War der Fernsehfilm "WUT" wirklich sehenswert?

Nach langen Diskussionen wurde der Fernsehfilm "WUT" nicht zur besten Sendezeit gezeigt, sondern erst zur Nachstunde mit einer anschliessenden unvermeidlichen "Expertendiskussion".

Wer am Freitag, den 29. September den Fernsehfilm "Wut" in der ARD gesehen hat, muss sich die Frage stellen, warum er von der besten Sendezeit Viertel nach Acht auf die Nachtstunde zehn Uhr verlegt wurde. Sollten es, wie verlautet, Jugendschutzgründe gewesen sein. Das klingt ziemlich unglaubwürdig, denn sehr viele Tatortfolgen zeigen zumindest genauso viel Gewalt wie dieser Film. Oder glaubte man in der ARD, den Bürgern des Landes den Film in den frühen Abendstunden nicht zumuten zu können. Statt dessen mutete man ihnen eine Uta Danelle Verfilmung zu. Es scheint sich in der Programmkommission immer mehr durchzusetzen, dass kritische Filme, kritische Berichterstattung erst zu später Stunde zu senden seien, wenn überhaupt. Ein weiterer Schritt zur Entmündigung des Bürgers, der mit seichter Unterhaltung zufrieden gestellt werden soll. Nur nicht nachdenken lassen oder gar systemkritische Anstöße geben. Wie im alten Rom: Panem et Circenses.
Nun aber zu dem Film. Nach den ganzen im Vorfeld kolportierten Diskussionen darüber konnte man nur enttäuscht sein. Ein krimineller türkischer Jugendlicher, Can, terrorisiert eine deutsche Familie. Und alle Klischees wurden bedient. Die Eltern des deutschen Jungen Felix, Altachtundsechziger, völlig unfähig mit veränderten Bedingungen umzugehen, der Vater, ein ewiger Diskutierer, auch noch als er von Can verprügelt wird. Die Mutter, Verfechterin einer offenen Ehe (wie der Vater auch), hat einen einzigen relativ bedeutsamen Satz in 90 Minuten, nämlich: "Jetzt bis du als Vater gefragt". Der Sohn Felix, völlig bindungslos an die Elter und die Umwelt, die übrigens nicht vorkommt. Der kriminelle türkische Jugendliche Can, der als einziger in dem Film authentisch wirkte, auch völlig bindungslos an die Umwelt. Und hier ist einer der großen Schwächen des Film. Das ganze Geschehen findet ohne ein soziokulturelles Umfeld statt. Wo sind die Schule und die Lehrer, wo sind die Klassenkameraden des deutschen Jungen und auch die Gang des Can wird nur marginal in Szene gesetzt, ist nur Staffage. Völlig überflüssig sind in diesem Zusammenhang die ehelichen Schwierigkeiten der beiden Eltern, man hätte sich diese Sequenzen sparen können. Dass der Vater ein "Weichei" ist, dazu bedurfte es nicht noch der Ehediskussionen mit der Mutter. Ein weiteres Klischee. Natürlich ist Can nicht nur gewalttätig, der dealt auch mit Drogen. Felix bekommt dann zwangsläufig seinen ersten Joint von ihm. Und bei der Hausdurchsuchung von Can wird natürlich ein großes Paket Haschisch gefunden. Und viele Szenen sind einfach unglaubwürdig. Da geht Can in eine Vorlesung in der Universität, die von den Vater gehalten wird und macht dort aggressiv Stunk. Oder die Schlussszene, da ersäuft der Vater Can schlagend im Swimmingpool des Hauses. Oh, wie dramatisch. Nicht dass ich meine, alle diese Probleme würden nicht existieren, aber in der Zusammenballung auf einige wenige Protagonisten wirkt dieser Film reichlich konstruiert. Ich will auch nicht das Grundproblem, dass dieser Film versucht hat in Spielfilmform zu visualisieren, in Frage stellen. Gewalt auch an Schulen, ausgeübt von deutschen und auch türkischen Jugendbanden, sind leidergottes an der Tagesordnung. "Abziehen", verprügeln, klauen, Waffen ist Realität an Schulen. Und nicht nur in Berlin, in jeder deutschen Stadt. Und es ist auch Realität, dass man sich hierum bis vor kurzen nicht gekümmert hast, weder die Lehrer (aus Angst?) noch die Politiker. Und wenn gar nichts mehr ging, wurde die Polizei geholt, als Ordnungselement. Aber vor vielen Jahren, als sich die Problematik bereits abzeichnete, wurde die Schulsozialarbeit weitgehenst eingestellt. Aus finanziellen Gründen. Und ein Bildungsproletariat wurde in den Hauptschulen herangezogen. Dies traf insbesondere die Migrantenjugendlichen und die Spätaussiedlerjungendlichen. Mit der Folge eines unausweichlichen Kreislaufs. Hauptschule keine Lehrstelle und damit auch keine berufliche Perspektive.
Doch noch einmal zurück zu den Film. An die, mehr oder weniger, quälenden 90 Minuten schloss sich dann die unausweichliche und auch unsägliche Diskussion an. Und auch hier mal wieder wurden alle Klischees bedient. Zwei Politiker, ein türkischer Sozialarbeiter und der Wissenschaftler, der ja nie fehlen darf. Und wer sich diese Diskussion dann noch bis zum Ende angetan hat, der fragte sich, worüber wurde hier denn geredet. Der Sozialarbeiter forderte mehr Geld für die Jungendarbeit ein, was sollte er auch anderes tun. Die beiden Politiker ergingen sich in den sattsam bekannten selbstgefälligen Sprechblasen und der Wissenschaftler zitierte Statistiken. Das einzig aufhellende waren ein paar Jugendliche aus dem Publikum, die wenigstens etwas Realität in diese Sprechblasen brachten. Man hätte sich gewünscht, dass der Darsteller des Can, Oktay Özdemir, öfters zu Wort gekommen wäre. Der konnte mehr als alle anderen Diskutanten authentisch berichten, den er ist in dem Großstadtghetto aufgewachsen und hat, so konnte man heraushören, viele dieser Probleme am eigenen Leib erfahren. Zitat: "Ihr habt alle studiert und blabla, aber von der Straße und was da draußen abgeht, habt ihr doch keine Ahnung!" Ich meine, dass mit diesem Film eine Chance zu Diskussionsanstößen verpasst wurde.
Zu Letzt: Dieser Film wurde von einem türkischen Regisseur gedreht. Was wäre passiert, hätte diesen Film ein deutscher Regisseur in Szene gesetzt?