfindung zu finden, sondern vor allem darin, die ökonomischen Prozesse selbst ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Eine weitere modische Losung der 1960er bis 1980er Jahre, die produktive Selbstverwaltung, wurde inzwischen wieder vergessen, selbst von denen, die in ihr die einzige Alternative zur Bürokratie sahen. Die Ursache hierfür liegt nicht nur darin, dass es aufgrund der Privatisierung des staatlichen Sektors inzwischen faktisch keine Möglichkeiten einer praktischen Erprobung mehr gibt. Bereits die im Laufe des 20. Jahrhunderts gesammelten Erfahrung mit selbstverwalteten Unternehmen erwies sich in erheblichem Maße als negativ. Das bekannteste und "gescheiterteste" Experiment war hier natürlich das kommunistische Jugoslawien, wo dem Zerfall der Föderation der Zerfall der Arbeiterselbstverwaltung vorausging. Die Niederlage des jugoslawischen Modells ist leicht aus denselben Ursachen zu erklären, die auch den Krach des sowjetischen Systems hervorriefen. Bürokratische Kontrolle und fehlende Demokratie paralysierten die Initiative der Werktätigen und verunmöglichten die Schaffung einer sozialistischen Ökonomie. Allerdings spielte die Unterwerfung der Unternehmen unter die Logik des Marktes dabei keine kleinere Rolle. Die Arbeiterkollektive, eingezwängt zwischen dem "subjektiven" Druck der Bürokratie und dem "objektiven" Druck des Marktes konnten nicht einmal im eigenen Betrieb zum Herrn der Lage werden. Ähnlich scheiterten auch Selbstverwaltungsexperimente im Westen. Im Unterschied zu Jugoslawien, wo die Werktätigen das Staatseigentum verwalten sollten, wurden in den USA und in Westeuropa Kollektivunternehmen gegründet, die im Rahmen der kapitalistischen Ökonomie handelten. Einige von ihnen erwiesen sich als mehr oder weniger geschäftstüchtig. Doch vermochten sie weder die Gesellschaft noch das Leben ihrer eigenen Mitarbeiter grundlegend zu verändern. Im Gegenteil: Ein typisches Phänomen waren hier die Selbstausbeutung der Arbeiter umwillen der Rettung des in die Schuldabhängigkeit von Privatbanken geratenen Unternehmens und die Konkurrenz der Kollektive bei fehlender Solidarität zu den Werktätigen anderer Firmen. Anhänger der anarcho-syndikalistischen Utopie könnten nun antworten, das ganze Unglück rühre nur daher, dass in der Gesellschaft weiterhin kapitalistische Verhältnisse herrschten. Wenn die gesamte Ökonomie aus selbstverwalteten Kollektiven bestünde, wäre nichts dergleichen geschehen. Jedoch ist die produktive Selbstverwaltung nicht gleichwertig mit der gesellschaftlichen und ersetzt nicht die Demokratie. Warum sollten denn auch gerade die Arbeiter eines bestimmten Betriebes die Entscheidungen treffen, die hinterher die Zulieferer, die Verbraucher, die Bewohner angrenzender Regionen, Rentner und Lehrer betreffen? Werden sie die ökologischen Probleme und Bedürfnisse der Gesellschaft insgesamt berücksichtigen? Also bleibt der Staat als Struktur, die eine demokratische Koordination gewährleistet, bei allen sozialistischen Projekten erforderlich, wie ernst wir auch die Gefahr seiner bürokratischen Entartung nehmen. Sicher, auf der Tagesordnung bleibt die Demilitarisierung, Debürokratisierung und Dezentralisation des Staates, im bekannten Sinn sogar seine Entpolitisierung. Um diese Probleme zu lösen, muss man sich jedoch dem Staat zuwenden und sich nicht, wie es die Anarchisten vorschlagen, von ihm abwenden.

Verstaatlichung und Planung

Trotzki verglich die Verstaatlichung einmal mit dem Kokon, zu dem die Raupe werden muss, bevor sie sich in einen Schmetterling verwandeln kann. Genau so muss auch das Privateigentum, ehe es zum gesellschaftlichen Eigentum werden kann, zunächst zu Staatseigentum werden. Allerdings sterben die meisten Kokons, wie Trotzki selbst einräumte, ohne je zu Schmetterlingen zu werden. Der sowjetische Staat war gerade ein solcher riesiger Kokon, aus dem nichts Gutes entschlüpfte. Aus Sicht des zukünftigen Sozialismus ist es folglich ungeheuer wichtig, was genau in diesem Kokon vorgeht. Es wäre sinnlos und utopisch jetzt, wo die Linke in der Mehrzahl der Länder nicht nur nicht an der Macht ist, sondern auch keinerlei Möglichkeit hat, sich ihr auch nur zu nähern, darüber zu diskutieren, welche Organe einer demokratischen Koordination der Ökonomie zu gründen wären. Allerdings ist es durchaus möglich vorherzusagen, welche Aufgaben von ihnen zu lösen sein werden. Die Enteignung des großen kapitalistischen Eigentums bleibt das prinzipielle Ziel, wenn die Linken eine Gesellschaft schaffen wollen, die sich von der bürgerlichen unterscheidet. Allerdings gebiert die Verstaatlichung allein für sich noch keine sozialistische Gesellschaft, sondern schafft nur die Voraussetzungen ihrer Entwicklung. Genausowenig verschwinden in der Gesellschaft die Interessensgegensätze. Daher bleibt die Interessensabstimmung eine prinzipielle Aufgabe der Demokratie, darunter auch der Wirtschaftsdemokratie. In den letzten Jahren ist es in die Mode gekommen, von Netzwerkstrukturen zu reden, die angeblich die alten autoritären Hierarchien ablösen würden. Solange jedoch die Gesellschaft in Klassen aufgeteilt bleibt, solange die schreiende Ungleichheit in der Sphäre des Eigentums fortbesteht, wird dies nicht mehr als bloße Demagogie sein. Eine andere Sache ist es jedoch, wenn Netzwerkstrukturen im gesellschaftlichen Sektor einer verstaatlichten Ökonomie eine entscheidende Rolle spielen und zur Grundlage einer demokratischen Koordination - zwischen den Betrieben, den Wirtschaftszweigen, den Regionen und Ländern - werden könnten. Der Sinn von Netzstrukturen besteht dann darin, den Markt als "anarchischen" Regulator und Koordinator menschlicher Wirtschaftstätigkeit zu ersetzen. Die Überwindung des Marktes ist ein historischer Prozess, der sich über eine ganze historische Epoche hinziehen kann. Im Prinzip ist diese Aufgabe wesentlich umfassender als die Überwindung des kapitalistischen Systems, welches letzten Endes nichts weiter als eine der historischen Existenzformen der Marktwirtschaft darstellt. Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Experiments wurde schon das Wort "Plan" nachgerade zu einem Tabu. Es fragt sich allerdings, ob sich die langfristigen Aufgaben, die sich der Menschheit stellen, ohne Plan lösen lassen? Das Kyoto-Protokoll hat sehr schön das Scheitern von Versuchen gezeigt, Marktstimuli zur Verbesserung der ökologischen Situation zu benutzen. Die Gründung einer neuen Energiewirtschaft, eine ökologische Umorientierung der Produktion und der Übergang zu einer wirklichen, nicht eingebildeten "Wissensökonomie" - all dies erfordert eine langfristige Planung von historisch noch nie dagewesenen Ausmaßen. Und dies nicht im Rahmen eines einzelnen Landes für sich, sondern im Maßstab des ganzen Planeten. Der Sozialismus in einem Land ist absurd, gerade weil der gesellschaftliche Wandel eine globale und nicht eine lokale Erfordernis darstellt. Marx sah Sozialismus und Kommunismus als Gesellschaftsordnungen, in denen der einzelne Mensch und die Gesellschaft insgesamt bewusst und demokratisch die eigene Zukunft bestimmen. Eben das ist auch das Prinzip der demokratischen Planung. Die bürokratische Planung des sowjetischen Typs hat nicht durchgehend versagt. In erheblichem Maße wurde sie von den kapitalistischen Konzernen als Prinzip der inneren Organisation reproduziert. Allerdings ist eine demokratische Planung unter dem Kapitalismus nicht möglich. Denn das Prinzip der Demokratie befindet sich im schärfsten Widerspruch zum Prinzip des Eigentums. Der demokratische Raum ist einheitlich und unteilbar, er setzt einen allgemeinen und gleichen Zugang zu Informationen sowie allgemeine und gleiche Rechte aller Teilnehmer des Prozesses voraus. Mit anderen Worten, die Ökonomie der konkurrierenden Eigentümer kann, unter den bekannten Bedingungen, ein "freier", nie jedoch ein demokratischer Raum sein. Die neuen Technologien, die den Menschen den technischen Zugang zu Informationen ermöglichen, schaffen beeindruckende Möglichkeiten zur Schaffung einer Demokratie neuen Typs, eine Demokratie ohne Grenzen und "Grauzonen". Allerdings auch nicht mehr als die bloße Möglichkeit. Die praktische Umsetzung dieser Möglichkeiten hängt vom Stand der Entwicklung des Klassenkampfs ab. Und es ist durchaus möglich, dass der Kapitalismus, noch ehe radikale Linke je Gelegenheit haben, auf Grundlage der wissenschaftlich-technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts eine neue Gesellschaft zu errichten, uns in Katastrophen führt, die ein Gutteil dieser Errungenschaften wieder vernichten. Wir können heute weder vorhersagen, wie die gesellschaftliche Umbildung sich gestalten wird, noch in welcher Form, in welcher Größenordnung und in welchem Tempo die Marktkoordination durch eine demokratische ersetzt werden wird. Nur eines ist klar: es wird ein widersprüchlicher, ungleichmäßiger und stellenweise dramatischer Prozess. Die Marxisten des frühen 20. Jahrhunderts sprachen von der "Übergangsperiode". Im global historischen Sinn ist Sozialismus überhaupt nichts anderes als der in sich widersprüchliche und konfliktive Übergang zu einer nichtkapitalistischen Gesellschaftsordnung. Allerdings können (und sollen) gerade diese Konflikte zur Quelle von Dynamik, Wandel und Innovation werden. Vor uns steht die schwierige Aufgabe der Schaffung einer Demokratie neuen Typs, die die heutige liberale Demokratie ebenso übertrifft wie diese die sklavenhalterische Demokratie der Antike. Eine solche neue Demokratie setzt nicht nur formale "Gleichheit" voraus, sondern in erster Linie eine reale "Gemeinschaft". Sie besteht nicht im Wettstreit formell gleichberechtigter Marktsubjekte in der "Zivilgesellschaft", sondern in der gemeinschaftlichen Tätigkeit freier Menschen in der Verfolgung gemeinsamer Ziele, in der Verwaltung gemeinsamen Eigentums. Dies ist eine Gesellschaft, in der, um mit Engels zu sprechen, die Regierung über Personen schrittweise durch die Verwaltung von Sachen ersetzt wird. Letzten Endes gebar gerade die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung - zwischen Herrschenden und Beherrschten, Wissensträgern und Arbeitenden, zwischen Stadt und Land - den Bruch zwischen Armut und Reichtum, den Gegensatz der Klassen und die autoritäre Macht des Staates. Die Überwindung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist das Haupt- und Endziel der sozialistischen Transformation. Wie realistisch die vollständige Erreichung dieses Ziels ist, wie weit es utopisch ist - das werden wir erst wissen, wenn wir es in der Praxis versuchen. Übersetzung: Jakob Fruchtmann Boris Kagarlitzki ist Direktor des Instituts für Globalisierungsstudien (IPROG) und Vorsitzender des Zentrums Linke Politik in Moskau. aus: Fantômas - Magazin für linke Debatte und Praxis/Nr. 10/Herbst/Winter 07